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23.07.2014

Lügen und Verharmlosen VIII – Gewährsperson Andreas Rachhausen

Der Hauptverhandlungstag begann mit einer Mitteilung des Vorsitzenden, der für morgens geladene Zeuge habe angerufen, und mitgeteilt, er käme nicht, ihm sei unterwegs schwindelig geworden und er müsse jetzt erst einmal in ein Wirtshaus. Was Götzl wie einen Witz erzählte und was von den Medien auch so aufgenommen wurde, könnte allerdings einen ernsthaften Hintergrund haben: der Zeuge war mit Uwe Böhnhardt in einer kriminellen Jugendgruppe aktiv. Nachdem er gegenüber der Polizei eine Aussage gemacht hatte, ließ ihn die Gruppe nach einem Autounfall halbtot liegen. Im Krankenhaus liegend wurde er bedroht. Er hat offensichtlich erhebliche Folgen und Ängste zurückbehalten.

Anschließend wurde Andreas Rachhausen vernommen, der neben Tino Brandt eine maßgebliche Rolle im Thüringer Heimatschutz gespielt haben soll. Genau wie dieser gab er Informationen gegen Geld an den Verfassungsschutz, allerdings etwas lockerer angebunden, als „Gewährsperson“. Von dieser Tätigkeit sind allerdings nur zwei sogenannte Treff-Meldungen in den Akten, ob es weitere gibt, ob Meldungen vernichtet wurden, ist bislang unbekannt.

Rachhausen erschien mit seinem Zeugenbeistand, Rechts-Anwalt Jauch, der zuletzt am 8. Juli 2014 selbst als Zeuge aussagen musste.

In einer stundenlangen Befragung gab er zunächst gegenüber dem Vorsitzenden Götzl an, der THS sei nur ein Transparent gewesen, Strukturen hätten nicht bestanden, THS-Treffen in der Gaststätte Heilsberg habe er nur ein paar erlebt, dabei sei nur getrunken worden. Die Angeklagten und Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos kenne er gar nicht oder nur vom Sehen. Zu Nazis im Ausland habe er nie Kontakt gehabt. Er habe einmal auf Wunsch von Wohlleben und Kapke ein Fahrzeug abgeschleppt, genaueres wisse er dazu nicht. Tatsächlich war es das Fluchtfahrzeug des Trios bei ihrem Untertauchen.

Erst auf intensive Befragung der Nebenklage gab er zu, dass er gemeinsam mit anderen Nazis aus dem Umfeld von Böhnhardt sich von Spiegel-TV bei Wehrsport- und Häuserkampfübungen hatte filmen lassen. Außerdem arbeitete er zur Hochzeit der THS-Treffen in der Gaststätte Heilsberg, war also fast immer dort. Im Jahr 1992 war er einer der Anmelder des Rudolph Hess-Marsches in Rudolstadt, der mit 1800 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und Nazis aus ganz Europa durchgeführt wurde. Als wegen gefährlicher Körperverletzung ein Haftbefehl gegen ihn erging, floh er nach Belgien, in die USA und nach Dänemark, wo er bei dem führenden Nazikader und Auschwitzleugner Thiess Christophersen Unterschlupf fand.

Von seiner Mitarbeit für den Verfassungsschutz habe er Brandt Mitteilung gemacht. In der Szene sei bekannt gewesen, dass „wenn vier Personen zusammensitzen, zwei davon für den Verfassungsschutz arbeiten“. Dies sei nicht schlimm gewesen, denn er habe dem Dienst ohnehin nur Belanglosigkeiten erzählt.

Rachhausens Vernehmung wird an einem weiteren Verhandlungstag fortgesetzt werden.

Während der gesamten Vernehmung wurde deutlich, dass Rachhausen log, um seine Rolle im THS und dessen wahre Bedeutung zu verharmlosen. Deutlich wurde aber auch, dass die Thüringer Naziszene Erfahrungen mit dem Untertauchen gesuchter Straftäter hatte und jedenfalls ab 1992 bundesweit und international gut vernetzt war. Der bewaffnete Kampf wurde offensichtlich diskutiert und trainiert und durch die Darstellung gegenüber der Presse propagiert. Die Nazis gebrauchten damit Gewalt im doppelten Sinne: Durch Überfälle, Körperverletzungen etc. einerseits und andererseits durch die einschüchternde Wirkung der öffentlichkeitswirksam zur Schau gestellten Ankündigung bewaffneter Aktionen über die Presse oder durch Aufkleber.

