Archiv für den Monat: September 2014

30.09.2014

Heute wurden zwei V-Mann-Führer des Neonazis Tino Brandt vernommen und erste Erklärungen der Prozessbeteiligten zu dessen Zeugenaussage in der vergangenen Woche abgegeben. Morgen folgen ein dritter V-Mann-Führer und weitere Erklärungen zu Brandts Aussage.

Wir berichten morgen zusammenfassend.

24.09.2014

Zur Vernehmung des V-Mannes und THS-Gründers Tino Brandt – und dazu, was den Verfassungsschutz interessiert und was nicht.

Der letzte Tag der Vernehmung von Tino Brandt zeigte noch einmal die gesamte Dimension des NSU-Verfassungsschutzskandals. Von 1995 bis zu seiner Enttarnung im Jahr 2001 berichtete Brand als „beste“, wichtigste“, „bedeutendste“, als „Top-“Quelle des Amtes. In dieser Zeit lernte der schmierige Informant, der sich noch heute zur Naziideologie bekannt, immer so viel überprüfbare Angaben zu machen, dass diese noch als „Informationen“ gelten konnten, und gleichzeitig nur zu erzählen, was er für richtig hielt und was die lokale und überregionale Naziszene nicht gefährdete. Im Gegenteil: mindestens umgerechnet 140.000 € an staatlichen Geldern erhielt er und verwandte einen großen Teil davon zum Ausbau der von ihm geführten Naziorganisationen.

Welche Bedeutung die Zahlungen an Brandt hatten, erfragte Wohlleben-Verteidiger RA Klemke genüsslich: ja, so Brandt, staatliche Gelder seien verwendet worden, um NPD-Mitgliedsbeiträge zu bezahlen und damit Mehrheiten im NPD-Landesverband zur Durchsetzung einer bestimmten Politik zu beeinflussen. Dass diese Fragen wohl weniger der Verteidigung Wohllebens als der Verteidigung der NPD im laufenden Verbotsverfahren dienen, zeigt einmal mehr die Verbundenheit Wohllebens und seiner Verteidigung zur NPD. Natürlich wird es auch in dem laufenden Verfahren eine Rolle spielen, dass die Radikalisierung der NPD zum Teil durch V-Männer erfolgte. Brandt machte es offensichtlich Spaß, wieder einmal Politik zu machen.

Weiter berichtete er, der VS habe schon im Anwerbegespräch deutlich gemacht, dass er sich überhaupt nicht für Straftaten aus der Naziszene, sondern nur für Demonstrationen und Führungspersonal interessiere. Er habe Informationen geliefert, die das Amt auch auf anderem Wege einfach hätte herausfinden können. Diese Angaben sind absolut glaubhaft. Aus der Akte des Münchener Verfahrens ergibt sich, dass keine der Angaben Brandts zur Aufdeckung von Straftaten oder gar zu Festnahmen geführt hat. Selbst als Brandt angab, dass er demnächst an einer bestimmten Telefonzelle von den drei Untergetauchten, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos angerufen werden sollte, eine Telefonüberwachung der Zelle also direkt zu dem Trio geführt hätte, unterblieb ein Versuch der Festnahme.

Wenn Brandt jetzt angibt, er und seine Kameraden hätten nur legale politisch Arbeit gemacht, ist seine Lüge offensichtlich: als Spiritus Rector gründete Brandt, damals schon eingebunden in eine bundesweite Struktur militanter Neonazis, die „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, zunächst die „Anti-Antifa Ostthüringen“ und später den „Thüringer Heimatschutz“. Aus diesen Organisationen heraus werden „Feindadressen“ von vermeintlichen politischen Gegnern gesammelt, Hetzpropaganda betrieben und massenhaft und massiv Gewalt gegen politische Gegner ausgeübt. Ein anderer V-Mann betont, Brandt sei in Teilen der Naziszene als „Brandtstifter“ bezeichnet worden. Noch heute ist er stolz, wenn er von Schießübungen in Südafrika oder Frankreich berichtet.

