Schlagwort-Archive: Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front

28.07.2015

Lügen und Verharmlosen XV – die gewaltfreie Naziszene Thüringens in den 90ern

Der gesamte heutige Verhandlungstag wurde auf die Vernehmung eines Zeugen verwendet, der ab den frühen 90er Jahren bei den Jungen Nationaldemokraten, der NPD und im Thüringer Heimatschutz aktiv war. Der Zeuge war bis heute nicht vernommen worden, vermutlich, weil er seit 10 Jahren in Kuwait lebt. Die Ladung ging auf einen Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben zurück, der Zeuge sollte belastende Angaben zu Wohllebens Verstrickung in die Unterstützung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos widerlegen.

Tatsächlich lässt sich aus der Aussage des Zeugen nichts Relevantes für die Beweisaufnahme herausfiltern. Der Zeuge, offensichtlich immer noch in nazistische Ideologie und Terminologie verstrickt, bemühte sich zwar sichtlich, Zschäpe und Wohlleben zu entlasten, es wurde aber schnell deutlich, dass er dabei die Wahrheit nach Belieben verdrehte. Dabei mischte sich in seine erdichteten Geschichten zur Nazi-Szene und zur Rolle von Zschäpe und Wohlleben auch immer wieder eine glasklare Werbung für die neo-nationalsozialistische Ideologie. Weiterlesen

30.09./01.10.2014

Zu Brandt’s V-Mann-Führern – und zur „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“

Diese Woche standen vor allem die Vernehmungen von drei V-Mann-Führern des THS-Führers Tino Brandt an. Sie waren vor der Vernehmung Brandts bereits in München befragt worden, waren aber allesamt noch einmal geladen worden – auch, weil sie zum Teil extrem schlecht auf die Befragung vorbereitet waren.

Dieses Bild setzte sich gestern und heute fort: Alle drei V-Mann-Führer konnten oder wollten sich an die Gespräche mit Brandt nicht mehr erinnern, auch auf Vorhalt ihrer damaligen Vermerke wollte sich bei keinem von ihnen eine rechte Erinnerung einstellen. Soviel also zum Umgang mit der „Top-Quelle“ Brandt. Zum Teil gewann man den Eindruck, dass die VS-Beamten ihre Aufgabe mit dem Verfassen und Abheften eines kurzen Vermerks zu den Gesprächen als erledigt ansahen.

Die Nebenklage beantragte, Kai Dalek als Zeugen zu laden. Dalek war Gründer des in den 90er Jahren wichtigen Rechnerverbundes „Thule-Netz“ sowie der für Thüringen zuständige „Führungskamerad“ der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdnF), dem Brandt anweisungsgemäß gemeldet hatte, dass ihn der Thüringer VS angefragt hatte. Dalek, damals selbst schon V-Mann des bayerischen VS, berichtete „seinem“ Dienst u.a. auch umfangreich über die Gewaltaffinität des Thüringer Heimatschutzes und Plänen Brandts von einer „militärischen“ Organisation nach Vorbild der SA . Brandt hatte in seiner Zeugenaussage ja wenig glaubhaft behauptet, der THS habe Gewalt abgelehnt.

Die Zeugenaussage Daleks wird aber auch relevant sein, weil er zu der Einbindung des THS in das bundesweite Netzwerk „GdnF“ Angaben machen kann. Die „GdnF“ war von führenden militanten Nazikadern aus Westdeutschland Mitte der 1980er nach den Verboten diversen Nazi-Parteien und -Gruppen gegründet worden als informelle, aber hierarchisch organisierte Kaderorganisation. Ziel war eine zentrale Organisation der Führungskader aller im Bundesgebiet tätigen Parteien und Kleinstgruppen. Mit schnellen Neugründungen zahlreicher Kleinstgruppen wurden die staatlichen Verbote umgangen, trotzdem wurde durch die GdnF gewährleistet, dass all diese Gruppen politisch in eine Richtung arbeiteten. Die GdnF propagierte den Nationalsozialismus als Ziel und als Mittel, dieses zu erreichen, neben dem politischen Kampf den Straßenterror nach SA-Vorbild sowie gezielten politischen Mord. Die GdnF war es auch, die sich frühzeitig für die Skinheadkultur öffnete und ab Mitte der 90er-Jahre die bundesweite und internationale Verbreiterung des „Blood & Honour“-Netzwerkes vorantrieb. Wenn klar ist, dass mindestens zwei im bzw. für den THS wichtige Personen, Brandt und Dalek, Kader des GdnF waren oder sich diesen unterordneten, dann liegt es nahe, dass der NSU politisch und praktisch aus diesem Netzwerk beeinflusst und unterstützt wurde. In der GdnF fanden sich jedenfalls zahlreiche Personen, die sowohl praktisch über die notwendige Erfahrung für Vorbereitung und Durchführung von Morden und Sprengstoffanschlägen verfügten als auch politisch ein Konzept von Morden gegen Migranten ohne Bekennerschreiben entwickeln konnten.

