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13.01.2015

Weitere Vernehmung des Ex-V-Mannes Carsten Szczepanski.
Und: Die Front bröckelt – Beweisanträge der Verteidigung Wohlleben

Heute wurde zunächst die Befragung des Bombenermittlers beendet, der die Auswirkungen der Nagelbombe in der Kölner Keupstraße untersucht hatte.
Danach wurde die Vernehmung des ehemaligen V-Mannes Carsten Szczepanski fortgesetzt (zum Beginn seiner Vernehmung vgl. den Bericht vom 03.12.2014).

Die Befragung war wie zu erwarten zäh und schleppend, seine Erinnerung (oder sein Wille zur Erinnerung) an ehemalige Kameraden, Namen und Daten schlecht. Immerhin berichtete er relativ offen zur ideologischen Ausrichtung und Gewaltbereitschaft der Szene. Die Nebenklage fasste die Ergebnisse der Befragung des Zeugen in einer mündlichen Erklärung zusammen, die wir hier sinngemäß zusammenfassen. Deutlich wurde nicht nur die offene Werbung für rassistische Gewalttaten und den bewaffneten Kampf, die die gesamte Naziszene der 90er Jahre maßgeblich bestimmte. Vor allem lässt einen die Tatsache erschrecken, dass der Zeuge während seiner V-Mann-Tätigkeit genau diese politische Tätigkeit fortsetzte, ein extrem Weiterlesen

03.12.2014

Erster Teil der Vernehmung von V-Mann Carsten Szczepanski

Heute war als Zeuge Carsten Szczepanski geladen, ehemaliger Kader aus der Naziskinhead- und -musikszene und Informant des Verfassungsschutzes Brandenburg. Szczepanski befindet sich seit seiner Enttarnung als V-Mann im Jahr 2000 im Zeugenschutzprogramm, er erschien vor Gericht mit Perücke und mit einer Rechtsanwältin als Zeugenbeistand.

Er behauptete, Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nicht persönlich gekannt zu haben, Kontakte habe er aber zu „Blood & Honour“ Sachsen gehabt, v.a. zu den Eheleuten Probst. Im Gegensatz zu den „B&H“-Zeugen, die ihre Organisation als reine Konzertveranstalter von „Musikfreunden“ darzustellen versuchten, beschrieb Szczepanski „B&H“ zutreffend als „absolute Hardliner – da haben sich Menschen getroffen, die nationalsozialistisch, neonationalsozialistisch drauf waren und die daraus auch keinen Hehl gemacht haben.“

Befragt zu Waffenkäufen, sagte er aus, alle in der Szene hätten damals über Waffen geredet und wollten gerne Waffen haben – konkrete Erkenntnisse wollte er aber nicht haben. Er selbst sei auch nie konkret angesprochen worden – dabei wurde er wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt, zuletzt wegen Waffengeschäften mit weiteren Personen aus dem Umfeld von „B&H“ Sachsen.

Problematisch war, dass der Zeuge keine Erinnerung hatte bzw. haben wollte an jegliche Details zu seinen Berichten über „B&H“ Sachsen, Jan Werner und Antje Probst. Er gab aber an, dem LfV Brandenburg regelmäßig über seine Erkenntnisse berichtet zu haben, er gehe davon aus, dass diese Berichte zutreffend sind.

Die Befragung wurde am Nachmittag nach der Befragung durch den Vorsitzenden und die Verteidigung unterbrochen. Szczepanski muss also noch einmal anreisen und es gibt dann die Gelegenheit, nach der weiteren Vernehmung von Antje Probst und ihrem Ex-Ehemann die sich widersprechenden Angaben gegeneinander zu stellen.

Die Verteidigung Wohlleben stellte im Anschluss noch einen Antrag auf Aufhebung bzw. Aussetzung des Haftbefehls gegen ihren Mandanten. Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sei nicht mehr zulässig, da einerseits kein dringender Tatverdacht mehr vorliege und andererseits die U-Haft nicht mehr verhältnismäßig sei. Nachvollziehbare Zweifel am dringenden Tatverdacht – den der Senat ja zuletzt mit Beschluss vom 01.07.2017 ausdrücklich bejaht hat – wurden allerdings nicht vorgetragen, insbesondere die Behauptung, die Lieferkette der Ceska sei nicht lückenlos bewiesen, ist falsch. Es ist bekannt, dass die Mordwaffe, die bei den NSU-Mördern gefunden wurde, an den Waffenhändler in der Schweiz geliefert wurde. Es ist ein Lieferweg von der Schweiz nach Thüringen plausibel und nachvollziehbar ermittelt. Und zuletzt hat der Angeklagte Schultze glaubhaft dargestellt, dass er eine Waffe mit Schalldämpfer übernommen und an Wohlleben übergeben hat. Auf dieser Grundlage wurde bislang der dringende Tatverdacht angenommen und es sind auch weiter keine Zweifel hieran ersichtlich.

