Archiv für den Monat: September 2013

30.09.2013

Zeugin bleibt dabei: Zschäpe, Mundlos und Böhnhard waren 2006 in Dortmund

Sehr kurzfristig wurde am heutigen Verhandlungstag eine Zeugin gehört, die sich diesen Sommer bei einem Nebenklägervertreter gemeldet hatte. Die Zeugin gab an, im März/April 2006 habe sie Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gemeinsam mit einem bulligen Skinheads auf dem Nachbargrundstück neben ihrem Wohnhaus in Dortmund gesehen. Auf diesem Grundstück habe es auch erhebliche Grabungsarbeiten gegeben. Sie habe Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in der Presseberichterstattung nach Bekanntwerden des NSU wiedererkannt.

Sie habe sich nicht gleich an die Polizei gewandt, weil sie zunächst nicht gedacht habe, dass es auf ihr Wissen ankäme. Auf Nachfrage gab sie allerdings auch an, sie habe Angst gehabt, nach einer Anzeige unter Umständen von Nazis unter Druck zu kommen.

Verschiedene Medien, die offensichtlich vor dem Termin schon erhebliche Teile der Vernehmungsprotokolle kannten, haben spekuliert, dass hier eine Verwechslung vorliege. Der Hausmeister des Nachbarhauses hatte angegeben, er habe sich in dieser Zeit mit Freunden und seiner Frau auf dem Grundstück aufgehalten und auch gearbeitet. Dabei könne es zu einer Verwechslung gekommen sein, seine Freundin sehe aus wie Beate Zschäpe. Er habe damals einen Teich gebaut, den er bald später wieder zugeschüttet habe.

Natürlich ist die Bewertung einer Zeugenaussage, sieben Jahre nach einer Beobachtung, zu einer Identifikation nach der Berichterstattung zu den Taten des NSU besonders schwierig. Alleine auf eine solche Identifikation könnte eine Verurteilung sicher nicht gestützt werden. Andererseits hat die Zeugin heute mit großer Konstanz ihre Aussage bei der Bundesanwaltschaft wiederholt. Sie hat plausibel und anschaulich und mit großer Selbstkritik ihre Wahrnehmungen geschildert.

Sie hat auch dargestellt, dass unter Umständen im hinteren Bereich des Gartens tatsächlich ein Teich gebaut wurde. Allerdings gab sie an, es sei ihr komisch vorgekommen, dass jedenfalls ein Teil der Arbeiten nachts durchgeführt wurde. Die Zeugin gab auch an, die Gruppe um Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt insgesamt 3-5 Minuten beobachtet zu haben, davon den größten Teil den Zeit mittels eines Fernglases.

Eine solche Zeugin wäre – trotz der langen Zeit seit ihrer Wahrnehmung – in jedem Landgerichtsverfahren der Traum eines Vorsitzenden und der Albtraum eines Verteidigers.

Die Bedeutung der Aussage der Zeugin wird erst dann endgültig zu bewerten sein, wenn die anderen in diesem Zusammenhang aufgetauchten Personen, so u.a. der Hausmeister, dessen Freundin und der Ehemann der Zeugin, ausgesagt haben. Diese Vernehmungen sind für die nächste Woche vorgesehen. Auf jeden Fall werden nach dieser Zeugenaussage weitere Ermittlungen, insbesondere in die Dortmunder Naziszene, durchgeführt werden müssen.

Daneben wurden heute noch zwei Kassler Polizeibeamte gehört, die anhand von Lichtbildern zum Tatort des Mordes an Halit Yozgat und zur Auffindesituation des Ermordeten berichteten, außerdem zu den ersten Ermittlungen zum Aufenthalt des Verfassungsschutzmitarbeiters und V-Mann-Führers Temme am Tatort. Die Zeugenaussage des Vaters von Halit Yozgat wurde auf morgen verschoben.

25.09.2013

Die Beweisaufnahme zum Mord an Theodoros Boulgarides verlief wie erwartet. Zahlreiche Bilder des Tatortes und der Wohnung, die ausführliche Schilderung der durch die Schüsse verursachten tödlichen Verletzungen, die Darstellung des Waffensachverständigen, die drei Schüsse seien mit der bekannten Ceska abgegeben worden.