Das Gericht hielt sich mit Fragen an Tino Brandt zurück. Es gab sich mit ausführlichen Schilderungen davon zufrieden, wie Brandt nach dem Abtauchen des Trios selbst und mit anderen Spenden sammelte und wie der oben genannte Telefontermin verabredet wurde. Die Bundesanwaltschaft stellte – wie zu erwarten – gar keine Fragen, ganz ihrer Linie folgend, die Anklage still und leise und ohne jegliche Kritik an Verfassungsschutz und Polizei abzuarbeiten.

Nur die Nebenklage arbeitete heraus, dass hier ein überzeugter Nazi nur erzählt, was er will und immer noch versucht, alle an der Nase herumzuführen. Sie setzt sich damit natürlich der Kritik aus, eine Verurteilung Zschäpes zu erschweren. Abgesehen davon, dass diese Gefahr weit überschätzt sein dürfte – eine einfachere Verurteilung darf ohnehin nicht um den Preis erkauft werden, dass politisch Verantwortliche sowie weitere Unterstützer und Mitglieder des NSU geschützt werden.

Abschließend stellt sich die Frage, warum der V-Mann Brandt so lange im Dienst des VS tätig sein konnte, obwohl er nur Belanglosigkeiten ablieferte. Dies ist wohl auch mit der innenpolitischen Situation in Thüringen während seiner Tätigkeit zu erklären. Regierung und Innenministerium waren von einem aggressiven Antikommunismus geprägt. Eine ausdrücklich gegen rechte Straftaten gegründete Polizeieinheit, die auch die Aufgaben hatte, Strukturen rechter Zusammenschlüsse zu beobachten, wurde aufgelöst. Nazigruppen wurden systematisch verharmlost, AntifaschistInnen politisch verfolgt. Der Pfarrer Lothar König mit seiner Jungen Gemeinde, die jahrelang vom Thüringer Heimatschutz angegriffen wurden, galten mehr als Störenfriede als die späteren Nazimörder. Die Brandanschläge und Pogrome gegen Nichtdeutsche wurden als Argument für die Abschaffung des Asylrechts genutzt.

Diese Politik wird heute, nicht nur mit dem unsäglichen Strafprozess gegen König wegen seines Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden, fortgeführt. Bis heute wird die V-Mann-Politik der Verfassungsschutzbehörden aufrecht erhalten, werden damit Nazigruppen mit staatlichem Geld und staatlich bezahlten Funktionären versorgt. Und auch heute wird die rassistische Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge fortgesetzt. Eine Antwort auf die Verbrechen des NSU und die staatliche Mitverantwortung hierfür dagegen wäre es, endlich das Wahlrecht für alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, auch für die Bundestagswahl, einzuführen. Ein solcher Schritt wäre eine erste Konsequenz aus dem Skandal, die hinausgeht über bloße Lippenbekenntnisse oder eine Ausweitung der Befugnisse der Behörden, denen bei der Umsetzung ihrer Befugnisse nicht ansatzweise zu trauen ist.

Doch der deutsche Staat greift nur dann hart gegen politische Mörder durch, wenn dies die politische Stimmung in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft befeuert. Während die Strafverfahren gegen die Strukturen, die den NSU unterstützt haben, weiter auf Eis gelegt sind, wird nunmehr diskutiert, die Personalausweise mutmaßlicher „Islamisten“ optisch zu kennzeichnen, damit diese das Land nicht verlassen können.

Hunderte von „Nichtdeutschen“ wurden in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland von Nazis und Rassisten erschlagen, verbrannt, erschossen oder auf andere Weise ermordet, Hunderte mehr schwer verletzt. Der deutsche Staat aber sieht die wahre Gefahr nach wie vor bei den MigrantInnen.

