Archiv für den Monat: Juli 2014

31.07.2014

Noch einmal zu „Blood & Honour“ Chemnitz

Die Verhandlung begann heute später, weil zuerst noch der Beschluss des anderen Senats zu den Befangenheitsgesuchen abgewartet werden sollte. Dieser Senat verwarf – wenig überraschend – die Gesuche als unbegründet. Damit ist auch das vierte Befangenheitsgesuch der Verteidigung Zschäpe abgeschmettert worden.

Danach wurde zunächst der letzte Vernehmungsbeamte von Thomas Starke, „Blood & Honour“-Aktivist aus Chemnitz, vernommen. Insbesondere ging es um einen DNA-Treffer aus der Frühlingsstraße, der die Möglichkeit aufgeworfen hatte, dass Starke bzw. einer seiner Söhne in der Wohnung gewesen war – das stellte sich aber im Nachhinein als falsch heraus. Obwohl diese Vernehmung also für den Prozessausgang völlig irrelevant ist, stellten die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben über eine halbe Stunde sinnlose Nachfragen zum Vorgehen der Polizeibeamten.

Nachdem Starkes Aussagen bei der Polizei jetzt vollständig in das Verfahren eingeführt sind, gab die Nebenklage eine Erklärung zu den Angaben Starkes ab.

Letzter Zeuge diese Woche war ein BKA-Beamter, der die Nachbarin des NSU in der Zwickauer Frühlingsstraße befragt hatte – da sich der Gesundheitszustand der alten Dame nach dem Brand erheblich verschlechtert hat und sie nun nicht mehr vernehmungsfähig ist, werden jetzt die Beamten befragt, die mit ihr gesprochen haben. Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme spricht alles dafür, dass die Nachbarin durch den Brand und die Explosion, die Zschäpe ausgelöst hatte, erheblich gefährdet wurde – die Angaben des heutigen Zeugen fügten sich in dieses Bild ein.

30.07.2014

Zeuginnen: Gewalttätigkeiten von Beate Zschäpe bereits 1996

Heute berichteten zwei Zeuginnen aus Jena von einem Angriff Beate Zschäpes im Jahr 1996. Zschäpe stieß demnach eine von ihnen zu Boden, so dass sie einen Knöchelbruch erlitt. Danach setzte sie sich auf ihren Rücken und zwang sie, sich selbst als „Potte“ zu beleidigen – was das bedeuten soll, konnte nicht geklärt werden. Zschäpe warf der Zeugin vor, sie zuvor beleidigt zu haben – anscheinend gab es vorher eine Begegnung mit einer der Zeugin ähnlich sehenden Freundin. Zschäpe war in Begleitung eines weiteren Mädchens mit Skinhead-Frisur – wahrscheinlich Jana J., die ehemalige beste Freundin von André Kapke (vgl. zu ihr die Berichte vom 13.03.2014 und 16.04.2014). Eine der beiden berichtete, Zschäpe sei ihr damals von anderen als äußerst gewalttätig und unberechenbar beschrieben worden.
Auch wenn beide Zeuginnen 18 Jahre nach der Tat nicht mehr alle Details gleich erinnerten, waren aber jedenfalls ihre Angaben zum grundsätzlichen Ablauf der Tat glaubhaft. Insbesondere die Geschädigte gab sich sichtlich Mühe, ausgewogen zu berichten und auseinander zu halten, an was sie sich noch konkret erinnerte und was sie sich im Nachhinein erschlossen hatte. Die Versuche der Verteidigung Zschäpe, die Identifizierung ihrer Mandantin in Zweifel zu ziehen, überzeugten dagegen nicht.

Wohlleben-Verteidiger Klemke derweil betrieb wieder v.a. Verteidigung für die Nazi-Szene und versuchte, in die Zeuginnen „hineinzufragen“, dass damals Gewalt von Nazis wie auch von Linken alltäglich gewesen sei. Die Zeuginnen erinnerten die Geschehnisse aber durchaus ganz anders, nämlich so, dass vor allem sie und ihre Freundinnen und Freunde Angst vor den in Jena damals sehr stark vertretenen Nazis hatten.

