Archiv für den Monat: Februar 2014

27.02.2014

Lügen und Verharmlosen IV 1/2: Mandy Struck mauert weiter – und bekommt Druck vom Gericht

Heute sagte die Zeugin Mandy Struck weiter aus. Struck beantwortete Fragen des Vorsitzenden zu ihrem Lebenslauf, zur Nazi-Szene in Chemnitz usw. Sie war weiterhin sichtlich bemüht, ihre eigene Rolle kleinzureden, behauptete, keine Ahnung von der Identität, Vorgeschichte usw. ihrer drei „Gäste“ gehabt zu haben, diese später nie wieder gesehen und auch 2011/2012 nicht als Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wiedererkannt zu haben.

Struck war 2003 zunächst von der Kriminalpolizei und dann von einem Richter befragt worden, weil Ermittlungen ergeben hatten, dass Sie Kontakt zu „den Drei“ hatte. Heute behauptete sie hartnäckig, sie habe damals nicht gewusst, um wen es gegangen sei. Der Vorsitzende Richter Götzl warnte sie mehrfach und sehr eindringlich, dass ihre Angabe mehr als unglaubwürdig ist – immerhin werden in den Protokollen von damals die Namen der Drei genannt, sind Fotos der Drei enthalten, ist von falschen Papieren usw. die Rede. Struck blieb bei ihrer Behauptung.

Aus Sicht der Nebenklage ist es sehr zu begrüßen, dass der Vorsitzende die offensichtlichen Lügen und vorgeschobenen Erinnerungslücken der Zeugen aus der Nazi-Szene nicht weiter akzeptiert und kritisch nachfragt. Interessant ist, dass ausgerechnet die Zeugin Struck, die jede Aussage verweigern könnte und die vor Gericht ihren Rechtsanwalt dabei hatte, sich hier wahrscheinlich in ein Strafverfahren wegen Falschaussage hineinquatscht.

Nach langer Befragung durch den Vorsitzenden konnte die Nebenklage am Nachmittag mit der Befragung beginnen. Sie kam aber nicht weit, zum einen weil Struck auch hier blockierte, zum anderen weil die Generalbundesanwaltschaft und die Verteidigung mehrfach mit der Behauptung unterbrach, Fragen z.B. zur Stellung Strucks seien nicht zur Sache gehörig. Das ist zwar transparenter Unfug, reichte aber aus, die Befragung soweit zu verzögern, dass sie schließlich gegen 16.30 Uhr unterbrochen wurde. Struck wird ein anderes Mal weiter befragt werden.

 

26.02.2014

Lügen und Verharmlosen IV – Mandy Struck

Heute wurde zunächst der Waffensachverständige Nennstiel vom Bundeskriminalamt erneut gehört. Nennstiel hatte schon die in der Frühlingsstraße gefundenen Pistolen Ceska und Bruni als die Mordwaffen der NSU-Mordserie identifiziert. Heute berichtete er von seiner Arbeit zu den beiden Waffen, die für den Mord an Michèle Kiesewetter und den Mordversuch an Michael Arnold in Heilbronn verwendet wurden. Auch hier identifizierte der Sachverständige zwei Waffen, die in der Frühlingsstraße gefunden wurden, als die Tatwaffen.

Nennstiel wurde auch gebeten, noch einmal zur Identifikation der in der Frühlingsstraße gefundenen Pistolen Ceska und Bruni als die Tatwaffen der NSU-Mordserie zu berichten – vor einigen Wochen hatte ja der Sachverständige Pfoser in seinem mündlichen Vortrag für einige Verwirrung gesorgt, der angesichts des klaren schriftlichen Gutachtens vermeidbar erschien (s. den Bericht vom 04.02.2014). Nennstiel stellte noch einmal sehr anschaulich die Übereinstimmung in den Schussspuren dar, anhand derer er die beiden Waffen eindeutig als Tatwaffen identifizierte, und sorgte so für Klarheit in dieser Frage.