Dagegen zeigte die Befragung eines Polizeibeamten, der im Kassler Mordfall Yozgat ermittelt hatte, sehr deutlich, warum Nazis zehn Menschen ermorden konnten, ohne dass die deutschen Behörden eine rassistische und nazistische Gesinnung als Tatmotiv in Betracht zogen:

Da sitzt im September 2013, mehr als sieben Jahre nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel, ein Polizeibeamter als Zeuge im Gericht und erzählt munter, wie gut das Verhältnis seiner Ermittlungsgruppe zu der Familie des Ermordeten gewesen sei, wie aufgeschlossen und offen die Familie gewesen sei. Dass die polizeilichen Ermittlungen sich im Wesentlichen gegen die Familie richteten, dass die Telefone der gesamten Familie abgehört wurden, dass sogar ein verdeckter Ermittler eingesetzt wurde, ist für diesen Polizeibeamten weder ein Widerspruch zu dieser Behauptung Aussage noch ein Grund, Bedauern über seine unzulängliche Ermittlungsarbeit zu empfinden.

Ein Nebenklägervertreter der Familie hält ihm vor, dass der Vater des Ermordeten sich bei einem türkischstämmigen Polizeibeamten beschwert hatte: Die Polizei solle aufhören, ihn und seine Familie zu verdächtigen. Er sei der festen Überzeugung, dass sein Sohn und die anderen Opfer aus ausländerfeindlichen Motiven getötet wurden. Andere Möglichkeiten gäbe es nicht, es müsse ein Spinner sein, der wahllos Ausländer umbringt.

An den Vermerk dieses Kollegen könne er sich heute nicht wirklich erinnern, erwidert der Zeuge, ihm gegenüber habe sich Herr Yozgat jedenfalls nicht so geäußert. „Fragen Sie doch Herrn Yozgat!“, antwortet er dem Anwalt – man habe sich doch so gut verstanden.

Außerdem habe man ja in alle Richtungen ermittelt. Auf Nachfrage, was für Ermittlungen denn in Richtung eines rassistischen Tatmotives geführt worden seien, stammelt der Beamte dann, in der Schule des Ermordeten habe man nach Schlägereien mit rassistischem Hintergrund gefragt und einen Freund des Ermordeten habe man auch gefragt. Es habe auch einen Hinweis auf irakische Kurden gegeben. Ein Ansatzpunkt für eine religiös-politische Tatmotivation habe nicht vorgelegen.

Es wird deutlich, dass dieser Beamte bis heute nicht verstanden hat, dass seine Ermittlungsgruppe „Café“ eine Tataufklärung mehr verhindert als gefördert hat.

Im Hinblick darauf, dass kommende Woche der zur Tatzeit am Tatort anwesende Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und V-Mann-Führer Andreas Temme als Zeuge aussagen wird, dürfte die dummdreiste Vorwärtsverteidigung des heutigen Polizeizeugen letztlich nur einen Vorgeschmack auf noch zu erwartende weitere Rechtfertigungsversuche darstellen.

24.09.2013

Zum Brand in der Frühlingsstraße und zum Mordfall Boulgarides

Erneut wurden heute Fotos des Brandhauses in der Frühlingsstraße in Zwickau gezeigt und von dem Brandsachverständigen der dortigen Polizei beschrieben. Insgesamt 11 Waffen – 10 Kurzwaffen und eine Maschinenpistole – sowie 2,5 kg eines Sprengstoffes, vermutlich Schwarzpulver, wurden im Brandschutt gefunden, außerdem DVDs mit der Aufschrift NSU. Vermutlich sollten diese ursprünglich auch noch verschickt werden.

Spuren von ausgegossenem Benzin fanden sich auch im Flur des Eingangs des Hauses, der Brand war in einem der Treppenhäuser dabei, auf das darüber liegende Stockwerk überzugreifen.

Ebenfalls gefunden wurden mehrere Teelichter, die teilweise mit nach oben gerichtetem Docht auf dem Boden standen. Es ist daher anzunehmen, dass Zschäpe das Benzin in der Wohnung und den Treppenhäusern ausgeschüttet und die Teelichter als „Zünder“ hinterlassen hatte, um eine Explosion zu verursachen.

