Archiv für den Monat: Oktober 2014

23.10.2014

Zum Brand in der Frühlingsstraße

Heute war der ehemalige Verteidiger von Beate Zschäpe, an den sie sich am 8.11.2011 gewandt hatte, als Zeuge geladen. Zschäpe hatte ihn teilweise von seiner anwaltlichen Schweigepflicht entbunden, um über ihn zu beweisen, dass sie am 4.11.2011 bei ihrer Nachbarin in der Frühlingsstraße geklingelt hatte, damit diese durch das von Zschäpe gelegte Feuer nicht verletzt wird.

Wie bereits erwähnt, würde ein solches Klingeln allerdings ohnehin nicht gegen, sondern für einen Tötungsvorsatz Zschäpes sprechen: Denn damit hätte sie gerade gezeigt, dass sie davon ausging, dass ihre Nachbarin im Hause war und dass das Feuer diese in Lebensgefahr bringen würde. Dass Zschäpe mit der Nachbarin gesprochen und sie zum Verlassen des Hauses aufgefordert hätte, behauptet die Verteidigung nicht.

Für viel Diskussionen im Gerichtssaal sorgte das prozessuale Vorgehen der Verteidigung: die hatte den Ex-Verteidiger nur extrem eingeschränkt von seiner Schweigepflicht befreit – wie mehrere NebenklägervertreterInnen beanstandeten, lief die Erklärung letztlich darauf hinaus, dass der Zeuge nur die Beweisbehauptung der Verteidigung abnicken sollte und sonst nichts. Sämtliche Fragen anderer Beteiligter, auch solche, die im Zusammenhang mit dem behaupteten Gespräch standen, wurden von der Verteidigung beanstandet, noch bevor der Zeuge selbst entschieden hatte, ob er sich auf seine Schweigepflicht berufen wollte oder nicht. Das Gericht ließ die meisten dieser Fragen zu, der Zeuge antwortete relativ wortkarg.

Jedenfalls ging der Plan der Verteidigung auch inhaltlich nicht auf: denn es wurde klar, dass die Angaben von Zschäpe in dem Gespräch ohnehin wenig ergiebig waren – so war der Ex-Verteidiger etwa der Meinung, die alte Dame habe im selben Aufgang gewohnt wie Zschäpe und Zschäpe habe daher bei ihr an der Wohnungstür geklingelt. Tatsächlich hatte Zschäpe aber nur am Hauseingang geklingelt und keine Möglichkeit festzustellen, ob die damals bereits weit über 80jährige Frau ihr Klingeln überhaupt gehört hatte. Gleichzeitig ist über die Aussage des Zeugen aber auch eingeführt, dass Zschäpe ihm gegenüber mindestens implizit eingestanden hat, das Feuer in der Frühlingsstraße gelegt zu haben.

Am Ende ging es noch kurz um die Vernehmung des Neonazis und Ex-V-Mannes Sczepanski, der für den 4.11.2014 geladen ist. Dieser befindet sich im Zeugenschutz, das zuständige Innenministerium in Brandenburg stimmt einer Vernehmung nur zu, wenn diese per Videovernehmung, mit Verfremdung von Aussehen und Stimme des Zeugen und (!) unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Sitzungssaal in München stattfindet. Begründet wird dies mit angeblichen Gefahren von Racheakten durch Neonazis für den „Verrat“ des Zeugen. Die Nebenklage machte deutlich, dass diese Gefahrprognose arg konstruiert ist – der Angeklagte Schultze etwa, der auch im Zeugenschutzprogramm ist, sitzt seit über 150 Tagen ohne besondere Schutzmaßnahmen in der Hauptverhandlung, ohne dass es irgendwelche wahrnehmbaren Gefährdungen gab oder auch nur ein Foto von ihm in der Öffentlichkeit erschien. Sie forderte das Gericht auf, beim Ministerium darauf zu drängen, dass der Zeuge in München aussagt.

22.10.2014

Zum Puppentorso-Verfahren und zur Mordwaffe Ceska

Heute wurden zunächst drei Polizeibeamte vernommen, die Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben 1996 vernommen hatten – damals ging es um ein Verfahren wegen Volksverhetzung, nachdem ein Puppentorso mit einem gelben „Judenstern“ an einer Autobahnbrücke aufgehängt und daneben eine Bombenattrappe platziert worden war. An der Puppe war ein Fingerabdruck von Böhnhardt gefunden worden.