Mehrere NebenklägervertreterInnen stellten den Antrag, diverse Unterlagen zum Zeugen Tino Brandt, die dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags vorliegen, beizuziehen. Brandt war Führer des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann des Verfassungsschutzes, er wird in den nächsten Wochen als Zeuge in München aussagen. Weitere Beweisanträge bezogen sich auf Beweismittel, die die Einbeziehung Zschäpes in die Ausspähung möglicher Anschlagsziele und in die Erstellung des „Paulchen Panther“-Bekennervideos belegen.

Nachmittags begann die Zeugin Mandy Struck ihre Aussage. Gegen sie wird immer noch wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung NSU ermittelt, sie könnte also schweigen. Dennoch sagte Struck aus, sie will offensichtlich ihre Geschichte erzählen. Die Vernehmung erfolgte über drei Stunden und wird morgen fortgeführt. Bereits heute wurde deutlich, dass auch Mandy Struck ihre eigene Rolle systematisch herunterspielt, allenthalben Gedächtnislücken vorschiebt und dabei offensichtlich unglaubwürdige Geschichten erzählt.

Sie sei vor allem über ihren damaligen Freund ab 1994 in die nicht sehr politische Naziskinheadszene gekommen, habe sich vollständig angepasst. Später sei dann die gesamte Szene politisiert worden, auch weil beispielsweise nur die den Veranstaltungsort von Konzerten mitgeteilt bekommen hätten, die auch auf Demonstrationen gegangen seien. Auf rechte Demonstrationen sei sie allerdings erst seit 1999/2000 gegangen.

Eines Abends habe dann ein „Kamerad“ vor ihrer Tür gestanden und gefragt, ob drei „Kameraden“ bei ihr schlafen könnten, die „Scheiße gebaut“ hätten. Mehr müsse sie nicht wissen. Sie habe sie bei Max Florian B. untergebracht, habe das als „Kameradschaftshilfe“ begriffen. Allerdings gibt Struck an, sie habe nur einen der drei vom sehen her gekannt, die Namen habe sie nie genannt bekommen und sie habe auch nicht Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos als die drei wiedererkannt.

Aus „Kameradschaftshilfe“ beteiligte sie sich allerdings ohne Zögern an der Unterbringung, half mit, einen neuen Personalausweis mit falschem Bild zu beantragen und holte diesen beim Einwohnermeldeamt ab, und lieh Zschäpe ihre Krankenkassenkarte.

Obwohl nach ein paar Wochen zahlreiche Gerüchte durch die Chemnitzer Szene gegangen seien, dass Jenaer Nazis sich in Chemnitz verstecken, und obwohl sie die Frau sogar gebeten hätte, in ihrem Beziehungsstreit mit Burkhardt zu intervenieren, habe sie nie die Namen der drei „Gäste“ erfahren. Nach ein paar Wochen habe sie sich von B. getrennt und danach nie wieder von ihren drei Gästen gehört, bis die Polizei sie vernommen habe.

Struck bemüht sich offensichtlich, ihre eigene Rolle so unbedeutend wie möglich darzustellen. Dabei ist aus den Akten ersichtlich, dass sie eine durchaus wichtige Rolle in der Chemnitzer Szene spielte. Auch der Vorsitzende Richter Götzl machte deutlich, dass er ihr nicht alles glaubte. Man darf gespannt sein, wie die Zeugenvernehmung morgen weitergeht.

25.02.2014

„Ich hab denen die Scheißwaffe besorgt“

Schwerpunkt des heutigen Verhandlungstages war die Vernehmung zweier Polizeibeamten, die den Zeugen Andreas Schultz vernommen hatten. Der Nazizeuge Schultz, der die Ceska mit Schalldämpfer für die Angeklagten Wohlleben und Schultze besorgt hat, verweigerte in der Verhandlung am 28.01.2014 die Aussage, weil er sich selbst belasten könnte. Nun werden seine Angaben über die Beamten eingeführt. Die Verteidigung Wohlleben unternahm keinen Versuch, dies zu verhindern.

KOK Bernhard vom thüringischen Landeskriminalamt war an der ersten Vernehmung von Schultz beteiligt, in der dieser zunächst komplett abstritt, eine Waffe besorgt zu haben. Der Zeuge habe dann aber sichtlich Angst um seine neue Arbeit, seine Beziehung und seine Existenz bekommen und mit dem Ausruf „Ich hab denen die Scheißwaffe besorgt“ sein Leugnen aufgegeben.

