Archiv für den Monat: März 2015

26.03.2015

Mehr zur Keupstraße, und Beginn der Beweisaufnahme zu den Banküberfällen in Stralsund

Am letzten Tag vor den Osterferien wurde zunächst ein weiterer Geschädigter aus der Keupstraße vernommen – die anderen beiden Geschädigten waren krank bzw. verhindert.
Der heute gehörte Zeuge war Inhaber eines Reisebüros in der Keupstraße. Zum Zeitpunkt der Explosion stand er gerade einige Meter weiter auf dem Gehweg, wurde körperlich „nur“ am Ohr verletzt. Seine Kinder, die im Reisebüro waren, hatten das große Glück, dass ein Transporter auf der Straße stand, der sehr viele Nägel abfing, die sonst das Reisebüro getroffen hätten. Die wirtschaftlichen Folgen – ausbleibende Kundinnen und Kunden in der Keupstraße – waren so schwerwiegend, dass er sein Reisebüro einige Jahre später zumachen musste.

Das Gericht begann dann mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen auf eine Sparkasse in Stralsund im November 2006 und Januar 2007. Allerdings waren mehrere der zunächst geladenen Zeuginnen und Zeugen krank, so dass zunächst nur zwei Angestellte befragt werden konnten. Weiterlesen

25.03.2015

Beginn der Beweisaufnahme zu den Banküberfällen

Heute wurden die ersten Zeuginnen und Zeugen zu den Banküberfällen des NSU gehört, zunächst zum Überfall in Arnstadt am 07.09.2011, 8 Wochen vor dem Überfall in Eisenach am 04.11.2011, der im Suizid von Böhnhardt und Mundlos endete.

Die Aussagen der Angestellten und Videoaufnahmen aus der Sparkasse ergaben folgendes Bild: Kurz vor 9 Uhr überfielen Böhnhardt und Mundlos, mit mehreren Schusswaffen und einer Handgranate bewaffnet, die Filiale, schlugen einer Angestellten mit einem Telefonhörer mehrfach massiv auf den Kopf, um die Öffnung des Kassenbereichs zu erzwingen, entnahmen ca. 15.000 € aus der Kasse. Sie forderten den Filialleiter auf, den Tresor zu öffnen, sonst würde er erschossen, flohen dann aber, da der Tresorschlüssel mit einem Zeitschloss gesichert war. Eine Zeugin sah, wie sie auf Fahrräder stiegen und wegfuhren. Die weitere Flucht führten sie mit einem Wohnmobil durch, das Uwe Böhnhardt in der Nähe von Zwickau unter dem Namen „Holger Gerlach“ angemietet hatte.

Der Filialleiter schilderte den Überfall als relativ dilettantisch, die Täter als nervös – dies mag daran gelegen haben, dass seit dem letzten ermittelten Überfall in Stralsund Anfang 2007 mehr als 4 1/2 Jahre vergangen waren. Die Angestellte, die auf den Kopf geschlagen wurde, leidet bis Weiterlesen

19.03.2015

Nachbarinnen aus der Polenzstraße: Zschäpes Tarnung war perfekt.

Heute sagten zunächst zwei ehemalige Nachbarinnen der NSU-Wohnung in der Polenzstraße in Zwickau aus. Die erste Zeugin hatte 2006 bis 2008 dort gewohnt, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt waren vor ihr ausgezogen. Ihre Vernehmung zeigte einmal mehr, dass die Tarnung Zschäpes perfekt funktioniert hatte. Die damals alleinerziehende Zeugin hatte sich offensichtlich eine Freundin gewünscht und immer wieder Annäherungsversuche unternommen, Zschäpe konnte und wollte ihr aber natürlich keine Einblicke in ihr Leben und die Wohnung geben und wehrte daher unter Verweis auf „ihren Freund“ ab. Die Zeugin war nun angesichts der Tatvorwürfe gegen ihre ehemalige Nachbarin bemüht, diese als unschuldiges Opfer ihres Freundes (Uwe Mundlos) darzustellen. Und so interpretierte sie vermeintliche Blicke, Gesten und Andeutungen der ihr als Lisa Dienelt bekannten Zschäpe: Lisa habe ihr ihre Telefonnummer nicht gegeben, weil ihr Freund nicht gestört werden wollte, Lisa habe ihr angedeutet, dass sie mit ihrem Freund und dessen Bruder (Uwe Böhnhardt) gemeinsamen Sex habe, obwohl sie das nicht wolle. All diese Schlüsse waren jedoch nicht auf wirkliche Beobachtungen gestützt und lösten sich auf Nachfragen des Vorsitzenden in vage Vermutungen auf. Weiterlesen