Die Beamten konnten sich an die Vernehmungen vor 18 Jahren nicht mehr wirklich erinnern, schilderten aber bestimmt einige Eindrücke, die sie damals gewonnen hatten. So konnte sich eine Beamtin, die Zschäpe zunächst vernommen hatte, noch erinnern, dass diese damals einen sehr „aufgeräumten“ Eindruck gemacht habe – Zschäpe wusste demnach genau, was sie sagen wollte und was nicht, und stand offen zu ihrer „rechtsgerichteten“ Gesinnung. Der zweite Beamte, in dessen Vernehmung Zschäpe Böhnhardt ein Alibi gegeben hatte, konnte sich noch deutlich an sein Gefühl erinnern, dass der Polizei hier von der Nazi-Szene Lügengeschichten aufgetischt wurden.

Des Weiteren wurde ein Nebenklägervertreter als Zeuge gehört. Er war von Hans-Ulrich Müller, der laut Anklage die Mordwaffe Ceska nach Thüringen gebracht hatte, am Rande der Vernehmung Müllers und seines Bekannten in der Schweiz angesprochen worden. Müller hatte dabei behauptet, die Waffe sei von dem Schweizer Waffenhändler an einen anderen Mann aus Jena verkauft worden, der gute Kontakte zur Neonazi-Szene gehabt habe. Müller meinte, er könne das auch beweisen, weigerte sich aber, dies gegenüber den Behörden zu tun, solange ihm keine Straffreiheit zugesichert werde.

Diese Vernehmung macht vor allem eins erneut deutlich: Die Angaben Müllers, der eine Beteiligung an der Beschaffung der Waffe abstreitet, der am selben Tag dem Schweizer Staatsanwalt die eine und dem Nebenklagevertreter eine ganz andere Geschichte erzählt, sind mehr als unglaubhaft. Dagegen sind die Angaben seines Bekannten, der Müller belastet hatte und dabei ja auch zu den Kontakten Müllers nach Thüringen usw. ausgesagt hatte, stimmig und schlüssig.

21.10.2014

Generalbundesanwalt zaubert eine Vernehmung aus dem Nichts hervor – Zeugenbefragung unterbrochen

Die von der Nebenklage bereits mehrfach angeforderte Ermittlungsakte „gegen Unbekannt“ ist immer wieder für Überraschungen gut. In jenem Verfahren wird gegen weitere der Unterstützung des NSU verdächtige Personen ermittelt. Die Bundesanwaltschaft führt alle Ermittlungen, die den im Prozess beim Münchner OLG beteiligten Parteien nicht bekannt werden sollen, in diesem Verfahren und behauptet dann bei Nachfragen, sie seien für das Münchener Verfahren nicht relevant oder eine Akteneinsicht würde die Ermittlungen gefährden. In diesem Verfahren fanden sich schon in der Vergangenheit so interessante Dinge wie Vernehmungen des ehemaligen V-Mannes Michael See und des letzte Woche vernommenen Hammerskins Thomas Gerlach.

Und auch am heutigen Verhandlungstag wurde diese „Unbekannt“-Akte wieder interessant. Mitten in der Vernehmung der ehemaligen Freundin des Schweizers Müller, der die Mord-Ceska nach Deutschland geliefert haben soll, fragte Bundesanwalt Diemer den Vorsitzenden Götzl, ob er denn die Vernehmung der Zeugin vom 18.6.2014 nicht kenne. Die kannte Götzl nicht – sie war ja auch erst am Vormittag von Karlsruhe aus an die Vertreter der Bundesanwaltschaft in München geschickt worden. Daraufhin musste die Vernehmung der Zeugin unterbrochen werden, denn die Prozessbeteiligten müssen natürlich zunächst Gelegenheit haben, Kenntnis von dieser Vernehmung zu nehmen. Ein solcher Vorgang ist nicht nur wegen der Verzögerung des Prozesses relevant, die ja immer mal gerne den NebenklägervertreterInnen angehängt wird, wenn sie „zu viele“ Fragen stellen. Insbesondere stellt sich aber die Frage, wie viele andere möglicherweise wichtige Vernehmungen und Ermittlungen die BAW noch in dieser „Unbekannt“-Akte bunkert, um sie geheim zu halten und nur nach Bedarf herauszugeben.