In späteren Vernehmungen hatte er Wohlleben und Schultze weiter belastet. Wohlleben sei mit einem Begleiter, den Schultz später als Carsten Schultze identifizierte, zu ihm gekommen und habe nach einer Waffe gefragt. Schultze habe diese später abgeholt, zusammen mit 50 Schuss Munition. In dieser Vernehmung behauptete Schultz allerdings noch, er habe die Waffe für 2.500 DM von „einem Jugoslawen“ gekauft, und erwähnte den mitbestellten Schalldämpfer nicht. Wohlleben, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Kapke und ihr Umfeld kannte er als politisch aktive Nazis des Thüringer Heimatschutzes, während er selbst mehr „erlebnisorientiert“ gewesen sei.

Ein Polizeibeamter, der weitere Aussagen von Schultz berichten wird, wurde wegen Zeitmangel nach Hause geschickt und wird ein andermal vernommen werden.

Morgen soll die Zeugin Mandy Struck vernommen werden, gegen die immer noch ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung geführt wird. NebenklagevertreterInnen hatten die Beziehung der Ermittlungsakte beantragt. Die Generalbundesanwaltschaft stellte sich dem entgegen und legte stattdessen einen nichtssagenden Ermittlungsbericht aus dem Mai 2013 vor, aus dem sich keinerlei weitere Ermittlungen ergeben.

Nach diesem Bericht hätte das Verfahren gegen Struck also bereits im Mai 2013 eingestellt werden können. Es ist für die Prozessbeteiligten nun völlig unklar, ob dieses Ermittlungsverfahren gegen Mandy Struck, aber auch gegen andere als Unterstützer Verdächtige, nur noch formal aufrecht erhalten und irgendwann sang- und klanglos eingestellt wird oder ob hier noch mit Hochdruck ermittelt wird. Einige konkrete Unterstützungshandlungen von Struck sind erwiesen, sind allerdings verjährt – es geht also vor allem um die Frage, wie lange der Kontakt und die Unterstützung des NSU noch anhielten. Wieder einmal hält die BAW hier alle Beteiligten im Unklaren.

20.02.2014

Erster Zeuge heute war Max-Florian B. B. steht im Verdacht, den NSU dadurch unterstützt zu haben, dass er Mundlos seine Personalien für einen Reisepass und andere Papiere zur Verfügung stellte. Er durfte daher die Auskunft vor Gericht zu verweigern, was er auch tat. Er hatte allerdings bei der Polizei umfangreiche Angaben gemacht, und so wurden als weitere Zeugen die Polizeibeamten gehört, die ihn vernommen hatten.

Bei der ersten Vernehmung am 7.11.2011, drei Tage nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt, hatte er noch behauptet, Zschäpe und Mundlos seien Zufallsbekanntschaften gewesen, die eine Nacht in seiner Wohnung übernachtet hätten und ihm wohl die Dokumente gestohlen hätten.

Zwei Wochen bei einer Vernehmung durch das BKA gab er dann zu, die Drei als „Kameraden“ bei sich untergebracht zu haben. Er sei auch überredet worden, Uwe Mundlos seinen Ausweis zur Verfügung zu stellen. Er habe aber auch später regelmäßig mit Mundlos telefoniert, es habe auch bis 2009/2010 Besuche gegeben, und er habe – mehr unbewusst – weitere persönliche Daten weitergegeben.

B. beteuerte, von Straftaten der drei habe er keine Ahnung gehabt, er sei auch selbst später gar nicht mehr rechts gewesen. Es tue ihm sehr leid, dass er unbewusst die Verbrechen des NSU unterstützt habe, und er wolle bei der Aufklärung helfen. Tatsächlich traf sich B. auch mehrfach mit den Beamten und machte Angaben, allerdings oft erst auf konkrete Nachfrage. Ob dies der langen Zeit und der Verdrängung geschuldet ist oder ob B. in Wirklichkeit noch mehr wusste und weiß und daher aufklären konnte, ist bisher nicht geklärt. Die Vernehmung des Beamten, der die meisten Befragungen von B. durchgeführt hatte, wird in den nächsten Wochen fortgeführt.