Zum Schluss des Sitzungstages stellte die Nebenklage Yozgat einen Beweisantrag, wonach zwei hochrangige Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums im Auftrag des Ministeriums die Zeugenvernehmung des hessischen Verfassungsschützers Temme beobachtet haben. Sollte sich dies bestätigen, läge die Gefahr der Beeinflussung der Zeugenaussagen weiterer Behördenmitarbeiter, insbesondere des hessischen Verfassungsschutzes, auf der Hand.

29.07.2014

Befangenheitsantrag der Angeklagten Zschäpe – viel Lärm um Nix

Der heutige Hauptverhandlungstag war weitgehend unergiebig:

Die Vernehmung des Zeugen Thomas Rothe, eines der ersten Unterstützer der Drei aus Blood and Honour-Kreisen in Chemnitz, musste erneut unterbrochen werden und wird an einem anderen Termin fortgesetzt. Rothe wurde nicht müde zu betonen, dass das doch jetzt alles 14 Jahre her sei und er damals eh nicht viel mitbekommen habe – er gab aber immerhin auch zu, dass er durchaus „zwei, drei Konzerte“ von Blood and Honour mitorganisiert hatte. Der Vorsitzende Richter kommentierte einen Ausschnitt aus einer früheren Vernehmung Rothes durch die Polizei mit den Worten: „Da haben sie ja glatt gelogen!“ Man kann gespannt sein auf die Fortsetzung dieser Vernehmung.

Es wurde dann ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vernommen, der 2011 den Mieter der Zwickauer NSU-Wohnungen und vermutlichen NSU Unterstützer Matthias Dienelt vernommen hatte. Diese Vernehmung gab der Verteidigung Zschäpe Gelegenheit, zu zeigen, dass sie ihre Mandantin „mit allen Mitteln verteidigen“ (so die Wertung in der Süddeutschen Zeitung) – auch mit Befangenheitsgesuchen, von denen sie wissen müssen, dass sie nicht den Hauch einer Chance auf Erfolg haben können. Der Vorsitzende hatte dem Zeugen längere Abschnitte aus dem damaligen Protokoll vorgehalten und von diesem bestätigen lassen, andere Abschnitte, darunter zwei, die nach Ansicht der Verteidigung für Beate Zschäpe entlastend sein sollten, dagegen nicht. Damit habe er seine Voreingenommenheit gezeigt, und da die anderen Mitglieder des Gerichts ebenfalls keine Fragen hierzu gestellt hätten, gelte das gleich auch für die. Nun mag man von der Tendenz des Vorsitzenden, vielen Zeugen größere Teile ihrer Vernehmungsprotokolle vorzulesen und sich „abnicken“ zu lassen, halten, was man will – eine Befangenheit daraus abzuleiten, dass er die Protokolle nicht vollständig vorliest, ist hanebüchen, kann doch die Verteidigung in ihrer Befragung etwaige Lücken jederzeit schließen. Außer zur „Klimapflege“ innerhalb der Verteidigung Zschäpe war dieser Antrag also zu nichts gut.

Über das Ablehnungsgesuch wird ein anderer Senat des Gerichts zu entscheiden haben. Die Hauptverhandlung und auch die Vernehmung des Ermittlungsrichters wurden einstweilen fortgesetzt. Wer nun erwartet hatte, dass die Verteidigung die angeblich entlastenden Aspekte der Aussage Dienelts herausarbeiten würde, wurde enttäuscht – statt dessen verloren sie sich in vagen Ausführungen zum Unterschied zwischen „rechtsradikalem“ und „rechtsextremem“ Gedankengut und Spekulationen zu den damaligen Entscheidungen des Haftrichters.
Einen deutlich kürzeren Auftritt hatte der Zeuge Maik Eminger, der Zwillingsbruder André Emingers und wie dieser seit Jahrzehnten in der Naziszene verankert: als Bruder des Angeklagten darf er die Aussage verweigern, was er auch tat. Eine politische Stellungnahme gab Maik Eminger aber vor dem Gerichtsgebäude ab, wo er mit einem Shirt mit der Aufschrift „Brüder schweigen“ auftrat – eine Anspielung auf sein Schweigerecht, aber vor allem auch ein Zitat aus dem Treuelied der Waffen-SS und Selbstbezeichnung der mörderischen Nazi-Terrororganisation „The Order“ aus den USA. Stellungnahmen der Nebenklage zu diesem Hinweis auf die Ideologie der Emingers versuchte die Verteidigung durch sofortige Beanstandung zu unterdrücken, es gelang aber, die Saalöffentlichkeit auf diesen Sachverhalt hinzuweisen.

