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07.10.2014

Erneut „Blood and Honour“ Chemnitz – erneut Leugnen und Verharmlosen

Erneut wurde heute der Chemnitzer Thomas Rothe vernommen, bei dem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in ihrer Anfangszeit in Chemnitz, direkt nach ihrem Abtauchen, Unterschlupf gefunden hatten. Rothe versuchte weiterhin (vgl. die Berichte vom 01.04.2014 und vom 29.07.2014), alle Fragen mit dumpfem „kann mich nicht erinnern“ abzuwehren. Dies gelang ihm auch erneut, zumindest beim Vorsitzenden Richter Götzl, recht gut.

Die Verteidigung Zschäpe zeigte erneut, offensichtlich angetrieben durch die Unzufriedenheit ihrer Mandantin, etwas mehr an Aktivität und ließ dabei offensichtlich Wissen ihrer Mandantin einfließen. So hielt Rechtsanwältin Sturm dem Zeugen vor: „Nach meinen Erkenntnissen soll Herr Mundlos einmal mehrere Wochen bei Ihnen gewohnt haben.“ Rothe allerdings hatte nicht vor, zur Aufklärung beizutragen, und verneinte auch dies.

Immerhin führte Rothe auf Frage der Verteidigung Zschäpe aus, dass er nicht nur das Trio in Chemnitz aufgenommen hatte, sondern die drei auch in deren späteren Wohnungen in Chemnitz und in Zwickau mehrmals besucht hatte. Mit Mundlos alleine habe er sich in der gesamten Zeit, also über zwei Jahre lang, öfter getroffen, sie seien Freunde gewesen. Mundlos habe ihm auch ein paarmal bei Layoutproblemen am Computer geholfen – vermutlich bei Layouts seines eigenen Naziblättchens „Sachsens Glanz“ oder des „B&H“-Blattes White Youth.

Es war wieder mal der Nebenklage vorbehalten, die Einbindung des Zeugen in die militante Naziszene herauszuarbeiten. Rothe war in einem Zeitraum von zwei Jahren zumindest „Anwärter“ bei „Blood & Honour“, kannte die wichtigen Leute, beteiligte sich nicht nur an Konzerten, sondern auch am Layout von Publikationen. Durch sein eigenes Fanzine „Sachsens Glanz“, so schilderte er, wurden ihm viele andere Zeitschriften und Tonträger zugeschickt. Die in seinem Heft nachzulesenden Besprechungen von Fanzines und Musik zeigen eine Sammlung der aggressivsten, gewaltverherrlichenden neonationalsozialistischen Propaganda der damaligen Zeit.

An einer Stelle log Rothe nachweislich: mehrfach gab er an, er habe erst durch die Fernsehsendung „Kripo live“ am 22.02.1998 erfahren, dass „die Drei“ u.a. wegen dem Aufhängen einer Puppe gesucht wurden. Mit den dreien selbst habe er darüber nicht gesprochen. In der „Kripo Live“-Sendung, die in einer früheren Hauptverhandlung bereits vorgeführt wurde, taucht allerdings der Puppentorso an der Autobahnbrücke gar nicht auf.

Die nachfolgende Vernehmung eines Polizeibeamten, der Enrico Theile vernommen hatte, brachte nichts Neues.

Zum Abschluss gab die Nebenklage eine Erklärung zur Vernehmung Tino Brandt ab und betonte die Bedeutung von Brandts Aussage zur „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (vgl. Blog vom 30.09./01.10.2014).

Die Bundesanwaltschaft nahm Stellung zu Beweisanträgen der Nebenklage und erklärte sich mit der Vernehmung mehrerer Zeugen einverstanden. Dies betrifft insbesondere GndF-Kader Kai Dalek, der auch lange Jahre V-Mann des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz war.

