Schlagwort-Archive: Sachsen

18.03.2015

U.a. zum Angeklagten Carsten Schultze

Der Verhandlungstag begann mit dem Gutachten des Psychiaters Prof. Leygraf. Er sollte sich dazu äußern, ob für Carsten Schultze, der zur Tatzeit 19 oder 20 Jahre alt war, noch Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Der Gutachter hatte sich bereits in seinem schriftlichen Vorgutachten hierfür ausgesprochen und bestätigte dies heute im Wesentlichen: das Coming Out von Schultze und sein Rückzug aus der Nazi-Szene zeigten, dass er sich nach den ihm vorgeworfenen Taten erheblich weiter entwickelt habe; dies wiederum spreche dafür, dass er zum Tatzeitpunk noch eher einem Jugendlichen gleichgestanden habe. Der Vorsitzende fragte nach, wies insbesondere darauf hin, dass der Ausstieg Schultzes und die ihm vorgeworfenen Taten zeitlich sehr nah beieinanderlagen.

Aus strafrechtlicher Sicht wäre dennoch die Anwendung von Jugendstrafrecht wenig überraschend – gleichzeitig aber in der konkreten Umsetzung auf einen heute Mitte-Dreißigjährigen nicht einfach: das Gericht wird insoweit den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts, aber auch die Schwere und den politischen Charakter der Tat, die Schultze eingestanden hat, berücksichtigen müssen. Weiterlesen

18.09.2014

Weiter zur Ceska und zu den Ermittlungen der „BAO Bosporus“

Heute sagte zunächst der Polizeibeamte weiter aus, der Hans-Ulrich Müller, laut Anklage Beschaffer der Ceska-Mordwaffe, vernommen hatte. In der letzten von ihm berichteten Vernehmung wurde Müller u.a. auch zu seinen Kontakten nach Thüringen befragt, u.a. zu Enrico Theile, der nächsten Station in der Ceska-Verkaufskette. Müller gab zu, Theile und auch andere Personen aus der Mischszene zwischen krimineller und Neonazi-Szene gekannt zu haben, stritt aber weiter ab, die Ceska besorgt zu haben. Seine Angaben widersprachen aber nicht nur denen seines Bekannten, sondern waren auch in sich widersprüchlich und unglaubhaft.

Dann wurde der Polizeibeamte Vögeler aus Nürnberg erneut befragt – er hatte am 1.8.2013 bereits zu den Ermittlungen in den Mordfällen Şimşek und Özüdoğru ausgesagt. U.a. ging es um eine Besprechung der „BAO Bosporus“, die in der Mordserie ermittelte, mit der Kriminalpolizei Köln zu Verbindungen zwischen der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag in Köln – von dort waren ja Videoaufnahmen der Tatverdächtigen vorhanden. Die Ermittlungen zu möglichen Zusammenhängen blieben – wie überhaupt die Ermittlungen der BAO Bosporus – ohne Ergebnis. Der Vorschlag, eine Operative Fallanalyse zu der Mordserie und dem Nagelbombenanschlag durchzuführen, wurde von den Kölner Kollegen abgelehnt, weil man dann „Äpfel mit Birnen vergleichen“ müsste.

Auch zu den gemeinsamen Ermittlungen mit der Polizei aus anderen Bundesländern, v.a. aus Hamburg und Dortmund, wurde er befragt. Auch hier gab es zwar Besprechungen, auch diese führten aber zu keinen konkreten Ergebnissen – dies vor allem deshalb, weil auch hier nur in Richtung „Ausländerkriminalität“ ermittelt wurde. So waren etwa etwa von Familienangehörigen und Zeuginnen auf konkrete Hinweise auf Nazis als Täter gekommen – der Zeuge konnte oder wollte sich heute nicht einmal mehr daran erinnern, dass das Thema angesprochen worden war.

Zum Abschluss des Verhandlungstages stellte die Nebenklage drei umfangreiche Beweisanträge, die vor allem die Einbindung des „Trios“ in die Sächsische „Blood & Honour“-Szene thematisieren. So soll bewiesen werden, dass das Trio im gesamten Zeitraum des Aufenthaltes in Chemnitz vollständig in die dortige Naziszene integriert war, also sowohl an Freizeitaktivitäten als auch an politischen Diskussionen teilnahm, und sogar an der Erstellung von Magazinen und Propaganda mitwirkte. Dies wäre ein weiterer Beleg dafür, dass der NSU ein akzeptierter Teil der bundesdeutschen Naziszene war, dass diese Naziszene ganz bewusst zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele den bewaffneten Kampf als eine Strategie verfolgte und unterstützte. Dass sie dabei durch den V-Männer und Zahlungen der Verfassungsschutzämter unterstützt wurde, ist bereits bekannt.