Da der Polizeibeamte, die die Ermittlungen im Mordfall Boulgarides geleitet hat, zur Zeit erkrankt ist, waren die weiteren Zeugenvernehmungen von Tatortzeugen relativ belanglos. Interessant war allein die Schilderung des ehemaligen Geschäftspartners des Ermordeten von monatelangen, immer wiederkehrenden Befragungen durch die Polizei, die er als schikanös empfand.

23.09.2013

Zum Mordfall Süleyman Taşköprü – „Gott komm zu Hilfe“

Der Verhandlungstag begann mit der Vernehmung eines Ermittlungsbeamten der Hamburger Polizei. Diesem hatte der Vater des Ermordeten zwei deutsche Männer beschrieben, die aus dem Laden gekommen waren. Am Tag nach der Tat habe sich auch bereits ein Nürnberger Polizeibeamter gemeldet und von den dortigen Morden berichtet. Einen Tag darauf habe sich bestätigt, dass bei dem Mord in Hamburg dieselbe Tatwaffe verwendet worden war wie in Nürnberg. Von der Staatsschutzabteilung oder dem Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz habe er während der gesamten Mordermittlungen keine Rückmeldung erhalten. Trotz der Verbindung nach Nürnberg habe es keine Ansätze für eine Spur in Richtung Rechtsradikalismus gegeben. Da es keine Personenbeschreibung gab, habe es auch keinen Ansatz für Ermittlungen in Richtung Rechtsradikalismus gegeben.

Dieses Vorgehen ist ein eindeutiges Beispiel für den institutionellen Rassismus, der die gesamten Ermittlungen bestimmt hat. Die Polizei ging vagen Hinweisen auf angebliche Verstrickungen der Getöteten in kriminelle „ausländische“ Milieus nach und verwandte hierauf erhebliche Energie; gleichzeitig fing sie, obwohl eine rassistische Motivation bei einer Mordserie gegen migrantische Männer mehr als nahe liegt, gar nicht erst an, in Richtung möglicher Nazitäter zu ermitteln. Hierbei handelt es sich erkennbar nicht um eine bloße Ermittlungspanne, sondern um eine bewusste Entscheidung. Diese nun im Nachhinein damit zu begründen, man habe keine exakte Täterbeschreibung gehabt, zeigt, vorsichtig gesagt, von wenig Problembewusstsein – heißt das, die Kriminalpolizei in Deutschland ermittelt bei möglicherweise rassistisch motivierten Taten nur dann gegen Neonazis, wenn ihr diese auf dem Silbertablett serviert werden?

Ein Rechtsmediziner beschrieb die Schussverletzungen. Mit einer Waffe des Kalibers 7.65, dem Kaliber der Ceska, sei vorne seitlich in den Kopf geschossen worden, mit einem kleineren Kaliber 6.35 seien zwei Schüsse in den Hinterkopf abgegeben worden.

Der Vater von Süleyman Taşköprü beschrieb die dramatischen Folgen des Mordes für die Familie, insbesondere auch für die Tochter des Ermordeten. Er hatte seinen Sohn nach der Tat schwer verletzt gefunden.

Eine weitere Zeugin bestätigte diese Situation. Sie hörte den Vater rufen „Gott komm zu Hilfe“ und war deshalb in den Laden gegangen. Bereits zeitgleich mit der Polizei sei auch ein Reporter eingetroffen, der Krankenwagen sei zuletzt gekommen. Dieser Reporter machte so respektlos Fotos, dass die Zeugin ihn mit Eiern bewarf. Daraufhin wurde sie – und nicht der übergriffige Journalist – von der Polizei nach Hause geschickt.

19.09.2013

Zum Mordfall Mehmet Kubaşik

Nachdem die Befangenheitsgesuche der Angeklagten alle als unbegründet zurückgewiesen wurden, ging der Vorsitzende am Donnerstag gleich wieder zur Tagesordnung über. Das Gericht befasste sich mit dem Mord an Mehmet Kubaşik am 4. April 2006. Diverse Polizeibeamte sagten als Zeugen aus. Die Witwe und zwei der Kinder des Ermordeten, die sich dem Prozess als NebenklägerInnen angeschlossen haben, verfolgten das Geschehen im Gerichtssaal.

