Schlagwort-Archive: Tino Brandt

05.07.2016

Zu Knastgesprächen des Zeugen und ehemaligen V-Mannes Tino Brandt

Heute berichtete zunächst ein Waffensachverständiger vom BKA, der die Mordwaffe Ceska behandelt hatte – an der Waffe war die Seriennummer entfernt worden, er machte sie wieder sichtbar.

Es folgte die Aussage eines Mannes, der mit THS-Führer Tino Brandt nach dessen Aussagen im NSU-Prozess ein Gespräch in der Justizvollzugsanstalt München geführt hatte und der den Inhalt dieses Gesprächs dem Gericht mitgeteilt hatte.

Brandt erzählte ihm danach, er habe bei der ersten Zeugenladung eine Krankheit vorgetäuscht, um nicht aussagen zu müssen, machte sich dabei lustig über das Verfahren und das Gericht – tatsächlich waren die Verhandlungstage am 12. und 13.02.2014, an denen Brandt geladen worden war, wegen einer angeblichen Erkrankung Brandts abgesagt worden. Weiterlesen

07.06.2016

Ein weiterer gescheiterter Vorstoß der Verteidigung Wohlleben – erneute Vernehmung des V-Mannes Tino Brandt

Einziger Zeuge heute war der ehemalige „Thüringer Heimatschutz“-Führer und V-Mann Tino Brandt. Er hatte bereits im Jahr 2014 mehrere Tage in München ausgesagt (vgl. die Berichte vom  15.07.2014, 16.07.2014, 23.09.2014 und 24.09.2014). Er war heute auf Antrag der Verteidigung Wohlleben erneut geladen, um Fragen zur Bezahlung der Mordwaffe Ceska zu beantworten.
Die Verteidigung wollte auf diese Weise Zweifel an der Angabe des Angeklagten Carsten Schultze wecken, er habe das Geld für die Waffe von Ralf Wohlleben erhalten. Wie die Angaben des wahrlich alles andere als glaubwürdigen Brandt hierbei hilfreich sein sollten, dürfte das Geheimnis der Verteidigung bleiben. Und tatsächlich ergab seine Aussage auch nichts Relevantes: Weiterlesen

13.05.2015

Wiederum zu den Raubüberfällen, und zur „Brauchtumspflege“ in der NS-Szene

Die erste Zeugin heute war eine sehr mutige Angestellte einer Sparkasse in Zwickau, die am 23.09.2003 von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos überfallen wurde. Obwohl einer der beiden ihr seine Pistole ins Gesicht schlug, seinen Komplizen laut fragte „soll ich sie erschießen?“, verschaffte sie den beiden keinen Zugang zum Tresor. Ihre Kollegin bestätigte den Ablauf, auch sie wurde von den Tätern gewaltsam zur Herausgabe von Geld aufgefordert, konnte aber nach kurzer Zeit fliehen.

Die beiden Täter entkamen mit einer Beute von knapp 500 €. Laut Anklage nutzten sie zur Flucht wieder Fahrräder und ein Wohnmobil – wie bei anderen Banküberfällen und auch den Morden.

Eine Polizeibeamtin berichtete zu den Ermittlungen nach dem 4.11.2011: In der NSU-Wohnung in der Frühlingsstraße wurden u.a. Waffen und Kleidungsstücke gefunden, die denen auf den Überwachungsvideos entsprachen, außerdem Schuhe passend zu einer Fußspur in der Filiale und eine Stadtkarte, auf der die Filiale markiert war. Das Wohnmobil war auf den Namen André Eminger gemietet worden, laut Anklage durch Eminger selbst. Weiterlesen

11.11.2014

Mehr Einblicke zu Tino Brandt und zum „Thüringer Heimatschutz“

Heute wurde erneut der hauptsächliche V-Mann-Führer von Tino Brandt, damals Führer des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, vernommen.
Vor allem ging es noch einmal um die Unterstützung der untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt durch Brandt und die anderen Mitglieder des THS. Die diversen „Deckblattmeldungen“ über Berichte Brandts bestätigten erneut, dass diverse „Kameraden“ aus Jena und Chemnitz in die Unterstützung eingebunden waren und das Landesamt schon damals genug Informationen hatte (Kontaktpersonen, Telefonnummern usw.), um die „Drei“ in Chemnitz zu suchen und zu finden.