Diese Frage wurde auch am Nachmittag nochmals relevant. Eine Baden-Württemberger LKA-Beamtin stellte ihre Ermittlungen dar. Ausgehend von der 1998 neben den Bomben in der Garage gefundenen Telefonliste hatte sie mit ihren KollegInnen die Kontakte des Trios nach Baden-Württemberg ermittelt und war auf zahlreiche ZeugInnen gestoßen, die vor allem vor dem Abtauchen der Drei häufig mit diesen zusammengetroffen waren. Unter anderem hatte, so die Zeugin, eine Folgevernehmung ergeben, dass das Trio auch noch 1999 und 2001 in Ludwigsburg war. Auch diese Vernehmung liegt den Prozessbeteiligten nicht vor. Ein Informant des Verfassungsschutzes habe zudem angegeben, dass Mundlos mit ihm über Banküberfälle gesprochen habe. Auch diese Vernehmung ist offensichtlich in der „Unbekannt“-Akte verschwunden, weil der Generalbundesanwalt sie für „nicht relevant“ hält.

16.10.2014

Thomas Gerlach: frontale Aussageverweigerung erfolgreich – „Brüder Schweigen“

Dreimal musste der Zeuge Thomas Gerlach anreisen, um schließlich mit seiner Strategie der frontalen Aussageverweigerung über den Vorsitzenden Götzl zu obsiegen. Bereits in seinen Vernehmungen am 01.07.2014 und 10.07.2014 hatte Gerlach die klare Ansage gemacht, keine Angaben zur Organisation Hammerskins zu sagen – das sei mit seinem „Wertegefühl“ nicht vereinbar.

Der Vorsitzende Götzl hatte Gerlach in jedem Termin Ordnungsgelder und Ordnungshaft in Aussicht gestellt. Dabei wurde von der Verteidigung Wohlleben zwischenzeitlich ein vor zehn Jahren geführtes Strafverfahren gegen die Hammerskins angeführt, auf Grund dessen Gerlach ein Schweigerecht haben könnte.

Götzl hatte die Akten dieses Verfahrens beigezogen, sich aber offensichtlich nicht weiter damit auseinandergesetzt. Vom ersten Moment der Vernehmung an steuerte er nun auf die Verhängung von Beugehaft zu. Nach zeitraubenden Unterbrechungen verkündete er allerdings am frühen Nachmittag plötzlich, Gerlach habe ein umfassendes Schweigerecht zu allem, was die Hammerskins betreffen könnte.

Zu dieser Rechtsauffassung hätte der Vorsitzende bei rechtzeitiger Prüfung bereits im Juli kommen können. Nun bot er der Verteidigung Wohlleben Gelegenheit, sich ausführlich darzustellen, und Gerlach einen Triumph über den Senat. Zudem konnte Gerlach in der weiteren Befragung alle ihm unliebsamen Fragen der Nebenklage unter Verweis auf die Hammerskins unbeantwortet lassen.

Klar ist allerdings, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach dem Verbot von „Blood & Honour“ weiterhin in engem Kontakt zur Naziszene gestanden haben müssen. Sowohl der Angeklagte André Eminger, der sie seit ihrer Flucht nach Chemnitz unterstützte, als auch der Angeklagte Ralf Wohlleben hatten enge Kontakte zu den Hammerskins, die in dieser Zeit das von „Blood & Honour“ hinterlassene Vakuum füllten. Es liegt nahe, dass hier nach weiteren Unterstützern des NSU zu suchen ist.

Gekrönt war der Verhandlungstag davon, dass der Angeklagte Eminger seinen Gesinnungsgenossen mit einem T-Shirt grüßte, auf dem „Brüder schweigen – bis in den Tod“ prangte. „Brüder schweigen ist ein Zitat aus dem Treuelied der Waffen-SS und die Selbstbezeichnung der mörderischen Nazi-Terrororganisation „The Order“ aus den USA, die zahlreiche Überfälle und Morde begangen hatte und von „Blood & Honour“ wie von den Hammerskins verehrt wird. In einem solchen Shirt war am 29.07.2014 bereits der Bruder des Angeklagten, Maik Eminger, zum Prozess erschienen. Auf solche Art zeigt die Naziszene einerseits ihre Verbundenheit und macht sich andererseits über das Verfahren lustig. Umso notwendiger ist es, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu versuchen, das Unterstützernetzwerk und die Strukturen des NSU aufzudecken.