Jedenfalls zeigt sich an der Person Max-Florian B. wie auch an seinen Berichten über Unterstützungshandlungen durch viele weitere Nazis aus Chemnitz erneut, wieviele verlässliche UnterstützerInnen der NSU hatte. Es ist weiter davon auszugehen, dass dies nicht nur für die erste Zeit des Untertauchens, sondern auch für die Zeit der Mordtaten der Fall war. B. hatte insbesondere zu André Eminger Aussagen gemacht und gesagt, dieser habe noch lange Kontakt zu den „Drei“ gehabt und ihm noch Ende 2010 eine SMS mit Nazi-Sprüchen geschickt.

Gegen Ende stellte die Nebenklage einen Antrag auf Beiziehung der Akte gegen Mandy Struck. Dieser wird ebenfalls Unterstützung des NSU vorgeworfen, sie wird nächste Woche als Zeugin aussagen.

19.02.2014

Noch einmal zum Zeugen Liebau

Heute sagten zunächst die beiden Polizeibeamten aus, die den Zeugen Liebau vernommen hatten. Liebau war Betreiber des Szeneladens, in dem Ralf Wohlleben und Carsten Schultze laut Anklage die Mordwaffe für den NSU besorgten. Er hatte vor Gericht behauptet, er könne sich an keine Anfrage von Wohlleben oder Schultze nach Waffen erinnern. Gefragt nach seiner polizeilichen Aussage, in der mehrmals von Waffen die Rede war, hatte er behauptete, da seien Schreckschuss- oder Gaswaffen gemeint gewesen. Außerdem sei er von den Polizeibeamten unter Druck gesetzt worden (Wir berichteten am 7.11.13 und 29.1.14).

Die Vernehmung der Beamten zeigte, dass es sich hierbei um Ausflüchte handelte. Liebau hatte bei der Polizei erst behauptet, sich an gar nichts zu erinnern, später aber zumindest „nicht ausgeschlossen“, dass Wohlleben ihn auf eine Waffe angesprochen habe – überhaupt sei er öfter von Mitgliedern der Naziszene nach Waffen gefragt worden. U.a. sprach er auch von einem „Serben oder Kroaten“, der Waffen aus dem Kosovo-Krieg besorgen könne. Die Behauptung vor Gericht, es sei allenfalls um Schreckschusswaffen gegangen, war also offensichtlich gelogen – die Nebenklage hatte daher schon beantragt, diese Falschaussage zu protokollieren.

Liebau war der erste der hier vernommenen Zeugen, der das Spiel von Nichterinnern, Leugnen und Verharmlosen gespielt hat. Es ist daher begrüßenswert, dass das Gericht dem weiter nachgeht. Klar wurde heute jedoch auch, dass Liebau auch bei der Polizei schon mit „Gedächtnisproblemen“ spielte – insofern wäre ein weniger nachsichtiger Umgang mit ihm schon in seiner gerichtlichen Vernehmung angezeigt gewesen.

Ein weiterer Polizeibeamter berichtete von der Durchsuchung der Wohnung von Beate Zschäpe im Januar 1998. Dabei wurden neben diversen Waffen (Armbrust, Zwille, mehrere Messer etc.) auch eine Reichskriegsfahne und ein Exemplar des „Pogromly“-Spiels gefunden (dazu der Bericht von gestern). Diese Funde zeigen erneut, dass auch Zschäpe schon 1998 fest in nationalsozialistischer Ideologie verhaftet und äußerst gewaltbereit war.

Es folgten Erklärungen und Anträge. Rechtsanwalt Dr. Daimagüler gab für die Nebenklage eine Erklärung zur Vernehmung der Nachbarin aus der Polenzstraße und der dort aufgezeigten „deutschen Normalität“ ab (s. den Bericht vom 3.2.2014). Rechtsanwalt Stolle beantragte, Vorgesetzte der beiden Tatopfer aus Heilbronn zu vernehmen, um weiter aufzuklären, ob die beiden gezielt angegriffen wurden oder zufällige Opfer eines allgemein gegen die Polizei gerichteten Anschlags waren (s. den Bericht vom 21.1.2014). Schließlich beantragte Rechtsanwältin Basay die Vernehmung einer Beamtin aus der „Ermittlungsgruppe Umfeld“ des LKA Baden-Württemberg zu Verbindungen des NSU nach Baden-Württemberg – u.a. gibt es die Aussage einer Zeugin, während des Anschlags in Heilbronn habe sie Beate Zschäpe etwa 35 km entfernt gesehen.