Die U-Haft, so Wohllebens Verteidigung weiter, sei nicht mehr verhältnismäßig, weil der Senat zu viel Zeit für „überflüssige“ Anträge der Nebenklage verschwende. Da die zuletzt durchgeführte Beweisaufnahme u.a. darauf zielt, festzustellen, ob sich die Szene, in der sich die schweigenden Angeklagten damals aufhielten, offen für Morde und Anschläge gegen MigrantInnen aussprach, ist sie nicht zuletzt auch für die Feststellung des Mordvorsatzes von Wohlleben notwendig, eine Prozessverzögerung stellt sie sicher nicht dar. Die Verteidigung will mit dem Haftantrag anscheinend eine weitere Aufklärung verhindern.

02.12.2014

VS-Informanten: „Leute, nicht die nicht nur berichten, sondern Leute, die etwas tun und dann darüber berichten“

Heute sagten zunächst zwei pensionierte Kriminalbeamte aus der Schweiz aus – die Verteidigung Wohlleben hatte beantragt, sie zu laden. Die Beamten hatten 1996 ein Strafverfahren gegen einen Deutschen geführt, der illegal mit in der Schweiz gekauften Waffen gehandelt hatte. Dabei hatte am Rande auch das Waffengeschäft eine Rolle gespielt, von dem der Schweizer Hans-Ulrich Müller die Mordwaffe Ceska hatte. Wie bereits berichtet, handelt es sich um ziemlich verzweifelte Versuche der Verteidigung, den Weg der Ceska in Frage zu ziehen – heute kam noch hinzu, dass die beiden Beamten gar nicht direkt mit dem Waffengeschäft zu tun hatten.

Nächster Zeuge war der Ex-Mann von Antje Probst, die letzte Woche zu „Blood & Honour“ Sachsen und deren Unterstützung der „Drei“ ausgesagt hat (s. den Bericht vom 20.11.2014).
Auch Probst stellte sich selbst als weitgehend unpolitisch und seine Kontakte zu anderen Kadern, z.B. Jan Werner von „B&H“, als „rein nachbarschaftlich“ dar. Von „politischen Spinnern“ habe er sich immer klar abgegrenzt. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos habe er gar nicht gekannt, über die Untergetauchten aus Thüringen sei zwar „getratscht“ worden, er wisse aber nicht von wem, das habe ihn auch nie interessiert. Bei der Polizei hatte er noch deutlich mehr Details geschildert – heute versucht er das damit zu erklären, die Polizeibeamten hätten ihn wegen des „hohen Erfolgsdrucks“, der auf ihnen gelastet hätte, „hochsuggestiv“ befragt.
Vergraben in diesen Märchen teilte Probst aber durchaus auch Eindrücke von der Szene mit, die der Wahrheit näher kommen dürften als vieles, was Szene-Zeugen bisher berichtet haben: So beschrieb er etwa die ihm bekannten V-Männer als „Aktiv-Kader“, als „Leute, nicht die nicht nur berichten, sondern Leute, die etwas tun und dann darüber berichten.“ So etwa Thomas Starke: „wo der nicht war, war nichts los“ – was wohl auch für die Unterstützung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in der ersten Zeit gelten dürfte. Auch die Beschreibung des Auftretens des „Thüringer Heimatschutzes“ als „martialisch“ und „erschreckend“ dürften viele BeobachterInnen des Prozesses teilen.

Über seine Ex-Frau wollte Probst zunächst gar nichts sagen, das sei ihm geraten worden, da seine Aussage sie belasten könnte – „könnte ja sein, dass sie was damit zu tun hatte.“ Das Gericht unterbrach daraufhin seine Unterbrechung, Probst soll in zwei Wochen noch einmal in Begleitung eines Zeugenbeistands erscheinen.