04.09.2014

Zu den Ermittlungen gegen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Jena und zur Durchsuchung am 26.01.1998

Der Thüringische Staatsschutzbeamte Dressler, der von 1997 bis 2001 als Leiter der EG Tex u.a. wegen mehrere Bombenattrappen gegen Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt und andere Mitglieder der Kameradschaft ermittelte, sollte eigentlich nur eine Stunde lang vernommen werden, um danach die Vernehmung des Chemnitzer Thomas Rothe (29.07.2014) fortzusetzen. Die Vernehmung Dresslers dauerte aber bis nach 16 Uhr, Rothe wurde erneut unverrichteter Dinge nach Hause geschickt.

Dressler übernahm die Ermittlungen der vorher bestehenden SoKo Rex zu den verschiedenen Bomben- und Briefbombenattrappen und machte diese zur Grundlage der Arbeit seiner EG Tex. Hatte die SoKo Rex noch den Auftrag gehabt, neben konkreten Straftaten auch die Struktur der militanten rechten Szene aufzuklären, wurde diese Aufgabe mit der EG Tex ersatzlos gestrichen.

Der Tatverdacht richtete sich auf Grund der eindeutigen politischen Ausrichtung der Taten und diverser konkreter Indizien gegen Mitglieder der Kameradschaft Jena. Die EG Tex regte gegenüber der Staatsanwaltschaft an, auch den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung aufzunehmen, das wurde aber abgelehnt.

Die Ermittlungsgruppe sei davon ausgegangen, dass die Täter eine geheime Werkstatt hatten. Daher sollte Uwe Böhnhardt observiert werden, um diese Werkstatt zu finden. Das LKA konnte aber nur für drei Tage Beamte für eine Observation stellen, die folglich nichts ergab. Es stellte sich aber heraus, dass auch das Landesamt für Verfassungsschutz Böhnhardt observierte. Dressler fragte dort an und bat um weitere Observation und um Übergabe gerichtsverwertbare Ergebnisse. Tatsächlich lieferte das Landesamt später einen entsprechenden Bericht und benannte die Garage, klassifizierte diesen aber als geheim und ließ sich hiervon auch auf Bitten Dresslers nicht abbringen. Der legte den Bericht zur Seite und schrieb einen Vermerk, in dem er diese Erkenntnisse als polizeieigene darstellte. Auf dieser Basis erging dann ein Durchsuchungsbeschluss für die Garage.

Die Durchsuchung selbst war extrem schlecht vorbereitet. Dressler als Ermittlungsleiter war auf einer Fortbildung. Der zuständige Staatsanwalt hatte angeordnet, keinerlei strafprozessuale Handlungen ohne seine Genehmigung vorzunehmen, war dann aber am Durchsuchungstag nicht erreichbar, auch sein Stellvertreter zunächst nicht. Die durchsuchenden Beamten hatten nicht einmal Werkzeug zum Aufbrechen eines Vorhängeschlosses dabei und mussten die Feuerwehr zur Hilfe rufen. Insofern war es nicht verwunderlich, dass die Garage bei der Wohnung Böhnhardt früher als die Bombenwerkstatt durchsucht wurde. In dieser Garage stand Böhnhardts Pkw, mit dem dieser ungehindert wegfuhr. Die Beamten warteten dann in aller Seelenruhe auf die Feuerwehr, die die zweite Garage öffnete, in der Bomben und Bombenbaumaterial sowie diverse Nazi-Zeitschriften, viele davon von Zschäpe abonniert, und weitere Papiere wie etwa Adresslisten gefunden wurden.

Auf dieser Grundlage wurden am 28.01.1998 Haftbefehle erlassen, nach den drei Geflohenen gefahndet. Diese Fahndung blieb bekanntermaßen erfolglos, obwohl Informationen über den Aufenthalt der Drei in Chemnitz vorlagen. Die umfangreiche Adressenliste aus der Garage wurde nicht für die Ermittlungen genutzt, weil das BKA sie als „nicht verfahrensrelevant“ eingestuft hatte.

