Archiv für den Monat: Januar 2015

29.01.2015

Verteidigung Zschäpe will Nebenklägervertreter rausschießen – und damit von der Beweisaufnahme zum „asservierten Geständnis“ Zschäpes ablenken.

Die Beweisaufnahme am heutigen Tag war überschattet von Auseinandersetzungen über die Nebenklageberechtigung einzelner Betroffener des Bombenanschlages in der Keupstraße. Seinen Anfang genommen hatte dies bereits gestern, als deutlich geworden war, dass einzelne Nebenklägervertreter sehr aggressiv Mandate bei KeupstraßenbewohnerInnen angeworben hatten und teilweise wohl ohne klare Absprache und mit unklarer Behauptung von Verletzungen Anträge auf Zulassung der Nebenklage gestellt hatten. Die Verteidigung Zschäpe sah dies offensichtlich als Chance, nicht nur von der ihre Mandantin dramatisch belastenden Beweisaufnahme abzulenken, sondern auch unliebsame Nebenklägervertreter anzugreifen.

Am Nachmittag saß der Therapeut einer Nebenklägerin, die vergangene Woche schon selbst befragt worden war, im Zeugenstand. Die Zschäpe-Verteidigung startete zunächst eine intensive Befragung und wollte von dem Zeugen hören, dass die Nebenklägerin keine psychischen Folgen des Bombenanschlags erlitten habe, sondern dass ihre eindeutig vorhanden Panikattacken von Ereignissen aus ihrer Kindheit herrührten. Der Therapeut bestätigte dies nicht – die Erlebnisse aus der Kindheit haben zu einer Depression geführt, diese hat aber völlig andere Symptome bewirkt als die Panikattacken. Die Zeugin habe ihm berichtet, dass diese in der Zeit nach dem Weiterlesen

28.01.2015

Keupstraße: wer war gefährdet?
Und: Angeklagter Schultze: Aussteiger oder „Umsteiger“?

Drei Mitglieder einer Familie schilderten ihr Erleben des Anschlages in der Keupstraße. Die Mutter hatte sich in weniger als 30 Metern Luftlinie zur Bombe aufgehalten und im Wesentlichen den Schrecken und die Erschütterung erlebt. Körperlich hatte sie Probleme mit den Ohren erlitten. Sie schilderte, dass laute Geräusche, etwa Silvesterraketen, sie in die Situation der Bombenexplosion zurückversetzen und wieder Ängste auslösen. Noch heute könne sie gerade mal zwei Nächte die Woche richtig schlafen, ansonsten leide sie unter Schlafstörungen und Ängsten.

Der Sohn sorgte zunächst für Irritationen und – vor allem bei einem Teil der anwesenden JournalistInnen – für Empörung, weil er schilderte, er habe sich im Moment der Explosion im Auto in der schräg zur Keupstraße verlaufenden Schanzenstraße befunden. Der Vorsitzende Richter Götzl hielt ihm relativ scharf vor, sein Rechtsanwalt habe im Antrag auf Zulassung der Nebenklage angegeben, er sei im Wirkungsbereich der Bombe in der Keupstraße gewesen. Erst Weiterlesen

27.01.2015

Betroffene der Nagelbombe in der Keupstraße: wie beweist man Angst und Leid?

Am heutigen Tag wurden mehrere ZeugInnen befragt, die sich zum Zeitpunkt der Bombenexplosion zwar in deren Wirkungsbereich befanden, aber keine erheblichen körperlichen Verletzungen erlitten. Die Schilderungen dieser Zeugen waren naturgemäß weniger spektakulär als die der Schwerverletzten in der vergangenen Woche. Dies führte leider auch dazu, dass der Vorsitzende Richter ungeduldig, drängend und ungnädig sein Frageprogramm abarbeitete. Obwohl diese Zeugen teilweise als Opfer eines versuchten Mordes als NebenklägerInnen zugelassen wurden, hat das Gericht Schwierigkeiten, sich den nur schwer zu beschreibenden Angstzuständen und psychischen Problemen dieser Betroffenen zu nähern und diese ausreichend ernst zu nehmen.