18.02.2014

U.a. zum „Pogromly“-Spiel

Heute sagten drei Polizeibeamte vom BKA aus. Der erste hatte einen zusammenfassenden Vermerk zu den bekannten Wohnungen des „Trios“ seit dem Untertauchen 1998 verfasst. Wie andere Zeugen zuvor hatte auch dieser Beamte keine eigenen Ermittlungen angestellt, sondern nur Ermittlungen von Kollegen zusammengefasst. Klar wurde aus seinem Bericht, dass die „Drei“ sowohl in Chemnitz direkt nach dem Untertauchen als auch in den späteren Jahren in Zwickau auf die Unterstützung diverser „Kameraden“ zählen konnte, die sie in ihren Wohnungen unterbrachten, Wohnungen für sie mieteten oder ihre Personalien zur Verfügung stellten.

Die Verteidigung Zschäpe war der Meinung, anhand der Aussage des Zeugen lasse sich nicht belegen, dass die drei Personen die ganze Zeit seit dem Untertauchen zusammen gewohnt hätten. Die Verteidigung scheint zu meinen, damit werde die Anklage zur terroristischen Vereinigung NSU geschwächt. Dabei liegen gerade zu und aus den Wohnungen in Zwickau genug Nachweise vor, die eine Einbindung Zschäpes in die Gruppenstruktur belegen.

Ein weiterer Beamter stellte ausführlich das Spiel „Pogromly“ vor, das Mundlos als nazistische und antisemitische Abwandlung von Monopoly entwickelt hatte und das später von den Unterstützern des „Trios“ verkauft wurde, um Geld für deren Unterstützung zu erhalten. In großer Ausführlichkeit berichtete der Zeuge von den menschenverachtenden und nationalsozialistischen Inhalten des Spiels – so wurden etwa die Bahnhöfe des Original-Monopoly durch KZs ersetzt, statt Häuser in Straßen zu bauen, mussten Städte „judenfrei“ gemacht werden, das „Frei parken“-Feld wurde durch den „Besuch beim Führer“ ersetzt, usw. Die Nebenklage regte an, sich das Originalspiel im Gerichtssaal anzuschauen.

Der dritte Zeuge schließlich hatte Ermittlungen angestellt zur Person der Zeugen Theile und Länger, die nach dem Stand der Beweisaufnahme am Verkauf der Ceska-Pistole beteiligt waren. Neben frühen Kontakten insbesondere zu Böhnhardt und deutlichen Hinweisen auf eine rechte Gesinnung dieser beiden zeigte sein Bericht vor allem auch auf, dass Theile und Länger erhebliche Kontakte ins kriminelle Milieu hatten, gerade auch zu Kreisen, die mit Waffen handelten.

17.02.2014

Aufklärung abgehakt? Konsequenzen messbar?
Angehörige und Verletzte der NSU-Mord- und Anschlagsserie fordern weiterhin lückenlose Aufklärung und kritisieren Ermittlungsbehörden und politisch Verantwortliche
Nebenklägervertreter_innen und Angehörige der vom NSU Ermordeten und Verletzten ziehen eine ernüchternde Zwischenbilanz zwei Jahre nach dem Versprechen der umfassenden Aufklärung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Am 23. Februar 2012 hatte Angela Merkel in Berlin bei der zentralen Gedenkfeier für die Opfer der Mord- und Sprengstoffanschlagsserie des NSU erklärt: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck.“