25.11.2014

Und noch einmal: Lieferweg der Ceska 83 und Wert der V-Leute-Aussagen

Zunächst wurde das Protokoll der im Rechtshilfewege in der Schweiz am 24.06.2014 durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Vernehmung des Zeugen Hans-Ulrich Müller verlesen. Müller hatte bei dieser Vernehmung, unter Wahrheitspflicht, keine Angaben zu einer angeblichen Täterschaft seiner Ex-Freundin oder anderer gemacht. Er hatte erneut bestritten, eine Ceska 83 über den Waffenerwerbsschein seines Schweizer Bekannten gekauft zu haben. Germann hatte dies aber in seiner Vernehmung wiederum so geschildert.

Danach wurde der Angeklagte Carsten Schultze nochmals zu den Angaben der V-Mannes Brandt und seines V-Mann-Führers Wießner befragt. Dem Vorsitzenden ging es offensichtlich darum, die Glaubwürdigkeit der Aussagen Brandts zu überprüfen. Brandt hatte unter anderem davon berichtet, Schultze habe erzählt, Geld für die drei Abgetauchten überwiesen zu haben. Carsten Schultze bestritt die Angaben Brandts, die ihn selbst noch stärker in die Nähe von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe rücken. Bei anderen Angaben gab Schultze an, keine Erinnerung mehr zu haben, wobei die Schilderungen Brandts durchaus zutreffen könnten.

Zuletzt wurde der als Anklagevertreter im Prozess anwesende Oberstaatsanwalt Weingarten als Zeuge vernommen – es ging um seine Befragung des Zeugen Enrico Theile im Ermittlungsverfahren. Dort hatte Theile u.a. angegeben, „die Waffen“ hätten ja alle „von Müller“ gestammt. Weil die ebenfalls anwesenden Polizeibeamten ausgesagt hatten, dass Weingarten zwischenzeitlich laut geworden sei, hatte die Verteidigung Wohlleben verbotene Vernehmungsmethoden behauptet. Weingarten schilderte die damalige Vernehmung so, wie sie auch im Protokoll festgehalten ist. Der Zeuge Theile kann mit Fug und Recht als „polizeierfahren“ bezeichnet werden, es wäre überraschend, wenn ein schreiender Staatsanwalt ihn in irgendeiner Weise beeindrucken könnte. Dies war dem Protokoll der Vernehmung – das Theile auch nicht unterschrieben hat – auch deutlich zu entnehmen.

Abschließend gaben die Verteidigung und die Nebenklage Erklärungen zur Befragung des V-Mannes Kai Dalek ab. Die Nebenklage machte in ihrer Erklärung noch einmal deutlich, welche Schlüsse aus Daleks Angaben zum Handeln der Verfassungsschutzbehörden zu ziehen sind:

„Dalek hat sich offensichtlich mit seiner Arbeit als faktisch hauptamtlicher Verfassungsschutzmitarbeiter voll identifiziert. Ein Eingeständnis, dass er und damit auch der bayerische Verfassungsschutz Kenntnis von der Existenz von Waffen, Sprengstoff, einer zunehmenden Militarisierung und Radikalisierung der Thüringer Neonaziszene im Allgemeinen und des „Thüringer Heimatschutzes“ im Speziellen gehabt haben, ohne dass entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet worden wären, würde ein schlechtes Licht auf seine und damit auch auf die Arbeit des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz werfen. Vor diesem Hintergrund ist auch das Verhalten des Zeugen Dalek zu bewerten, dass er auf alle konkreten Nachfragen und Vorhalte aus seinen polizeilichen Vernehmungen zu der Bildung eines militärischen Arms des Thüringer Heimatschutzes, zu Schießübungen, zu der Existenz von Waffen und Sprengstoff immer wieder auswich und seine damaligen Antworten versuchte zu relativieren.

Bestätigt hat Dalek hingegen die Angaben von Brandt, dass die jeweiligen Ämter für Verfassungsschutz ihre Mitarbeiter und V-Leute vor Strafverfolgung schützten. Auch Dalek hat ausgesagt, dass seine V-Mann-Führer ihm zugesagt hätten, ihn in Bayern vor Ermittlungsmaßnahmen schützen zu können, auf Thüringen aber keinen Einfluss hätten.

