23.04.2020 Presseerklärung von Angehörigen und Betroffenen des Anschlags von Hanau am 19. Februar 2020 und ihren Rechtsbeiständen

Überlebende und Angehörige der Mordopfer des rassistischen Attentats verlangen Akteneinsicht in die Ermittlungen des Generalbundesanwalts oder die Durchführung von Informationsgesprächen mit ihnen. 

Die bisherige Politik der Intransparenz durch fehlende Informationen von Seiten der Polizei und des Generalbundesanwalts führen zu einer weiteren Belastung der Überlebenden und Angehörigen.

Zwei Monate sind vergangen, seitdem Tobias Rathjen am 19. Februar 2020 in Hanau Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Vili Viorel Păun, Hamza Kurtović, Ferhat Unvar und Gökhan Gültekin sowie seine Mutter erschossen und mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt hat. 

Seit nunmehr zwei Monaten warten viele Angehörigen der Ermordeten und Überlebende auf Antworten und Informationen zu zentralen Fragen: 

– Wie sind ihre Tochter, ihre Mutter, ihre Söhne, Brüder und Schwester ums Leben gekommen? Mussten sie vor dem Tod noch leiden? Sind sie am Tatort oder im Krankenhaus gestorben? 
– Wie schnell haben die Polizei und Rettungskräfte an den einzelnen Tatorten eingegriffen, gab es Verzögerungen?
– Was ist bisher zum konkreten Tatablauf bekannt? 
– Wann hatte Tobias Rathjen vor der Tat jeweils Kontakt mit Polizeibehörden und was hatten diese Kontakte für Konsequenzen? Was wussten welche Behörden und wann über ihn? Warum hatte er noch einen Waffenschein, wurde jemals seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit überprüft?
– Warum wurden Überlebende von den Tatorten ohne weitere Betreuung weggeschickt? – Warum wurden die Mobiltelefone der Ermordeten und Überlebenden sichergestellt und sind zum Teil bis heute nicht herausgegeben?

Dies sind für die Betroffenen quälende Fragen. 

Der Mangel an Informationen durch den Generalbundesanwalt führt dazu, dass die Unsicherheit der Überlebenden und der Angehörigen der Mordopfer vergrößert wird. Es werden Spekulationen darüber ausgelöst, warum diese Informationen nicht herausgegeben werden. Es werden Spekulationen darüber ausgelöst, ob es vorliegend etwas zu vertuschen gibt.

Solche Spekulationen werden auch dadurch befördert, dass das BKA nach anfänglichen Medienberichten zu dem vorläufigen Ergebnis gekommen war, dass der Täter kein rassistisches Motiv verfolgt habe. Fast zeitgleich hatte die hessische Polizei nach der Entlassung des Vaters von Rathjen und dessen Rückkehr nach Hanau-Kesselstadt eine Art „Gefährderansprachen“ bei den Angehörigen durchgeführt – als wären sie die Gefährder, als ginge von ihnen die Gefahr aus. Damit verstärkt sich bei den Überlebenden und Angehörigen die Unsicherheit, ob ihre Fragen und Bedürfnisse bei den Behörden überhaupt Berücksichtigung finden werden. 

Es besteht kein erkennbarer Grund, die Akteneinsicht oder Informationsgespräche zu verweigern. Die Medien berichten bisher unter Bezug auf Informationen vom Generalbundesanwalt bzw. BKA, dass Tobias Rathjen alleine gehandelt hätte. Somit ist eine „Gefährdung des Ermittlungszieles“ durch die Information der Betroffenen nicht zu erwarten. 

Die berechtigten Fragen der Angehörigen und Überlebenden müssen jetzt, zwei Monate nach dem Beginn der Ermittlungen, endlich beantwortet werden. 

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte 
Seda Başay-Yıldız (für Mitglieder der Familien Gültekin, Gürbüz und Saraçoğlu)
Antonia von der Behrens (für Mitglieder der Familie Kurtović)
Dr. Björn Elberling (für Ibrahim Akkus)
Alexander Hoffmann (für Mitglieder der Familie Unvar)