Ansonsten glänzte der inzwischen pensionierte „Verfassungsschützer“ immer wieder mit Erinnerungslücken, vor allem, wenn es um das Verhalten des VS im Zusammenhang mit rechten Straftaten ging. Die Polizei hatte sich bekanntlich beschwert, dass der VS häufig Quellen vor bevorstehenden Durchsuchungen gewarnt hatte. Der Zeuge hatte im Untersuchungsausschuss des Bundestages noch geäußert, gegen Brandt seien ca. 30 Ermittlungsverfahren geführt worden, von denen keines zu einer Verurteilung geführt habe – aber damit könne man leben. Heute wollte er nicht mehr wissen, was er damit gemeint habe. Auch auf Vorhalte aus anderen Quellen, wonach das Thüringische Landesamt u.a. eine USA-Reise Tino Brandts finanziert habe, antwortete der Zeuge, er könne sich nicht erinnern.

Auch Fragen zu einem Anwerbevorgang mit dem Codenamen „Delhi“ – der Geburtsstadt des Angeklagten Carsten Schultze – wich der Zeuge aus und wollte sich nicht erinnern.
Deutlich wurde – erneut – dass zumindest das LfV Thüringen ein sehr enges, fast freundschaftliches Verhältnis zu ihren Naziquellen unterhielt. Brand musste nichts erzählen, was er nicht erzählen wollte. Im Übrigen war dem Amt völlig klar, dass zu den Unterstützern der drei Abgetauchten die „Blood & Honour“-Szene in Chemnitz zählte. Offensichtlich gab es keinen wirklichen Willen, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos festzunehmen und die militanten Nazistrukturen in Thüringen zu zerschlagen.

30.09./01.10.2014

Zu Brandt’s V-Mann-Führern – und zur „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“

Diese Woche standen vor allem die Vernehmungen von drei V-Mann-Führern des THS-Führers Tino Brandt an. Sie waren vor der Vernehmung Brandts bereits in München befragt worden, waren aber allesamt noch einmal geladen worden – auch, weil sie zum Teil extrem schlecht auf die Befragung vorbereitet waren.

Dieses Bild setzte sich gestern und heute fort: Alle drei V-Mann-Führer konnten oder wollten sich an die Gespräche mit Brandt nicht mehr erinnern, auch auf Vorhalt ihrer damaligen Vermerke wollte sich bei keinem von ihnen eine rechte Erinnerung einstellen. Soviel also zum Umgang mit der „Top-Quelle“ Brandt. Zum Teil gewann man den Eindruck, dass die VS-Beamten ihre Aufgabe mit dem Verfassen und Abheften eines kurzen Vermerks zu den Gesprächen als erledigt ansahen.

Die Nebenklage beantragte, Kai Dalek als Zeugen zu laden. Dalek war Gründer des in den 90er Jahren wichtigen Rechnerverbundes „Thule-Netz“ sowie der für Thüringen zuständige „Führungskamerad“ der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdnF), dem Brandt anweisungsgemäß gemeldet hatte, dass ihn der Thüringer VS angefragt hatte. Dalek, damals selbst schon V-Mann des bayerischen VS, berichtete „seinem“ Dienst u.a. auch umfangreich über die Gewaltaffinität des Thüringer Heimatschutzes und Plänen Brandts von einer „militärischen“ Organisation nach Vorbild der SA . Brandt hatte in seiner Zeugenaussage ja wenig glaubhaft behauptet, der THS habe Gewalt abgelehnt.