23.07.2014

Lügen und Verharmlosen VIII – Gewährsperson Andreas Rachhausen

Der Hauptverhandlungstag begann mit einer Mitteilung des Vorsitzenden, der für morgens geladene Zeuge habe angerufen, und mitgeteilt, er käme nicht, ihm sei unterwegs schwindelig geworden und er müsse jetzt erst einmal in ein Wirtshaus. Was Götzl wie einen Witz erzählte und was von den Medien auch so aufgenommen wurde, könnte allerdings einen ernsthaften Hintergrund haben: der Zeuge war mit Uwe Böhnhardt in einer kriminellen Jugendgruppe aktiv. Nachdem er gegenüber der Polizei eine Aussage gemacht hatte, ließ ihn die Gruppe nach einem Autounfall halbtot liegen. Im Krankenhaus liegend wurde er bedroht. Er hat offensichtlich erhebliche Folgen und Ängste zurückbehalten.

Anschließend wurde Andreas Rachhausen vernommen, der neben Tino Brandt eine maßgebliche Rolle im Thüringer Heimatschutz gespielt haben soll. Genau wie dieser gab er Informationen gegen Geld an den Verfassungsschutz, allerdings etwas lockerer angebunden, als „Gewährsperson“. Von dieser Tätigkeit sind allerdings nur zwei sogenannte Treff-Meldungen in den Akten, ob es weitere gibt, ob Meldungen vernichtet wurden, ist bislang unbekannt.

Rachhausen erschien mit seinem Zeugenbeistand, Rechts-Anwalt Jauch, der zuletzt am 8. Juli 2014 selbst als Zeuge aussagen musste.

In einer stundenlangen Befragung gab er zunächst gegenüber dem Vorsitzenden Götzl an, der THS sei nur ein Transparent gewesen, Strukturen hätten nicht bestanden, THS-Treffen in der Gaststätte Heilsberg habe er nur ein paar erlebt, dabei sei nur getrunken worden. Die Angeklagten und Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos kenne er gar nicht oder nur vom Sehen. Zu Nazis im Ausland habe er nie Kontakt gehabt. Er habe einmal auf Wunsch von Wohlleben und Kapke ein Fahrzeug abgeschleppt, genaueres wisse er dazu nicht. Tatsächlich war es das Fluchtfahrzeug des Trios bei ihrem Untertauchen.

Erst auf intensive Befragung der Nebenklage gab er zu, dass er gemeinsam mit anderen Nazis aus dem Umfeld von Böhnhardt sich von Spiegel-TV bei Wehrsport- und Häuserkampfübungen hatte filmen lassen. Außerdem arbeitete er zur Hochzeit der THS-Treffen in der Gaststätte Heilsberg, war also fast immer dort. Im Jahr 1992 war er einer der Anmelder des Rudolph Hess-Marsches in Rudolstadt, der mit 1800 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und Nazis aus ganz Europa durchgeführt wurde. Als wegen gefährlicher Körperverletzung ein Haftbefehl gegen ihn erging, floh er nach Belgien, in die USA und nach Dänemark, wo er bei dem führenden Nazikader und Auschwitzleugner Thiess Christophersen Unterschlupf fand.

Von seiner Mitarbeit für den Verfassungsschutz habe er Brandt Mitteilung gemacht. In der Szene sei bekannt gewesen, dass „wenn vier Personen zusammensitzen, zwei davon für den Verfassungsschutz arbeiten“. Dies sei nicht schlimm gewesen, denn er habe dem Dienst ohnehin nur Belanglosigkeiten erzählt.

Rachhausens Vernehmung wird an einem weiteren Verhandlungstag fortgesetzt werden.

