Archiv für den Monat: Juni 2016

30.06.2016

Weiter zu den Vernehmungen des Angeklagten Carsten Schultze

Heute wurde zunächst die Vernehmung eines BKA-Beamten vom 08.06.2016 fortgesetzt. Dieser Beamte war bei allen Vernehmungen des Angeklagten Carsten Schultze beteiligt oder zumindest anwesend. Die Verteidigung Wohlleben versuchte sich längere Zeit daran, dem Zeugen Angaben zu Widersprüchen und Auffälligkeiten in der Genese der Aussage Schultzes zu entlocken. Diese Versuche blieben erfolglos.

Im Gegenteil konnte Schultze persönlich durch eigene Fragen einen vermeintlichen Widerspruch ausräumen: In einem der Vernehmungsprotokolle ist als seine Angabe niedergelegt, er könne sich nicht konkret erinnern, das Geld für die Waffe von Ralf Wohlleben erhalten zu haben. Die Verteidigung hatte dies immer als Hinweis darauf gesehen, dass Wohlleben womöglich das Geld für die Waffe gar nicht gegeben hatte. Weiterlesen

29.06.2016

Kurzer Auftritt des V-Manns „Riese“ und weitere Aufklärungsverweigerung

Heute war als Zeuge Marcel Degner, Spitzname „Riese“, ehemals „Blood and Honour“ Thüringen-Chef und V-Mann „Hagel“ des Thüringer Inlandsgeheimdienstes, geladen. Er hatte in seiner bisherigen Aussage vor Gericht vehement abgestritten, V-Mann gewesen zu sein, und daran sogar festgehalten, nachdem sein ehemaliger V-Mann-Führer ihn klar identifiziert hatte (vgl. die Berichte vom 11.03.2015 und 20.05.2015). Diese Lüge war so dreist, dass sich sogar die Staatsanwaltschaft in München gezwungen sah, ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage einzuleiten.

Degner sagte heute, er habe seiner Aussage nichts hinzuzufügen; die Antwort auf die Frage, ob er V-Mann gewesen sei, verweigerte er. Nach einiger Diskussion schickte der Vorsitzende Degner für heute nach Hause und kündigte an, ihn im Juli erneut zu laden. Da Degner als Zeuge noch nicht entlassen worden war, hat er noch die Gelegenheit, eine Falschaussage zu korrigieren; mit der Unterbrechung gibt ihm der Vorsitzende die Möglichkeit, hierüber noch einmal nachzudenken.

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28.06.2016

Die Mühen der Beweisaufnahme auf dem Weg zum Urteil

Heute vernahm das Gericht zwei PolizeibeamtInnen: Der erste sagte erneut aus zu den Fingerspuren Beate Zschäpes, die an Zeitungsartikeln zu den Taten des NSU in einem „Archiv“ in der Frühlingsstraße gefunden wurden. Eine Beamtin aus Kassel sagte aus zu den Versuchen, den zeitlichen Ablauf der Ermordung Halit Yozgats in seinem Internetcafé im Jahr 2006 einzugrenzen – bei der Tat war ja u.a. der Verfassungsschützer Temme vor Ort und hatte sich nicht bei der Polizei gemeldet.

Schließlich verlas das Gericht noch die Zeugenaussage des Schweizers Hans-Ulrich Müller, der laut Anklage für die Lieferung der Ceska in die Mischszene zwischen Neonazis und Kriminellen in Jena verantwortlich war, von wo aus sie dann über die Angeklagten Wohlleben und Schultze zum NSU gelangte. Müller hatte sich geweigert, nach München zu kommen, war aber in der Schweiz vernommen worden. Weiterlesen

21.-23.06.2016

Keine Hauptverhandlung in der Woche des 20.06.2016

Die Hauptverhandlungstermine am 21.-23.06.2016 fallen wegen Krankheit
eines Richters aus. Die Verhandlung geht voraussichtlich weiter am
Dienstag, 28.06.2016.

16.06.2016

Der Zeuge „Görlitz“ präsentiert mal wieder gute Gründe, den Verfassungsschutz abzuschaffen.

Heute war erneut der Zeuge „Reinhardt Görlitz“ geladen, der bereits mehrfach vor Gericht gezeigt hatte, dass der Verfassungsschutz um jeden Preis die Aufdeckung seiner Rolle im Kontext des NSU verhindern will und dass ihm dafür kein Mittel der Antwortverweigerung zu peinlich oder dreist ist (vgl. die Berichte vom 01.07.2015, 29.07.2015 und 02.03.2016).

Auch heute gab der Zeuge vor, sich an gar nichts zu erinnern. Insbesondere behauptete er, gar nichts über Besprechungen zwischen den Verfassungsschutzbehörden von Brandenburg, Thüringen und Sachsen mitbekommen zu haben, was mit den Informationen des V-Mannes Szczepanski über die untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt getan werden sollte. Wie so viele seiner Angaben zuvor, ist ihm auch diese Erinnerungslücke nur sehr schwer zu glauben: zum einen handelte es sich hier natürlich um eine äußerst brisante Information – wären die Informationen weitergegeben worden, hätten die NSU-Mitglieder festgenommen werden können und es wäre nie zur Ceska-Mordserie und den weiteren Taten gekommen. Vor allem aber war Görlitz der V-Mannführer Szczepanskis und musste daher schon aus Quellenschutz-Gründen informiert werden, da eine Weitergabe der Informationen Auswirkungen auf Szczepanski hätte haben können.

15.06.2016

„Was ist mit den Bums“ – und was mit der Erinnerung?