Die Zeugenaussage Daleks wird aber auch relevant sein, weil er zu der Einbindung des THS in das bundesweite Netzwerk „GdnF“ Angaben machen kann. Die „GdnF“ war von führenden militanten Nazikadern aus Westdeutschland Mitte der 1980er nach den Verboten diversen Nazi-Parteien und -Gruppen gegründet worden als informelle, aber hierarchisch organisierte Kaderorganisation. Ziel war eine zentrale Organisation der Führungskader aller im Bundesgebiet tätigen Parteien und Kleinstgruppen. Mit schnellen Neugründungen zahlreicher Kleinstgruppen wurden die staatlichen Verbote umgangen, trotzdem wurde durch die GdnF gewährleistet, dass all diese Gruppen politisch in eine Richtung arbeiteten. Die GdnF propagierte den Nationalsozialismus als Ziel und als Mittel, dieses zu erreichen, neben dem politischen Kampf den Straßenterror nach SA-Vorbild sowie gezielten politischen Mord. Die GdnF war es auch, die sich frühzeitig für die Skinheadkultur öffnete und ab Mitte der 90er-Jahre die bundesweite und internationale Verbreiterung des „Blood & Honour“-Netzwerkes vorantrieb. Wenn klar ist, dass mindestens zwei im bzw. für den THS wichtige Personen, Brandt und Dalek, Kader des GdnF waren oder sich diesen unterordneten, dann liegt es nahe, dass der NSU politisch und praktisch aus diesem Netzwerk beeinflusst und unterstützt wurde. In der GdnF fanden sich jedenfalls zahlreiche Personen, die sowohl praktisch über die notwendige Erfahrung für Vorbereitung und Durchführung von Morden und Sprengstoffanschlägen verfügten als auch politisch ein Konzept von Morden gegen Migranten ohne Bekennerschreiben entwickeln konnten.

30.09.2014

Heute wurden zwei V-Mann-Führer des Neonazis Tino Brandt vernommen und erste Erklärungen der Prozessbeteiligten zu dessen Zeugenaussage in der vergangenen Woche abgegeben. Morgen folgen ein dritter V-Mann-Führer und weitere Erklärungen zu Brandts Aussage.

Wir berichten morgen zusammenfassend.

24.09.2014

Zur Vernehmung des V-Mannes und THS-Gründers Tino Brandt – und dazu, was den Verfassungsschutz interessiert und was nicht.

Der letzte Tag der Vernehmung von Tino Brandt zeigte noch einmal die gesamte Dimension des NSU-Verfassungsschutzskandals. Von 1995 bis zu seiner Enttarnung im Jahr 2001 berichtete Brand als „beste“, wichtigste“, „bedeutendste“, als „Top-“Quelle des Amtes. In dieser Zeit lernte der schmierige Informant, der sich noch heute zur Naziideologie bekannt, immer so viel überprüfbare Angaben zu machen, dass diese noch als „Informationen“ gelten konnten, und gleichzeitig nur zu erzählen, was er für richtig hielt und was die lokale und überregionale Naziszene nicht gefährdete. Im Gegenteil: mindestens umgerechnet 140.000 € an staatlichen Geldern erhielt er und verwandte einen großen Teil davon zum Ausbau der von ihm geführten Naziorganisationen.

Welche Bedeutung die Zahlungen an Brandt hatten, erfragte Wohlleben-Verteidiger RA Klemke genüsslich: ja, so Brandt, staatliche Gelder seien verwendet worden, um NPD-Mitgliedsbeiträge zu bezahlen und damit Mehrheiten im NPD-Landesverband zur Durchsetzung einer bestimmten Politik zu beeinflussen. Dass diese Fragen wohl weniger der Verteidigung Wohllebens als der Verteidigung der NPD im laufenden Verbotsverfahren dienen, zeigt einmal mehr die Verbundenheit Wohllebens und seiner Verteidigung zur NPD. Natürlich wird es auch in dem laufenden Verfahren eine Rolle spielen, dass die Radikalisierung der NPD zum Teil durch V-Männer erfolgte. Brandt machte es offensichtlich Spaß, wieder einmal Politik zu machen.

Weiter berichtete er, der VS habe schon im Anwerbegespräch deutlich gemacht, dass er sich überhaupt nicht für Straftaten aus der Naziszene, sondern nur für Demonstrationen und Führungspersonal interessiere. Er habe Informationen geliefert, die das Amt auch auf anderem Wege einfach hätte herausfinden können. Diese Angaben sind absolut glaubhaft. Aus der Akte des Münchener Verfahrens ergibt sich, dass keine der Angaben Brandts zur Aufdeckung von Straftaten oder gar zu Festnahmen geführt hat. Selbst als Brandt angab, dass er demnächst an einer bestimmten Telefonzelle von den drei Untergetauchten, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos angerufen werden sollte, eine Telefonüberwachung der Zelle also direkt zu dem Trio geführt hätte, unterblieb ein Versuch der Festnahme.