15.10.2014

Das NSU-Unterstützernetz: Chef von „Blood and Honour“ Sachsen verweigert die Aussage

Der ehemalige Chef von Blood and Honour Sachsen, Jan Werner, hat die Aussage verweigert, weil er sich bei wahrheitsgemäßer Aussage selbst belasten könnte. Werner hatte nicht nur mit all denjenigen „Blood and Honour“-Mitgliedern und SympathisantInnen eng zu tun, die den NSU unterstützt haben, er hatte auch selbst Telefonate zwischen den drei Untergetauchten und Ralf Wohlleben vermittelt. Nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme besteht die Vermutung, dass „B&H“ und der NSU jedenfalls bis zum Verbot von „B&H“, als diese im Blick der Strafverfolgung standen, fest zusammengearbeitet haben.

Werners Aussageverweigerung erschwert zwar die weitere Aufklärung des Unterstützernetzwerkes des NSU, erspart allen Beteiligten aber wenigstens eine weitere Zeugenvernehmung nach dem Motto „Ich weiß nix“. Frustrierend an dieser Prozesssituation ist erneut der Umstand, dass sich aus den Akten keine besondere Ermittlungstätigkeit der Bundesanwaltschaft gegen Werner ergibt. Auch das gegen ihn geführte Verfahren, dass ihm jetzt zum Schweigerecht verhilft, wird aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann still und heimlich eingestellt werden.

Im Anschluss wurden noch zwei Urteile gegen Uwe Böhnhardt aus 1997 sowie zwei Beschuldigtenvernehmungen Böhnhardts verlesen.

14.10.2014

Zum Mordvorsatz Zschäpes und zur „NSU/NSDAP“-CD

Der Verhandlungstag war vor allem geprägt von rechtlichen Bewertungen der Beweisaufnahme durch Erklärungen der Verteidigung, der Nebenklage und der Bundesanwaltschaft.

Die Erklärung der Nebenklage zum Zeugen Rothe machte deutlich, dass der nicht nur von der Strafverfolgung gegen das Trio wissen musste, als er sie bei sich wohnen ließ, sondern dass er auch weiter mit ihnen politisch zusammenarbeitete. Das Vertrauensverhältnis war so groß, dass er ihre Wohnung in Zwickau kannte, in der sie noch lange und während der von ihnen begangenen Mordserie wohnten. Die massive Unterstützung durch „Blood & Honour“ Chemnitz soll morgen durch die Vernehmung des „B&H“-Sektionsleiters für Sachsen, Jan Werner, weiter untersucht werden.

Die Verteidigung Zschäpe gab eine Erklärung ab zu den Vernehmungen der alten Dame, die durch den Brand in der Frühlingsstraße in Lebensgefahr kam, und zu den Vernehmungen der Polizeibeamten, die diese befragt hatten. Sie selbst hatte nach dem Brand gesundheitlich stark abgebaut und konnte nicht mehr befragt werden. Die Verteidigung meinte, der Senat habe dies zu verschulden, weil nicht frühzeitig genug alles Mögliche zur Vernehmung unternommen worden sei. Insbesondere weise eine Äußerung der Frau gegenüber einem Polizeibeamten darauf hin, dass eventuell Zschäpe vor oder nach der Brandlegung bei ihr geklingelt habe. Dazu habe die Verteidigung sie aber nicht mehr befragen können.