Der Zeuge hat weiter berichtet, dass seine Tätigkeit in der Neonaziszene mit seinen V-Mann-Führern in Bayern eng abgestimmt wurde. Er sollte unter anderem dafür sorgen, dass sich der Thüringer Heimatschutz nicht nach Franken ausweite, was er auch getan habe. Er sei weiter davon ausgegangen, dass auch Brandt seine politischen Aktionen und die Militarisierung mit dem Thüringer Amt abgestimmt habe.

Vor dem Hintergrund seiner Aussage ist davon auszugehen, dass bei dem bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz umfangreiche Berichte zu den Aktivitäten des Thüringer Heimatschutzes, innerhalb der Organisation geführte Strategiedebatten über Gewalt, Militarisierung, Aktionen u.ä. existieren.“

12.11.2014

V-Mann Kai Dalek – ein geschwätziger Wichtigtuer rudert zurück

Heute sagte zunächst ein BKA-Beamter aus, der Ermittlungen zum damaligen Chef von „Blood & Honour“ Sachsen, Jan Werner, durchgeführt hatte. Werner, Betreiber des Nazi- Labels „Movement Records“, hat vor dem OLG München die Aussage verweigert, weil er sich selbst belasten könnte. Die Sächsische „B&H“ Gruppe soll die gemeinsame Unterstützung des NSU mit Geld und Waffen beschlossen haben, Werner unter anderem versucht haben, von dem V-Mann Szczepanski eine Waffe zu besorgen.

Der Polizeibeamte hatte, wie beim BKA üblich, diverse Ermittlungen zusammengefasst, aber fast keine selbst vorgenommen. Er konnte also zwar einen guten Überblick über die Ermittlungsergebnisse zu liefern, aber keine selbst gewonnenen Erkenntnisse mitteilen. Die Verteidigung kritisierte die Vernehmung des Zeugen aus diesem Grund, obwohl es offensichtlich ist, dass das Gericht durch die Vernehmung zunächst einen Überblick über die Beweissituation gewinnen wollte.

Richtig ist, dass die wichtigen Zeugen bzw. Beweismittel aus seinem Bericht werden also durch Vernehmung bzw. Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. Die Nebenklage hat bereits mit mehreren Beweisanträgen deutlich gemacht, dass alle Mitglieder von „Blood & Honour“, die an der Unterstützung des NSU beteiligt gewesen sein können; wenn sie die Aussage verweigern, werden frühere Vernehmungen durch Befragung der Vernehmungsbeamten eingeführt werden. Das Kapitel „B&H“ ist also noch lange nicht abgeschlossen.

Der nächste Zeuge war Kai Dalek. Er wurde vor 1987 durch den Berliner Verfassungsschutz gegen Linke eingesetzt, von 1987 bis 1998 arbeitete er dann für das bayerische Landesamt. Er war eine wichtige Figur innerhalb der militanten bundesdeutschen Naziszene, unter anderem Koordinator der bundesweiten Rudolf Hess-Gedenkmärsche. Der deutlich über 1,90 Meter große, massige Mann, der inzwischen 50 Jahre alt ist, präsentierte sich als geschwätziger Wichtigtuer.

Bei zwei BKA-Vernehmungen während eines Haftaufenthaltes, bei denen er als Gegenleistung für eine Aussage Haftverbesserungen und vorzeitige Entlassung forderte, hatte er sehr konkrete Anschuldigungen gegen Tino Brandt erhoben, u.a. behauptet, dieser habe einen bewaffneten Arm des „Thüringer Heimatschutzes“ aufgebaut. In der Hauptverhandlung wollte Dalek dies so nicht bestätigen: er habe das nur geschlossen, weil Brandt bei einem Vorfall mit anderen THS-Mitgliedern Flaschen auf Polizeibeamte geworfen, militantes Auftreten gefördert und einmal eine Verabredung zum „Schießen“ getroffen habe. An weitere konkrete Anknüpfungspunkte für seine Schlussfolgerungen wollte er sich nicht erinnern.

Insgesamt wirkten diese Beschwichtigungsversuche völlig unglaubwürdig – offensichtlich wollte Dalek seine alten Nazistrukturen nicht stärker belasten. Deutlich wurde allerdings, dass die Unterlagen des bayerischen Verfassungsschutzes über die Meldungen von Dalek zur Überprüfung seiner Angaben beigezogen werden müssen. Zu einer Befragung durch die Nebenklage kam es nicht, weil die Verhandlung kurz nach 18.30 Uhr unterbrochen wurde. Am kommenden Mittwoch wird die Vernehmung fortgesetzt.