18.03.2015

U.a. zum Angeklagten Carsten Schultze

Der Verhandlungstag begann mit dem Gutachten des Psychiaters Prof. Leygraf. Er sollte sich dazu äußern, ob für Carsten Schultze, der zur Tatzeit 19 oder 20 Jahre alt war, noch Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Der Gutachter hatte sich bereits in seinem schriftlichen Vorgutachten hierfür ausgesprochen und bestätigte dies heute im Wesentlichen: das Coming Out von Schultze und sein Rückzug aus der Nazi-Szene zeigten, dass er sich nach den ihm vorgeworfenen Taten erheblich weiter entwickelt habe; dies wiederum spreche dafür, dass er zum Tatzeitpunk noch eher einem Jugendlichen gleichgestanden habe. Der Vorsitzende fragte nach, wies insbesondere darauf hin, dass der Ausstieg Schultzes und die ihm vorgeworfenen Taten zeitlich sehr nah beieinanderlagen.

Aus strafrechtlicher Sicht wäre dennoch die Anwendung von Jugendstrafrecht wenig überraschend – gleichzeitig aber in der konkreten Umsetzung auf einen heute Mitte-Dreißigjährigen nicht einfach: das Gericht wird insoweit den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts, aber auch die Schwere und den politischen Charakter der Tat, die Schultze eingestanden hat, berücksichtigen müssen. Weiterlesen

12.03.2015

Erneut zur Keupstraße, und zur ideologischen Entwicklung von Uwe Mundlos

Heute sagte ein weiterer Geschädigter der Nagelbombe von 09.06.2004 in der Kölner Keupstraße aus. Er arbeitete in dem Friseursalon, vor dem das Fahrrad mit der Bombe abgestellt wurde, und erlitt durch die Explosion diverse Wunden am Kopf, am Arm und am Bein sowie eine Schädigung des Gehörs – schwerere Verletzungen blieben ihm erspart, weil jemand zwischen ihm und der Bombe stand. Er leidet bis heute an psychischen Folgen, wird immer wieder an die Bombenexplosion erinnert, wenn z.B. eine Tür laut zuknallt. Auch er machte deutlich, dass er von den deutschen Behörden keinerlei Unterstützung erhielt, um mit den Folgen des Attentates zurechtzukommen.

Es folgte ein Zeuge, der mit Uwe Mundlos zur Schule ging, mit ihm gut befreundet war und Mundlos‘ Entwicklung hin zum offenen Nazi miterlebte: Der hörte statt früher Udo Lindenberg nun die „Böhsen Onkelz“ und anderen Rechtsrock, etwa den „Kanakensong“ (Textauszug: „Steckt sie in den Kerker oder steckt sie ins KZ, von mir aus in die Wüste, aber schickt sie endlich weg. Tötet ihre Kinder, schändet ihre Frauen, vernichtet ihre Rasse und lehrt sie so das Grauen“), kleidete sich szenetypisch mit Bomberjacke und Springerstiefeln, später in Kleidung, die den Zeugen an eine SS-Uniform erinnerte. Ab der 7./8. Klasse begann er, sich offen positiv Weiterlesen

11.03.2015

Schreddern, leugnen, vergessen – V-Männer liefern keine Information. Und: zur Normalität der Weißen Bruderschaft Erzgebirge

