Archiv für den Monat: November 2013

28.11.2013

Weitere Vernehmung von Zschäpes Cousin

Heute ging die Vernehmung des Cousins von Beate Zschäpe, Stefan A., weiter. Auf einem Foto der erwähnten Kreuzverbrennung, bei der diverse Personen den „Kühnengruß“ zeigten, erkannte er u.a. die Angeklagten Wohlleben und Gerlach sowie André Kapke und Uwe Böhnhardt.

Seine Behauptung, ideologisch mit seiner rechten Vergangenheit abgeschlossen zu haben, widerlegte Nebenklägervertreter RA Narin: er präsentierte Bilder von der facebook-Seite des Zeugen u.a. mit der Forderung „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“, einem Wahlkampfslogan der NPD zur Bundestagswahl.

Nach einigen Fragen der Nebenklage folgte eine lange Befragung durch Zschäpe-VerteidigerInnen Heer und Sturm zu den Umständen seiner Zeugenvernehmung beim BKA und zweier Fernseh-Interviews – ohne erkennbares Ziel und ohne Ergebnis.

Zum Schluss des Sitzungstages verkündete der Vorsitzende noch einen Beschluss: Die Anträge der Nebenklage auf Beiziehung der Ermittlungsakte gegen VS-Mann und V-Mann-Führer Andreas Temme wurden abgelehnt, nur einige wenige Unterlagen wurden beigezogen. Temme und einer seiner V-Männer werden nächste Woche aussagen.

27.11.2013

Familie Zschäpe: Mutter schweigt, Cousin verschweigt

Mit dem Cousin und der Mutter Beate Zschäpes sollten heute Familienmitglieder einen Einblick in die Persönlichkeit und Entwicklung der Hauptangeklagten geben. Die Mutter berief sich allerdings auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als Angehörige und verließ nach drei Minuten den Saal.

Anders der Cousin Zschäpes, Stefan A., der sich als spaßorientiertes Mitglied der Skinhead-Fraktion der Jenaer Naziszene beschreibt, der mit Politik kaum etwas zu tun hatte. „Die Musik stachelt einen halt auf, sagt das, was viele gedacht haben. Gegen den Staat, gegen Ausländer, gegen Linke, gegen Kommunismus“, beschreibt er die Stimmung in Jena Mitte der 1990er-Jahre. Beate Zschäpe sei auch dabei gewesen in der rechten Szene. Sie sei selbstbewusst gewesen. Ihr erster langjähriger Freund habe sich zwar auch „so“ gekleidet, sei aber nicht so anerkannt worden. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, mit denen Beate dann rumgezogen sei, seien an Nazimusik und Politik interessiert gewesen.

Er selbst bestreitet allerdings, eine Rolle in der Jenaer Naziszene gehabt zu haben. Auf Vorhalt des sogenannten Schäferberichts und von Berichten des LKA Thüringen, in denen er als eines der acht aktiven Mitglieder der „Kameradschaft Jena“ bezeichnet wird, spielt er seine Rolle herunter. Fast alle weiteren genaueren Nachfragen beantwortet er nun mit Gedächtnisproblemen – kaum Erinnerungen an gemeinsame Konzerte, an Reisen nach Nürnberg, Gespräche. Immerhin beschreibt er, dass Uwe Mundlos für die Jenaer „Kameraden“ den Briefkontakt zu dem inhaftierten Chemnitzer Nazi und späteren V-Mann Thomas Starke hielt und diesem auch vom Zeugen Grüße ausrichtete. Daran, dass es sich bei diesem Starke und einem weiteren Bekannten vermutlich um führende Kader von „Blood and Honour“ Chemnitz handelte, wollte er sich dann wieder nicht erinnern können. Der Zeuge folgt der offensichtlich für die Zeugen aus der Naziszene ausgegebenen Losung „alles vergessen!“ So muss er zwar nach Vorlage verschiedener Bilder zugeben, dass er an Ku Klux Klan-artigen Kreuzverbrennungen teilgenommen hat und sich mit dem sogenannten „Kühnengruß“, einem leicht abgewandelten Hitlergruß, hat fotografieren lassen – er behauptet aber, er habe nie gewusst, was dieser Gruß bedeutet.

