Keine Abtrennung des Keupstraßen-Anschlags
Das Gericht teilt nach Beratung mit, dass derzeit nicht beabsichtigt ist, das Verfahren Bombenanschlag Keupstraße abzutrennen.
Eine umfangreichere Darstellung des Verhandlungstages folgt.
Das Gericht teilt nach Beratung mit, dass derzeit nicht beabsichtigt ist, das Verfahren Bombenanschlag Keupstraße abzutrennen.
Eine umfangreichere Darstellung des Verhandlungstages folgt.
Wir dokumentieren eine Pressemitteilung der NebenklagevertreterInnen Carsten Ilius (türkischsprachig und Ansprechpartner: 0163-2870923), Antonia von der Behrens, Sebastian Scharmer, Peer Stolle, Christina Clemm, Edith Lunnebach, Alexander Hoffmann, Berthold Fresenius, Stephan Kuhn, Angelika Lex.
In der Hauptverhandlung vom 14. Mai 2013 kündigte der Vorsitzende Richter Götzl an, er erwäge, das Verfahren wegen des Bombenanschlages in der Keupstraße in Köln abzutrennen. Dies würde bedeuten, dass der Bombenanschlag in der Keupstraße vielleicht in 2 oder 3 Jahren verhandelt wird oder – was viel wahrscheinlich ist -, dass es gar nicht mehr zu einer Verhandlung kommt: Sollte Beate Zschäpe in dem Hauptverfahren ohne den Anschlag in der Keupstraße schon zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt werden, wäre es möglich, das Verfahren in Bezug auf den Anschlag in der Keupstraße nach der Strafprozessordnung (§ 154 StPO) einzustellen, da dann eine Verurteilung wegen des Bombenanschlages nicht mehr wesentlich ins Gewicht fallen würde.
Auslöser für die Erwägung des Gerichts war, dass die Verteidigung gerügt hatte, dass der Sitzungssaal zu klein sei, vor allem, wenn sich noch viele weitere durch den Bombenanschlag in der Keupstraße Betroffenen als Nebenkläger dem Verfahren anschließen würden.
Es gibt keinen sachlichen Grund für eine Abtrennung, außer dem, sich der Opfer und Nebenkläger aus der Keupstraße in dieser Hauptverhandlung entledigen zu wollen. Auch bei einer Abtrennung wird über den Bombenanschlag in der Keupstraße Beweis erhoben werden müssen. Rechtsanwalt Carsten Ilius, der Elif Kubaşık, die Witwe des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık vertritt, erklärt hierzu: „Der Bombenanschlag ist auch für die übrigen angeklagten Taten, insbesondere die 10 Morde, wesentlich und ein bedeutender Ausdruck des Gesamtcharakters der Taten des NSU als rassistischer Verbrechen.“
Außerdem ist derzeit der Verhandlungssaal groß genug. Es sind auf den Nebenklagebänken viele Plätze freigeblieben. Die Erwägung des Vorsitzenden, der Verhandlungssaal sei für weitere mögliche Nebenkläger aus der Keupstrasse zu klein, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlige Spekulation. Schließlich: Sollte der Verhandlungsaal tatsächlich einmal zu klein werden, dann hätte die Justiz in München die Aufgabe einen entsprechend größeren Verhandlungssaal zu finden und nicht Nebenkläger aus dem Verfahren zu entfernen.
Opfer und Nebenkläger könnten deshalb eine Abtrennung nur als weiteren Schlag ins Gesicht verstehen. Es wäre ein klares Zeichen gegenüber allen Opfern des Nazi-Terrors, dass ihre Interessen vom OLG München mit Füßen getreten werden.
Bei diesem Anschlag mit einer Nagelbombe am 09. Juni 2004 in der überwiegend von türkeistämmigen Menschen bewohnten Keupstraße in Köln wurden 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt und 70 Menschen waren in dem Radius, der von der Bombe erfasste werden konnte. Der Anschlag in der Keupstraße ist die größte propagandistische Tat des NSU gewesen, mit der besonders in der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland Angst und Schrecken verbreitet werden sollte und wurde. Den vielen betroffenen Anwohnern der Straße war klar, dass es sich um einen rassistischen Terroranschlag handeln musste – was jahrelang von den Strafverfolgungsbehörden und der Politik geleugnet wurde. Im Gegenteil, die Ermittlungen wurden gegen die Bewohner der Keupstraße gerichtet. Die Opfer mussten so lange warten, dass die möglichen Täter ermittelt und ihnen der Prozess gemacht wird, dass ein weiteres Zuwarten um mehrere Jahre oder gar eine Einstellung des Verfahrens für sie nicht trag bar ist.
Am Nachmittag des heutigen Hauptverhandlungstages gab das Gericht die Gelegenheit, zu der Frage der beabsichtigten Abtrennung Stellung zu nehmen. Alle Verfahrensbeteiligten, die Nebenklagevertreter, die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung sprachen sich gegen eine Abtrennung aus.