30.09./01.10.2014

Zu Brandt’s V-Mann-Führern – und zur „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“

Diese Woche standen vor allem die Vernehmungen von drei V-Mann-Führern des THS-Führers Tino Brandt an. Sie waren vor der Vernehmung Brandts bereits in München befragt worden, waren aber allesamt noch einmal geladen worden – auch, weil sie zum Teil extrem schlecht auf die Befragung vorbereitet waren.

Dieses Bild setzte sich gestern und heute fort: Alle drei V-Mann-Führer konnten oder wollten sich an die Gespräche mit Brandt nicht mehr erinnern, auch auf Vorhalt ihrer damaligen Vermerke wollte sich bei keinem von ihnen eine rechte Erinnerung einstellen. Soviel also zum Umgang mit der „Top-Quelle“ Brandt. Zum Teil gewann man den Eindruck, dass die VS-Beamten ihre Aufgabe mit dem Verfassen und Abheften eines kurzen Vermerks zu den Gesprächen als erledigt ansahen.

Die Nebenklage beantragte, Kai Dalek als Zeugen zu laden. Dalek war Gründer des in den 90er Jahren wichtigen Rechnerverbundes „Thule-Netz“ sowie der für Thüringen zuständige „Führungskamerad“ der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdnF), dem Brandt anweisungsgemäß gemeldet hatte, dass ihn der Thüringer VS angefragt hatte. Dalek, damals selbst schon V-Mann des bayerischen VS, berichtete „seinem“ Dienst u.a. auch umfangreich über die Gewaltaffinität des Thüringer Heimatschutzes und Plänen Brandts von einer „militärischen“ Organisation nach Vorbild der SA . Brandt hatte in seiner Zeugenaussage ja wenig glaubhaft behauptet, der THS habe Gewalt abgelehnt.

Die Zeugenaussage Daleks wird aber auch relevant sein, weil er zu der Einbindung des THS in das bundesweite Netzwerk „GdnF“ Angaben machen kann. Die „GdnF“ war von führenden militanten Nazikadern aus Westdeutschland Mitte der 1980er nach den Verboten diversen Nazi-Parteien und -Gruppen gegründet worden als informelle, aber hierarchisch organisierte Kaderorganisation. Ziel war eine zentrale Organisation der Führungskader aller im Bundesgebiet tätigen Parteien und Kleinstgruppen. Mit schnellen Neugründungen zahlreicher Kleinstgruppen wurden die staatlichen Verbote umgangen, trotzdem wurde durch die GdnF gewährleistet, dass all diese Gruppen politisch in eine Richtung arbeiteten. Die GdnF propagierte den Nationalsozialismus als Ziel und als Mittel, dieses zu erreichen, neben dem politischen Kampf den Straßenterror nach SA-Vorbild sowie gezielten politischen Mord. Die GdnF war es auch, die sich frühzeitig für die Skinheadkultur öffnete und ab Mitte der 90er-Jahre die bundesweite und internationale Verbreiterung des „Blood & Honour“-Netzwerkes vorantrieb. Wenn klar ist, dass mindestens zwei im bzw. für den THS wichtige Personen, Brandt und Dalek, Kader des GdnF waren oder sich diesen unterordneten, dann liegt es nahe, dass der NSU politisch und praktisch aus diesem Netzwerk beeinflusst und unterstützt wurde. In der GdnF fanden sich jedenfalls zahlreiche Personen, die sowohl praktisch über die notwendige Erfahrung für Vorbereitung und Durchführung von Morden und Sprengstoffanschlägen verfügten als auch politisch ein Konzept von Morden gegen Migranten ohne Bekennerschreiben entwickeln konnten.

24.09.2014

Zur Vernehmung des V-Mannes und THS-Gründers Tino Brandt – und dazu, was den Verfassungsschutz interessiert und was nicht.

Der letzte Tag der Vernehmung von Tino Brandt zeigte noch einmal die gesamte Dimension des NSU-Verfassungsschutzskandals. Von 1995 bis zu seiner Enttarnung im Jahr 2001 berichtete Brand als „beste“, wichtigste“, „bedeutendste“, als „Top-“Quelle des Amtes. In dieser Zeit lernte der schmierige Informant, der sich noch heute zur Naziideologie bekannt, immer so viel überprüfbare Angaben zu machen, dass diese noch als „Informationen“ gelten konnten, und gleichzeitig nur zu erzählen, was er für richtig hielt und was die lokale und überregionale Naziszene nicht gefährdete. Im Gegenteil: mindestens umgerechnet 140.000 € an staatlichen Geldern erhielt er und verwandte einen großen Teil davon zum Ausbau der von ihm geführten Naziorganisationen.

