Dreist, dreister, Mario Brehme
Heute Vormittag hörte das Gericht drei ZeugInnen zu verschiedenen Themen: Den Anfang machte ein Chemnitzer, der seine Mutter im Haus Wolgograder Allee 76 in Chemnitz besucht und dabei Beate Zschäpe mehrmals im Hausflur getroffen hatte. In dem Haus war das Trio recht bald nach dem Untertauchen auf Vermittlung von André Eminger untergekommen. Er sagte, seine Mutter habe sich über die neuen Mieter beschwert, die laut wären, Nazilieder sängen und Zigarettenkippen vom Balkon würfen. Sie habe die Frau, die er nach 2011 als Beate Zschäpe identifizierte, angesprochen und sei von dieser beschimpft worden.
Es folgte ein Polizeibeamter aus Thüringen, der mehrere Vermerke zur Entwicklung des THS geschrieben hatte. Er gab allerdings zu Beginn seiner Vernehmung freimütig an, dass er nur „im Sinne einer Hausarbeit“ schriftliche Berichte von Verfassungs- und Staatsschutz zusammengefasst hatte, also selbst nichts aussagen konnte. Derselbe Beamte war auch bereits in den 1990ern an Ermittlungen gegen Mitglieder des „Thüringer Heimatschutz“ beteiligt, konnte sich aber auf Befragung durch die Nebenklage an gar nichts mehr erinnern.
Schließlich sagte eine BKA-Beamtin aus, die zu den Aliaspersonalien der Drei ermittelt hatte. Spannend war, dass die drei von den Personen, die ihnen Pässe und anderes beschafft hatten, zahlreiche Informationen zum privaten Umfeld erhalten hatten, um besser in diese „Rollen“ schlüpfen zu können. Die Anbindung des Unterstützerumfeldes muss insgesamt sehr eng gewesen sein. Warum die Bundesanwaltschaft trotz dieses Wissens bis heute an der Mär der isolierten Gruppe dreier Täter festhält, ist immer weniger nachzuvollziehen. Die Vernehmung der Zeugin wurde unterbrochen und wird Ende des Monats fortgesetzt.
Am Nachmittag folgte die Zeugenvernehmung eines ehemaligen führenden Kaders des Thüringer Heimatschutzes. Mario Brehme, damals Jurastudent, heute Pharmareferent, erschien in Begleitung eines Zeugenbeistands und versuchte angestrengt, alle bisher dagewesenen Nazizeugen an Dreistigkeit zu übertreffen. Die Vernehmung konnte nicht abgeschlossen werden, ein neuer Vernehmungstermin steht noch nicht fest.
Brehme wurde auf einen Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben geladen. Er sollte nicht nur die Behauptung bestätigen, dass Wohlleben ein klarer Gegner jeglicher Gewalt gewesen sei, sondern auch zu einer Anfrage eines Stern-Reporters wegen eines Interviews mit den drei Untergetauchten aussagen. Doch zunächst mauerte Brehme schon bei der Angabe seines Berufes und seiner Wohnadresse. Danach verweigerte er durchgehend alle Angaben zu damaligen Mitgliedern oder SympathisantInnen des Thüringer Heimatschutzes. Er und V-Mann Tino Brand hätten die Organisation geleitet, an andere Namen erinnere er sich nicht. Lediglich an den weiteren V-Mann Kai Dalek konnte er sich erinnern. Diese Linie hielt er bis zum Ende des Verhandlungstages durch.
Brehme war gemeinsam mit dem Jenaer THSler André Kapke im Sommer 1998 nach Südafrika gereist und hatte dort unter anderen den Nazipublizisten Claus Nordbruch besucht. Es liegen zahlreiche Aussagen vor, dass mit diesem über die mögliche Unterbringung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gesprochen wurde. Heute leugnete Brehme zunächst gänzlich, Nordbruch dort überhaupt getroffen zu haben.
Dem heute bürgerlich auftretenden Brehme kam der Jargon des neo-nationalsozialistischen Agitators sehr flüssig von den Lippen. Er griff auch das Gericht direkt an: im Thüringer Heimatschutz habe er sich eingesetzt für eine Welt, „in der es keine Gefangenschaften gibt über drei Jahre ohne Urteile” – ein klarer Verweis auf die andauernde Untersuchungshaft gegen Wohlleben. Bezogen auf den Tod von Uwe Böhnhardt, zweifelte er dessen Selbstmord an: “Er hatte auch keine Angst vor der Polizei. Also wenn zwei Thüringer Polizisten vor der Haustür stehen, hätte er sicher keinen Selbstmord gemacht.”
Durch sein bisheriges Verhalten ist der Zeuge insgesamt vollkommen unglaubwürdig und deshalb auch für die Verteidigung Wohlleben unbrauchbar. Es wird einmal mehr deutlich, dass die Zeugen aus dem NSU-Umfeld längst erkannt haben, dass das Gericht eine harte Auseinandersetzung selbst mit dreist lügenden Zeugen aus der Naziszene scheut.