23.09.2014

V-Mann Brandt: den Verfassungsschutz haben Straftaten der Naziszene nicht interessiert

Zunächst wurden heute ein Polizeibeamter und ein Richter aus Zwickau befragt, die die alte Frau vernommen hatten, die nur durch Zufall unverletzt aus dem brennenden Haus in der Frühlingsstraße geholt wurde.

Die Verteidigung Zschäpe versuchte mit großem Aufwand, die richterliche Vernehmung als fehlerhaft darzustellen, obwohl sich aus dieser lediglich ergibt, dass die alte Dame nicht mehr aussagefähig war. Dem Vernehmungsbeamten, der die Frau kurz nach der Tat vernommen hatte, versuchten die Zschäpe-Verteidiger eine Bestätigung zu entlocken, dass Zschäpe beim Verlassen des Hauses noch kurz bei der alten Dame geklingelt hatte. Juristisch könnte eine solche Feststellung allerdings nur ergeben, dass Zschäpe davon ausging, dass die alte Frau zu Hause war – und damit in dem Bewusstsein handelte, dass die alte Frau sterben könnte. Ein strafbefreiender Rücktritt kann aus einem einfachen Klingeln an der Haustür jedenfalls nicht abgeleitet werden.

Die Vernehmung des Zeugen Tino Brandt wird planmäßig morgen fortgesetzt. Wir werden morgen zusammenfassend berichten. Berichtenswert sind allerdings bereits zwei Aussagen des langjährigen V-Mannes Brandt, die deutlich machen, wie der Verfassungsschutz in Deutschland arbeitet, wenn es um Nazis geht.

Zu seiner „Nachrichtenehrlichkeit“ gab Brandt an, er habe sich in den Gesprächen mit dem LfV nicht weiter zu Straftaten geäußert. Den Verfassungsschutz habe das auch nicht interessiert, für den sei die Aufklärung von „Diskoschlägereien“ nicht interessant gewesen und habe nie nach Straftaten der Naziszene gefragt.

Außerdem habe er bereits in den frühen 1990ern einen „Führungskameraden“ aus der militanten Neonazi-Szene gehabt, dem er beispielsweise das Anwerbegespräch mit dem Thüringer LfV melden musste. Sein Führungskamerad sei Kai Dalek gewesen, von dem heute bekannt ist, dass er selbst V-Mann des Landesamtes Bayern war. Dalek sei Teil des bundesweiten Netzwerkes „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GdnF) unter Führung des Hamburger Neonazis Christian Worch gewesen und innerhalb der GdnF für die „Führung“ der Thüringer Szene zuständig gewesen.

Die deutschen Verfassungsschutzämter haben mehr als ein Jahrzehnt lang behauptet, es gäbe keinerlei bundesweite Organisation der militanten Neonaziszene, die im Hintergrund der verschiedenen Parteien die Aktivitäten koordiniert habe. Antifaschistische Gruppen hatten immer wieder auf die Bedeutung der GdnF hingewiesen. Die Vernehmung heute bewies erneut, dass sie hiermit Recht hatten – selbst Gruppen wie Blood and Honour wurden aus diesem im Hintergrund wirkenden Netzwerk heraus beeinflusst und gesteuert.

22.09.2014

Einblicke in die Jugend von Uwe Böhnhardt

Heute wurde nur ein Zeuge vernommen. Er war Anfang der 90er-Jahre als Jugendlicher in einer Gruppe krimineller Jugendlicher mit Uwe Böhnhardt und Enrico Teile. Theile war laut Anklage ein Bindeglied bei der Weitergabe der Ceska an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Der Zeuge hatte bereits 1993 bei der Polizei ausgesagt, dass Böhnhardt, Theile und Länger Zugang zu Waffen hatten. Auch in seiner Aussage beim Bundeskriminalamt am 03.04.2012 bestätigt er diese Angaben.