Welche Bedeutung die Zahlungen an Brandt hatten, erfragte Wohlleben-Verteidiger RA Klemke genüsslich: ja, so Brandt, staatliche Gelder seien verwendet worden, um NPD-Mitgliedsbeiträge zu bezahlen und damit Mehrheiten im NPD-Landesverband zur Durchsetzung einer bestimmten Politik zu beeinflussen. Dass diese Fragen wohl weniger der Verteidigung Wohllebens als der Verteidigung der NPD im laufenden Verbotsverfahren dienen, zeigt einmal mehr die Verbundenheit Wohllebens und seiner Verteidigung zur NPD. Natürlich wird es auch in dem laufenden Verfahren eine Rolle spielen, dass die Radikalisierung der NPD zum Teil durch V-Männer erfolgte. Brandt machte es offensichtlich Spaß, wieder einmal Politik zu machen.

Weiter berichtete er, der VS habe schon im Anwerbegespräch deutlich gemacht, dass er sich überhaupt nicht für Straftaten aus der Naziszene, sondern nur für Demonstrationen und Führungspersonal interessiere. Er habe Informationen geliefert, die das Amt auch auf anderem Wege einfach hätte herausfinden können. Diese Angaben sind absolut glaubhaft. Aus der Akte des Münchener Verfahrens ergibt sich, dass keine der Angaben Brandts zur Aufdeckung von Straftaten oder gar zu Festnahmen geführt hat. Selbst als Brandt angab, dass er demnächst an einer bestimmten Telefonzelle von den drei Untergetauchten, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos angerufen werden sollte, eine Telefonüberwachung der Zelle also direkt zu dem Trio geführt hätte, unterblieb ein Versuch der Festnahme.

Wenn Brandt jetzt angibt, er und seine Kameraden hätten nur legale politisch Arbeit gemacht, ist seine Lüge offensichtlich: als Spiritus Rector gründete Brandt, damals schon eingebunden in eine bundesweite Struktur militanter Neonazis, die „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, zunächst die „Anti-Antifa Ostthüringen“ und später den „Thüringer Heimatschutz“. Aus diesen Organisationen heraus werden „Feindadressen“ von vermeintlichen politischen Gegnern gesammelt, Hetzpropaganda betrieben und massenhaft und massiv Gewalt gegen politische Gegner ausgeübt. Ein anderer V-Mann betont, Brandt sei in Teilen der Naziszene als „Brandtstifter“ bezeichnet worden. Noch heute ist er stolz, wenn er von Schießübungen in Südafrika oder Frankreich berichtet.

Das Gericht hielt sich mit Fragen an Tino Brandt zurück. Es gab sich mit ausführlichen Schilderungen davon zufrieden, wie Brandt nach dem Abtauchen des Trios selbst und mit anderen Spenden sammelte und wie der oben genannte Telefontermin verabredet wurde. Die Bundesanwaltschaft stellte – wie zu erwarten – gar keine Fragen, ganz ihrer Linie folgend, die Anklage still und leise und ohne jegliche Kritik an Verfassungsschutz und Polizei abzuarbeiten.

Nur die Nebenklage arbeitete heraus, dass hier ein überzeugter Nazi nur erzählt, was er will und immer noch versucht, alle an der Nase herumzuführen. Sie setzt sich damit natürlich der Kritik aus, eine Verurteilung Zschäpes zu erschweren. Abgesehen davon, dass diese Gefahr weit überschätzt sein dürfte – eine einfachere Verurteilung darf ohnehin nicht um den Preis erkauft werden, dass politisch Verantwortliche sowie weitere Unterstützer und Mitglieder des NSU geschützt werden.