Sehr misstrauisch macht, dass der Verfassungsschutz auf der Geheimhaltung des Berichts über die Observation Böhnhardts und die Entdeckung der Garage bestand, obwohl Dressler mehrfach eindringlich um Herabstufung bat – welches besondere Geheimhaltungsinteresse sollte an den Ergebnissen einer Observation bestehen? Hinzu kommt, dass das Gelände, auf dem sich die Garage befand, umzäunt und schwer einsichtig war, so dass eine Identifizierung der Garage nur anhand einer Observation schwer möglich erscheint. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass es sich in Wirklichkeit nicht um Ergebnisse einer Observation, sondern um Angaben eines V-Mannes aus dem direkten Umfeld der „Drei“ handelte. Der Zeuge wollte diese Möglichkeit nicht bestätigen, konnte sich aber auch keinen Reim auf das Verhalten des Verfassungsschutzes machen.

Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben widersprachen der Verwertung der Aussage des Zeugen zu den sichergestellten Beweismitteln, weil der Beamte die geheimen Informationen des Landesamtes als sein eigenes Wissen ausgegeben hatte.

29.07.2014

Befangenheitsantrag der Angeklagten Zschäpe – viel Lärm um Nix

Der heutige Hauptverhandlungstag war weitgehend unergiebig:

Die Vernehmung des Zeugen Thomas Rothe, eines der ersten Unterstützer der Drei aus Blood and Honour-Kreisen in Chemnitz, musste erneut unterbrochen werden und wird an einem anderen Termin fortgesetzt. Rothe wurde nicht müde zu betonen, dass das doch jetzt alles 14 Jahre her sei und er damals eh nicht viel mitbekommen habe – er gab aber immerhin auch zu, dass er durchaus „zwei, drei Konzerte“ von Blood and Honour mitorganisiert hatte. Der Vorsitzende Richter kommentierte einen Ausschnitt aus einer früheren Vernehmung Rothes durch die Polizei mit den Worten: „Da haben sie ja glatt gelogen!“ Man kann gespannt sein auf die Fortsetzung dieser Vernehmung.

Es wurde dann ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vernommen, der 2011 den Mieter der Zwickauer NSU-Wohnungen und vermutlichen NSU Unterstützer Matthias Dienelt vernommen hatte. Diese Vernehmung gab der Verteidigung Zschäpe Gelegenheit, zu zeigen, dass sie ihre Mandantin „mit allen Mitteln verteidigen“ (so die Wertung in der Süddeutschen Zeitung) – auch mit Befangenheitsgesuchen, von denen sie wissen müssen, dass sie nicht den Hauch einer Chance auf Erfolg haben können. Der Vorsitzende hatte dem Zeugen längere Abschnitte aus dem damaligen Protokoll vorgehalten und von diesem bestätigen lassen, andere Abschnitte, darunter zwei, die nach Ansicht der Verteidigung für Beate Zschäpe entlastend sein sollten, dagegen nicht. Damit habe er seine Voreingenommenheit gezeigt, und da die anderen Mitglieder des Gerichts ebenfalls keine Fragen hierzu gestellt hätten, gelte das gleich auch für die. Nun mag man von der Tendenz des Vorsitzenden, vielen Zeugen größere Teile ihrer Vernehmungsprotokolle vorzulesen und sich „abnicken“ zu lassen, halten, was man will – eine Befangenheit daraus abzuleiten, dass er die Protokolle nicht vollständig vorliest, ist hanebüchen, kann doch die Verteidigung in ihrer Befragung etwaige Lücken jederzeit schließen. Außer zur „Klimapflege“ innerhalb der Verteidigung Zschäpe war dieser Antrag also zu nichts gut.

