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08.01.2014

Ehepaar Scheidemantel – Lügen und Vergessen

Nachdem der Hauptverhandlungstag am 9.1. wegen der Krankmeldung eines Zeugen ausfiel, beschränkte sich der Prozess diese Woche auf den 8.1. An diesem Tag ging es erneut um die Krankenkassenkarte der Silvia Scheidemantel, die der Angeklagte Gerlach für 300 Euro von dem mit ihm befreundeten Ehepaar erhalten hatte, um Beate Zschäpe eine oder mehrere Arztbehandlungen zu ermöglichen. Die Ehefrau war hierzu bereits am 12. November vernommen worden. Nun sollte zuerst ihr Mann befragt und ihr im Anschluss weitere Fragen gestellt werden.

Alexander Scheidemantel ist ein langjähriger Freund und Kamerad des Angeklagten Holger Gerlach. Er war viele Jahre gemeinsam mit Gerlach in der Hannoveraner Naziszene aktiv und ist bis heute mit ihm befreundet. Scheidemantel bestätigte auf Nachfragen, dass er bis mindestens Ende 2004 aktiv war. Er sei damals Nationalsozialist gewesen, habe den Holocaust geleugnet, Juden abgelehnt und sei Ausländerfeind gewesen. So habe er auch Gerlach kennengelernt.

Eher aus Versehen offenbarte der Zeuge einiges zur Haltung der Neonazis zum deutschen Staat – und damit mittelbar zur Haltung des deutschen Staates zu den Neonazis –, als er bezogen auf sich und den Angeklagten Gerlach angab, sie haben (damals) die Gesellschaft so ändern wollen, dass sie eine nationalsozialistische wird, er habe sich aber nie angemaßt, den Staat ändern zu wollen. Auch wenn die letzte Äußerung sicher nur die eigene Tätigkeit verharmlosen sollte, wird dennoch deutlich, dass es der Naziszene in erster Linie darum geht, gesellschaftliche Stimmung in ihrem Sinne zu erzeugen, also beispielsweise die Ausgrenzung von Migranten voranzutreiben, und weniger darum, staatliche Institutionen, Macht gewaltsam zu übernehmen. Diese Grundhaltung führt dann auch dazu, dass militante Nazis von deutschen Sicherheitsbehörden systematisch in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt werden, da sie gerade diese Institutionen nicht in Frage stellen.

Zur Frage der Übergabe der AOK-Karte war der Zeuge allerdings weniger gesprächig, sondern stellte sich – letztlich erfolgreich – dumm. Er habe keine Erinnerung, er habe kein Gespräch über die Verwendung der Karte gegeben, er habe sich keine Gedanken gemacht. Auf die Nachfrage des Nebenklägervertreters Rechtsanwalt Hoffmann rutsche ihm allerdings doch raus, Gerlach habe ihm nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft mitgeteilt, die Karte sei für einen Arztbesuch von Beate Zschäpe gewesen. Diese Aussage versuchte er allerdings umgehend wieder zurückzunehmen, er habe sich das doch nur zusammengereimt.

Letztlich steht diese Aussage allerdings im Widerspruch zu der Tatsache, dass in der Wohnung des Trios ein Brillenpass, ein Bibliotheksausweis und weitere Unterlagen auf den Geburtsnamen der Silvia Scheidemantel – Roßberg – gefunden wurden, in denen private Daten eingetragen waren, die nur von ihr oder ihrem Ehemann stammen konnten. Es muss also ein intensiveres Gespräch gegeben haben. Der Vorsitzende Götzl nahm diese Widersprüche und das offensichtliche Vortäuschen von Erinnerungslücken allerdings hin, ohne den Druck auf den Zeugen zu erhöhen. Für Götzl scheint es ausreichend, dass nunmehr die Übergabe der Krankenkassenkarte feststeht. Die Bundesanwaltschaft drohte dem Zeugen immerhin die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Falschaussage an.

Die weitere Vernehmung der Ehefrau verlief kurz und ebenfalls ergebnislos. Wie stark die Eheleute in die Betreuung der untergetauchten NSU-Mitglieder verstrickt waren, bleibt unklar.

Nach Abschluss der Zeugenvernehmung stellte Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Hoffmann den Antrag, einen Zeugen zu vernehmen. Dieser gibt an, er habe im Jahr 2004 an den Angeklagten Ralf Wohlleben ein Werkzeug zur Überwindung von Wegfahrsperren von VW-Bussen beschafft und im Gegenzug eine Pistole erhalten. Die Mitglieder des NSU benutzten für ihre Straftaten u.a. VW-Busse, und bis heute sind nicht alle vom NSU genutzten Fahrzeuge ermittelt. Bisher wirft die Anklage Wohlleben nur die Beschaffung der Mordwaffe Ceska vor – das könnte sich nach der Zeugenaussage ändern. Das Gericht wird sich dabei nicht nur auf die Aussage des Zeugen verlassen müssen, denn nach seinen Angaben befindet sich die Waffe noch immer in einem Versteck, das er zeigen könnte.