Abschließend stellt sich die Frage, warum der V-Mann Brandt so lange im Dienst des VS tätig sein konnte, obwohl er nur Belanglosigkeiten ablieferte. Dies ist wohl auch mit der innenpolitischen Situation in Thüringen während seiner Tätigkeit zu erklären. Regierung und Innenministerium waren von einem aggressiven Antikommunismus geprägt. Eine ausdrücklich gegen rechte Straftaten gegründete Polizeieinheit, die auch die Aufgaben hatte, Strukturen rechter Zusammenschlüsse zu beobachten, wurde aufgelöst. Nazigruppen wurden systematisch verharmlost, AntifaschistInnen politisch verfolgt. Der Pfarrer Lothar König mit seiner Jungen Gemeinde, die jahrelang vom Thüringer Heimatschutz angegriffen wurden, galten mehr als Störenfriede als die späteren Nazimörder. Die Brandanschläge und Pogrome gegen Nichtdeutsche wurden als Argument für die Abschaffung des Asylrechts genutzt.

Diese Politik wird heute, nicht nur mit dem unsäglichen Strafprozess gegen König wegen seines Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden, fortgeführt. Bis heute wird die V-Mann-Politik der Verfassungsschutzbehörden aufrecht erhalten, werden damit Nazigruppen mit staatlichem Geld und staatlich bezahlten Funktionären versorgt. Und auch heute wird die rassistische Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge fortgesetzt. Eine Antwort auf die Verbrechen des NSU und die staatliche Mitverantwortung hierfür dagegen wäre es, endlich das Wahlrecht für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, auch für die Bundestagswahl, einzuführen. Ein solcher Schritt wäre eine erste Konsequenz aus dem Skandal, die hinausgeht über bloße Lippenbekenntnisse oder eine Ausweitung der Befugnisse der Behörden, denen bei der Umsetzung ihrer Befugnisse nicht ansatzweise zu trauen ist.

Doch der deutsche Staat greift nur dann hart gegen politische Mörder durch, wenn dies die politische Stimmung in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft befeuert. Während die Strafverfahren gegen die Strukturen, die den NSU unterstützt haben, weiter auf Eis gelegt sind, wird nunmehr diskutiert, die Personalausweise mutmaßlicher „Islamisten“ optisch zu kennzeichnen, damit diese das Land nicht verlassen können.

Hunderte von „Nichtdeutschen“ wurden in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland von Nazis und Rassisten erschlagen, verbrannt, erschossen oder auf andere Weise ermordet, Hunderte mehr schwer verletzt. Der deutsche Staat aber sieht die wahre Gefahr nach wie vor bei den MigrantInnen.

23.09.2014

V-Mann Brandt: den Verfassungsschutz haben Straftaten der Naziszene nicht interessiert

Zunächst wurden heute ein Polizeibeamter und ein Richter aus Zwickau befragt, die die alte Frau vernommen hatten, die nur durch Zufall unverletzt aus dem brennenden Haus in der Frühlingsstraße geholt wurde.

Die Verteidigung Zschäpe versuchte mit großem Aufwand, die richterliche Vernehmung als fehlerhaft darzustellen, obwohl sich aus dieser lediglich ergibt, dass die alte Dame nicht mehr aussagefähig war. Dem Vernehmungsbeamten, der die Frau kurz nach der Tat vernommen hatte, versuchten die Zschäpe-Verteidiger eine Bestätigung zu entlocken, dass Zschäpe beim Verlassen des Hauses noch kurz bei der alten Dame geklingelt hatte. Juristisch könnte eine solche Feststellung allerdings nur ergeben, dass Zschäpe davon ausging, dass die alte Frau zu Hause war – und damit in dem Bewusstsein handelte, dass die alte Frau sterben könnte. Ein strafbefreiender Rücktritt kann aus einem einfachen Klingeln an der Haustür jedenfalls nicht abgeleitet werden.

Die Vernehmung des Zeugen Tino Brandt wird planmäßig morgen fortgesetzt. Wir werden morgen zusammenfassend berichten. Berichtenswert sind allerdings bereits zwei Aussagen des langjährigen V-Mannes Brandt, die deutlich machen, wie der Verfassungsschutz in Deutschland arbeitet, wenn es um Nazis geht.

Zu seiner „Nachrichtenehrlichkeit“ gab Brandt an, er habe sich in den Gesprächen mit dem LfV nicht weiter zu Straftaten geäußert. Den Verfassungsschutz habe das auch nicht interessiert, für den sei die Aufklärung von „Diskoschlägereien“ nicht interessant gewesen und habe nie nach Straftaten der Naziszene gefragt.