Wenn Brandt jetzt angibt, er und seine Kameraden hätten nur legale politisch Arbeit gemacht, ist seine Lüge offensichtlich: als Spiritus Rector gründete Brandt, damals schon eingebunden in eine bundesweite Struktur militanter Neonazis, die „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, zunächst die „Anti-Antifa Ostthüringen“ und später den „Thüringer Heimatschutz“. Aus diesen Organisationen heraus werden „Feindadressen“ von vermeintlichen politischen Gegnern gesammelt, Hetzpropaganda betrieben und massenhaft und massiv Gewalt gegen politische Gegner ausgeübt. Ein anderer V-Mann betont, Brandt sei in Teilen der Naziszene als „Brandtstifter“ bezeichnet worden. Noch heute ist er stolz, wenn er von Schießübungen in Südafrika oder Frankreich berichtet.

Das Gericht hielt sich mit Fragen an Tino Brandt zurück. Es gab sich mit ausführlichen Schilderungen davon zufrieden, wie Brandt nach dem Abtauchen des Trios selbst und mit anderen Spenden sammelte und wie der oben genannte Telefontermin verabredet wurde. Die Bundesanwaltschaft stellte – wie zu erwarten – gar keine Fragen, ganz ihrer Linie folgend, die Anklage still und leise und ohne jegliche Kritik an Verfassungsschutz und Polizei abzuarbeiten.

Nur die Nebenklage arbeitete heraus, dass hier ein überzeugter Nazi nur erzählt, was er will und immer noch versucht, alle an der Nase herumzuführen. Sie setzt sich damit natürlich der Kritik aus, eine Verurteilung Zschäpes zu erschweren. Abgesehen davon, dass diese Gefahr weit überschätzt sein dürfte – eine einfachere Verurteilung darf ohnehin nicht um den Preis erkauft werden, dass politisch Verantwortliche sowie weitere Unterstützer und Mitglieder des NSU geschützt werden.

Abschließend stellt sich die Frage, warum der V-Mann Brandt so lange im Dienst des VS tätig sein konnte, obwohl er nur Belanglosigkeiten ablieferte. Dies ist wohl auch mit der innenpolitischen Situation in Thüringen während seiner Tätigkeit zu erklären. Regierung und Innenministerium waren von einem aggressiven Antikommunismus geprägt. Eine ausdrücklich gegen rechte Straftaten gegründete Polizeieinheit, die auch die Aufgaben hatte, Strukturen rechter Zusammenschlüsse zu beobachten, wurde aufgelöst. Nazigruppen wurden systematisch verharmlost, AntifaschistInnen politisch verfolgt. Der Pfarrer Lothar König mit seiner Jungen Gemeinde, die jahrelang vom Thüringer Heimatschutz angegriffen wurden, galten mehr als Störenfriede als die späteren Nazimörder. Die Brandanschläge und Pogrome gegen Nichtdeutsche wurden als Argument für die Abschaffung des Asylrechts genutzt.

Diese Politik wird heute, nicht nur mit dem unsäglichen Strafprozess gegen König wegen seines Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden, fortgeführt. Bis heute wird die V-Mann-Politik der Verfassungsschutzbehörden aufrecht erhalten, werden damit Nazigruppen mit staatlichem Geld und staatlich bezahlten Funktionären versorgt. Und auch heute wird die rassistische Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge fortgesetzt. Eine Antwort auf die Verbrechen des NSU und die staatliche Mitverantwortung hierfür dagegen wäre es, endlich das Wahlrecht für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, auch für die Bundestagswahl, einzuführen. Ein solcher Schritt wäre eine erste Konsequenz aus dem Skandal, die hinausgeht über bloße Lippenbekenntnisse oder eine Ausweitung der Befugnisse der Behörden, denen bei der Umsetzung ihrer Befugnisse nicht ansatzweise zu trauen ist.

Doch der deutsche Staat greift nur dann hart gegen politische Mörder durch, wenn dies die politische Stimmung in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft befeuert. Während die Strafverfahren gegen die Strukturen, die den NSU unterstützt haben, weiter auf Eis gelegt sind, wird nunmehr diskutiert, die Personalausweise mutmaßlicher „Islamisten“ optisch zu kennzeichnen, damit diese das Land nicht verlassen können.

Hunderte von „Nichtdeutschen“ wurden in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland von Nazis und Rassisten erschlagen, verbrannt, erschossen oder auf andere Weise ermordet, Hunderte mehr schwer verletzt. Der deutsche Staat aber sieht die wahre Gefahr nach wie vor bei den MigrantInnen.

