Schlagwort-Archive: GdNF

14.10.2015

Die Verteidigung setzt ihre verzweifelten Anträge fort. Und: Lügen und Verharmlosen XVI – noch einmal Mario Brehme.

Das Gericht lehnte morgens auch die gestrige Gegenvorstellung der Verteidigung Wohlleben ab. Es folgten zunächst auf Antrag der Verteidigung Wohlleben lange Unterbrechungen, dann lehnte Rechtsanwalt Klemke im Namen seines Mandanten alle RichterInnen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Auch dieser Schritt wurde wieder allein mit der Reaktion des Gerichts auf die Querelen in der Verteidigung Zschäpe begründet – erneut findet sich zur Bedeutung all dessen für Wohlleben nur ein dürftiger Satz. Nach einer weiteren Pause teilte Rechtsanwalt Grasel mit, dass sich Zschäpe dem Befangenheitsgesuch „anschließe“. Die Feststellung, dass diese Ablehnungsgesuche vollkommen substanzlos sind, bleibt anderen RichterInnen des Oberlandesgerichts überlassen. Der Vorsitzende Richter Götzl entschied, nicht auf deren Entscheidung zu warten, sondern zunächst weiter zu verhandeln. Weiterlesen

28.07.2015

Lügen und Verharmlosen XV – die gewaltfreie Naziszene Thüringens in den 90ern

Der gesamte heutige Verhandlungstag wurde auf die Vernehmung eines Zeugen verwendet, der ab den frühen 90er Jahren bei den Jungen Nationaldemokraten, der NPD und im Thüringer Heimatschutz aktiv war. Der Zeuge war bis heute nicht vernommen worden, vermutlich, weil er seit 10 Jahren in Kuwait lebt. Die Ladung ging auf einen Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben zurück, der Zeuge sollte belastende Angaben zu Wohllebens Verstrickung in die Unterstützung von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos widerlegen.

Tatsächlich lässt sich aus der Aussage des Zeugen nichts Relevantes für die Beweisaufnahme herausfiltern. Der Zeuge, offensichtlich immer noch in nazistische Ideologie und Terminologie verstrickt, bemühte sich zwar sichtlich, Zschäpe und Wohlleben zu entlasten, es wurde aber schnell deutlich, dass er dabei die Wahrheit nach Belieben verdrehte. Dabei mischte sich in seine erdichteten Geschichten zur Nazi-Szene und zur Rolle von Zschäpe und Wohlleben auch immer wieder eine glasklare Werbung für die neo-nationalsozialistische Ideologie. Weiterlesen

19.11.2014

Mehr vom „Führungskameraden“ Dalek

Heute wurde die Vernehmung des V-Mannes Kai Dalek fortgesetzt. Die Nebenklage hatte zunächst Gelegenheit, Fragen zu stellen. Ein sichtlich angespannter Vorsitzender Götzl intervenierte immer wieder, beanstandete Fragen der Nebenklage und unterbrach die Befragung.

Nachdem zunächst vom Bayerischen Innenministerium eine restriktive Aussagegenehmigung gekommen war, wurde dem Zeugen mit einem heute verlesenen Schreiben sogar erlaubt, die (Arbeits-)Namen seiner V-Mann-Führer zu nennen.

Der ehemalige V-Mann antwortete zwar erneut sehr weitschweifig, schien aber heute eher bereit, konkrete Angaben zu machen. Über zwei Jahre habe er sehr regelmäßig an den „Mittwochstreffen“ des „Thüringer Heimatschutz“ (THS) teilgenommen. Über alle seine Einsätze und Erkenntnisse habe er am Folgetag telefonisch und danach schriftlich dem Landesamt berichtet. Diese Aussage ist wichtig, weil diese Berichte – die bislang nicht vorliegen – es dem Verfassungsschutz schon damals ermöglicht hätten, die Angaben der „einzigen“ Thüringer Quelle Tino Brandt zu überprüfen.

Es wurde dann der bereits bekannte Spiegel-TV-Film über eine Wehrsportübung in Erfurt 1992 gezeigt, in dem zunächst THS-Mitglieder eine Häuserkampfübung durchführen und anschließend V-Mann Thomas Dienel eine widerliche Hetzrede hält. Dalek gab zu, bei dieser Veranstaltung anwesend gewesen zu sein, wollte aber die Aufrufe zur Gewalt seines V-Mann-Kollegen durch einen Hinweis auf dessen angebliche Alkoholisierung relativieren. Auf nachdrückliche Nachfrage des Vorsitzenden konnte er aber keine Angaben machen, woran er diese angebliche Alkoholisierung festmachen wollte. In dem Film sind jedenfalls keine Ausfallerscheinungen Dienels erkennbar.