28.11.2013

Weitere Vernehmung von Zschäpes Cousin

Heute ging die Vernehmung des Cousins von Beate Zschäpe, Stefan A., weiter. Auf einem Foto der erwähnten Kreuzverbrennung, bei der diverse Personen den „Kühnengruß“ zeigten, erkannte er u.a. die Angeklagten Wohlleben und Gerlach sowie André Kapke und Uwe Böhnhardt.

Seine Behauptung, ideologisch mit seiner rechten Vergangenheit abgeschlossen zu haben, widerlegte Nebenklägervertreter RA Narin: er präsentierte Bilder von der facebook-Seite des Zeugen u.a. mit der Forderung „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“, einem Wahlkampfslogan der NPD zur Bundestagswahl.

Nach einigen Fragen der Nebenklage folgte eine lange Befragung durch Zschäpe-VerteidigerInnen Heer und Sturm zu den Umständen seiner Zeugenvernehmung beim BKA und zweier Fernseh-Interviews – ohne erkennbares Ziel und ohne Ergebnis.

Zum Schluss des Sitzungstages verkündete der Vorsitzende noch einen Beschluss: Die Anträge der Nebenklage auf Beiziehung der Ermittlungsakte gegen VS-Mann und V-Mann-Führer Andreas Temme wurden abgelehnt, nur einige wenige Unterlagen wurden beigezogen. Temme und einer seiner V-Männer werden nächste Woche aussagen.

27.11.2013

Familie Zschäpe: Mutter schweigt, Cousin verschweigt

Mit dem Cousin und der Mutter Beate Zschäpes sollten heute Familienmitglieder einen Einblick in die Persönlichkeit und Entwicklung der Hauptangeklagten geben. Die Mutter berief sich allerdings auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Angehörige und verließ nach drei Minuten den Saal.

Anders der Cousin Zschäpes, Stefan A., der sich als spaßorientiertes Mitglied der Skinhead-Fraktion der Jenaer Naziszene beschreibt, der mit Politik kaum etwas zu tun hatte. „Die Musik stachelt einen halt auf, sagt das, was viele gedacht haben. Gegen den Staat, gegen Ausländer, gegen Linke, gegen Kommunismus“, beschreibt er die Stimmung in Jena Mitte der 1990er-Jahre. Beate Zschäpe sei auch dabei gewesen in der rechten Szene. Sie sei selbstbewusst gewesen. Ihr erster langjähriger Freund habe sich zwar auch „so“ gekleidet, sei aber nicht so anerkannt worden. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, mit denen Beate dann rumgezogen sei, seien an Nazimusik und Politik interessiert gewesen.

Er selbst bestreitet allerdings, eine Rolle in der Jenaer Naziszene gehabt zu haben. Auf Vorhalt des sogenannten Schäferberichts und von Berichten des LKA Thüringen, in denen er als eines der acht aktiven Mitglieder der „Kameradschaft Jena“ bezeichnet wird, spielt er seine Rolle herunter. Fast alle weiteren genaueren Nachfragen beantwortet er nun mit Gedächtnisproblemen – kaum Erinnerungen an gemeinsame Konzerte, an Reisen nach Nürnberg, Gespräche. Immerhin beschreibt er, dass Uwe Mundlos für die Jenaer „Kameraden“ den Briefkontakt zu dem inhaftierten Chemnitzer Nazi und späteren V-Mann Thomas Starke hielt und diesem auch vom Zeugen Grüße ausrichtete. Daran, dass es sich bei diesem Starke und einem weiteren Bekannten vermutlich um führende Kader von „Blood and Honour“ Chemnitz handelte, wollte er sich dann wieder nicht erinnern können. Der Zeuge folgt der offensichtlich für die Zeugen aus der Naziszene ausgegebenen Losung „alles vergessen!“ So muss er zwar nach Vorlage verschiedener Bilder zugeben, dass er an Ku Klux Klan-artigen Kreuzverbrennungen teilgenommen hat und sich mit dem sogenannten „Kühnengruß“, einem leicht abgewandelten Hitlergruß, hat fotografieren lassen – er behauptet aber, er habe nie gewusst, was dieser Gruß bedeutet.

Das Gericht lässt ihn gewähren, denn die für die Bestätigung der Anklage wichtigen Angaben hat er bereits gemacht: Beate Zschäpe war selbstbewusst, sie hatte ihre Männer im Griff und ließ sich nicht unterbuttern. Sie war gleichberechtigtes Mitglied der Naziszene um sie, Mundlos, Böhnhardt, Kapke, Gerlach und Wohlleben.

Seine Vernehmung wird morgen fortgesetzt. Die für morgen angesetzten Zeugen wurden abgeladen mit Ausnahme einer früheren Freundin des Angeklagten Eminger.