Das Gericht lässt ihn gewähren, denn die für die Bestätigung der Anklage wichtigen Angaben hat er bereits gemacht: Beate Zschäpe war selbstbewusst, sie hatte ihre Männer im Griff und ließ sich nicht unterbuttern. Sie war gleichberechtigtes Mitglied der Naziszene um sie, Mundlos, Böhnhardt, Kapke, Gerlach und Wohlleben.

Seine Vernehmung wird morgen fortgesetzt. Die für morgen angesetzten Zeugen wurden abgeladen mit Ausnahme einer früheren Freundin des Angeklagten Eminger.

26.11.2013

Urlaubsbekanntschaften

Heute wurden mehrere Urlaubsbekanntschaften von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als Zeugen gehört. In den Jahren 2007 bis 2011 traf man sich immer während der Sommerferien auf einem Campingplatz auf Fehmarn. Die ZeugInnen berichteten, dass über die Jahre eine recht enge Urlaubsfreundschaft mit „den Drei“ entstand. Zwei Familien mit jugendlichen Kindern erlebten diese als angenehme, sehr sportliche WohnwagennachbarInnen, die immer für gemeinsame Sportaktivitäten und Grillabende offen waren. Der Kontakt zu der einen Familie wurde so eng, dass die drei zum Geburtstag der Tochter eingeladen waren und diese besuchten.

Beate Zschäpe wird als „Managerin des Geldes“, als fürsorglich beschrieben, die für Wäsche und Küche zuständig war, während sich die Männer um die Sportgeräte, das Auto und Reparaturen kümmerten.

Abgesehen von dem tätowierten Totenkopf und Stahlhelm, den Uwe Böhnhardt alias Gerry als Jugendsünde bezeichnete, und der Tatsache, dass die drei nie eine Adresse angaben, fiel niemandem irgendetwas Negatives an den Dreien auf. In Sportbekleidung und ohne dumpfe Sprüche fiel also der Nationalsozialistische Untergrund nicht weiter auf.

Die Vernehmung der Urlaubsfreunde machte nicht nur deutlich, dass Beate Zschäpe in einem völlig gleichberechtigten Verhältnis zu Böhnhardt und Mundlos stand, dass sie im Rahmen der Arbeitsteilung der Gruppe für die Verwaltung des Geldes zuständig war. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass alle drei ihre Tarnung sehr professionell und klar kalkuliert betrieben. Über 4 Jahre hielten sie ihre Tarnidentitäten und die dazu gehörenden Biografien selbst gegenüber Menschen aufrecht, mit denen sie sich angefreundet und ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut hatten. Die Zeugenvernehmungen haben erneut erhebliche Indizien dafür erbracht, dass Beate Zschäpe als vollwertiges Mitglied des NSU in voller Kenntnis aller Taten eine tragende Rolle eingenommen hat.

21.11.2013

Lügen und Verharmlosen II – Die Vernehmung des André Kapke

Heute wurde André Kapke vernommen. Kapke ist – das ergibt sich schon aus seiner Vorstrafenliste – ein äußerst gewaltbereiter Neonazi und war seit Mitte der 1990er einer der engsten Vertrauten von Ralf Wohlleben, Holger Gerlach und „den Drei.“ Er wurde begleitet von Rechtsanwalt Waldschmidt, einem hessischen NPD-Funktionär, als Zeugenbeistand.

Vor Gericht war er deutlich bemüht, Zschäpe und Wohlleben zu schonen – gefragt, was Zschäpes politische Positionen waren, gab er vor, sich nur an Diskussionen zum Thema Gorleben, Atomkraft und Atommüll erinnern zu können. Nicht nur die NebenklägervertreterInnen, sondern auch das Gericht kaufte ihm das augenscheinlich nicht ab. Gleiches galt für seine Versuche, Ralf Wohlleben als „Friedensengel“ der Jenaer Naziszene darzustellen.