Eine vertiefte Befragung dieser Zeugen gestaltete sich aber schwierig, weil eine zentrale Zeugin, die kurz vor der Tat zwei Männer, „Junkies oder Nazis“, gesehen haben will, für gestern geladen war und ihre Aussage daher ausgefallen war. Fragen an die Polizeibeamten, die den Umgang mit dieser Zeugin und ihrer Aussage betreffen, konnten daher heute nicht gestellt werden. Einige der Beamten werden noch einmal geladen werden müssen, die Nebenklage Kubaşik hat angekündigt, dass dann einige Fragen an die Beamten zu stellen sein werden.

Die Nebenklage Yozgat stellte einen Beweisantrag zum Mordfall Kubaşik: eine Zeugin habe wenige Tage vor der Tat Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gesehen, denen von einem bulligen Skinhead etwas an einem Grundstück gezeigt wurde. Wenn sich diese Aussage vor Gericht bestätigt, dann ist diese Zeugin für den weiteren Prozessverlauf ganz zentral: zum einen zeigt ihre Aussage dann sehr deutlich, was NebenklägervertreterInnen und antifaschistische Gruppen schon lange vermuten, nämlich dass „die Drei“ bei ihren Taten auf Unterstützer aus den jeweiligen lokalen Naziszenen zurückgreifen konnten. Zum anderen zeigt die Aussage dann, dass Zschäpe persönlich an einem Tatort war, was ihre gleichberechtige Rolle innerhalb der NSU bekräftigt.

Bei der Befragung der Polizeibeamten zeigte sich auch ein erheblicher Wandel im Vorgehen des Vorsitzenden, der sich deutlich empathischer mit den Angehörigen zeigte, als dies noch am Anfang des Prozesses der Fall war.

Daneben sagten am Donnerstag zwei weitere NachbarInnen des NSU aus der Zwickauer Frühlingsstraße aus. Auch diese hatten direkt nach dem Beginn des Brandes am 4.11.2011 Beate Zschäpe gesehen, die aus der Richtung des brennenden Gebäudes kam und weglief.

Für eine Überraschung sorgte am Ende der Verhandlung Carsten Schultze: Er kündigte an, nun doch Fragen der Verteidigung Wohlleben beantworten zu wollen. Einen Termin für diese Befragung muss das Gericht noch festlegen. Von Holger Gerlach kam bisher noch keine Rückmeldung dazu, ob er nun doch bereit ist, Fragen zu beantworten – sein Verteidiger hatte dies kurz vor der Sommerpause als Möglichkeit in den Raum gestellt.

17.09.2013

Ablehnungsgesuche von Zschäpe und Wohlleben

Eigentlich sollte es heute um den Mord an Mehmet Turgut gehen, der am 25. Februar 2004 in einer Dönerbude in Rostock erschossen worden war. Stattdessen beschäftigten sich die Prozessbeteiligten mit Ablehnungsgesuchen von Beate Zschäpe, denen sich auch der Angeklagte Wohlleben anschloss, gegen sämtliche Mitglieder des Senats. Im Einzelnen ging es um Folgendes:

Zum einen hatte Verteidiger Rechtsanwalt Stahl einen Vorschuss von € 77.000 auf die Pauschvergütung für das Ermittlungsverfahren beantragt. Der für Kostenfragen zuständige Richter Kuchenbauer hatte €  5.000 bewilligt. (Die beiden weiteren VerteidigerInnen von Zschäpe, Sturm und Heer, hatten bislang noch gar keine Vorschussanträge gestellt). Damit, so die Verteidigung Zschäpes, solle die Verteidigung „kurz gehalten“ werden. Rechtsanwalt Stahl selbst war zu der Verhandlung heute erst gar nicht erschienen.

Richter Kuchenbauer hatte allerdings in dem Beschluss mit dem er 5.000 Euro Vorschuss festgesetzt hatte festgestellt, dass „Probleme des Tatnachweises“ die Verteidigung besonders aufwendig machen. Aus dieser Formulierung will die Zschäpe-Verteidigung nun eine Vorverurteilung ihrer Mandantin herauslesen. Tatsächlich dürfte es sich um eine sehr unglückliche Formulierung für „Schwierigkeiten bei der Tatsachenfeststellung“ handeln – ein Patzer, der einem OLG-Richter allerdings nicht unterlaufen sollte.