München, 15.05.2013
Nebenklagevertreter: Carsten Ilius (türkischsprachig), Antonia von der Behrens, Sebastian Scharmer, Peer Stolle, Christina Clemm, Edith Lunnebach, Alexander Hoffmann, Berthold Fresenius, Stephan Kuhn, Angelika Lex.
Nach der erneuten Unterbrechung der Hauptverhandlung letzte Woche wurden heute zunächst weitere Anträge der Verteidigung auf Aussetzung und Unterbrechung gestellt. Gerügt wurde unter anderem die Raumgröße, der beschränkte Zugang der Öffentlichkeit, die beengten Bedingungen im Gerichtssaal und mangelnde Akteneinsicht in die Unterlagen über die zweite Presseakkreditierung. Die meisten dieser Anträge wurden abgelehnt, über den letzten soll später entschieden werden.
Dann wurde endlich, von 15.37 Uhr bis 16.41, die Anklage verlesen. Über eine Stunde also benötigte Bundesanwalt Diemer, den 35-seitigen Anklagesatz zu verlesen. Das sogenannte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, das den größten Teil der insgesamt 488 Seiten starken Anklageschrift ausmacht, muss nicht verlesen werden.
Danach folgten zwei Einwände gegen die Besetzung des Gerichts, über die morgen entschieden werden soll.
Und wieder folgte der eigentliche Knaller kurz vor Schluss. Beinahe nebenher nahm der Vorsitzende ein Argument der Verteidigung auf, das diese einem Antrag eines Nebenklägervertreters entnommen hatte: Es melden sich immer noch Bewohner der Kölner Keupstraße als Nebenkläger, was die Platzprobleme verstärken könnte. Als Reaktion hierauf könnte dieser Teil der Anklage abgetrennt werden. Dies würde bedeuten, dass ein separates Verfahren alleine wegen des Bombenanschlages in der Keupstraße im Jahr 2004 geführt werden müsste. Völlig klar ist, dass ein solches Verfahren, wenn überhaupt, erst nach dem Abschluss des Münchener Verfahrens geführt werden könnte. Viel wahrscheinlicher wäre eine “Beerdigung” dieses Verfahrens durch Einstellung.
Eine Abtrennung wäre also nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Tatopfer in Köln, sondern auch ein klares Zeichen gegenüber allen Opfern des Nazi-Terrors, dass ihre Interessen vom OLG München mit Füßen getreten werden.
Die Hauptverhandlung wird morgen, am 15. Mai, fortgesetzt. Die Frage einer möglichen Abtrennung des Keupstraßenanschlages wird in der Hauptverhandlung thematisiert werden und wird hier im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen.
Der lang erwartete Auftakt des Strafprozesses beim Oberlandesgericht München verlief wie erwartet schleppend. Erst zum Ende des Verhandlungstages gab es eine Überraschung: der Vorsitzende Richter Götzl unterbrach die Verhandlung bis zum kommenden Dienstag, dem 14.5.2013. Damit fallen die Verhandlungstermine am 7.5. und 8.5.2013 aus.
Aus Sicht der Nebenklage kam diese Entscheidung des Vorsitzenden Richters nicht nur überraschend, sie war auch strafprozessual nicht notwendig. Für die mehr als dreißig zum Prozessauftakt erschienenen NebenklägerInnen ist der erneute Wegfall von Verhandlungsterminen nur schwer erträglich.
Dabei hatte sich an dem ersten Verhandlungstag nichts abgespielt, was das Gericht und den Vorsitzenden überrascht oder besonders gefordert hätte. Die Anträge der Verteidigung ergaben sich klar aus einem länger geführten und allen Beteiligten bekannten Schriftwechsel mit dem Gericht. Die Verteidigung der Angeklagten Zschäpe hatte bereits am letzten Samstag dem Gericht einen Befangenheitsantrag übersandt. Sie rügte die sogenannte Sicherheitsverfügung des Vorsitzenden, in der er unter anderem die Durchsuchung der VerteidigerInnen und NebenklägervertreterInnen, nicht aber der Bundesanwaltschaft sowie der Mitglieder des Gerichts angeordnet hatte. Solche Durchsuchungen, so die Verteidigung, suggerieren, dass von den VerteidigerInnen besondere Gefahren ausgehen. Sowohl die VerteidigerInnen als auch einige NebenklägervertreterInnen hatten sich im Vorfeld gegenüber dem Gericht hierüber beschwert. Dass die Verteidigung – wie in ähnlichen Prozessen üblich – hierauf einen Befangenheitsantrag stützen würde, war klar. Das Gericht stellte die Entscheidung über den Befangenheitsantrag zunächst zurück, um mit dem Prozess fortzufahren.
