Im Herbst des Jahres 2011 wurde die Verantwortung einer neonazistischen Gruppe für eine zunächst unvorstellbare Mordserie bekannt. Fast ein Jahrzehnt lang hatten die Nazis des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ in ganz Deutschland vor allem aus der Türkei stammende Menschen erschossen, mindestens zwei Sprengstoffanschläge in vor allem von MigrantInnen bewohnten Stadtteilen verübt und zahlreiche Banken überfallen. Aufgedeckt wurde diese Mordserie nicht etwa durch die Ermittlungen von Polizei und Inlandsgeheimdienst: diese vermuteten hinter den von ihnen als „Döner-Morde“ bezeichneten Verbrechen organisierte „türkische Kriminelle“. Tatsächlich aufgedeckt wurde die Mordserie erst durch Bekennervideos, die vermutlich von der nun Hauptangeklagten Beate Zschäpe verschickt wurden, nachdem zwei ihrer Mittäter – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – nach einem Banküberfall erschossen aufgefunden wurden.
Diese Enthüllung löste einen Skandal aus, der bis heute nicht annähernd aufgearbeitet ist. Fragen über die Ermittlungsmethoden der Polizei, institutionellen Rassismus und die Existenzberechtigung des Verfassungsschutzes wurden laut und sind bis heute nicht verstummt.
Nun wird am 17. April 2013 die Hauptverhandlung gegen Beate Zschäpe und andere NSU-Verdächtige beim Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München beginnen. Vorausgegangen ist eine emotionale Diskussion über die Art der Durchführung der Hauptverhandlung und ein Zulassungsverfahren für Journalisten, das von vielen türkischstämmigen Menschen als Ausschluss der türkischen Presse empfunden wurde.
Der Anklage der Bundesanwaltschaft haben sich bisher mehr als 70 Angehörige der Mordopfer und Geschädigte der Sprengstoffanschläge als Nebenklägerinnen und Nebenkläger angeschlossen. Sie werden von ca. 50 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vertreten.
In der Hauptverhandlung wird es in erster Linie darum gehen, ob sich die Anklage der Generalbundesanwaltschaft gegen die Angeklagten Beate Zschäpe, André Eminger, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben und Carsten Schulze beweisen lässt.
Es ist zu erwarten, dass dieser Prozess im Mittelpunkt bundesweiter, wenn nicht sogar europaweiter Medienberichterstattung stehen wird. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass viele Presseberichte in erster Linie skandalisieren anstatt aufzuklären. Selbst für Interessierte ist es oft schwierig, einen Überblick über die verschiedenen Meldungen zu behalten. Aus diesem Grunde wollen wir mit unserem Blog versuchen, das Prozessgeschehen aus Sicht der Nebenklage zu schildern, und das wenn möglich Tag für Tag, Woche für Woche.
Als Nebenklagevertreter vertreten wir die Interessen der Opfer der Mordanschläge. Dies muss nicht immer identisch sein mit dem Interesse der Staatsanwaltschaft, die Angeklagten nach ihrer Anklage zu verurteilen. Aus Sicht unserer Mandantschaft müssen das Versagen der Strafverfolgungsbehörden, die Ermittlungen gegen die Familien der Opfer und der offensichtlich vorhandene institutionelle Rassismus in den verantwortlichen Behörden Teil auch der strafrechtlichen Aufarbeitung der NSU-Morde sein. Wenn tatsächlich V-Leute der Sicherheitsbehörden im Umfeld der Mörder aktiv waren oder diese gar unterstützt haben, so muss dies thematisiert werden.
Wir wollen versuchen, den Ablauf der Verhandlung, die Darstellung des Verlaufes der Beweisaufnahme und die Bemühungen der verschiedenen NebenklägervertreterInnen möglichst für alle LeserInnen verständlich darzustellen. Auch insoweit verstehen wir uns als Teil des Kampfes der Opfer der NSU-Mörder, aus der Opferrolle herauszukommen und jedenfalls bei der Aufarbeitung der Verbrechen aktiv mitzuwirken. Hierzu gehört auch die Frage, wer außer den jetzt Angeklagten die Vereinigung NSU unterstützt ha, ob weitere Personen im Bundesgebiet an der Vorbereitung oder Durchführung der Morde beteiligt und in welche Organisationsstruktur die Mörder eingebunden waren.