Spannenderweise schilderten diese Zeugen sehr ähnliche Empfindungen auf sehr unterschiedliche Weise. Alle hatten die Bombe gehört, gespürt, hatten teilweise Hörprobleme und schilderten ihre Ängste, die insbesondere ausgelöst wurden durch die Nägel, die selbst in einen 100 Meter entfernt liegenden Laden prasselten. Weiterlesen

22.01.2015

Weitere Geschädigte aus der Keupstraße

Heute sagten weitere Verletzte des Anschlags in der Keupstraße aus. Den Anfang machte ein Gastwirt aus der Keupstraße, der während der Explosion als Kunde im Friseurladen war. Er trug heute ein T-Shirt der Initiative „Keupstraße ist überall“.

Der Zeuge hatte verhältnismäßiges Glück und erlitt „nur“ eine Verletzung am Trommelfell, auch die psychischen Folgen hatte er nach einiger Zeit weitgehend überwunden. Dafür litt er wirtschaftlich ganz erheblich an den Verdächtigungen von Polizei und Presse gegen die Keupstraße – v.a. die deutschstämmigen KundInnen seines Restaurants trauten sich einfach nicht mehr dorthin.

Auch er hatte aber den rassistischen Hintergrund der Tat gleich erkannt und dies auch der Polizei mitgeteilt: Behauptungen, es seien „die Türsteher“ gewesen, glaube er nicht. „Ich denke, es hat eher einen rechtsradikalen Hintergrund. Man will das Zusammenleben der Türken dort stören.“ Hieran knüpfte der Zeuge heute an und drückte seine Hoffnung aus, dass deutsch- und türkeistämmige Menschen wieder zu einem vertrauensvollen Miteinander zurückfinden.
Es folgte eine damals hochschwangere junge Frau, die sich bei der Explosion zusammen mit Weiterlesen

21.01.2015

„Die Solidarität hat gefehlt“:
Weitere Verletzte des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße

Heute sagten eine Reihe weiterer Verletzter des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße aus.

Merklich war vor allem, dass alle Verletzten noch stark mit den psychischen Folgen des Anschlags zu kämpfen haben. So sagte etwa der Besitzer des Ladens auf der anderen Straßenseite, der glücklicherweise durch ein geparktes Auto geschützt war und daher von „nur“ drei Nägeln getroffen und nicht schwer verletzt wurde: „Wenn ich heute auf der Keupstraße sitze und ein Fahrrad vorbeifahren sehe, dann denke ich, es könnte wieder passieren.“

Am Schicksal einer Frau, die sich im Laden neben dem Frisörgeschäft befunden hatte, zeigt sich ein weiteres Mal, dass die Behörden die BewohnerInnen der Keupstraße nicht wie „normale“ Geschädigte behandelt haben: Die Zeugin hatte unmittelbar nach der Explosion einen der schwerverletzten jungen Männer gesehen, hatte die noch lodernden Flammen an dessen Bein gelöscht, wenig später das Bewusstsein verloren – sie war also augenscheinlich schwer traumatisiert. Bei jedem größeren Unglücksfall, erst recht bei einem Verbrechen, wäre die übliche Reaktion, Betroffenen wie ihr eine sofortige und umfassende traumatheurapeutische Weiterlesen

20.01.2015

Erste Zeugenaussagen zum Nagelbombenanschlag in der Keupstraße – und zur „Bombe nach der Bombe“.

Heute sagten die ersten Geschädigten des Nagelbombenanschlags am 9. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln aus – jeweils gefolgt von den Ärzten, die ihre Verletzungen behandelt hatten.
Den Anfang machten zwei junge Männer, die während der Explosion auf dem Gehweg in der Nähe der Bombe vorbeigegangen waren und die sehr gefasst, aber sichtlich mitgenommen berichteten. Beiden wurden mehrere Nägel entfernt, die tief in den Beinen und im Rücken steckten, sie erlitten Brüche, erhebliche Verbrennungen, Trommelfellverletzungen und weitere Verletzungen, an deren Spätfolgen beide noch heute leiden. Von den psychischen Folgen ganz zu schweigen: beide schilderten anschaulich, dass sie lange brauchten, um wieder „ihren Alltag zu finden“, dass sie noch heute in psychotherapeutischer Behandlung sind.