Ansonsten versuchte er, sich und seine Kameraden vor allem als Opfer von „Linksautonomen“ und Polizei darzustellen. Soweit es um die Ideologie der „Kameradschaft Jena“ und des „Thüringer Heimatschutzes“ oder um seine eigene Rolle, auch nach dem Untertauchen der „Drei“, ging, wollte sich Kapke an fast nichts erinnern können. Dann rutschte ihm aber ein Satz raus, der seine wahre Ideologie verriet: Nach der „Ausländerpolitik“ der Jenaer Naziszene befragt, erwiderte er, „wenn Sie was gegen Unkraut machen, dann zupfen Sie unten zwei, drei Blätter, sondern da fangen Sie an der Wurzel an.“

Danach folgten weitere Erinnerungslücken. Der Vorsitzende Richter Götzl wurde zusehends ungehalten – und traf damit die Stimmung im Gerichtssaal. Gegen 16 Uhr unterbrach er die Vernehmung Kapkes, sie wird am letzten Verhandlungstag vor der Weihnachtspause fortgesetzt.

20.11.2013

Weitere Vernehmung der Mutter von Uwe Böhnhardt

Die weitere Vernehmung der Mutter von Uwe Böhnhardt nahm den gesamten Prozesstag ein. In der Vernehmung durch den Vorsitzenden blieb sie weiter bei ihrer Weltsicht, wonach „die Drei“ wahlweise „rechtsgerichtete junge Leute“ oder Opfer behördlicher Willkür waren. Beate Zschäpe sei für sie auch heute noch eine „nette junge Frau“ – die Zeugin wandte sich direkt an Zschäpe und dankte ihr dafür, dass sie nach dem Selbstmord der beiden Uwes bei der Familie Böhnhardt angerufen hatte. Immerhin fand Frau Böhnhardt am Ende auch noch Worte des Mitgefühls mit den Opferfamilien – allerdings gepaart mit dem Versuch, ihre Position mit deren Leid gleichzusetzen. Ihre Behauptung, dass sie aus ihrer Position heraus „diese Familien am besten verstehen kann“, stieß vielen NebenklägervertreterInnen übel auf.
Vorhalte zu Straftaten ihres Sohnes vor seinem Abtauchen in die Illegalität begegnete sie mit Abwehr. Von einer Strafanzeige gegen ihn wegen folterähnlichen Misshandlungen eines Mithäftlings wollte sie keine Kenntnis haben. Seine Straftaten (Autodiebstähle u.ä.) schrieb sie ausschließlich den älteren Mittätern zu. Beschreibungen von ehemaligen Freunden, er sei sehr aggressiv, dominant und gewalttätig aufgetreten, wies sie zurück und meinte, das würde „heute in die Stimmung passen“.

Die Intention ihrer Aussage wurde in einem Satz am frühen Nachmittag sehr deutlich: „Wissen Sie, die Staatsanwaltschaft sucht nach jedem Beweis, dass die drei diese Taten begangen haben und ich als Mutter suche nach jedem Strohhalm, dass es nicht so gewesen sein kann.“ Für die Beurteilung der Persönlichkeit ihres Sohnes kann diese Aussage seiner Mutter nicht verwendet werden.

Gegen Ende der Aussage kam es noch einmal zu kritischen Nachfragen des Vorsitzenden, als klar wurde, dass die Zeugin wichtige Details zu einer Übergabe von Sachen ihres Sohnes bis zuletzt zurück gehalten hatte. Es bleibt auch nach längeren Nachfragen der Verdacht, dass es weitere Treffen mit UnterstützerInnen „der Drei“ gab, von denen sie nicht berichten will.

André Kapke wurde auf morgen umgeladen, Christian Kapke für diese Woche ganz abgeladen.

19.11.2013

Über den NSU als Opfer der Behörden – Vernehmung der Mutter Böhnhardt

Einzige Zeugin heute war die Mutter von Uwe Böhnhardt. Sie berichtete im Wesentlichen vom Werdegang ihres Sohnes, von dem Tag seines Untertauchens und von dem Kontakt – Telefonate und drei persönliche Treffen – in der Zeit danach.