Die Verteidigung geht also anscheinend selbst davon aus, dass Zschäpe den Brand gelegt hat. Dabei hofft Zschäpe nun wohl, das Gericht werde wegen des behaupteten Klingelns davon ausgehen, dass sie keinen Tötungsvorsatz hatte, weil sie hoffte, die Frau sei nicht zu Hause. Eine solche Annahme ist allerdings abenteuerlich. Denn im Gegenteil würde das Klingeln zeigen, dass Zschäpe ganz genau wusste, dass die Frau mit großer Wahrscheinlichkeit zu Hause war. Da sie auch wusste, dass ihre Nachbarin gehbehindert war, also sowohl für den Weg zur Wohnungstür als auch für eine Flucht aus dem Hause lange brauchen würde, hielt sie also deren Tod für möglich und wahrscheinlich. Damit verstärkt die Behauptung, Zschäpe habe noch geklingelt, eher die Annahme eines Mordvorsatzes. Die Nebenklage stellte dies in wenigen Sätzen dar und löste damit bei Zschäpe sichtbare Reaktionen und Getuschel mit ihren Anwälten aus.

Die Bundesanwaltschaft nahm Stellung zum Verwertungswiderspruch der Verteidigung betreffend die 1998 in der Garage in Jena gefundenen Bomben der Gruppe, und erklärte, die Durchsuchung sei rechtmäßig gewesen, alle Ermittlungsergebnisse also verwertbar.

Schließlich nahm die Bundesanwaltschaft Stellung zu einem Beweisantrag der Nebenklage zu der anscheinend schon 2005 dem Verfassungsschutz übergebenen CD „NSU/NSDAP“ bezog. Die Annahme der Nebenklage, dass sich der Datenträger auf den NSU bezieht und damit 2005 die Existenz des NSU schon bekannt war, sei eine bloße Vermutung. Man führe intensive Ermittlungen, die durch eine Beweisaufnahme gefährdet würden. Bisher gehe man nicht von einem Zusammenhang zu den Angeklagten oder dem NSU aus. Diese Argumentation ist offensichtlich nicht haltbar und zeigt erneut, dass die Bundesanwaltschaft an einer Aufklärung der Taten des NSU weit weniger Interesse hat als am Verdecken behördlichen Versagens und dem Aufrechterhalten der These, der NSU habe aus drei Personen bestanden.

09.10.2014

Eine weitere Vernehmung zur Mordwaffe Ceska

Nach dem Schweizer Polizeibeamten gestern wurde heute ein Schweizer Staatsanwalt vernommen, der den Schweizer Hans-Ulrich Müller und dessen Bekannten vernommen hatte. Auch seine Vernehmung bestätigte das bisherige Beweisergebnis: Der Bekannte von Müller bestätigte, dass er Müller den Waffenerwerbsschein für 400 Franken verkauft habe und dass Müller angekündigt hatte, die Waffe nach Deutschland zu verkaufen, wo es für „gewisse Kreise“ schwierig sei, Waffen zu kaufen, mehr solle sein Bekannter besser nicht nachfragen. Müller stritt alles ab, verwickelte sich dabei allerdings in Widersprüche.

Wie auch gestern versuchte die Verteidigung Wohlleben heute in den Zeugen hineinzufragen, dass unzulässiger Druck auf den Bekannten Müllers ausgeübt worden sei. Wie auch gestern machte der Zeuge deutlich, dass ein solcher Druck nicht ausgeübt worden war – der Staatsanwalt hatte sogar eine „Konfrontationsbefragung“ mit Müller und seinem Bekannten angesetzt, um Müller zu erlauben, diesem Fragen zu stellen und so seine Angaben zu überprüfen.

Es bleibt also weiter bei der Feststellung von Anfang Juli 2014 (s. die Berichte vom 01.07.2014 und 03.07.2014): Zweifel an der Schuld Wohllebens sind in der Hauptverhandlung nicht erkennbar geworden.

08.10.2014

Mehr zur Mordwaffe Ceska

Heute wurde die Vernehmung des Schweizer Polizeibeamten zu Ende gebracht, der bereits vor zwei Wochen ausführlich zur Herkunft der NSU-Mordwaffe vernommen worden war. Er hatte den Schweizer Hans-Ulrich Müller, über den die Waffe nach Thüringen gelangte, und einen Bekannten Müllers, über dessen Waffenerwerbskarte Müller die Waffe erworben hatte, befragt.
Die Vernehmung ergab nichts wesentlich Neues (zum Inhalt s. die Berichte vom 16./17.09.2014 und 18.09.2014). Die Verteidigung Wohlleben widersprach erneut der Beweisverwertung und behauptete, auf die Schweizer Zeugen sei unzulässiger Druck ausgeübt worden – wofür es keine Anhaltspunkte gibt. Zudem beantragte die Verteidigung die Vernehmung zweier Schweizer Polizeibeamter, die ein Ermittlungsverfahren gegen die Inhaber des Waffenladens geführt hatten, von dem Müller die Waffe erwarb – es habe damals den Verdacht gegeben, diese hätten Waffen an Nichtberechtigte verkauft. An der Kette an Beweisen für die Herkunft der Ceska-Pistole und insbesondere für die Rolle Wohllebens, die der Senat vor einigen Wochen in seinem Haftfortdauerbeschluss dargestellt hat (s. die Berichte vom 01.07.2014 und 03.07.2014), kann natürlich auch dieser Antrag nichts ändern.