Kurz nach der Aussage bei der Polizei 1993 wurde der Zeuge beim Geländefahren mit einem gestohlenen Auto lebensgefährlich verletzt. Seine Kameraden ließen ihn am Unfallort liegen in der Annahme, er werde dort sterben – wahrscheinlich hatten sie von seiner Zeugenaussage erfahren. Nur einer bekam ein „schlechtes Gewissen“ und rief die Polizei. Als der Zeuge danach im Krankenhaus lag, versuchten mehrere aus der Gruppe, zu ihm zu gelangen – seine Angehörigen nahmen an, dass sie ihn töten wollten, damit er keine weiteren Aussagen machen konnte. Der Zeuge erhielt Polizeischutz und um weiteren Übergriffen zu verhindern verbreitete seine Familie, er sei an seinen Verletzungen verstorben.

Heute bestätigte der Zeuge seine 2012 gemachten Angaben, wonach Böhnhardt sehr aggressiv auftreten konnte, andererseits aber selbst bei Autodiebstählen sehr geplant auftrat, und wonach Theile mehrere Waffen hatte. Es war aber auch spürbar, dass er seine Aussage aus 2012 in wesentlichen Teilen herunterspielen und Theile, Böhnhardt und andere weniger stark belasten wollte. Dieses Verhalten erklärt sich aus einer anderen Angabe des Zeugen: er habe bereits als Jugendlicher massiv Alkohol zu sich genommen, aber nach dem Unfall lange abstinent gelebt oder jedenfalls deutlich weniger getrunken. Nach seiner Zeugenaussage 2012 seien die damaligen Erlebnisse, auch der Unfall und die Drohungen, wieder hochgekommen. Er habe dann einen Rückfall gehabt und sehr viel getrunken, außerdem leide er unter Angstzuständen, sei erst seit kurzem wieder in Behandlung.

Die Angaben des Zeugen gaben wichtige Einblicke in den Alltag der Mischszene aus Nazis und Kriminellen in Jena. Sie bestätigten nicht nur erneut die erhebliche Gewaltbereitschaft Böhnhardts, sondern darüber hinaus auch, dass Theile in Jena ein logischer Ansprechpartner war, wenn es um Waffen ging.

22.-24.09.2014

In der kommenden Woche wird zunächst am Montag ein Zeuge gehört, der in den Jahren vor dem Untertauchen des Trios zum Freundeskreis Uwe Mundlos gehörte und von dessen Aggressivität und Gewalttätigkeit berichten soll. Am Dienstag sollen ein Polizeibeamter und ein Richter von der polizeilichen und richterlichen Vernehmung der alten Frau aus dem Haus Frühlingsstraße berichten, die nur durch glückliche Umstände unversehrt aus dem brennenden Haus gerettet wurde.

Den weiteren Dienstag und den gesamten Mittwoch soll die Vernehmung des V-Mannes und Gründers des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt vom 16.07.2014 fortgesetzt werden.

18.09.2014

Weiter zur Ceska und zu den Ermittlungen der „BAO Bosporus“

Heute sagte zunächst der Polizeibeamte weiter aus, der Hans-Ulrich Müller, laut Anklage Beschaffer der Ceska-Mordwaffe, vernommen hatte. In der letzten von ihm berichteten Vernehmung wurde Müller u.a. auch zu seinen Kontakten nach Thüringen befragt, u.a. zu Enrico Theile, der nächsten Station in der Ceska-Verkaufskette. Müller gab zu, Theile und auch andere Personen aus der Mischszene zwischen krimineller und Neonazi-Szene gekannt zu haben, stritt aber weiter ab, die Ceska besorgt zu haben. Seine Angaben widersprachen aber nicht nur denen seines Bekannten, sondern waren auch in sich widersprüchlich und unglaubhaft.