Dalek blieb aber – in klarem Widerspruch zu seiner Angabe gegenüber der Polizei, Brandt habe einen bewaffneten Arm des THS aufgebaut – dabei, er habe in der gesamten Zeit der Beschäftigung mit der Organisation keine einzige Waffe gesehen. Weiterhin gab er aber an, er habe immer gewarnt, dass Brandt eine gefährliche Radikalisierung seines Umfeldes betreibe.
Wie stark der Verfassungsschutz die Naziszene auch weiterentwickelte, wurde deutlich als Dalek auf Frage der Nebenklage angab, er habe seine Nazi-Aktivitäten 1987 im Auftrag des Landesamtes aufgenommen, er habe im Auftrage des Landesamtes auch den Kontakt zu Brandt und dem THS aufgenommen. Die Frage, ob er im Auftrage des Landesamtes den Aufbau des Thule-Netzes betrieben habe, verneinte er nicht, sondern verweigerte die Antwort unter Hinweis auf die eingeschränkte Aussagegenehmigung. Er gab aber an, über das Thule-Netz habe Brandt und unter Umständen auch andere THS-Mitglieder kommunizieren können, auch eine verschlüsselte Kommunikation sei möglich gewesen. Es habe für Uwe Mundlos oder andere THSler auch die Möglichkeit gegeben, über einen anderen Thule-Netz-Betreiber, beispielsweise in Erlangen, Zugang zu bekommen.

Die Aussage verweigerte Dalek auch auf die Frage, ob er dem BayLfV technische Möglichkeiten eingerichtet habe, alle angemeldeten Benutzer des Thule-Netzwerkes zu identifizieren und allen Datenverkehr zu kopieren bzw. zu speichern. Ebenso verweigerte er unter Hinweis auf eine fehlende Aussagegenehmigung die Antwort auf die Frage, ob er in Berlin – wo er vor seinem Umzug nach Bayern gewohnt hat – auch schon für die Behörden gearbeitet habe.
Es ist klar, dass nur die Beiziehung aller beim bayerischen Verfassungsschutz liegenden Unterlagen zu Dalek Antworten auf die aufgeworfenen Fragen bringen kann, unter anderem auf die Fragen, ob Brandt tatsächlich Teile des THS so stark radikalisierte, dass aus diesen heraus der NSU entstand, und ob der NSU das vom V-Mann Dalek betriebene Thule-Netzwerk zur Kommunikation im Untergrund benutzte.

30.09./01.10.2014

Zu Brandt’s V-Mann-Führern – und zur „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“

Diese Woche standen vor allem die Vernehmungen von drei V-Mann-Führern des THS-Führers Tino Brandt an. Sie waren vor der Vernehmung Brandts bereits in München befragt worden, waren aber allesamt noch einmal geladen worden – auch, weil sie zum Teil extrem schlecht auf die Befragung vorbereitet waren.

Dieses Bild setzte sich gestern und heute fort: Alle drei V-Mann-Führer konnten oder wollten sich an die Gespräche mit Brandt nicht mehr erinnern, auch auf Vorhalt ihrer damaligen Vermerke wollte sich bei keinem von ihnen eine rechte Erinnerung einstellen. Soviel also zum Umgang mit der „Top-Quelle“ Brandt. Zum Teil gewann man den Eindruck, dass die VS-Beamten ihre Aufgabe mit dem Verfassen und Abheften eines kurzen Vermerks zu den Gesprächen als erledigt ansahen.

Die Nebenklage beantragte, Kai Dalek als Zeugen zu laden. Dalek war Gründer des in den 90er Jahren wichtigen Rechnerverbundes „Thule-Netz“ sowie der für Thüringen zuständige „Führungskamerad“ der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdnF), dem Brandt anweisungsgemäß gemeldet hatte, dass ihn der Thüringer VS angefragt hatte. Dalek, damals selbst schon V-Mann des bayerischen VS, berichtete „seinem“ Dienst u.a. auch umfangreich über die Gewaltaffinität des Thüringer Heimatschutzes und Plänen Brandts von einer „militärischen“ Organisation nach Vorbild der SA . Brandt hatte in seiner Zeugenaussage ja wenig glaubhaft behauptet, der THS habe Gewalt abgelehnt.