23.09.2014

V-Mann Brandt: den Verfassungsschutz haben Straftaten der Naziszene nicht interessiert

Zunächst wurden heute ein Polizeibeamter und ein Richter aus Zwickau befragt, die die alte Frau vernommen hatten, die nur durch Zufall unverletzt aus dem brennenden Haus in der Frühlingsstraße geholt wurde.

Die Verteidigung Zschäpe versuchte mit großem Aufwand, die richterliche Vernehmung als fehlerhaft darzustellen, obwohl sich aus dieser lediglich ergibt, dass die alte Dame nicht mehr aussagefähig war. Dem Vernehmungsbeamten, der die Frau kurz nach der Tat vernommen hatte, versuchten die Zschäpe-Verteidiger eine Bestätigung zu entlocken, dass Zschäpe beim Verlassen des Hauses noch kurz bei der alten Dame geklingelt hatte. Juristisch könnte eine solche Feststellung allerdings nur ergeben, dass Zschäpe davon ausging, dass die alte Frau zu Hause war – und damit in dem Bewusstsein handelte, dass die alte Frau sterben könnte. Ein strafbefreiender Rücktritt kann aus einem einfachen Klingeln an der Haustür jedenfalls nicht abgeleitet werden.

Die Vernehmung des Zeugen Tino Brandt wird planmäßig morgen fortgesetzt. Wir werden morgen zusammenfassend berichten. Berichtenswert sind allerdings bereits zwei Aussagen des langjährigen V-Mannes Brandt, die deutlich machen, wie der Verfassungsschutz in Deutschland arbeitet, wenn es um Nazis geht.

Zu seiner „Nachrichtenehrlichkeit“ gab Brandt an, er habe sich in den Gesprächen mit dem LfV nicht weiter zu Straftaten geäußert. Den Verfassungsschutz habe das auch nicht interessiert, für den sei die Aufklärung von „Diskoschlägereien“ nicht interessant gewesen und habe nie nach Straftaten der Naziszene gefragt.

Außerdem habe er bereits in den frühen 1990ern einen „Führungskameraden“ aus der militanten Neonazi-Szene gehabt, dem er beispielsweise das Anwerbegespräch mit dem Thüringer LfV melden musste. Sein Führungskamerad sei Kai Dalek gewesen, von dem heute bekannt ist, dass er selbst V-Mann des Landesamtes Bayern war. Dalek sei Teil des bundesweiten Netzwerkes „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GdnF) unter Führung des Hamburger Neonazis Christian Worch gewesen und innerhalb der GdnF für die „Führung“ der Thüringer Szene zuständig gewesen.

Die deutschen Verfassungsschutzämter haben mehr als ein Jahrzehnt lang behauptet, es gäbe keinerlei bundesweite Organisation der militanten Neonaziszene, die im Hintergrund der verschiedenen Parteien die Aktivitäten koordiniert habe. Antifaschistische Gruppen hatten immer wieder auf die Bedeutung der GdnF hingewiesen. Die Vernehmung heute bewies erneut, dass sie hiermit Recht hatten – selbst Gruppen wie Blood and Honour wurden aus diesem im Hintergrund wirkenden Netzwerk heraus beeinflusst und gesteuert.

23.07.2014

Lügen und Verharmlosen VIII – Gewährsperson Andreas Rachhausen

Der Hauptverhandlungstag begann mit einer Mitteilung des Vorsitzenden, der für morgens geladene Zeuge habe angerufen, und mitgeteilt, er käme nicht, ihm sei unterwegs schwindelig geworden und er müsse jetzt erst einmal in ein Wirtshaus. Was Götzl wie einen Witz erzählte und was von den Medien auch so aufgenommen wurde, könnte allerdings einen ernsthaften Hintergrund haben: der Zeuge war mit Uwe Böhnhardt in einer kriminellen Jugendgruppe aktiv. Nachdem er gegenüber der Polizei eine Aussage gemacht hatte, ließ ihn die Gruppe nach einem Autounfall halbtot liegen. Im Krankenhaus liegend wurde er bedroht. Er hat offensichtlich erhebliche Folgen und Ängste zurückbehalten.