Dann wurde der Polizeibeamte Vögeler aus Nürnberg erneut befragt – er hatte am 1.8.2013 bereits zu den Ermittlungen in den Mordfällen Şimşek und Özüdoğru ausgesagt. U.a. ging es um eine Besprechung der „BAO Bosporus“, die in der Mordserie ermittelte, mit der Kriminalpolizei Köln zu Verbindungen zwischen der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag in Köln – von dort waren ja Videoaufnahmen der Tatverdächtigen vorhanden. Die Ermittlungen zu möglichen Zusammenhängen blieben – wie überhaupt die Ermittlungen der BAO Bosporus – ohne Ergebnis. Der Vorschlag, eine Operative Fallanalyse zu der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag durchzuführen, wurde von den Kölner Kollegen abgelehnt, weil man dann „Äpfel mit Birnen vergleichen“ müsste.

Auch zu den gemeinsamen Ermittlungen mit der Polizei aus anderen Bundesländern, v.a. aus Hamburg und Dortmund, wurde er befragt. Auch hier gab es zwar Besprechungen, auch diese führten aber zu keinen konkreten Ergebnissen – dies vor allem deshalb, weil auch hier nur in Richtung „Ausländerkriminalität“ ermittelt wurde. So waren etwa etwa von Familienangehörigen und Zeuginnen auf konkrete Hinweise auf Nazis als Täter gekommen – der Zeuge konnte oder wollte sich heute nicht einmal mehr daran erinnern, dass das Thema angesprochen worden war.

Zum Abschluss des Verhandlungstages stellte die Nebenklage drei umfangreiche Beweisanträge, die vor allem die Einbindung des „Trios“ in die Sächsische „Blood & Honour“-Szene thematisieren. So soll bewiesen werden, dass das Trio im gesamten Zeitraum des Aufenthaltes in Chemnitz vollständig in die dortige Naziszene integriert war, also sowohl an Freizeitaktivitäten als auch an politischen Diskussionen teilnahm, und sogar an der Erstellung von Magazinen und Propaganda mitwirkte. Dies wäre ein weiterer Beleg dafür, dass der NSU ein akzeptierter Teil der bundesdeutschen Naziszene war, dass diese Naziszene ganz bewusst zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele den bewaffneten Kampf als eine Strategie verfolgte und unterstützte. Dass sie dabei durch den V-Männer und Zahlungen der Verfassungsschutzämter unterstützt wurde, ist bereits bekannt.

16./17.09.2014

Zum Ursprung der Mordwaffe Ceska in der Schweiz

Gestern und heute sagten zwei Schweizer Polizeibeamte aus, die dort zwischen 2007 und 2012 diverse Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen zur Mordwaffe Ceska durchgeführt hatten. Hiernach war ursprünglicher Käufer der Schweizer Hans-Ulrich Müller, allerdings über einen Bekannten und mit dessen Waffenerwerbsschein. Dieser Bekannte gab nach jahrelangem Bestreiten 2012 endlich zu, für 400 Franken die Waffe (mit Schalldämpfer) für Müller bestellt zu haben. Müller habe ihm gesagt, er wolle die nach Deutschland verkaufen, er frage besser nicht weiter nach.

Müller seinerseits bestritt die Angaben seines Bekannten, verwickelte sich jedoch sehr schnell in Widersprüche. Er wurde im Februar 2012 von den Schweizer Behörden festgenommen und ihm wurde der Tatverdacht der Beihilfe zum Mord eröffnet. Daraufhin verwies er darauf, er sei in den 1990ern in Deutschland mit einer Ceska 7.65 mit Schalldämpfer festgenommen worden. Tatsächlich war er 1997 in Deutschland festgenommen worden – aber wegen Besitzes einer Luger 22 ohne Schalldämpfer. Der Hinweis auf die Ceska mit Schalldämpfer, die ja ab November 2011 in der Presse viel erwähnt wurde, zeigt, dass Müller selbst den Zusammenhang seiner Waffenlieferung zu den NSU-Morden kannte.

Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben versuchten wortreich, vermeintliche Widersprüche in den Angaben des ersten Beamten aufzuzeigen, und widersprachen der Verwertung seiner Angaben zu den ersten Vernehmungen des Bekannten Müllers. Besonders verständlich ist dieses Vorgehen nicht: Gründe für ein Verwertungsverbot sind nicht wirklich erkennbar, vor allem aber würde ein solches der Verteidigung auch gar nichts nützen – denn seine Rolle beim Kauf der Waffe hatte der Beschuldigte ohnehin erst in einer späteren Vernehmung zugegeben.
Die Befragung des zweiten Beamten ist noch nicht abgeschlossen, sie wird morgen früh fortgesetzt.

05.09.2014

Zur Aussagestrategie von Enrico Theile

Erster Zeuge heute war ein BKA-Beamter, der den Zeugen Enrico Theile vernommen hatte. Theile, der laut Anklage an der Beschaffung der Ceska-Pistole beteiligt war, hatte in der Hauptverhandlung die bei den Zeugen aus der Naziszene verbreitete Strategie des Ausweichens und Nicht-Erinnern-Wollens verfolgt (vgl. Berichte vom 28.04. und 02.07.2014). Nun wurde ergänzend der Vernehmungsbeamte gehört.

Es ging vor allem um einen Satz aus dem Vernehmungsprotokoll, von dem Theile behauptete, er habe ihn so nicht gesagt: Auf die Frage, wieso er nach der Enttarnung des NSU befürchtete, verhaftet zu werden, antwortete er, diese Befürchtung sei entstanden, weil „die Waffen alle von Herrn Müller stammten.“ Laut Anklage hatte Theile die Waffe von Müller erhalten und über Länger an den Betreiber des Szeneladens „Madleys“ weitergegeben, von wo sie an Wohlleben und Schultze gingen. Der Polizeibeamte bestätigte, dass Theile diesen Satz genau so gesagt hatte. Insgesamt ergab sich, dass Theile auch in dieser Vernehmung von Anfang an gelogen hatte, insbesondere was seine Kenntnisse über die Verkaufskette der Ceska anging. Die Beteuerungen Theiles, er habe nichts mit der Waffenlieferung zu tun gehabt, sind mehr als unglaubwürdig, seine Aussage im Prozess ist offenkundig eine Falschausssage.

Der ältere Bruder von André und Maik Eminger – anders als seine Brüder nicht fest in der Naziszene verankert – verweigerte erwartungsgemäß die Aussage. Bei der Polizei hatte er Angaben gemacht und versucht, die Naziaktivitäten seiner Brüder zu verharmlosen.

04.09.2014

Zu den Ermittlungen gegen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Jena und zur Durchsuchung am 26.01.1998

Der Thüringische Staatsschutzbeamte Dressler, der von 1997 bis 2001 als Leiter der EG Tex u.a. wegen mehrere Bombenattrappen gegen Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt und andere Mitglieder der Kameradschaft ermittelte, sollte eigentlich nur eine Stunde lang vernommen werden, um danach die Vernehmung des Chemnitzer Thomas Rothe (29.07.2014) fortzusetzen. Die Vernehmung Dresslers dauerte aber bis nach 16 Uhr, Rothe wurde erneut unverrichteter Dinge nach Hause geschickt.

Dressler übernahm die Ermittlungen der vorher bestehenden SoKo Rex zu den verschiedenen Bomben- und Briefbombenattrappen und machte diese zur Grundlage der Arbeit seiner EG Tex. Hatte die SoKo Rex noch den Auftrag gehabt, neben konkreten Straftaten auch die Struktur der militanten rechten Szene aufzuklären, wurde diese Aufgabe mit der EG Tex ersatzlos gestrichen.