Die Zeugenaussage Daleks wird aber auch relevant sein, weil er zu der Einbindung des THS in das bundesweite Netzwerk „GdnF“ Angaben machen kann. Die „GdnF“ war von führenden militanten Nazikadern aus Westdeutschland Mitte der 1980er nach den Verboten diversen Nazi-Parteien und -Gruppen gegründet worden als informelle, aber hierarchisch organisierte Kaderorganisation. Ziel war eine zentrale Organisation der Führungskader aller im Bundesgebiet tätigen Parteien und Kleinstgruppen. Mit schnellen Neugründungen zahlreicher Kleinstgruppen wurden die staatlichen Verbote umgangen, trotzdem wurde durch die GdnF gewährleistet, dass all diese Gruppen politisch in eine Richtung arbeiteten. Die GdnF propagierte den Nationalsozialismus als Ziel und als Mittel, dieses zu erreichen, neben dem politischen Kampf den Straßenterror nach SA-Vorbild sowie gezielten politischen Mord. Die GdnF war es auch, die sich frühzeitig für die Skinheadkultur öffnete und ab Mitte der 90er-Jahre die bundesweite und internationale Verbreiterung des „Blood & Honour“-Netzwerkes vorantrieb. Wenn klar ist, dass mindestens zwei im bzw. für den THS wichtige Personen, Brandt und Dalek, Kader des GdnF waren oder sich diesen unterordneten, dann liegt es nahe, dass der NSU politisch und praktisch aus diesem Netzwerk beeinflusst und unterstützt wurde. In der GdnF fanden sich jedenfalls zahlreiche Personen, die sowohl praktisch über die notwendige Erfahrung für Vorbereitung und Durchführung von Morden und Sprengstoffanschlägen verfügten als auch politisch ein Konzept von Morden gegen Migranten ohne Bekennerschreiben entwickeln konnten.

23.09.2014

V-Mann Brandt: den Verfassungsschutz haben Straftaten der Naziszene nicht interessiert

Zunächst wurden heute ein Polizeibeamter und ein Richter aus Zwickau befragt, die die alte Frau vernommen hatten, die nur durch Zufall unverletzt aus dem brennenden Haus in der Frühlingsstraße geholt wurde.

Die Verteidigung Zschäpe versuchte mit großem Aufwand, die richterliche Vernehmung als fehlerhaft darzustellen, obwohl sich aus dieser lediglich ergibt, dass die alte Dame nicht mehr aussagefähig war. Dem Vernehmungsbeamten, der die Frau kurz nach der Tat vernommen hatte, versuchten die Zschäpe-Verteidiger eine Bestätigung zu entlocken, dass Zschäpe beim Verlassen des Hauses noch kurz bei der alten Dame geklingelt hatte. Juristisch könnte eine solche Feststellung allerdings nur ergeben, dass Zschäpe davon ausging, dass die alte Frau zu Hause war – und damit in dem Bewusstsein handelte, dass die alte Frau sterben könnte. Ein strafbefreiender Rücktritt kann aus einem einfachen Klingeln an der Haustür jedenfalls nicht abgeleitet werden.

Die Vernehmung des Zeugen Tino Brandt wird planmäßig morgen fortgesetzt. Wir werden morgen zusammenfassend berichten. Berichtenswert sind allerdings bereits zwei Aussagen des langjährigen V-Mannes Brandt, die deutlich machen, wie der Verfassungsschutz in Deutschland arbeitet, wenn es um Nazis geht.

Zu seiner „Nachrichtenehrlichkeit“ gab Brandt an, er habe sich in den Gesprächen mit dem LfV nicht weiter zu Straftaten geäußert. Den Verfassungsschutz habe das auch nicht interessiert, für den sei die Aufklärung von „Diskoschlägereien“ nicht interessant gewesen und habe nie nach Straftaten der Naziszene gefragt.

Außerdem habe er bereits in den frühen 1990ern einen „Führungskameraden“ aus der militanten Neonazi-Szene gehabt, dem er beispielsweise das Anwerbegespräch mit dem Thüringer LfV melden musste. Sein Führungskamerad sei Kai Dalek gewesen, von dem heute bekannt ist, dass er selbst V-Mann des Landesamtes Bayern war. Dalek sei Teil des bundesweiten Netzwerkes „Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front“ (GdnF) unter Führung des Hamburger Neonazis Christian Worch gewesen und innerhalb der GdnF für die „Führung“ der Thüringer Szene zuständig gewesen.

Die deutschen Verfassungsschutzämter haben mehr als ein Jahrzehnt lang behauptet, es gäbe keinerlei bundesweite Organisation der militanten Neonaziszene, die im Hintergrund der verschiedenen Parteien die Aktivitäten koordiniert habe. Antifaschistische Gruppen hatten immer wieder auf die Bedeutung der GdnF hingewiesen. Die Vernehmung heute bewies erneut, dass sie hiermit Recht hatten – selbst Gruppen wie Blood and Honour wurden aus diesem im Hintergrund wirkenden Netzwerk heraus beeinflusst und gesteuert.