Bereits Jahre vor den ersten Morden des NSU war also der Einsatz von Waffen gegen politische Feinde ganz normales Thema in der Thüringer Naziszene und dem THS. Der Verfassungsschutz wusste dies und bezahlte wichtige Protagonisten. Im Gegenzug erhielt er nutzlose Informationen.

Die Hauptverhandlung am Donnerstag, 24. Juli wurde abgesetzt. Die geplante Fortsetzung der Vernehmung des Thomas Gerlach konnte nicht stattfinden, weil mehrere Umzugskartons Ermittlungsakten eines Verfahrens gegen die Hammerskins wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie eines weiteren Verfahrens gegen Gerlach wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen werden konnten. Die Akten waren erst diese Woche beim OLG eingetroffen. Anhand dieser Akten muss geprüft werden, ob Gerlach möglicherweise die Aussage verweigern darf.

09.07.2014

Mühsame Befragung zu Böhnhardt

Zunächst sollte heute Morgen Matthias Dienelt befragt werden, der über insgesamt 7 Jahre Wohnungen für den NSU angemietet hatte, zunächst in der Polenzstraße, später in der Frühlingsstraße. Gegen Dienelt läuft immer noch ein Strafverfahren wegen Unterstützung des NSU, insofern verweigerte er erwartungsgemäß die Aussage.

Daher wurde in direktem Anschluss ein Polizeibeamter aus Chemnitz befragt, der Dienelt kurz nach dem Brand in der Frühlingsstraße vernommen hatte. Dieser hatte damals angegeben, über seinen Freund André Eminger einen Max Florian B. kennengelernt zu haben und für diesen nacheinander die beiden Wohnungen angemietet zu haben. B. habe ihm gesagt, er könne wegen Schulden keinen Mietvertrag unterschreiben. In beiden Wohnungen habe er ein Zimmer gehabt, aber nur selten dort geschlafen. Zuletzt habe er etliche Monate nicht mehr in der Frühlingsstraße geschlafen.

Zutreffend hatte Dienelt Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt als Lise, Mac und Gerry beschrieben. Seine sonstige Geschichte ist wenig glaubhaft, so dass seine Aussageverweigerung konsequent ist. Es spricht vielmehr alles dafür, dass Dienelt sehr genau wusste, für wen und warum er die Wohnung anmietete. Dienelt war zusammen mit André Eminger in ihrer Heimatstadt Johanngeorgenstadt auch politisch in der Naziszene aktiv.

Danach wurde der Bruder von Uwe Böhnhardt vernommen. Dieser beschrieb sein nicht besonders enges Verhältnis zu seinem Bruder, dessen Identifikation mit der Naziszene und schließlich sein Abtauchen. En wirklich enges Verhältnis hatte offensichtlich nur während der Kindheit bestanden, später nahm er den Nazi-Bruder in SA-Uniform eher als Belastung für das eigene Leben wahr.

Die Nebenklage stellte anschließend einen umfangreichen Beweisantrag zur Verbindung von André Eminger zu den sogenannten Hammerskins, einer Organisation, die wie „Blood and Honour“ mittels Musik und Konzerten Naziideologie und Terrorkonzepte propagiert. Eminger hatte gemeinsam mit seinem Bruder Maik eine Gruppe „Weisse Bruderschaft Erzgebirge“ aufgebaut, die ideologisch und personell eng mit den Hammerskins verbunden war und die die von amerikanischen Naziterroristen in ihren „14 Words“ aufgestellte Forderung „We must secure the existence of our people and a future for White children.“(Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft für die weißen Kinder sichern.) als quasi-religiöse Losung verbreitet.

01.07.2014

OLG München: Beweisaufnahme hat die Vorwürfe gegen Ralf Wohlleben bestätigt

Die Hauptverhandlung begann heute erneut mit langwierigen Unterbrechungen und einem Befangenheitsantrag der Verteidigung Wohlleben gegen den gesamten Senat. Der Antrag war eine eher verzweifelte Reaktion auf einen Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 25. Juni, der der Verteidigung am vergangenen Freitag zugestellt wurde. Die Verteidigung hatte die Aufhebung bzw. Aussetzung des Haftbefehls gegen Wohlleben beantragt. In seinem Beschluss stellt das Gericht nun ziemlich klar dar, dass sich nach vorläufiger Bewertung der bislang erfolgten Beweisaufnahme der Anklagevorwurf gegen Wohlleben – Beihilfe zu neun Fällen des Mordes – in vollem Umfang bestätigt hat. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot oder andere Umstände, die zur Aufhebung oder Aussetzung des Haftbefehls führen müssten, seien ebenfalls nicht ersichtlich.