Der Verfassungsschutz hatte Kontakt mit der Familie aufgenommen, um die drei Untergetauchten dazu zu bewegen, sich zu stellen. „Die Drei“ wurden wegen mehrerer Propaganda- und Sprengstoffdelikte gesucht, die Behörden boten Zugeständnisse bei der zu erwartenden Strafe an. Diese Angebote – die von „den Drei“ ohnehin nicht ernst genommen wurden – nahmen die Behörden nach einigen Monaten zurück. Diese Entscheidung bedeutete nichts anderes, als dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sich für die ihnen vorgeworfenen Taten in einem normalen Strafprozess würden rechtfertigen müssen wie jeder andere Beschuldigte auch – für die Zeugin war sie ein mieser „Betrug“.

Hierin zeigte sich das erste Mal, was sich auch durch den Rest ihrer Aussage zog und was sie für die Nebenklage nur schwer erträglich machte – Frau Böhnhardt hat sich eine Version der Ereignisse zurechtgelegt, in der ihr Sohn, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos ausschließlich als Opfer behördlicher Willkür vorkommen. Dass sie als Mutter, die die Ideologie ihres Sohnes nicht teilte, sich nur schwer vorstellen kann, dass er zehn Menschen umgebracht und mehrere Bombenanschläge begangen hat, ist nachvollziehbar. Absolut unerträglich sind aber Aussagen wie die, es täte ihr leid um „die fünf Jugendlichen hier“ – gemeint sind die Angeklagten –, die ihrer Meinung nach nur im Gerichtssaal sitzen, weil der Verfassungsschutz nicht zu seinem Wort gestanden hat und weil deswegen „die Drei“ sich nicht gestellt haben. Während sie die drei NSU-Mitglieder und die sonstigen Angeklagten also nur als Opfer der Behörden sieht, findet sie auch nicht nur die Andeutung eines Mitgefühls für die Opfer ihres Sohnes, redet immer nur von Taten, die ihm „vorgeworfen“ werden.

Die Vernehmung wird morgen vormittag fortgesetzt, es folgt André Kapke am Nachmittag

Am Ende des Sitzungstages ging es kurz um Anträge: der Antrag auf Beiziehung der Ermittlungsakte gegen André Kapke wurde abgelehnt, das Gericht war der Meinung, es gäbe keine Anhaltspunkte, dass deren Inhalte für das Verfahren relevant sind. Die Verteidigung Schultze beantragte, einen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zeugen dafür zu hören, dass Schultze in der Naziszene eine untergeordnete Rolle hatte. Allerdings hatte der Mitarbeiter Schultze nie selbst beobachtet, sondern nur Berichte wertend zusammengefasst, so dass er als Zeuge ungeeignet ist – so auch die Stellungnahme von Nebenklägervertreter RA Bliwier.

14.11.2013

Zu Zschäpes Rolle im NSU

Zu Beginn der Hauptverhandlung beantragten NebenklägervertreterInnen Hoffmann und Pinar ein forensisch-linguistisches Gutachten: Ein Propagandaschreiben des NSU, das in der Frühlingsstraße gefunden und zusammen mit Bargeld an verschiedene Nazigruppen versandt worden war, soll verglichen werden mit einem Brief von Uwe Mundlos und einem Brief, den Zschäpe aus dem Gefängnis an den Neonazi Robin Schmiemann geschrieben hat. Das Gutachten könnte Hinweise dafür geben, dass Zschäpe Mitautorin des sogenannten NSU-Manifests war – was wiederum eine Verurteilung Zschäpes als Mittäterin der NSU-Morde erlauben würde.

Weiter wurden ehemalige Nachbarn von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt aus der Zwickauer Polenzstraße vernommen. Erschreckend war deren offen zur Schau gestellte Sympathie für Zschäpe, über die sie „nichts schlechtes sagen“ konnten oder wollten. Das Wissen um die Verstrickung von Zschäpe in die Mordserie erreichte diese Menschen offensichtlich nicht, oder es reicht jedenfalls nicht aus, um ihr Bild von ihrer ehemaligen Nachbarin zu beeinflussen.

13.11.2013

Am Vormittag des heutigen Verhandlungstages sollte Andreas Schultz vernommen werden. Schulz hatte zusammen mit Frank Liebau den Naziszeneladen „Medley“ betrieben und nach eigenen Angaben die Ceska an Wohlleben und Schulze geliefert.