Ihre Aussagen bestätigten den Eindruck, der bereits letzte Woche bei der Vernehmung der Sprengstoffermittler entstanden war: dass keiner der beiden lebensgefährliche Verletzungen erlitt, war pures Glück. Einem von ihnen sagten die behandelnden Ärzte, hätte er etwas weiter weg von der Bombe gestanden, hätten ihn die Nägel wahrscheinlich nicht an den Beinen und Weiterlesen

Vorankündigung 20.-22.01.2015

NSU-Prozess: Die Keupstraße ergreift das Wort

Köln/München, 19.01.2015 – Ab Dienstag sagen Betroffene des neonazistischen Nagelbombenanschlages vom 9. Juni 2004 auf der Kölner Keupstraße als Zeugen im NSU-Prozess aus. Die Initiative „Keupstraße ist überall“ ruft für den ersten Verhandlungstag ab 9 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude auf, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen und die Betroffenen zu stärken. Unter dem Motto „Für eine Gesellschaft ohne Rassismus – Keupstraße ist überall“ macht sich ab 17.30h ein Demonstrationszug zum Sendlinger Tor auf. Weiterlesen

13.01.2015

Weitere Vernehmung des Ex-V-Mannes Carsten Szczepanski.
Und: Die Front bröckelt – Beweisanträge der Verteidigung Wohlleben

Heute wurde zunächst die Befragung des Bombenermittlers beendet, der die Auswirkungen der Nagelbombe in der Kölner Keupstraße untersucht hatte.
Danach wurde die Vernehmung des ehemaligen V-Mannes Carsten Szczepanski fortgesetzt (zum Beginn seiner Vernehmung vgl. den Bericht vom 03.12.2014).

Die Befragung war wie zu erwarten zäh und schleppend, seine Erinnerung (oder sein Wille zur Erinnerung) an ehemalige Kameraden, Namen und Daten schlecht. Immerhin berichtete er relativ offen zur ideologischen Ausrichtung und Gewaltbereitschaft der Szene. Die Nebenklage fasste die Ergebnisse der Befragung des Zeugen in einer mündlichen Erklärung zusammen, die wir hier sinngemäß zusammenfassen. Deutlich wurde nicht nur die offene Werbung für rassistische Gewalttaten und den bewaffneten Kampf, die die gesamte Naziszene der 90er Jahre maßgeblich bestimmte. Vor allem lässt einen die Tatsache erschrecken, dass der Zeuge während seiner V-Mann-Tätigkeit genau diese politische Tätigkeit fortsetzte, ein extrem Weiterlesen

12.01.2015

12. Januar 2015

Beginn der Beweisaufnahme zum Bombenanschlag in der Keupstraße

Heute wurden die ersten Zeugen zum NSU-Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln vernommen. Den Beginn machten zwei Sprengstoffermittler vom LKA Nordrhein-Westfalen, die eindrücklich von der extremen Zerstörungswirkung der Nagelbombe berichteten: Diese enthielt über 5kg Schwarzpulver und über 700 Zimmermannsnägel zur Verstärkung der Verletzungswirkung, durch die Detonation und die umherfliegenden Nägel waren noch in 150 m Entfernung Scheiben geborsten. Die Bombe wurde mit Bauteilen aus dem Flugzeug-Modellbau ferngezündet.

Dass durch die Nagelbombe entgegen der Pläne der NSU-Mörder niemand getötet wurde, erscheint als großes Glück. Die zum Teil lebensgefährlichen Verletzungen zahlreicher Personen in der Keupstraße werden in den nächsten Wochen thematisiert werden – ab dem 20.01.2015 sind die Verletzten als Zeuginnen und Zeugen geladen.