Außerdem habe er bereits in den frühen 1990ern einen „Führungskameraden“ aus der militanten Neonazi-Szene gehabt, dem er beispielsweise das Anwerbegespräch mit dem Thüringer LfV melden musste. Sein Führungskamerad sei Kai Dalek gewesen, von dem heute bekannt ist, dass er selbst V-Mann des Landesamtes Bayern war. Dalek sei Teil des bundesweiten Netzwerkes „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GdnF) unter Führung des Hamburger Neonazis Christian Worch gewesen und innerhalb der GdnF für die „Führung“ der Thüringer Szene zuständig gewesen.

Die deutschen Verfassungsschutzämter haben mehr als ein Jahrzehnt lang behauptet, es gäbe keinerlei bundesweite Organisation der militanten Neonaziszene, die im Hintergrund der verschiedenen Parteien die Aktivitäten koordiniert habe. Antifaschistische Gruppen hatten immer wieder auf die Bedeutung der GdnF hingewiesen. Die Vernehmung heute bewies erneut, dass sie hiermit Recht hatten – selbst Gruppen wie Blood and Honour wurden aus diesem im Hintergrund wirkenden Netzwerk heraus beeinflusst und gesteuert.

27.11.2013

Familie Zschäpe: Mutter schweigt, Cousin verschweigt

Mit dem Cousin und der Mutter Beate Zschäpes sollten heute Familienmitglieder einen Einblick in die Persönlichkeit und Entwicklung der Hauptangeklagten geben. Die Mutter berief sich allerdings auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Angehörige und verließ nach drei Minuten den Saal.

Anders der Cousin Zschäpes, Stefan A., der sich als spaßorientiertes Mitglied der Skinhead-Fraktion der Jenaer Naziszene beschreibt, der mit Politik kaum etwas zu tun hatte. „Die Musik stachelt einen halt auf, sagt das, was viele gedacht haben. Gegen den Staat, gegen Ausländer, gegen Linke, gegen Kommunismus“, beschreibt er die Stimmung in Jena Mitte der 1990er-Jahre. Beate Zschäpe sei auch dabei gewesen in der rechten Szene. Sie sei selbstbewusst gewesen. Ihr erster langjähriger Freund habe sich zwar auch „so“ gekleidet, sei aber nicht so anerkannt worden. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, mit denen Beate dann rumgezogen sei, seien an Nazimusik und Politik interessiert gewesen.

Er selbst bestreitet allerdings, eine Rolle in der Jenaer Naziszene gehabt zu haben. Auf Vorhalt des sogenannten Schäferberichts und von Berichten des LKA Thüringen, in denen er als eines der acht aktiven Mitglieder der „Kameradschaft Jena“ bezeichnet wird, spielt er seine Rolle herunter. Fast alle weiteren genaueren Nachfragen beantwortet er nun mit Gedächtnisproblemen – kaum Erinnerungen an gemeinsame Konzerte, an Reisen nach Nürnberg, Gespräche. Immerhin beschreibt er, dass Uwe Mundlos für die Jenaer „Kameraden“ den Briefkontakt zu dem inhaftierten Chemnitzer Nazi und späteren V-Mann Thomas Starke hielt und diesem auch vom Zeugen Grüße ausrichtete. Daran, dass es sich bei diesem Starke und einem weiteren Bekannten vermutlich um führende Kader von „Blood and Honour“ Chemnitz handelte, wollte er sich dann wieder nicht erinnern können. Der Zeuge folgt der offensichtlich für die Zeugen aus der Naziszene ausgegebenen Losung „alles vergessen!“ So muss er zwar nach Vorlage verschiedener Bilder zugeben, dass er an Ku Klux Klan-artigen Kreuzverbrennungen teilgenommen hat und sich mit dem sogenannten „Kühnengruß“, einem leicht abgewandelten Hitlergruß, hat fotografieren lassen – er behauptet aber, er habe nie gewusst, was dieser Gruß bedeutet.

Das Gericht lässt ihn gewähren, denn die für die Bestätigung der Anklage wichtigen Angaben hat er bereits gemacht: Beate Zschäpe war selbstbewusst, sie hatte ihre Männer im Griff und ließ sich nicht unterbuttern. Sie war gleichberechtigtes Mitglied der Naziszene um sie, Mundlos, Böhnhardt, Kapke, Gerlach und Wohlleben.

Seine Vernehmung wird morgen fortgesetzt. Die für morgen angesetzten Zeugen wurden abgeladen mit Ausnahme einer früheren Freundin des Angeklagten Eminger.