Auf die Anregung der Verteidigung Wohlleben und Zschäpe, den Zeuge Schulz zu belehren, dass ihm ein umfassendes Schweigerecht zusteht, unterbrach das Gericht mehrmals für längere Beratungen. Es erfolgte dann auch Belehrung des Zeugen, dass er vollständig schweigen dürfe, weil es jedenfalls den Anfangsverdacht einer Beihilfe zum Mord gebe. Nachdem er mitteilte, er wolle sich lieber zunächst mit seinem Anwalt besprechen, habe aber keinen, wurde erneut unterbrochen.

Die Anregung der Verteidigung Wohlleben könnte sich für diesen zum Bumerang entwickeln. Das Gericht wird jetzt die Vernehmungsbeamten, die die drei Vernehmungen mit Schulz durchgeführt haben, hören. Diese werden mit großer Wahrscheinlichkeit dessen protokollierte Aussagen, die sowohl Wohlleben als auch Schultze schwer belasten, bestätigen. Schulz hatte beispielsweise angegeben, dass von Anfang an eine Waffe mit Schalldämpfer bestellt wurde und dass Wohlleben an der Bestellung beteiligt war. Die Verteidigung Wohlleben hat sich nun die Möglichkeit verstellt, den Zeugen hierzu selbst zu befragen.

Im Anschluss wurden einige aufeinander aufbauende Beweisanträge der Nebenklage der Familien Yozgat und Kubaşik gestellt, die das Ziel haben, alle Ermittlungsakten zu dem gegen den V-Mannführer Temme geführten Strafverfahren beizuziehen und die Verschleierungstätigkeiten des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz aufzuklären.

12.11.2013

Zur Unterstützung des NSU durch Holger Gerlach – und zur Unterstützung von Holger Gerlach durch Zeugenschützer?

Der heutige Verhandlungstag machte erneut deutlich, dass die ehrgeizige Zeitplanung des Vorsitzenden bei schwierigen Beweisthemen nicht einzuhalten ist. Von geplanten acht Zeugen mussten vier wieder nach Hause geschickt werden, nämlich Mandy Struck, Brigitte Böhnhardt, die Mutter von Uwe Böhnhardt, der Herausgeber eines Nazifanzines, der ein Rundschrieben des NSU erhalten hatte, sowie ein Polizeibeamter. Vernommen wurden zunächst drei Mitarbeiter von Autovermietungen, bei denen Wohnmobile zur Begehung von NSU-Anschlägen angemietet wurden, auch für den letzten Bankraub in Eisenach, nach dem Böhnhardt und Mundlos starben. Bei der Anmietung waren eine Frau mit schwarzen Haaren und ein Kind dabei gewesen. Die Zeugen konnten aber niemand eindeutig identifizieren.

Nach der Mittagspause folgte dann nur noch die Vernehmung von Sylvia Scheidemantel, die 2005/2006 mindestens ihre Krankenkassenkarte für 300 € an den Angeklagten Holger Gerlach verkauft hatte. Mit der Karte wurde mindestens eine ärztliche Behandlung, wohl von Beate Zschäpe, abgerechnet. Die Personalien der Zeugin wurden auch für diverse nichtamtliche Ausweise benutzt – der NSU hatte offensichtlich präzise persönliche Angaben bekommen.

Die Vernehmung entwickelte sich wieder zur zähen Stocherei im Nebel vorgeschobener Vergesslichkeit. Natürlich hatte sich die Zeugin keinerlei Gedanken gemacht, wozu die Krankenkarte gebraucht werden würde, natürlich hatte sie weder mit Gerlach noch mit ihrem Mann, über den sie Gerlach kennengelernt hatte, jemals politische Gespräche. Dass die beiden „Kameraden“ waren, hatte für sie natürlich keine Bedeutung. Und an Gespräche mit ihrem Mann vor und nach ihrer eigenen Vernehmung bei der Polizei konnte sie sich natürlich auch nicht erinnern.