Dass eine solche Aufklärung umfangreich und zeitaufwendig werden dürfte, war allen Beteiligten bewusst. Obwohl erst knapp über zwei Jahre lang die Existenz des NSU offiziell bekannt ist, hat das große Abhaken schon begonnen. Die berechtigten Interessen der Angehörigen und Verletzten – vor allem das Interesse der Aufklärung – werden insbesondere vom Generalbundesanwalt längst als lästig hinten angestellt. Notwendige politische und gesellschaftliche Diskussionen mit dem Bericht des NSU-Untersuchungsausschusses des deutschen Bundestages als weitgehend abgeschlossen erachtet. Die weiterhin bestehende zentrale Forderung nach einer Neuauflage des Ausschusses wird von der großen Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Noch immer gibt es auf die zentralen Fragen der Angehörigen und Verletzten keine Antwort:

Wer war noch im Netzwerk des NSU aktiv? Welche Beziehungen gab es ins Ausland? Wer half vor Ort? Wie erfolgte die konkrete Opferauswahl?

Wie finanzierte sich der NSU? Half ihm staatliches Geld bei der Planung und Ausführung seiner Taten?

Wieviel und was wussten die Geheimdienste in den Jahren 1998 bis zum 4.11.2011? Haben V-Männer oder ihre V-Mannführer die Taten gefördert, ermöglicht, gedeckt?

Warum wurden am 11. November 2011 die Akten von sieben V-Leuten mit engen Bezügen zur Neonaziszene in Thüringen geschreddert?

Angehörige, die Antworten auf diese Fragen suchen, werden von den politisch Verantwortlichen regelmäßig auf den Prozess gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem OLG München oder die Arbeit der Ermittlungsbehörden verwiesen. Dort wiederum unternimmt insbesondere die Bundesanwaltschaft alles, um diese Fragen aus dem Verfahren herauszuhalten und verweist ihrerseits darauf, dass ein Strafprozess kein Untersuchungsausschuss sei.

Akten werden zurück gehalten

Akteneinsichten werden faktisch verunmöglicht oder – in die Akten gegen eine unbekannte Anzahl an weiteren Beschuldigten – erst gar nicht gewährt. Der Generalbundesanwalt, zu Beginn des Ermittlungsverfahrens noch ganz darauf bedacht, Kooperation und Transparenz gegenüber den Verletzten und Familien der vom NSU Getöteten darzustellen, versucht heute scheuklappenartig sämtliche Aufklärung zu blockieren, die über ein bloßes Abhaken der formalen Anklagepunkte hinaus geht.

Der Generalbundeanwalt umgeht damit die berechtigten Interessen und Rechte der Opfer des NSU. Er degradiert sie zu scheinbar unnötigem Verfahrensballast, zu Statisten eines oberflächlichen Abnickens der Anklage.

Dieser Eindruck bleibt dabei nicht auf das Verhalten der Bundesanwaltschaft beschränkt. Am 21. Februar soll im Bundestag erneut über die Konsequenzen aus dem NSU-Komplex im Plenum beraten und debattiert werden. Zu erwarten ist, dass mit großer Einigkeit aller Fraktionen formal bekräftigt wird, dass die Empfehlungen des Untersuchungsausschusses aus der letzten Legislaturperiode tatsächlich umgesetzt werden sollen. Im Abschlussbericht des Ausschusses konnten sich letztlich die Beteiligten jedoch nicht darauf einigen, das Problem des strukturellen und institutionellen Rassismus klar als Mitursache für das Versagen der Ermittlungsbehörden, aber auch der Medien und der Gesellschaft zu benennen. Die gemeinsam formulierten Konsequenzen – wenn sie denn jemals umgesetzt werden – werden genau dieses grundlegende Problem nicht lösen. Darauf haben Vertreter der Verletzen und der Familien der vom NSU Ermordeten, bereits bei Vorstellung des Ausschussberichtes hingewiesen und erheblich erweiterte Konsequenzen gefordert. Doch nun soll auch auf politischer Bühne das große Abhaken beginnen. Wenn das die Antwort von Ermittlungsbehörden und Politik ist, wird sich an der täglich neuen rechten Gewalt – auch mit tödlicher Dimension – in Deutschland wenig ändern.

Wir fordern:

Es muss eine Kehrtwende im Verhalten der Ermittlungsbehörden geben – hin zu Aufklärung und Transparenz!
Der Bundestag muss zumindest eine Enquetekommission einsetzen, um das Querschnittsthema institutioneller und struktureller Rassismus und wirksame Mechanismen zu seiner Bekämpfung entsprechend dem Beispiel der Macpherson-Kommission in Großbritannien voran zu treiben. Das Thema betrifft nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. Effektive Lösungen brauchen eine parteiübergreifende und gesellschaftliche Diskussion sowie eine wissenschaftlich fundierte Begleitung.