Einziger Zeuge heute war ein Ermittler des LKA Berlin, der über die Telefonüberwachung beim Chemnitzer Blood and Honour-Chef Jan Werner in den Jahren 1998-2001 im Ermittlungsverfahren gegen die Naziband Landser berichten sollte. Werner hatte u.a. am 25.08.1998 eine SMS mit der Frage „Was ist mit den Bums?“ an ein Handy des Brandenburger V-Manns Carsten Szczepanski geschickt. Dies ist natürlich zum einen ein Hinweis darauf, dass Werner eine Schusswaffe für Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt besorgen sollte und deswegen mit Szczepanski in Kontakt stand, und damit natürlich auch auf eine Möglichkeit, die drei Untergetauchten festzunehmen – eine Möglichkeit, die dann vom Brandenburger Verfassungsschutz vereitelt wurde (vgl. den Bericht vom 15.03.2016 und die Presseerklärung vom 02.06.2016). Weiterlesen

08.06.2016

Erneut zu den frühen Angaben von Carsten Schultze

Heute beschäftigte sich das Gericht erneut mit den frühen Angaben von Carsten Schultze nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011.

Zunächst berichtete erneut der Sachverständige Prof. Leygraf, der begutachtet hatte, ob auf Schultze – zur Tatzeit 19/20 Jahre alt – Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Er schilderte noch einmal ausführlich die Angaben, die Schultze ihm gegenüber gemacht hatte. Sein Eindruck von den Schilderungen Schultzes zu seinen Aktivitäten in der Nazi-Szene deckt sich mit der Wahrnehmung vieler aus der Nebenklage: Schultze habe das Ganze als Erlebnis geschildert und die Inhalte beiseitegelassen, „er hat das mehr als Pfadfinderromantik dargestellt.“

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07.06.2016

Ein weiterer gescheiterter Vorstoß der Verteidigung Wohlleben – erneute Vernehmung des V-Mannes Tino Brandt

Einziger Zeuge heute war der ehemalige „Thüringer Heimatschutz“-Führer und V-Mann Tino Brandt. Er hatte bereits im Jahr 2014 mehrere Tage in München ausgesagt (vgl. die Berichte vom  15.07.2014, 16.07.2014, 23.09.2014 und 24.09.2014). Er war heute auf Antrag der Verteidigung Wohlleben erneut geladen, um Fragen zur Bezahlung der Mordwaffe Ceska zu beantworten.
Die Verteidigung wollte auf diese Weise Zweifel an der Angabe des Angeklagten Carsten Schultze wecken, er habe das Geld für die Waffe von Ralf Wohlleben erhalten. Wie die Angaben des wahrlich alles andere als glaubwürdigen Brandt hierbei hilfreich sein sollten, dürfte das Geheimnis der Verteidigung bleiben. Und tatsächlich ergab seine Aussage auch nichts Relevantes: Weiterlesen

02.06.2016 Presseerklärung

Die Aufklärung staatlicher Mitverantwortung kann nicht ausgeklammert werden.

Mehrere Nebenklagevertreter stellen heute noch einmal das Thema staatlicher Mitverantwortung in den Mittelpunkt von Gegenvorstellungen und Beweisanträgen.

Der Senat hat in den letzten Ablehnungen von Beweisanträgen der Nebenklage deutlich gemacht, dass er nicht gewillt ist, die Frage aufzuklären, ob die Taten durch den Verfassungsschutz hätten verhindert werden können. Dabei sieht er diese Möglichkeit durchaus, hält sie dennoch für nicht aufklärenswert. Die thematischen Komplexe, die der Senat auf diese Art und Weise bisher aus der Beweisaufnahme herausgehalten hat, reichen von der Vernichtung der Akten im BfV bis zur Frage, ob der V-Mann Marschner Zschäpe und Mundlos beschäftigt hat oder er ein Fahrzeug zur Tatbegehung angemietet hat. Weiterlesen

02.06.2016

Nebenklage fordert Aufklärung ein – Widerspruch gegen die Ablehnung von Beweisanträgen „um jeden Preis“

Der heutige Verhandlungstag war im Wesentlichen geprägt durch Gegenvorstellungen der Nebenklage gegen die Ablehnung zentraler Beweisanträge durch das Gericht in den letzten Monaten.

Zunächst wurden zwei Polizeibeamte zur finanziellen Situation Wohllebens und zu einer weiteren Aussage des Angeklagten Schultze bei der Polizei gehört, wesentlich Neues für das Verfahren ergab ihre Aussage nicht.

Danach erfolgten die umfangreichen Gegenvorstellungen der Nebenklage gegen die Ablehnung zentraler Beweisanträge. Dabei ging es um die Verlesung von SMS vom Telefonanschluss des Chemnitzer NSU-Unterstützers Thomas Starke, die abgelehnte Beiziehung der am 11. November 2011 beim Bundesamt für Verfassungsschutz vernichteten und später wieder rekonstruierten Akten (vgl. den Bericht vom 03.08.2015), die Vernehmung des Zwickauer V-Mannes Ralf Marschner (vgl. die Bericht vom 20.04.2016 und 11.05.2016) sowie um die abgelehnte Beiziehung von Akten zu dem ehemaligen V-Mann Szczepanski, der über die Pläne zur Bewaffnung des NSU durch Mitglieder der Chemnitzer Blood and Honour-Gruppe berichtet hatte (vgl. den Bericht vom 02.03.2016 zum letzten Auftritt seines V-Mann-Führers). Weiterlesen