Der Tatverdacht richtete sich auf Grund der eindeutigen politischen Ausrichtung der Taten und diverser konkreter Indizien gegen Mitglieder der Kameradschaft Jena. Die EG Tex regte gegenüber der Staatsanwaltschaft an, auch den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung aufzunehmen, das wurde aber abgelehnt.

Die Ermittlungsgruppe sei davon ausgegangen, dass die Täter eine geheime Werkstatt hatten. Daher sollte Uwe Böhnhardt observiert werden, um diese Werkstatt zu finden. Das LKA konnte aber nur für drei Tage Beamte für eine Observation stellen, die folglich nichts ergab. Es stellte sich aber heraus, dass auch das Landesamt für Verfassungsschutz Böhnhardt observierte. Dressler fragte dort an und bat um weitere Observation und um Übergabe gerichtsverwertbare Ergebnisse. Tatsächlich lieferte das Landesamt später einen entsprechenden Bericht und benannte die Garage, klassifizierte diesen aber als geheim und ließ sich hiervon auch auf Bitten Dresslers nicht abbringen. Der legte den Bericht zur Seite und schrieb einen Vermerk, in dem er diese Erkenntnisse als polizeieigene darstellte. Auf dieser Basis erging dann ein Durchsuchungsbeschluss für die Garage.

Die Durchsuchung selbst war extrem schlecht vorbereitet. Dressler als Ermittlungsleiter war auf einer Fortbildung. Der zuständige Staatsanwalt hatte angeordnet, keinerlei strafprozessuale Handlungen ohne seine Genehmigung vorzunehmen, war dann aber am Durchsuchungstag nicht erreichbar, auch sein Stellvertreter zunächst nicht. Die durchsuchenden Beamten hatten nicht einmal Werkzeug zum Aufbrechen eines Vorhängeschlosses dabei und mussten die Feuerwehr zur Hilfe rufen. Insofern war es nicht verwunderlich, dass die Garage bei der Wohnung Böhnhardt früher als die Bombenwerkstatt durchsucht wurde. In dieser Garage stand Böhnhardts Pkw, mit dem dieser ungehindert wegfuhr. Die Beamten warteten dann in aller Seelenruhe auf die Feuerwehr, die die zweite Garage öffnete, in der Bomben und Bombenbaumaterial sowie diverse Nazi-Zeitschriften, viele davon von Zschäpe abonniert, und weitere Papiere wie etwa Adresslisten gefunden wurden.

Auf dieser Grundlage wurden am 28.01.1998 Haftbefehle erlassen, nach den drei Geflohenen gefahndet. Diese Fahndung blieb bekanntermaßen erfolglos, obwohl Informationen über den Aufenthalt der Drei in Chemnitz vorlagen. Die umfangreiche Adressenliste aus der Garage wurde nicht für die Ermittlungen genutzt, weil das BKA sie als „nicht verfahrensrelevant“ eingestuft hatte.

Sehr misstrauisch macht, dass der Verfassungsschutz auf der Geheimhaltung des Berichts über die Observation Böhnhardts und die Entdeckung der Garage bestand, obwohl Dressler mehrfach eindringlich um Herabstufung bat – welches besondere Geheimhaltungsinteresse sollte an den Ergebnissen einer Observation bestehen? Hinzu kommt, dass das Gelände, auf dem sich die Garage befand, umzäunt und schwer einsichtig war, so dass eine Identifizierung der Garage nur anhand einer Observation schwer möglich erscheint. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass es sich in Wirklichkeit nicht um Ergebnisse einer Observation, sondern um Angaben eines V-Mannes aus dem direkten Umfeld der „Drei“ handelte. Der Zeuge wollte diese Möglichkeit nicht bestätigen, konnte sich aber auch keinen Reim auf das Verhalten des Verfassungsschutzes machen.

Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben widersprachen der Verwertung der Aussage des Zeugen zu den sichergestellten Beweismitteln, weil der Beamte die geheimen Informationen des Landesamtes als sein eigenes Wissen ausgegeben hatte.