Während der gesamten Vernehmung wurde deutlich, dass Rachhausen log, um seine Rolle im THS und dessen wahre Bedeutung zu verharmlosen. Deutlich wurde aber auch, dass die Thüringer Naziszene Erfahrungen mit dem Untertauchen gesuchter Straftäter hatte und jedenfalls ab 1992 bundesweit und international gut vernetzt war. Der bewaffnete Kampf wurde offensichtlich diskutiert und trainiert und durch die Darstellung gegenüber der Presse propagiert. Die Nazis gebrauchten damit Gewalt im doppelten Sinne: Durch Überfälle, Körperverletzungen etc. einerseits und andererseits durch die einschüchternde Wirkung der öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellten Ankündigung bewaffneter Aktionen über die Presse oder durch Aufkleber.

Bereits Jahre vor den ersten Morden des NSU war also der Einsatz von Waffen gegen politische Feinde ganz normales Thema in der Thüringer Naziszene und dem THS. Der Verfassungsschutz wusste dies und bezahlte wichtige Protagonisten. Im Gegenzug erhielt er nutzlose Informationen.

Die Hauptverhandlung am Donnerstag, 24. Juli wurde abgesetzt. Die geplante Fortsetzung der Vernehmung des Thomas Gerlach konnte nicht stattfinden, weil mehrere Umzugskartons Ermittlungsakten eines Verfahrens gegen die Hammerskins wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie eines weiteren Verfahrens gegen Gerlach wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen werden konnten. Die Akten waren erst diese Woche beim OLG eingetroffen. Anhand dieser Akten muss geprüft werden, ob Gerlach möglicherweise die Aussage verweigern darf.

22.07.2014

„Wir haben selten oder nie so nette Menschen kennengelernt, für uns war es undenkbar, dass die einer Ameise etwas zu leide hätten tun können…“

Nach der Ablehnung des Antrages der Angeklagten Zschäpe auf Entpflichtung ihrer VerteidigerInnen wurden zwei junge Frauen befragt, die mit ihren Familien 2007 bis 2011 ihre Sommerurlaube an der Ostsee gemeinsam mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verbracht hatten. Beide Frauen schilderten übereinstimmend, wie freundlich, nett und hilfsbereit die Drei in diesen Urlauben waren. Die Familien und ihre „Ossis“ hätten sich zu einer engen Urlaubsgemeinschaft entwickelt. Auch über das Jahr kam es zu Besuchen, die „Drei“ hätten beispielsweise Pakete mit Ostprodukten als Geschenke vorbeigebracht.

Für die jungen Frauen hatte „Lieschen“ Zschäpe eine besondere Rolle, da sie sich mit ihr besser als mit ihren Eltern über persönliche Dinge hätten unterhalten können. Daran habe auch die antifaschistische Grundeinstellung einer der beiden, die sich auch in einem Antifa-Aufnäher auf ihrer Tasche ausdrückte, nichts geändert. Beide Frauen zeigten sich erschüttert und teilweise verzweifelt darüber, dass die drei Personen, die sie in ihr Herz geschlossen hatten, solche Verbrechen begangen haben. Ihre Wut über diesen Vertrauensbruch formulierte eine der beiden wie folgt: „Ich kann es bis heute nicht verstehen, ich habe denen zu 100% vertraut und ich habe bemerkt, dass sie mich von vorne bis hinten belogen haben, ich habe mich gefragt, mochten sie mich wirklich, oder haben sie mich auch da nur verarscht.“

Es wird nicht nur deutlich, dass die Drei über die Jahre eine perfekte Tarnung entwickelt hatten. Klar ist auch, dass sie ein Bedürfnis nach persönlicher Nähe zu „normalen Menschen“ hatten. Am spannendsten ist aber, dass die völkisch-rassistische Ideologie, die zu den Morden des NSU führte, es den NSU-Mitgliedern gleichzeitig ermöglichte, ein gutes Verhältnis zu anderen „Deutschen“ zu entwickeln, selbst wenn diese Nazis ablehnten. In der Mitte der „Volksgemeinschaft“ verhielt man sich, wie schon die historischen Naziverbrecher, durchaus anständig und liebenswert-freundlich, die mörderische Wut und der Hass waren rassistisch motiviert. Hier waren also keine durchgedrehten Mordmaschinen am Werk, sondern politisch motivierte Nazis und Rassisten.