Zunächst blieb unklar, warum die Ablehnung alle Richter des Senates traf: Der Beschluss war von Richter Kuchenbauer als Einzelrichter erfolgt, dementsprechend gaben die übrigen RichterInnen in ihren dienstlichen Äußerungen auch an, daran gar nicht mitgewirkt zu haben. Die Verteidigung behauptete allerdings, Kuchenbauer habe in einem Telefonat mit Verteidiger Stahl angekündigt, den Beschluss noch mit dem restlichen Senat zu besprechen. Deswegen lehnte auch die Verteidigung Zschäpe für ihre Mandantin erneut alle Richter ab mit der Begründung, diese hätten in ihren dienstlichen Äußerungen die Unwahrheit gesagt.

Bundesanwaltschaft und Nebenklage hatten beantragt, dass das Gericht bis zur Entscheidung über die Gesuche die Hauptverhandlung weiterführt. Diese Option sieht die Strafprozessordnung ausdrücklich vor, um Verzögerungen zu vermeiden – immerhin warteten fünf Zeugen zum Mordfall Turgut vor dem Saal, dessen Angehörige im Saal, weitere ZeugInnen, darunter zwei Nebenklägerinnen, sollten in den nächsten Tagen gehört werden. Der Vorsitzende Richter Götzl unterbrach stattdessen die Hauptverhandlung und sagte den Prozesstermin am Mittwoch ab, der Prozess wird nun am Donnerstag fortgesetzt. Sollte bis dahin der für die Ablehnungsgesuche zuständige Senat des Oberlandesgerichts noch nicht entscheiden haben, wird sich Götzl entscheiden müssen, ob er dann eine Fortsetzung der Hauptverhandlung anordnet – ansonsten werden die Beteiligten und ZeugInnen erneut unverrichteter Dinge nach Hause geschickt werden müssen.

Insgesamt ist der Verlauf des Sitzungstages aus Sicht der Nebenklage äußerst unbefriedigend. Dies gilt umso mehr, als die Befangenheitsgesuche inhaltlich schwach sind. Sicherlich ist eine Pauschvergütung von € 5.000 für das Ermittlungsverfahren in einem Verfahren dieser Größenordnung ungenügend. Gegen einen solchen fehlerhaften Beschluss muss aber anders vorgegangen werden – zumal es sich hier nur um die Frage des Vorschusses handelte und zumal die viel wichtigere Frage der Vergütung in der Hauptverhandlung derzeit noch verhandelt wird. Die Behauptung, ein solcher Beschluss würde darauf zielen, die Verteidigung unzulässig einzuschränken, ist offensichtlich überzogen.

Auch aus den Formulierungen in dem Beschluss Kuchenbauers wird sich eine Befangenheit nicht herleiten lassen, mag auch die Formulierung isoliert betrachtet unglücklich sein: aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass hier eben die Schwierigkeit des Verfahrens in tatsächlicher Hinsicht gemeint war.

Es stellt sich die Frage, was die Verteidigung mit ihrem Vorgehen bezweckt. Die Verteidigung Zschäpe konstruiert sich hier eine Opferrolle, die kaschieren soll, dass ihre Verteidigungsstrategie nicht aufgeht. Eine inhaltliche und prozessuale Konfrontation mit dem Gericht hat die Verteidigung Zschäpe bislang vermieden, dies scheint nicht ihrem Selbstbild und ihrem Erfahrungsschatz zu entsprechen. Konfrontationen wurden bislang nur anhand von relativ nebensächlichen Streitpunkten entwickelt. Mit den jetzigen Befangenheitsgesuchen such die Verteidigung Zschäpe die Konfrontation nur um eigene Interessen, hier das Honorar, und damit erneut nicht um Kernfragen der Verteidigung.