Anschließend wurde Andreas Rachhausen vernommen, der neben Tino Brandt eine maßgebliche Rolle im Thüringer Heimatschutz gespielt haben soll. Genau wie dieser gab er Informationen gegen Geld an den Verfassungsschutz, allerdings etwas lockerer angebunden, als „Gewährsperson“. Von dieser Tätigkeit sind allerdings nur zwei sogenannte Treff-Meldungen in den Akten, ob es weitere gibt, ob Meldungen vernichtet wurden, ist bislang unbekannt.

Rachhausen erschien mit seinem Zeugenbeistand, Rechts-Anwalt Jauch, der zuletzt am 8. Juli 2014 selbst als Zeuge aussagen musste.

In einer stundenlangen Befragung gab er zunächst gegenüber dem Vorsitzenden Götzl an, der THS sei nur ein Transparent gewesen, Strukturen hätten nicht bestanden, THS-Treffen in der Gaststätte Heilsberg habe er nur ein paar erlebt, dabei sei nur getrunken worden. Die Angeklagten und Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos kenne er gar nicht oder nur vom Sehen. Zu Nazis im Ausland habe er nie Kontakt gehabt. Er habe einmal auf Wunsch von Wohlleben und Kapke ein Fahrzeug abgeschleppt, genaueres wisse er dazu nicht. Tatsächlich war es das Fluchtfahrzeug des Trios bei ihrem Untertauchen.

Erst auf intensive Befragung der Nebenklage gab er zu, dass er gemeinsam mit anderen Nazis aus dem Umfeld von Böhnhardt sich von Spiegel-TV bei Wehrsport- und Häuserkampfübungen hatte filmen lassen. Außerdem arbeitete er zur Hochzeit der THS-Treffen in der Gaststätte Heilsberg, war also fast immer dort. Im Jahr 1992 war er einer der Anmelder des Rudolph Hess-Marsches in Rudolstadt, der mit 1800 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und Nazis aus ganz Europa durchgeführt wurde. Als wegen gefährlicher Körperverletzung ein Haftbefehl gegen ihn erging, floh er nach Belgien, in die USA und nach Dänemark, wo er bei dem führenden Nazikader und Auschwitzleugner Thiess Christophersen Unterschlupf fand.

Von seiner Mitarbeit für den Verfassungsschutz habe er Brandt Mitteilung gemacht. In der Szene sei bekannt gewesen, dass „wenn vier Personen zusammensitzen, zwei davon für den Verfassungsschutz arbeiten“. Dies sei nicht schlimm gewesen, denn er habe dem Dienst ohnehin nur Belanglosigkeiten erzählt.

Rachhausens Vernehmung wird an einem weiteren Verhandlungstag fortgesetzt werden.

Während der gesamten Vernehmung wurde deutlich, dass Rachhausen log, um seine Rolle im THS und dessen wahre Bedeutung zu verharmlosen. Deutlich wurde aber auch, dass die Thüringer Naziszene Erfahrungen mit dem Untertauchen gesuchter Straftäter hatte und jedenfalls ab 1992 bundesweit und international gut vernetzt war. Der bewaffnete Kampf wurde offensichtlich diskutiert und trainiert und durch die Darstellung gegenüber der Presse propagiert. Die Nazis gebrauchten damit Gewalt im doppelten Sinne: Durch Überfälle, Körperverletzungen etc. einerseits und andererseits durch die einschüchternde Wirkung der öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellten Ankündigung bewaffneter Aktionen über die Presse oder durch Aufkleber.

Bereits Jahre vor den ersten Morden des NSU war also der Einsatz von Waffen gegen politische Feinde ganz normales Thema in der Thüringer Naziszene und dem THS. Der Verfassungsschutz wusste dies und bezahlte wichtige Protagonisten. Im Gegenzug erhielt er nutzlose Informationen.

Die Hauptverhandlung am Donnerstag, 24. Juli wurde abgesetzt. Die geplante Fortsetzung der Vernehmung des Thomas Gerlach konnte nicht stattfinden, weil mehrere Umzugskartons Ermittlungsakten eines Verfahrens gegen die Hammerskins wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie eines weiteren Verfahrens gegen Gerlach wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen werden konnten. Die Akten waren erst diese Woche beim OLG eingetroffen. Anhand dieser Akten muss geprüft werden, ob Gerlach möglicherweise die Aussage verweigern darf.