22.07.2014

Mit Verfügung vom 21. Juli 2014 wurde der Antrag der Angeklagten Zschäpe vom 16.07.2014 auf Ablösung ihrer Pflichtverteidiger abgelehnt. Zschäpe habe keine für solch eine Entscheidung ausreichenden Gründe vorgetragen. Im Anschluss ging der Vorsitzende gleich zur Tagesordnung über und begann die erste Zeugenvernehmung.

17.07.2014

Warten auf Zschäpes Erklärung

Nach dem Abbruch der Hauptverhandlung gestern wird wild spekuliert und vermutet. Zeitungen, die vor kurzem noch die VerteidigerInnen Zschäpes hochgelobt haben, brechen nun den Stab über sie.

Tatsache ist, dass es viele Gründe geben kann, Beate Zschäpe zur Aussageverweigerung zu raten, wie es ihre Verteidigung getan hat. Tatsache ist auch, dass derzeit, nach mehr als einem Jahr Hauptverhandlung und nach dem Haftfortdauerbeschluss zu Ralf Wohlleben, die Stimmung bei Beate Zschäpe an einem Tiefpunkt angelangt sein dürfte: eine Verurteilung wegen aller angeklagten Taten wird immer wahrscheinlicher; sie muss erkennen, dass sie für sehr lange Zeit in Haft bleiben wird.

Vor diesem Hintergrund musste Zschäpe der doppelte Verrat ihres ehemaligen Kameraden und V-Mannes Brandt die Ausweglosigkeit ihrer Situation noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen geführt haben. Immerhin war Brand derjenige, der im Rahmen des THS auch die Jenaer Kameradschaft mit aufgebaut hat. Brandt radikalisierte die Szene, entwickelte militante, gewalttätige Strategien gegen politische Gegner, konspirative Verhaltensweisen, propagierte den bewaffneten Kampf, und all das im Auftrag und mit dem Geld des Verfassungsschutzes. Brandt – mehr als ein Freund, ein Kamerad von Zschäpe und ihren Mittätern – stellt sich nun den Fragen des Gerichts und beschreibt sich als immer legal arbeitenden „nationalen Sozialisten“, der gerne mit der NPD Wahlerfolge erzielt hätte. Sicherlich hätte Zschäpe erwartet, dass ihre VerteidigerInnen diesem Zeugen über den Mund fahren, ihn und den Verfassungsschutz angreifen, bloßstellen. Dass sie dies nicht getan haben, kann gute Gründe haben – Brandt weiß vielleicht viel mehr über Zschäpe, als er bisher im Gerichtssaal mitgeteilt hat –, es kann aber auch Unfähigkeit sein oder schlicht fehlendes Verständnis für die Bedürfnisse ihrer Mandantin.

Der Wunsch Zschäpes nach gänzlich neuen Verteidigern wird sich nicht erfüllen. Möglicherweise wird einer ihrer Verteidiger freiwillig sein Mandat abgeben und Platz für einen neuen Verteidiger machen, der unvorbereitet einspringt. Denkbar ist auch die Beiordnung eines vierten Pflichtverteidigers, denn die bestehende gesetzliche Beschränkung auf drei gilt nur für Wahlverteidiger. Egal wie sich das Gericht entscheidet ist unklar, ob dies eine große Wende in den Prozess bringt, ebenso, ob Beate Zschäpe aussagen wird.

Das OLG hat die Frist zur Abgabe einer schriftlichen Begründung von Zschäpes Antrag auf Entpflichtung ihrer VerteidigerInnen bis Freitagnachmittag verlängert. Es ist kaum damit zu rechnen, dass das Gericht eine wesentliche Verzögerung des Prozesses durch diese Angelegenheit hinnehmen wird. Am kommenden Dienstag wird weiterverhandelt.

Weitere Spekulationen verbieten sich zu diesem Zeitpunkt.

16.07.2014

Zschäpe will neue Pflichtverteidiger

Der Prozess wird für heute unterbrochen und erst in der kommenden Woche fortgesetzt, weil die Angeklagte Zschäpe mitgeteilt hat, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre VerteidigerInnen und wolle neue Pflichtverteidiger.