Am Rande der Verhandlung wurde erneut deutlich, dass die Naziszene Deutschlands den Prozess verhöhnt: Karl-Heinz Hoffmann, Begründer der gleichnamigen „Wehrsportgruppe“, tauchte vor dem Gerichtssaal auf und grüßte u.a. die Verteidigung Wohllebens freundlich.

07.10.2014

Erneut „Blood and Honour“ Chemnitz – erneut Leugnen und Verharmlosen

Erneut wurde heute der Chemnitzer Thomas Rothe vernommen, bei dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in ihrer Anfangszeit in Chemnitz, direkt nach ihrem Abtauchen, Unterschlupf gefunden hatten. Rothe versuchte weiterhin (vgl. die Berichte vom 01.04.2014 und vom 29.07.2014), alle Fragen mit dumpfem „kann mich nicht erinnern“ abzuwehren. Dies gelang ihm auch erneut, zumindest beim Vorsitzenden Richter Götzl, recht gut.

Die Verteidigung Zschäpe zeigte erneut, offensichtlich angetrieben durch die Unzufriedenheit ihrer Mandantin, etwas mehr an Aktivität und ließ dabei offensichtlich Wissen ihrer Mandantin einfließen. So hielt Rechtsanwältin Sturm dem Zeugen vor: „Nach meinen Erkenntnissen soll Herr Mundlos einmal mehrere Wochen bei Ihnen gewohnt haben.“ Rothe allerdings hatte nicht vor, zur Aufklärung beizutragen, und verneinte auch dies.

Immerhin führte Rothe auf Frage der Verteidigung Zschäpe aus, dass er nicht nur das Trio in Chemnitz aufgenommen hatte, sondern die drei auch in deren späteren Wohnungen in Chemnitz und in Zwickau mehrmals besucht hatte. Mit Mundlos alleine habe er sich in der gesamten Zeit, also über zwei Jahre lang, öfter getroffen, sie seien Freunde gewesen. Mundlos habe ihm auch ein paarmal bei Layoutproblemen am Computer geholfen – vermutlich bei Layouts seines eigenen Naziblättchens „Sachsens Glanz“ oder des „B&H“-Blattes White Youth.

Es war wieder mal der Nebenklage vorbehalten, die Einbindung des Zeugen in die militante Naziszene herauszuarbeiten. Rothe war in einem Zeitraum von zwei Jahren zumindest „Anwärter“ bei „Blood & Honour“, kannte die wichtigen Leute, beteiligte sich nicht nur an Konzerten, sondern auch am Layout von Publikationen. Durch sein eigenes Fanzine „Sachsens Glanz“, so schilderte er, wurden ihm viele andere Zeitschriften und Tonträger zugeschickt. Die in seinem Heft nachzulesenden Besprechungen von Fanzines und Musik zeigen eine Sammlung der aggressivsten, gewaltverherrlichenden neonationalsozialistischen Propaganda der damaligen Zeit.

An einer Stelle log Rothe nachweislich: mehrfach gab er an, er habe erst durch die Fernsehsendung „Kripo live“ am 22.02.1998 erfahren, dass „die Drei“ u.a. wegen dem Aufhängen einer Puppe gesucht wurden. Mit den dreien selbst habe er darüber nicht gesprochen. In der „Kripo Live“-Sendung, die in einer früheren Hauptverhandlung bereits vorgeführt wurde, taucht allerdings der Puppentorso an der Autobahnbrücke gar nicht auf.