Es folgte ein weiterer Befangenheitsantrag, diesmal durch die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben. Rechtsanwalt Klemke verlas über 40 Minuten einen weitschweifigen Antrag, in dem er versuchte darzulegen, warum sein Mandant den Vorsitzenden Richter Götzl und die Richter Lang und Kuchenbauer für befangen halte: Die Umbaumaßnahmen im Münchner Gerichtssaal seien bereits beschlossen worden, bevor über die Zulassung der Anklage entschieden war, und die drei abgelehnten Richter hatten mehrfach die Beschlagnahme von Briefen Wohllebens bestätigt, auf denen Buchstaben zu stilisierten Hakenkreuzen angeordnet waren. Schließlich fühlt sich Wohlleben willkürlich benachteiligt, weil ihm in Gegensatz zur Angeklagten Zschäpe nur zwei Pflichtverteidiger beigeordnet wurden. Er hatte bislang vergeblich beantragt, den ehemaligen Funktionär der Wiking-Jugend, Rechtsanwalt Nahrath, als weiteren Pflichtverteidiger beigeordnet zu bekommen. Im Übrigen schloss er sich dem Antrag der Verteidigung Zschäpe an.
Darüber hinaus kündigte Rechtsanwalt Klemke einen sogenannten Besetzungseinwand an, mit der er angreifen will, dass die Auswahl der an der Verhandlung teilnehmenden Richter fehlerhaft erfolgt sei.
Doch bereits zur Stellung dieses Antrages kam es nicht mehr, denn um kurz vor 17 Uhr unterbrach der Vorsitzende Richter Götzl, nachdem zuvor der gesamte Senat seine bisherigen Entscheidungen bestätigt hatte, die Hauptverhandlung bis zum nächsten Dienstag. Er führte aus, die aufgrund der Befangenheitsanträge nun von allen abgelehnten Richtern zu fertigenden „dienstlichen Erklärungen“ und die Entscheidung über die Ablehnungsanträge würden diese einwöchige Unterbrechung notwendig machen.
Diese Entscheidung erstaunte tatsächlich alle Beteiligten, sowohl die Verteidigung als auch die Nebenklage. Dies nicht nur, weil es ein übliches und in zahlreichen Strafverfahren erprobtes Vorgehen ist, Befangenheitsanträge der Verteidigung zurückzustellen und den Prozess fortzuführen, zumindest um über Besetzungseinwände zu entscheiden und die Anklage zu verlesen. Zudem war nicht nur der Prozessbeginn lange bekannt, sondern auch die Stellung von Befangenheitsanträgen zu erwarten. Die für die Ablehnungsanträge zuständigen Richter hätten sich, soweit sie nicht ohnehin als Teil von Götzls Senat vor Ort waren, bereithalten können, sie waren größtenteils auch im Gerichtsgebäude anwesend. Es wäre daher ein leichtes gewesen, eine Entscheidung bis Dienstag Mittag oder jedenfalls Mittwoch früh herbeizuführen. Damit hätte die Verhandlung in dieser Woche weitergeführt werden können, die bereits angereisten Nebenkläger wären nicht ein weiteres Mal ohne Not weggeschickt worden.
Eine Folge der erneuten Unterbrechung wird sein, dass beim nächsten und den folgenden Verhandlungsterminen deutlich weniger Presse, insbesondere internationale Presse, anwesend sein wird. Auch die Anwesenheit von NebenklägerInnen, also Opfern und Angehörigen von Opfern, wird mit Sicherheit abnehmen. Viele NebenklägerInnen hatten sich bereits zum ursprünglichen Prozessauftakt Zeit genommen, hatten erhebliche Ängste zu überwinden. Nun mussten die Angereisten erneut erleben, dass, jedenfalls aus ihrer Sicht, völlig willkürlich die gesamte Planung über den Haufen geworfen wurde. Die Bereitschaft, sich einer solchen emotionalen Tortur erneut auszusetzen, wird bei den NebenklägerInnen mit Sicherheit abnehmen. Damit wird aber auch für das Gericht der moralische Druck, der durch die Anwesenheit der Opfer der angeklagten Verbrechen ausgeübt wird, verringert.
Insoweit stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Motiven für die Entscheidung des Vorsitzenden. Es drängt sich die Vermutung auf, dass Götzl durch die andauernden Unterbrechungen – schon die Verschiebung des Prozessbeginns wegen der fehlerhaften Presseakkreditierung war kritisiert worden – das Interesse der Presse und Nebenklage zum Erliegen bringen will, damit der Prozess im weiteren ohne den öffentlichen und moralischen Druck „in Ruhe“ weiterlaufen kann. Ohnehin muss der bislang vorliegende Zeitplan des Vorsitzenden für die Beweisaufnahme die Nebenklage misstrauisch machen. Die Taktung der ZeugInnen und GutachterInnen lässt den Schluss zu, dass eine umfassende Befragung durch alle Prozessbeteiligten vom Vorsitzenden zunächst gar nicht vorgesehen ist, sondern alleine er oder das Gericht Fragen stellen wollen. Anders sind die angesetzten Zeiträume von regelmäßig 45 Minuten und weniger pro Zeugin bzw. Zeuge gar nicht zu erreichen. Es stellt sich also die Frage, ob die erneute Verschiebung der Verhandlung Teil einer Strategie ist, die Öffentlichkeit und die Nebenkläger selbst aus dem Prozess zu verdrängen, um später eine “glatte”, den Vorstellungen des Gerichts entsprechende Hauptverhandlung durchführen zu können. Aus unserer Sicht lässt sich für das Vorgehen des Vorsitzenden am ersten Verhandlungstag keine andere Erklärung finden.