28.01.2015

Keupstraße: wer war gefährdet?
Und: Angeklagter Schultze: Aussteiger oder „Umsteiger“?

Drei Mitglieder einer Familie schilderten ihr Erleben des Anschlages in der Keupstraße. Die Mutter hatte sich in weniger als 30 Metern Luftlinie zur Bombe aufgehalten und im Wesentlichen den Schrecken und die Erschütterung erlebt. Körperlich hatte sie Probleme mit den Ohren erlitten. Sie schilderte, dass laute Geräusche, etwa Silvesterraketen, sie in die Situation der Bombenexplosion zurückversetzen und wieder Ängste auslösen. Noch heute könne sie gerade mal zwei Nächte die Woche richtig schlafen, ansonsten leide sie unter Schlafstörungen und Ängsten.

Der Sohn sorgte zunächst für Irritationen und – vor allem bei einem Teil der anwesenden JournalistInnen – für Empörung, weil er schilderte, er habe sich im Moment der Explosion im Auto in der schräg zur Keupstraße verlaufenden Schanzenstraße befunden. Der Vorsitzende Richter Götzl hielt ihm relativ scharf vor, sein Rechtsanwalt habe im Antrag auf Zulassung der Nebenklage angegeben, er sei im Wirkungsbereich der Bombe in der Keupstraße gewesen. Erst im Laufe der Befragung der Schwester klärte sich die Ungenauigkeit des Antrages: der junge Mann hatte sich auf seinem Heimweg mit dem Auto direkt in der Einmündung der Keupstraße, damit tatsächlich nur ca. 25 Meter entfernt von der Bombe und in deren potentiellem Wirkungsbereich befunden.

Die Verteidigung Wohlleben forderte zwischenzeitlich eine Unterbrechung, um einen Antrag zu besprechen. Offensichtlich hoffte sie darauf, die Widersprüche für sich zu nutzen und die Legitimation der Nebenklage anzugreifen, verzichtete aber schließlich darauf, weil doch kein Ansatzpunkt für sie zu erkennen war. Wohlleben ist wegen des Anschlags in der Keupstraße gar nicht angeklagt, weil zwar Beweise dafür vorliegen, dass er mit elektronischen Bauteilen desselben Herstellers gehandelt hat, wie sie für die Fernzündung der Keupstraßenbombe verwendet wurden, dies aber als Nachweis konkreter Unterstützungshandlungen nicht ausreicht.

Anschließend wurde ein Mitarbeiter der Düsseldorfer Aids-Hilfe vernommen, der mit dem Angeklagten Schultze gearbeitet hatte und dem dieser im November 2011 anvertraut hatte, dass er Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt eine Waffe geliefert hatte. Im Kern konnte sich der Zeuge an keine Details erinnern, die für den Prozess relevant gewesen wären. Erstaunlich war aber sein Bericht über die Selbstdarstellung Schultzes zu seinen Naziaktivitäten. Ja, er habe erzählt, er sei im Thüringer Heimatschutz aktiv gewesen. Er sei stolz darauf gewesen, dass „seine Jugendgruppe“ die einzige gewesen wäre, deren Mitglieder sich nicht untereinander geprügelt hätten. Schultze habe also bei den Nazis auch „freizeitpädagogisch“ gearbeitet.

Im November 2011, nach dem Tod Böhnhardt und Mundlos und dem Auffliegen des NSU, sei Schultze sehr nervös gewesen. Er habe dann von der Waffe erzählt. Auf die Frage, was er sich damals für Gedanken gemacht habe, was mit dieser Waffe geschehen soll, habe er mit „gar nichts“ geantwortet. Dies habe er ihm nicht geglaubt, eine solche Antwort sei aber für Schultze typisch gewesen.

Offensichtlich hat Schultze in Düsseldorf völlig bruchlos sein Coming Out und seinen Einstieg in die Schwulenszene vorgenommen, ohne sich tatsächlich von seiner Nazivergangenheit distanzieren zu müssen. Eine frühzeitige Offenbarung – immerhin hatten antifaschistische Gruppen seine Naziaktivitäten in Jena geoutet – hätte nicht nur zu einer frühzeitigen Aufdeckung des NSU führen können, sondern ihm auch eine erhebliche Strafmilderung verschaffen können, die heute nicht mehr denkbar ist. Ein anerkennenswerter Ausstieg aus der Naziszene sieht anders aus.