Der erste Zeuge heute war Marcel Degner, Mitbegründer und Chef der „Blood & Honour“-Sektion Thüringen, später „B&H“-Chef für „Mitteldeutschland“, zudem nach Ermittlungen des Untersuchungsausschusses des Bundestages unter dem Codenamen „Hagel“ von 1997 bis 2001 V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutzes (TLfV). Er brachte – wie fast alle bislang gehörten „Vertrauens“-Männer – keinerlei brauchbaren Informationen. Wie alle anderen Nazizeugen und auch etliche V-Männer hatte Degner natürlich fast keine Erinnerung, insbesondere an Erlebnisse, die die Angeklagten belasten könnten. Ja, er er bestritt sogar, überhaupt V-Mann gewesen zu sein. Allerdings hatte der Mitarbeiter des TLfV Wiessner in seiner Vernehmung am 11.11.2014 mitgeteilt, er habe zwar keine Aussagegenehmigung zur Identität des V-Mannes „Hagel“, dann aber doch ausgesagt, dass dies Degner war.

Außerdem fand sich eine Tatsachenschilderung Degners eins zu eins in einem Treffbericht von „Hagel“ wieder: er hatte bei dem Chemnitzer Thomas Starke nachgefragt habe, ob die drei Geflüchteten – Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos – Geld bräuchten, Starke hatte geantwortet, nein, die würden „jobben“. Genauso findet sich die Begegnung in einem der zwei erhaltenen Treffberichte von „Hagel“. Die übrigen Treffberichte wurden seinerzeit geschreddert, was es Weiterlesen

05.03.2015

Lügen und Verharmlosen Deluxe – Hendrik Lasch und sein „rechtskonservativer“ Freund Mundlos

Heute wurde zunächst ein Psychiater vernommen, der ein Gutachten zu einem der jungen Männer erstellt hatte, der durch die Nagelbombe in der Keupstraße schwer verletzt wurde (zu dessen Aussage s. den Bericht vom 20.01.2015). Seine Schilderung machte noch einmal in bedrückender Form deutlich, wie schwer – neben den körperlichen Verletzungen – die psychischen Folgen des Attentats waren: Noch zum Zeitpunkt der Begutachtung 2012 fand sich bei diesem Verletzten das Vollbild einer post-traumatischen Belastungsstörung mit Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit, immer wiederkehrenden Alpträumen, flashbacks, noch 2012 lösten alltägliche Szenen wie Fahrräder mit Taschen erhebliche Ängste und Vermeidungsverhalten aus.

Es folgte Hendrik Lasch, ebenfalls aus der Nazi-Szene in Chemnitz und seit Mitte der 1990er v.a. mit Uwe Mundlos befreundet. Auch er war sichtlich bemüht, nichts Substantielles beizutragen, trieb dieses Spiel bis zur Grenze des Lächerlichen und weit darüber hinaus. Der Vorsitzende Richter Götzl sah sich zu vielen genervten Nachfragen veranlasst – aber erneut nicht dazu, Ordnungsmittel auch nur anzudrohen, und das trotz mehrerer Antworten Laschs, die eindeutige Aussageverweigerungen unter dem Deckmantel des Nicht-Erinnern-Könnens darstellten. Weiterlesen

04.03.2015

Zur Struktur und Ideologie der Szene in Jena

Nachdem Beate Zschäpe mitgeteilt hatte, dass sie wieder an der Verhandlung teilnehmen könne, wurde diese heute fortgesetzt. Peinlich und ärgerlich war allerdings, dass auf Nachfrage des Vorsitzenden die Verteidigung Zschäpe mitteilte, diese habe der Vernehmung einer Zeugin am vergangenen Dienstag auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht vollständig folgen können. Peinlich, weil die drei Verteidiger Zschäpes nicht selbständig in der Lage scheinen, sich um den Zustand ihrer Mandantin zu kümmern. Ärgerlich, weil diese Vernehmung nunmehr wiederholt werden muss. Ein einfacher Hinweis der ansonsten immer so sehr auf Verfahrensbeschleunigung pochenden Verteidigung hätte diesen doppelten Aufwand vermieden.

Der Vorsitzende war entsprechend genervt, hatte aber offensichtlich einen weiteren Krankheitstag Zschäpes befürchtet und deshalb den Verfassungsschützer Meyer-Plath bereits abgeladen. Dieser wird zu einem späteren Verhandlungstag erneut geladen werden. Einziger Zeuge heute war daher der jüngere Bruder von André Kapke, der einige Zeit ebenfalls in der Neonazi-Szene Jenas aktiv war. Weiterlesen