23.09.2014

V-Mann Brandt: den Verfassungsschutz haben Straftaten der Naziszene nicht interessiert

Zunächst wurden heute ein Polizeibeamter und ein Richter aus Zwickau befragt, die die alte Frau vernommen hatten, die nur durch Zufall unverletzt aus dem brennenden Haus in der Frühlingsstraße geholt wurde.

Die Verteidigung Zschäpe versuchte mit großem Aufwand, die richterliche Vernehmung als fehlerhaft darzustellen, obwohl sich aus dieser lediglich ergibt, dass die alte Dame nicht mehr aussagefähig war. Dem Vernehmungsbeamten, der die Frau kurz nach der Tat vernommen hatte, versuchten die Zschäpe-Verteidiger eine Bestätigung zu entlocken, dass Zschäpe beim Verlassen des Hauses noch kurz bei der alten Dame geklingelt hatte. Juristisch könnte eine solche Feststellung allerdings nur ergeben, dass Zschäpe davon ausging, dass die alte Frau zu Hause war – und damit in dem Bewusstsein handelte, dass die alte Frau sterben könnte. Ein strafbefreiender Rücktritt kann aus einem einfachen Klingeln an der Haustür jedenfalls nicht abgeleitet werden.

Die Vernehmung des Zeugen Tino Brandt wird planmäßig morgen fortgesetzt. Wir werden morgen zusammenfassend berichten. Berichtenswert sind allerdings bereits zwei Aussagen des langjährigen V-Mannes Brandt, die deutlich machen, wie der Verfassungsschutz in Deutschland arbeitet, wenn es um Nazis geht.

Zu seiner „Nachrichtenehrlichkeit“ gab Brandt an, er habe sich in den Gesprächen mit dem LfV nicht weiter zu Straftaten geäußert. Den Verfassungsschutz habe das auch nicht interessiert, für den sei die Aufklärung von „Diskoschlägereien“ nicht interessant gewesen und habe nie nach Straftaten der Naziszene gefragt.

Außerdem habe er bereits in den frühen 1990ern einen „Führungskameraden“ aus der militanten Neonazi-Szene gehabt, dem er beispielsweise das Anwerbegespräch mit dem Thüringer LfV melden musste. Sein Führungskamerad sei Kai Dalek gewesen, von dem heute bekannt ist, dass er selbst V-Mann des Landesamtes Bayern war. Dalek sei Teil des bundesweiten Netzwerkes „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GdnF) unter Führung des Hamburger Neonazis Christian Worch gewesen und innerhalb der GdnF für die „Führung“ der Thüringer Szene zuständig gewesen.

Die deutschen Verfassungsschutzämter haben mehr als ein Jahrzehnt lang behauptet, es gäbe keinerlei bundesweite Organisation der militanten Neonaziszene, die im Hintergrund der verschiedenen Parteien die Aktivitäten koordiniert habe. Antifaschistische Gruppen hatten immer wieder auf die Bedeutung der GdnF hingewiesen. Die Vernehmung heute bewies erneut, dass sie hiermit Recht hatten – selbst Gruppen wie Blood and Honour wurden aus diesem im Hintergrund wirkenden Netzwerk heraus beeinflusst und gesteuert.