Rechtsanwältinnen:

Seda Basay, Antonia von der Behrens, Christina Clemm, Doris Dierbach, Barbara Kaniuka, Seyran Kerdi-Elvan, Angelika Lex

Rechtsanwälte:

Serkan Alkan, Prof. Bernd Max Behnke, Thomas Bliwier, Önder Bogazkaya, Dr. Mehmet Daimagüler, Hasan Dilman, Dr. Björn Elberling, Berthold Fresenius, Carsten Ilius, Ali Kara, Alexander Kienzle, Detelf Kolloge, Stephan Kuhn, Stephan Lucas, Yavuz Narin, Ogün Parlayan, Jens Rabe, Eberhard Reinecke, Aziz Sariyar, Sebastian Scharmer, Reinhard Schön, Kiriakos Sfatkidis, Isaak Sidiropoulos, Peer Stolle, Bilsat Top, Turan Ünlücay

11.02.-13.02.2014

Die Verhandlung fällt diese Woche an allen drei Tagen aus. Einer der Zeugen, der an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 beteiligt gewesen sein soll, hält sich im Ausland auf und der V-Mann Tino Brandt ist verhandlungsunfähig krank.

05.02.2014

Lügen und Verharmlosen III

Zum zweiten Mal wurde heute André Kapke, einer der engsten „Kameraden“ von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Gerlach, Schultze und Wohlleben vernommen. Er trat erneut dreist auf, schob andauernd Erinnerungslücken vor. Erneut schaffte es der Vorsitzende Richter Götzl nicht, genügend Druck aufzubauen, um die Blockaden Kapkes zu durchdringen.

Immerhin ergab sich, dass die Jenaer Untergruppe des Thüringer Heimatschutzes, der alle NSU-Mörder angehörten, über ein gutes Kommunikationssystem mit öffentlichen Telefonzellen und einer „Dechifriertabelle“ verfügte, also ziemlich verdeckt arbeitete. Kapke hatte das Trio bei der Flucht und zumindest zu Beginn ihrer Illegalität unterstützt, er gab auch erneut an, auf Vermittlung des V-Mannes Tino Brandt falsche Pässe für die Drei besorgt zu haben.

Als Kapke zum ersten Mal etwas in die Enge gedrängt war, wurde die Befragung durch einen Befangenheitsantrag der Verteidigung Zschäpe unterbrochen: Richter Lang, so Rechtsanwalt Heer, habe einen Ordner mit der Aufschrift „HV NSU“ und bringe damit zum Ausdruck, dass er die Existenz der terroristischen Vereinigung NSU bereits für erwiesen halte und daher voreingenommen sei. Obwohl dieser Befangenheitsantrag offensichtlich keine Erfolgsaussichten hat, verzögerte er die Verhandlung bis nach der Mittagspause und verschaffte Kapke eine Verschnaufpause.

Sehr ausführlich befragte Götzl zu einer u.a. von Wohlleben gebastelten „Geburtstagszeitung“ für Kapke aus 1998, mit offenen Mordaufrufen etwa gegen Ignatz Bubis und der Verächtlichmachung der Opfer des Holocaust. Kapke bezeichnete dies als „satirische, überspitzte“ Darstellung – es wurde klar, dass er genau solche Positionen bis heute vertritt.

Etwas stärkeren Druck baute die Generalbundesanwaltschaft bei ihrer Befragung auf und erzielte immerhin einige wichtige Antworten:

    • Böhnhardt, Mundlos, Gerlach und Kapke waren die zentralen Personen in der Naziszene in Jena. Sie waren über überregionale „Mittwochstreffen“ gut vernetzt.
    • Das Pogromly-Spiel, eine antisemtische Monopoly-Variante, wurde von allen gern gespielt
    • Kapke und Wohlleben besprachen die Einbindung Schultzes in die Betreuung der Untergetauchten.