Insoweit muss sich die Verteidigung Zschäpe auch die Frage gefallen lassen, wie es zusammenpasst, dass sie einerseits die Beiordnung von drei VerteidigerInnen für unbedingt notwendig hält, aber andererseits RA Stahl mit Verweis auf die Bezahlung diese Woche einfach nicht am Prozess teilnimmt.

Noch wichtiger ist aber aus Sicht der Nebenklage, wie der Senat auf solche Gesuche reagiert – erneut hat er der Verteidigung gestattet, durch unbegründete Ablehnungsgesuche eine ganze Sitzungswoche zu zerschießen, erneut sind, so ist zu befürchten, NebenklägerInnen umsonst nach München gereist. Dabei hätte der Senat ohne weiteres bis jedenfalls Mittwochabend verhandeln können.

06.09.2013

Zeugin identifiziert Böhnhardt und Mundlos als Mörder von İsmail Yaşar

Eine beachtliche Zeugenleistung lieferte heute eine Bäckereifachverkäuferin, die vermutlich direkt nach dem Mord an Ismail Yasar an dessen Dönerladen vorbeigekommen war und dort zwei Fahrradfahrer gesehen hatte. Der eine der beiden war gerade dabei, dem anderen einen in einer Plastiktüte verpackten, ca. 20 cm langen Gegenstand in den Rucksack zu packen. Das könnte die Tatwaffe gewesen sein. Die Zeugin hatte sich in dieser Situation gewundert, warum der Inhaber des Dönerladens nicht zu sehen war.

Die Zeugin hatte dies schon in ihrer ersten Vernehmung geschildert und dabei darauf hingewiesen, dass es sich bei den Fahrradfahrern eindeutig nicht um Südeuropäer gehandelt hatte. Trotzdem waren ihr bei einer ersten Lichtbildvorlage viele Bilder türkischstämmiger Männer gezeigt worden.

Die Zeugin hatte auch eine erhebliche Ähnlichkeit der beiden Bombenleger, die auf den Filmaufnahmen aus der Kölner Keupstraße zu erkennen waren, mit den Fahrradfahrern in Nürnberg festgestellt. Nach Aufdeckung des NSU stellte die Zeugin eine große Ähnlichkeit zwischen Böhnhardt und Mundlos und den Fahrradfahrern vor dem Dönerladen des Ismail Yasar fest.

Die weiteren Zeugenvernehmungen waren insgesamt wenig ergiebig.

Der Prozess wird am 17./18./19. September fortgesetzt.

 

05.09.2013

Erster Tag nach der Sommerpause

Der erste Verhandlungstag nach der Sommerpause verlief ohne besondere Ereignisse. Zunächst wurde ein weiterer Polizeibeamter des Bundeskriminalamtes gehört. Dieser hatte Gerlach bei einer Ausfahrt nach Zwickau begleitet, wo dieser die Wohnung suchte und zeigte, in der er die von ihm besorgte Waffe übergeben hatte. Der Beamte bestätigte dieses Geschehen auf Fragen des Vorsitzenden.

In Vorbereitung der weiteren Befragungen von ZeugInnen, die an den verschiedenen Tatorten die mutmaßlichen Täter auf Fahrrädern gesehen hatten, wurden eine Fernsehsendung mit einem Fahndungsaufruf nach Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos, Videos einer Überwachungskamera in der Kölner Keupstraße vom Tag des Bombenanschlages, auf denen die beiden Täter mit Fahrrädern zu sehen sind, und Bilder des Brandes in der Zwickauer Frühlingstrasse gezeigt.

Eine Zeugin aus Nürnberg bestätigte, dass sie direkt vor der Ermordung von İsmail Yaşar zwei schwarz gekleidete Männer auf Fahrrädern in direkter Nähe des Tatortes gesehen habe. Einer der beiden habe sie „fixiert“, sie habe Angst bekommen. Beim Wegfahren habe sie vier oder fünf Schüsse gehört, dies aber schnell verdrängt, weil sie gedacht habe, es könnten auch Geräusche von spielenden Kindern gewesen sein.

Bei einer ersten polizeilichen Befragung habe sie den einen Täter als „Südländer“ beschrieben, am nächsten Tag aber nochmals bei der Polizei angerufen und mitgeteilt, der Mann sei stark gebräunt gewesen.