Die nachfolgende Vernehmung eines Polizeibeamten, der Enrico Theile vernommen hatte, brachte nichts Neues.

Zum Abschluss gab die Nebenklage eine Erklärung zur Vernehmung Tino Brandt ab und betonte die Bedeutung von Brandts Aussage zur „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (vgl. Blog vom 30.09./01.10.2014).

Die Bundesanwaltschaft nahm Stellung zu Beweisanträgen der Nebenklage und erklärte sich mit der Vernehmung mehrerer Zeugen einverstanden. Dies betrifft insbesondere GndF-Kader Kai Dalek, der auch lange Jahre V-Mann des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz war.

30.09./01.10.2014

Zu Brandt’s V-Mann-Führern – und zur „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“

Diese Woche standen vor allem die Vernehmungen von drei V-Mann-Führern des THS-Führers Tino Brandt an. Sie waren vor der Vernehmung Brandts bereits in München befragt worden, waren aber allesamt noch einmal geladen worden – auch, weil sie zum Teil extrem schlecht auf die Befragung vorbereitet waren.

Dieses Bild setzte sich gestern und heute fort: Alle drei V-Mann-Führer konnten oder wollten sich an die Gespräche mit Brandt nicht mehr erinnern, auch auf Vorhalt ihrer damaligen Vermerke wollte sich bei keinem von ihnen eine rechte Erinnerung einstellen. Soviel also zum Umgang mit der „Top-Quelle“ Brandt. Zum Teil gewann man den Eindruck, dass die VS-Beamten ihre Aufgabe mit dem Verfassen und Abheften eines kurzen Vermerks zu den Gesprächen als erledigt ansahen.

Die Nebenklage beantragte, Kai Dalek als Zeugen zu laden. Dalek war Gründer des in den 90er Jahren wichtigen Rechnerverbundes „Thule-Netz“ sowie der für Thüringen zuständige „Führungskamerad“ der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdnF), dem Brandt anweisungsgemäß gemeldet hatte, dass ihn der Thüringer VS angefragt hatte. Dalek, damals selbst schon V-Mann des bayerischen VS, berichtete „seinem“ Dienst u.a. auch umfangreich über die Gewaltaffinität des Thüringer Heimatschutzes und Plänen Brandts von einer „militärischen“ Organisation nach Vorbild der SA . Brandt hatte in seiner Zeugenaussage ja wenig glaubhaft behauptet, der THS habe Gewalt abgelehnt.

Die Zeugenaussage Daleks wird aber auch relevant sein, weil er zu der Einbindung des THS in das bundesweite Netzwerk „GdnF“ Angaben machen kann. Die „GdnF“ war von führenden militanten Nazikadern aus Westdeutschland Mitte der 1980er nach den Verboten diversen Nazi-Parteien und -Gruppen gegründet worden als informelle, aber hierarchisch organisierte Kaderorganisation. Ziel war eine zentrale Organisation der Führungskader aller im Bundesgebiet tätigen Parteien und Kleinstgruppen. Mit schnellen Neugründungen zahlreicher Kleinstgruppen wurden die staatlichen Verbote umgangen, trotzdem wurde durch die GdnF gewährleistet, dass all diese Gruppen politisch in eine Richtung arbeiteten. Die GdnF propagierte den Nationalsozialismus als Ziel und als Mittel, dieses zu erreichen, neben dem politischen Kampf den Straßenterror nach SA-Vorbild sowie gezielten politischen Mord. Die GdnF war es auch, die sich frühzeitig für die Skinheadkultur öffnete und ab Mitte der 90er-Jahre die bundesweite und internationale Verbreiterung des „Blood & Honour“-Netzwerkes vorantrieb. Wenn klar ist, dass mindestens zwei im bzw. für den THS wichtige Personen, Brandt und Dalek, Kader des GdnF waren oder sich diesen unterordneten, dann liegt es nahe, dass der NSU politisch und praktisch aus diesem Netzwerk beeinflusst und unterstützt wurde. In der GdnF fanden sich jedenfalls zahlreiche Personen, die sowohl praktisch über die notwendige Erfahrung für Vorbereitung und Durchführung von Morden und Sprengstoffanschlägen verfügten als auch politisch ein Konzept von Morden gegen Migranten ohne Bekennerschreiben entwickeln konnten.