Den erstaunlich nachgiebigen Umgang des Vorsitzenden mit mauernden Nazizeugen dokumentierte die folgende Begebenheit: Staatsanwalt Weingarten reagierte auf eine der vielen angeblichen Erinnerungslücken Kapkes mit dem halb an Götzl gerichteten Satz: „Wenn ich ein Vernehmungsrecht hätte und nicht nur ein Fragerecht, dann würde ich ihnen stark empfehlen, sich jetzt einen Ruck zu geben.“ Götzl aber sprang ihm nicht zur Seite, sondern schwieg.

Dass Götzl die lügenden Nazizeugen in diesem Prozess mit Samthandschuhen anfasst, obwohl ihm aus früheren Verfahren gerade im Umgang mit Zeugen ein furchteinflößender Ruf vorauseilt, irritiert sehr – vor allem, weil das Gefühl entsteht, dass die Naziszene mit dem Gericht spielt. Tatsächlich verbaut dies sicher eine weitergehende Aufklärung der Taten. Götzl will aber gar keine weitergehende Aufklärung, sondern eine anklagegemäße Verurteilung – für diese reichen ihm die vorliegenden Beweise und er will sich den Weg zum Urteil nicht mit Streitigkeiten über Ordnungsgelder und Beugehaft verkomplizieren.

Die Vernehmung durch die Nebenklage wird irgendwann in den nächsten Wochen fortgesetzt.

04.02.2014

Identifizierung der Ceska als Tatwaffe

Verwirrung stiftete ein Waffensachverständiger des BKA bei dem missglückten Versuch, seine Gutachten zur Identifizierung der in der Frühlingsstraße gefundenen Ceska 83 mit Schalldämpfer als Tatwaffe darzustellen. Die Verteidigung Wohlleben schnupperte kurz Morgenluft, aber ein genauer Blick auf die Beweisaufnahme macht deutlich, dass an der Identifikation kein Zweifel besteht.

Der Fachbereichsleiter des Kriminaltechnischen Instituts Wiesbaden, Nennstiel, erläuterte sehr anschaulich seine Untersuchungen der Ceska und der Pistole Bruni, die bei zahlreichen der Morde des NSU eingesetzt wurden. Er hatte mit den Waffen Schüsse abgegeben und die Munition dann mit den an den Tatorten gefundenen Munitionsteilen verglichen. Die Ceska 83 war eindeutig als Tatwaffe festgestellt worden, bei der Bruni, einer umgebauten Gaspistole, gab es keinen eindeutigen Nachweis, eine Identität ist aber auch nicht ausgeschlossen. Die Waffennummer der Ceska konnte sichtbar gemacht werden.

Danach erfolgte die Vernehmung des Waffensachverständigen Pfoser vom BKA. Dieser hatte ebenfalls zahlreiche Gutachten angefertigt. Insbesondere hatte er nicht nur frühzeitig festgestellt, dass die Tatwaffe eine Ceska 83 war, sondern auch Aluminiumanhaftungen an den verschossenen Geschossen festgestellt, die nur von einem Schalldämpfer stammen konnten.

Leider war er im Gericht nicht in der Lage, seine Untersuchungen und die Ergebnisse nachvollziehbar darzustellen, und schuf dadurch selbst Zweifel an seinem Ergebnis. Dabei ging es bei seinem Bericht – nach dem eindeutigen Gutachtens des ersten Sachverständigen Nennstiel – eigentlich nur noch darum, welche der von ihm untersuchten Geschosse – die ja für die später durchgeführten Untersuchungen als Vergleichsstücke verwandt wurden – von welchem Tatort stammten.

Unter Umständen wird man sich die Gutachten also nochmals von einem Gutachter erklären lassen müssen, der auch eine gewisse Performance hat. Sollte die Verteidigung Wohlleben den verunglückten Bericht nutzen wollen, um Zweifel an Wohlleben’s Schuld zu behaupten, wird sie damit aber nicht durchdringen – das eindeutige Gutachten Nennstiels und die ebenso überzeugenden schriftliche Gutachten Pfosers zeigen, dass die von Wohlleben und Schultze beschaffte Ceska 83 die Waffe war, die für neun Morde des NSU verwendet wurde.