Der Vorsitzende gibt ihr Gelegenheit, dies schriftlich zu begründen

15.07.2014

Tino Brandt – Nazifunktionär im Auftrage des Verfassungsschutz, Teil I

Die gesamte Woche ist für die Vernehmung des ehemaligen führenden Nazifunktionärs, Mitbegründers des Thüringer Heimatschutzes und langjährigen V-Mannes des Thüringer Verfassungsschutzes Tino Brandt vorgesehen. Brandt sitzt seit kurzem in Untersuchungshaft, es wird ihm unter anderem vorgeworfen, junge Männer zur Prostitution angehalten zu haben.

Brandt war bis zu seiner Enttarnung 2001 die maßgebliche Informationsquelle des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Er war, so sagte er heute, zunächst in der Anti-Antifa Ostthüringen Aktiv, aus der später als gemeinsame Organisation der Thüringer Kameradschaften der THS gegründet wurde. Er beschrieb seine Tätigkeit als V-Mann sowie seine Naziaktivitäten sehr vorsichtig, bekräftigte seine nach wie vor vorhandene nationalsozialistische Ideologie, verharmloste aber vor allem die Gewalttätigkeit des THS.

Seine Tätigkeit für den Verfassungsschutz entstand bei einem einfachen Informationsgespräch. Seine zwei Kontaktpersonen teilten ihm mit, er müsse nicht über Straftaten seiner „Kameraden“ berichten, weil der Verfassungsschutz keine Strafverfolgungsbehörde sei. Sie wollten nur wissen, wer mit wem zusammenarbeite. Auf dieser vereinbarten Basis habe er immer die Wahrheit berichtet. Als das Landesamt ihm vorschreiben wollte, bestimmte politische Funktionen nicht zu übernehmen und bestimmte Aktionen nicht durchzuführen, habe er dies verweigert, ihm sei zwar mit der Beendigung seiner Tätigkeit gedroht worden, das sei aber nie passiert. Der Verfassungsschutz nahm also ganz bewusst in Kauf, dass Brandt als V-Mann keine Angaben über Straftaten der Naziszene berichtete und ermöglichte Brandt ein Doppelspiel, in dem der Aufbau des THS mit Staatsgeldern finanziert wurde und lediglich allgemeine Informationen zu Demonstrationen, Flugblättern und Funktionären mitgeteilt wurden.

100.000 bis 140.000 Euro hätte er vermutlich insgesamt für seine Tätigkeit erhalten. Das Geld sei für politische Betätigung, Transport- und Telefonkosten, Flugblätter, aber auch beispielsweise für Strafbefehle des André Kapke ausgegeben worden. Seine Tätigkeit habe er direkt nach seiner Anwerbung dem NPD-Funktionär Kai Dalek „gemeldet“, von dem wir heute wissen, dass er selbst für den Verfassungsschutz arbeitete. Mit anderen habe er nicht explizit über seine V-Mann-Tätigkeit gesprochen, er habe aber angenommen, dass vielen dies bewusst war, weil er ja beständig Geld in die Arbeit steckte, dass nur vom Amt kommen konnte und nicht aus seiner Arbeit.

Das Trio und die Angeklagten (bis auf den aus Sachsen stammenden André Eminger) kannte er sehr gut aus der gemeinsamen politischen Arbeit. Die „Jenaer“ seien in unterschiedlicher Besetzung zu den THS-Kadersitzungen alle 4 bis 6 Wochen gekommen. Auch Beate Zschäpe habe etwa bei Schulungen zu Germanentum und Nationalsozialismus ein festgefügtes Weltbild gezeigt. Die Kameradschaft Jena sei sehr elitär aufgetreten, habe mehr auf „Klasse“ denn auf „Masse“ gesetzt. Alle hätten ein gefestigtes nationalsozialistisches Weltbild gehabt und seien auch in der Lage gewesen, dies argumentativ zu vertreten. Der NSU entstand als praktisch als Jenaer Sektion des THS und wurde mit Hilfe des V-Mannes Brandt aufgebaut.

Nach dem Abtauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe habe er Pogromly-Spiele verkauft und den Gewinn anfangs über Kapke, später über Schultze an die Drei weitergeleitet. Aus den Kreisen des THS sei von vielen gesammelt worden. Er habe auch Geld vom Landesamt für Verfassungsschutz für die drei erhalten und weitergeleitet, 1000 oder 2000 DM.

