20.01.2015

Erste Zeugenaussagen zum Nagelbombenanschlag in der Keupstraße – und zur „Bombe nach der Bombe“.

Heute sagten die ersten Geschädigten des Nagelbombenanschlags am 9. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln aus – jeweils gefolgt von den Ärzten, die ihre Verletzungen behandelt hatten.
Den Anfang machten zwei junge Männer, die während der Explosion auf dem Gehweg in der Nähe der Bombe vorbeigegangen waren und die sehr gefasst, aber sichtlich mitgenommen berichteten. Beiden wurden mehrere Nägel entfernt, die tief in den Beinen und im Rücken steckten, sie erlitten Brüche, erhebliche Verbrennungen, Trommelfellverletzungen und weitere Verletzungen, an deren Spätfolgen beide noch heute leiden. Von den psychischen Folgen ganz zu schweigen: beide schilderten anschaulich, dass sie lange brauchten, um wieder „ihren Alltag zu finden“, dass sie noch heute in psychotherapeutischer Behandlung sind.

Ihre Aussagen bestätigten den Eindruck, der bereits letzte Woche bei der Vernehmung der Sprengstoffermittler entstanden war: dass keiner der beiden lebensgefährliche Verletzungen erlitt, war pures Glück. Einem von ihnen sagten die behandelnden Ärzte, hätte er etwas weiter weg von der Bombe gestanden, hätten ihn die Nägel wahrscheinlich nicht an den Beinen und unten am Rücken, sondern am Oberkörper getroffen – die Verletzungsfolgen mag man sich nicht ausmalen.

Die Zeugen berichteten auch von dem, was in Köln mitunter als „Bombe nach der Bombe“ bezeichnet wird: von den Verdächtigungen der Polizei gegen die Geschädigten, gegen die Menschen in der Keupstraße. So durften etwa die beiden Freunde während der ersten zwei Wochen im Krankenhaus nicht miteinander reden, weil sie verdächtigt wurden, selbst die Bombe gelegt zu haben. Später wurden sie erkennungsdienstlich behandelt, ihnen wurden DNA-Proben entnommen und ihre Fingerabdrücke wurden aufgenommen.

Dabei hatte einer von beiden noch bei seiner Vernehmung im Krankenhaus den Verdacht geäußert, die Bombe sei von Nazis gelegt, die möglichst viele Ausländer töten wollten. Heute fasste er seine damaligen Gedanken zusammen: „Das erklärt sich doch von selbst: … Wenn man eine Bombe am helllichten Tag deponiert auf einer Straße, wo Omas längsgehen und Kinder – da muss man kein Ermittler sein, um das zu erkennen.“ Für diese Aussage erhielt er einigen Beifall von der Zuschauertribüne – ganz zum Missfallen des Vorsitzenden Götzl. Wie bekannt, ging die Polizei diesem naheliegenden Verdacht, den der Zeuge hier benannt hatte, nicht weiter nach.

Ganz ähnlich wie den beiden jungen Männern ging es einem Mann, der in dem Frisörsalon, vor dem die Bombe abgestellt war, gesessen hatte. Er erlitt ebenfalls diverse Verletzungen durch umherfliegende Nägel und Glassplitter, leidet noch immer v.a. unter den psychischen Folgen, hat Schlafstörungen, kriegt Panikattacken in Menschenmengen usw. Der Zeuge, der vorher selbständig war, musste seine Tätigkeit aufgeben und ist seit dem Anschlag erwerbsunfähig.
Ein weiterer Verletzter berichtete, er sei aus der Türkei geflohen, aber hier in Deutschland sei ihm angetan worden, was er in der Türkei nicht habe erleiden müssen.

Insgesamt wurde überdeutlich, dass die damalige Entscheidung, keine Ermittlungen in Richtung einer rassistischen Tatmotivation durchzuführen und statt dessen die Opfer zu kriminalisieren, unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar ist.

Der gesamte Prozesstag wurde begleitet von einer Kundgebung der Verletzten und ihrer UnterstützerInnen vor dem Gerichtssaal. Am Ende des Prozesstages zog eine Demonstration von ca. 1.500 Menschen vom Gericht in die Münchner Innenstadt. Die Initiative „Keupstraße ist überall“ und die DemonstrationsteilnehmerInnen machten deutlich, dass sie weiterhin öffentlich Druck ausüben werden, um die Aufklärung der NSU-Morde zu erzwingen.