Von Bedeutung dürfte allerdings ein von der Zeugin geschildertes Treffen mit Gerlach im Jahr 2012 sein. Das sei direkt nach Gerlachs Entlassung aus der U-Haft gewesen, dieser sei von seinen Zeugenschützern gebracht und auch wieder abgeholt worden. „Gerlach hat meinen Mann angerufen. Außer uns beiden waren Holgers Mutter und Holgers Freundin dabei. Ich habe mich mehr oder weniger mit [den beiden] unterhalten und habe die Gespräche, die die beiden [Gerlach und ihr Mann Alexander Scheidemantel] geführt haben, nicht mitbekommen. Die Zeugenschützer haben ihn ja hingefahren und wieder weggefahren, zwei Polizisten in zivil gekleidet.“

Ein solches Verhalten der Zeugenschützer würde skandalös gegen alle Grundsätze verstoßen, weil es Gerlach ermöglicht hätte, direkt Einfluss auf Belastungszeugen zu nehmen. Daher wurde von Seiten der Nebenklage beantragt, eine dienstliche Erklärung der beteiligten Beamten einzuholen, festzustellen, ob es Aufzeichnungen zu dem Vorgang gibt, und die Beamten zu vernehmen.

07.11.2013

Lügen und Verharmlosen I

Am heutigen Tage sollten die Zeugen Frank Liebau und Jürgen Länger vernommen werden. Liebau betrieb zwischen 1995 und 2007 in Jena den Laden Medley, über den nach den Angaben des Angeklagten Schultze und eines weiteren Zeugen die Ceska und der dazugehörige Schalldämpfer und später nach den Angaben des Angeklagten Gerlach eine weitere Schusswaffe für Wohlleben und den NSU besorgt wurden. Der Laden war einer der wichtigsten Treffpunkte der Naziszene in Jena, weil dort von der szenetypischen Bekleidung bis zum Soundrack zu Mord und Totschlag alles verkauft wurde, was das Naziherz begehrte.

Die Vernehmung des Zeugen Liebau ging über Stunden, ohne dass dieser auch nur greifbare Antworten abgab. Typisch war dabei, dass er immer dann, wenn er offensichtlich nicht die Wahrheit sagen oder etwas verschweigen wollte, in einen hektischen, nuschelnden thüringischen Dialekt verfiel und damit gar nicht mehr zu verstehen war.

Uwe Böhnhardt kannte er zwar aus der frühen Jugend, sie waren in einer gemeinsamen Clique, auf Nachfragen wollte aber so gar nichts erinnern, was dieser damals gemacht habe. Auch Uwe Mundlos und Ralf Wohlleben kannte er „im gleichen Verhältnis“.

Der Zeuge Andreas Schulz, der am 13.11. gehört werden soll, hat angegeben, er habe die Ceska durch Vermittlung des Liebau von Länger erhalten. Liebau gab an, den Zeugen Schulz vor etwa einer Woche besucht zu haben – an den Gesprächsinhalt wollte er sich aber nicht erinnern. In früheren Gesprächen habe er zu Schulz gesagt, er wolle von all dem „gar nichts wissen“. Allerdings habe Schulz ihm gegenüber zugegeben, dass er eine Waffe verkauft hat.

Ansonsten behauptete Liebau, die Vernehmungsbeamten der Polizei hätten in das Protokoll seiner Vernehmung viele Dinge reingeschrieben, die er gar nicht gesagt habe, er habe das Protokoll nur unterschrieben, weil er die Befragung beenden wollte.

Die Fortsetzung seiner Vernehmung am 13.11. wird ein Prüfstein dafür werden, ob sich der Vorsitzende Richter von einem Zeugen auf der Nase herumtanzen lässt, der beständig auf der Klippe von Lügen, Nicht-Erinnern und Nichts-sagen bewegt.

Der Zeuge Länger will die Aussage verweigern, da eine wahrheitsgemäße Aussage ihn der Gefahr weiterer Ermittlungen wegen des Vorwurfes der Beihilfe zum Mord aussetzen würde. Seine Vernehmung wird zu einem späteren Zeitpunkt unter Hinzuziehung seines Rechtsanwaltes als Zeugenbeistand fortgesetzt.