Mindestens einmal habe er auch mit Mundlos oder Böhnhardt telefoniert, da diese wissen wollten, wie viel Geld er gesammelt hatte – es bestand der Verdacht, dass Kapke Spenden veruntreut habe. Die Koordination der Kontakte sei dann von Carsten Schultze vorgenommen worden. Selbst in der Illegalität konnten sich die NSU-Mitglieder also auf Brandt verlassen, selbst in der Illegalität wurden sie mit Staatsgeldern finanziert.

Insgesamt wurde deutlich, dass der V-Mann Brandt den THS maßgeblich mit aufbaute, eines der Vorbilder der Jenaer Gruppe war und diese stark beeinflusste.

Die Vernehmung am Mittwoch und Donnerstag wird viele dieser Themen noch ausführlicher erörtern. Es bleibt abzuwarten, ob Brandt bei Details ebenfalls Erinnerungslücken vortäuschen wird oder ob er einmal in seinem V-Mann-Leben „sein Geld wert“ sein wird.

10.07.2014

Thomas Gerlach: frontale Aussageverweigerung

Am heutigen Vormittag wurden verschiedene Zeugen vernommen zur Darstellung des Vater Mundlos, sein Sohn sei erst durch Ralph Wohlleben und André Kapke zum Mitglied einer „Mörderbande“ radikalisiert worden. Zudem sagte ein technischer Mitarbeiter des BKA aus; er hatte Aufnahmen von Überwachungskameras in überfallenen Banken mit den bei Mundlos und Böhnhardt gefundenen Kleidungstücken verglichen und zahlreiche Übereinstimmungen festgestellt.

Die Generalbundesanwaltschaft gab eine Stellungnahme ab, dass sie sich dem Beweisantrag der Nebenklage zur Ideologie des Angeklagten Eminger „nicht entgegenstellt“.

Danach sollte die Vernehmung des Zeugen Thomas Gerlach von letzter Woche fortgesetzt werden. Gleich auf die erste Frage stellte dieser nochmals fest, dass er keine Fragen zu der Organisation Hammerskins beantworten werde. Wohlleben-Verteidiger Klemke sprang ihm gleich bei: ca. 2003 habe es doch ein Ermittlungsverfahren gegen das Chapter Sachsen der Hammerskins wegen des Bildung einer kriminellen Vereinigung, § 129 StGB, gegeben. Er wisse aber nicht, wie dieses ausgegangen sei. Klemke stellte damit in den Raum, dass der Zeuge alle Fragen zu den Hammerskins verweigern dürfte, wenn gegen ihn ein Strafverfahren wegen Mitgliedschaft oder Tätigkeiten bei den Hammerskins geführt wird. Prompt erwiderte der Zeuge Gerlach, er habe damals zwar im Gefängnis gesessen, aber bei ihm habe auch eine Durchsuchung stattgefunden; er wisse nicht, was aus dem Verfahren geworden sei.

Der Vorsitzende brach an dieser Stelle seine Befragung ab und gab das Fragerecht weiter.

Im Folgenden verweigerte Gerlach alle Auskünfte über die Organisation Hammerskins und relevanten Mitstreitern. Einen Antrag der Nebenklage auf Ordnungsmittel zur Erzwingung einer Antwort stellte der Vorsitzende zurück, um zu prüfen, ob noch Strafverfahren gegen den Zeugen geführt werden. Dies hatte der Generalbundesanwalt erstaunlicherweise nicht vorher geklärt.

Am 24.7.2014 soll die Vernehmung fortgesetzt werden, es ist zu erwarten, dass der Zeuge Gerlach bis dahin eine Strategie zur Aussageverweigerung entwickelt hat.

Wenn Gerlach mit seiner offenen Weigerung durchkommt, ist dies ein klares Symbol an alle weiteren Nazizeugen, dass der Senat bereit ist, auf die Aufklärung der politischen und organisatorischen Strukturen, in denen sich der NSU bewegt hat, zu verzichten. Die hier geltend gemachte Weite des Schweigerechts wäre eine klare Sonderregelung für militante Nazis.