Über das Ablehnungsgesuch wird ein anderer Senat des Gerichts zu entscheiden haben. Die Hauptverhandlung und auch die Vernehmung des Ermittlungsrichters wurden einstweilen fortgesetzt. Wer nun erwartet hatte, dass die Verteidigung die angeblich entlastenden Aspekte der Aussage Dienelts herausarbeiten würde, wurde enttäuscht – statt dessen verloren sie sich in vagen Ausführungen zum Unterschied zwischen „rechtsradikalem“ und „rechtsextremem“ Gedankengut und Spekulationen zu den damaligen Entscheidungen des Haftrichters.
Einen deutlich kürzeren Auftritt hatte der Zeuge Maik Eminger, der Zwillingsbruder André Emingers und wie dieser seit Jahrzehnten in der Naziszene verankert: als Bruder des Angeklagten darf er die Aussage verweigern, was er auch tat. Eine politische Stellungnahme gab Maik Eminger aber vor dem Gerichtsgebäude ab, wo er mit einem Shirt mit der Aufschrift „Brüder schweigen“ auftrat – eine Anspielung auf sein Schweigerecht, aber vor allem auch ein Zitat aus dem Treuelied der Waffen-SS und Selbstbezeichnung der mörderischen Nazi-Terrororganisation „The Order“ aus den USA. Stellungnahmen der Nebenklage zu diesem Hinweis auf die Ideologie der Emingers versuchte die Verteidigung durch sofortige Beanstandung zu unterdrücken, es gelang aber, die Saalöffentlichkeit auf diesen Sachverhalt hinzuweisen.

01.04.2014

Das Netzwerk in Chemnitz

Zunächst wurde erneut einer derjenigen Verfassungsschutzmitarbeiter vernommen, die den V-Mann Tino Brandt betreut hatten. Er habe anfangs geglaubt, Brandt wolle sie hinters Licht führen, mit der Zeit sei aber eine alltägliche, gute Zusammenarbeit entstanden. Er habe Brandt „abschalten“ müssen, da der Leiter des Landesamtes, Roewer, geglaubt habe, dass der eigentliche V-Mann-Führer Brandts, Wießner, ihn hinters Licht führen wolle. Auch dieser Zeuge wird nach der Vernehmung des Tino Brandt nochmals nach München kommen müssen.

Danach folgte die Vernehmung von Thomas Rothe, der, soweit bislang bekannt, die erste Unterkunft in Chemnitz für das Trio nach dessen Untertauchen gestellt hatte. Zunächst versuchte er mit Angaben wie „Die standen bei mir vor der Tür, dann haben sie bei mir geschlafen“ genauere Nachfragen abzublocken. Durch geduldiges Nachfragen kam heraus, dass Rothe in die Nazimusikszene in Chemnitz eingebunden war, häufiger Mitglieder von internationalen Nazibands bei sich übernachten ließ. Weiter gab er an, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe einige Zeit bei ihm wohnten, vor allem aber, dass er sie auch nach ihrem Auszug und bis 2001 regelmäßig traf, sowohl in Chemnitz als auch in Zwickau.

Der Kontakt zu den Dreien sei durch Thomas Starke hergestellt worden, der sei mit den Dreien zu ihm gekommen und habe ihn gebeten, sie bei sich aufzunehmen. Starke habe ihn auch angerufen, auf einen Bericht im Fernsehen mit einem Fahndungsaufruf hingewiesen und diesen mit den Worten „du weißt schon, wen du da hast“ kommentiert. Rothe selbst gab zu, bei „Blood and Honour“ gewesen zu sein – der Naziorganisation, der zumindest auch Thomas Starke angehörte, und aus der ein wesentlicher Teil der Unterstützer jedenfalls in Sachsen kamen. Thomas Starke wird am Mittwoch vernommen.

Interessant war, dass der Vorsitzende intensiv nach „Blood and Honour“ nachfragte, obwohl die Anklageschrift die Organisation nur am Rand erwähnt. Fragen nach weiteren „B&H“-Mitgliedern blockte der Zeuge aber schließlich ab – unter Verweis auf ein Verfahren gegen ihn wegen seiner „B&H“-Aktivitäten, das 2010 wegen „geringer Schuld“ eingestellt worden war. Erst nachdem der Vorsitzende ihm mit Ordnungsgeld und Ordnungshaft bedroht hatte, verwies Rothe auf ein mögliches Schweigerecht wegen dieses Verfahrens. Der Vorsitzende unterbrach die Vernehmung, um zu prüfen, ob sich ein solches Schweigerecht ergibt. Dafür wird jetzt die Ermittlungsakte beigezogen. Der Zeuge wird sich bei seiner nächsten Vernehmung einem erheblichen Druck seitens des Gerichts ausgesetzt sehen.