14.10.2015

Die Verteidigung setzt ihre verzweifelten Anträge fort. Und: Lügen und Verharmlosen XVI – noch einmal Mario Brehme.

Das Gericht lehnte morgens auch die gestrige Gegenvorstellung der Verteidigung Wohlleben ab. Es folgten zunächst auf Antrag der Verteidigung Wohlleben lange Unterbrechungen, dann lehnte Rechtsanwalt Klemke im Namen seines Mandanten alle RichterInnen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Auch dieser Schritt wurde wieder allein mit der Reaktion des Gerichts auf die Querelen in der Verteidigung Zschäpe begründet – erneut findet sich zur Bedeutung all dessen für Wohlleben nur ein dürftiger Satz. Nach einer weiteren Pause teilte Rechtsanwalt Grasel mit, dass sich Zschäpe dem Befangenheitsgesuch „anschließe“. Die Feststellung, dass diese Ablehnungsgesuche vollkommen substanzlos sind, bleibt anderen RichterInnen des Oberlandesgerichts überlassen. Der Vorsitzende Richter Götzl entschied, nicht auf deren Entscheidung zu warten, sondern zunächst weiter zu verhandeln.

Einziger Zeuge war danach erneut Mario Brehme (zu dessen erster Vernehmung vgl. den Bericht vom 15.07.2015). Der präsentierte sich auch heute als überzeugter Neonazi, der frech und pseudo-wortgewandt auftrat. Inhaltlich gab er sich alle Mühe, den Fragen des Vorsitzenden auszuweichen, betrieb dies bis weit über die Grenze der Lächerlichkeit hinaus. So wiederholte er auf die Frage nach Mitgliedern des THS ständig, das seien nur er und der V-Mann Tino Brandt gewesen, mehr Mitglieder habe es nicht gegeben. Dabei beschrieb der Zeuge den THS als Unterorganisation der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GDNF). THS-Chef Brandt sei dieser gegenüber weisungsgebunden gewesen, er selbst habe Anweisungen von Brandt erhalten, alle weiteren „Kameraden“ im THS-Netzwerk, also in den lokalen Kameradschaften, die sich im THS vereinigten, seien ihnen unterstellt gewesen.

Insbesondere Ralf Wohlleben stellte er zum einen als unbedeutenden Nazi dar, der nicht einmal Mitglied des THS gewesen sei, zum anderen als jemand, der Gewalt absolut abgelehnt habe. Die Unglaubhaftigkeit stand seiner Aussage insgesamt allerdings derart ins Gesicht geschrieben, dass dieser Versuch Wohlleben in Schutz zu nehmen scheitern muss. Dass die Angeklagten aus Sicht des Zeugen ihm unterstellte Mitglieder seiner Organisation waren, wurde deutlich, als er ausführte, er habe einmal scharfe Kritik an Zschäpe geäußert, weile diese eine Veranstaltung unter dem Namen „Initiative Thüringer Heimatschutz“ angemeldet habe – die Verwendung des falschen Namenszusatzes „Initiative“ habe ihn geärgert.

Ansonsten nutzte Brehme erneut jede Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass er weiterhin ein überzeugter militanter Neonazi ist. So antwortete er etwa auf die Frage, ob er an Schießübungen teilgenommen habe: „Wenn es die Möglichkeit gab, hab ich sicher nicht Nein gesagt. Wer rastet, der rostet.“ Und an dem menschenverachtenden antisemitischen Spiel „Pogromly“ hatte ihn nach seinen Angaben „die Wortwahl“ aufgeregt, „Ich fand, der Name spricht sich schlecht aus“, er sei daher für ein Massenspiel schlecht geeignet gewesen. „Ich hätte noch ein O eingefügt, aber das passte wohl platzmäßig nicht mehr.“

Am Ende entspann sich ein längerer Disput, ob der Zeuge auf die Frage, ob er als Informant für den Verfassungsschutz gearbeitet hat, antworten muss oder nicht. Gegen 17:10 Uhr unterbrach der Vorsitzende die Vernehmung Brehmes, der wird also noch einmal nach München anreisen müssen.

Außerdem teilte der Vorsitzende zur Überraschung aller Beteiligten mit, dass der Verhandlungstag morgen „im Hinblick auf das Befangenheitsgesuch“ ausfällt. Ganz davon abgesehen, dass es gegenüber den zum Teil weit angereisten Verfahrensbeteiligten ein sehr schlechter Stil ist, eine solche Entscheidung ganz am Ende der Verhandlung mitzuteilen: es ist keinerlei Grund ersichtlich, warum man den Termin morgen ausfallen lassen musste. Die ZeugInnen waren geladen, die Verfahrensbeteiligten anwesend, und die Strafprozessordnung erlaubt es ohne weiteres, nach einem Befangenheitsgesuch noch einen weiteren Tag weiter zu verhandeln.

Es verstärkt sich mehr und mehr der Eindruck, dass das Gericht die Beweisaufnahme derzeit nur mit halber Kraft betreibt – über die Hintergründe hierfür ließe sich nur spekulieren.