Das Gericht entschied auch, weiter zu verhandeln und nicht zu unterbrechen, bis über den Befangenheitsantrag entschieden ist. An der Entscheidung über den Befangenheitsantrag dürfen die abgelehnten Richter nicht beteiligt sein. Insoweit könnte sich der Antrag der Verteidigung Wohlleben in einen Bumerang verwandeln: Denn es steht zu erwarten, dass das Ergebnis eine weitere Entscheidung durch weitere Richter des Oberlandesgerichts sein wird, die den Beschluss des Senats jedenfalls moralisch stärkt. Ob Wohlleben auch das ihm mögliche Rechtsmittel einer Beschwerde zum Bundesgerichtshof einlegen wird, ist bislang unklar. Immerhin birgt ein solcher Schritt die Gefahr, dass ein Senat des höchsten Strafgerichts die Bewertung des OLG bestätigt und damit endgültig festschreibt.

Der Beschluss zeigt nicht nur Wohlleben, dass die Aktivitäten seiner Verteidiger bislang keinerlei Wirkung beim Senat bewirkt haben, er macht auch deutlich, dass auch die immer wieder geäußerten Zweifel der Verteidigung Zschäpe an den gegen ihre Mandantin vorgebrachten Beweisen letztlich Schall und Rauch bleiben dürften. Der Senat geht mit leichter Hand über die von der Verteidigung Wohlleben vorgebrachten Zweifel hinweg, so dass leicht vorstellbar wird, dass auch die von ihrer Verteidigung vorgebrachten Zweifel an einer (Mit-)Täterschaft von Beate Zschäpe als wenig überzeugend verworfen werden.

Nach der Mittagspause wurde der eigentlich für den gesamten Tag eingeplante Zeuge Thomas Gerlach vernommen, eine der zentralen Figuren der Thüringer Naziszene und auch bundesweit und international bedeutsam, insbesondere wegen seiner Bedeutung im Netzwerk der Hammerskins.

Gerlach versuchte, sich nach dem hier im Prozess immer wiederkehrenden Motto „Leugnen und Verharmlosen“ herauszureden. Seit zwei Jahren sei er nicht mehr aktiv, habe aber seine Gesinnung nicht aufgegeben. Seit einer mehrjährigen Haftstrafe habe er erkannt, dass Gewalt kein Mittel im politischen Kampf sei, das habe auch die gesamte Kameradschafts- und NPD-Szene, insbesondere der Angeklagte Wohlleben, so vertreten. Mit Wohlleben und Kapke habe er seit Anfang 2000 viel zusammengearbeitet, beim Aufbau von überregionalen Netzwerken wie dem Freien Netz, bei verschiedenen Kampagnen und dem sog. „Fest der Völker“. Über dieses habe er viele internationale Kontakte aufgebaut, in der Schweiz, nach Portugal und in andere Länder. Es war deutlich spürbar, dass auch der Vorsitzende die verharmlosende Darstellung des Aufbaus bundesweiter Nazinetzwerke durchschaute.

Verräterisch war, wenn Thomas Gerlach – der übrigens mit dem Angeklagten Holger Gerlach nicht verwandt ist – von „Kameradschaften und Aktionsgruppen“ sprach, ein Begriff, der vor allem in Zusammenhang mit dem Aufbau eines „führerlosen“ militärischen Widerstandes benutzt wird, wie er von amerikanischen Nazis entwickelt und von „Blood and Honour“ und den Hammerskins verwendet wird.

Bei den Hammerskins wurde auch deutlich, dass der Zeuge Gerlach nicht nur Leugnen und Verharmlosen will: gefragt nach seiner Mitgliedschaft in dieser Organisation, wie sie von der Zeugin Mandy Struck beschrieben wurde, mit der er früher eine Beziehung hatte, teilte Gerlach mit, er werde solche Fragen nicht beantworten. Hierbei blieb er auch nach eindeutiger Belehrung durch den Vorsitzenden, dass hierfür Ordnungsgeld und Ordnungshaft verhängt werden könnten. Sein „an sich selbst gestelltes Wertegefühl“ würde ihm verbieten, zu den Hammerskins Angaben zu machen.

Der Vorsitzende Richter Götzl verzichtete an dieser Stelle darauf, Ordnungsmittel zu verhängen, und unterbrach die Vernehmung kurz nach 16 Uhr, weil noch Fragen zu anderen Themen, zu denen Gerlach bislang ausssagebereit war, offen sind. Der Zeuge „Ace“ Gerlach wird also erneut nach München reisen und dann ggf. beweisen müssen, ob er bereit ist, für sein „an sich selbst gestelltes Wertegefühl“ in Ordnungshaft zu gehen.