04.03.2015

Zur Struktur und Ideologie der Szene in Jena

Nachdem Beate Zschäpe mitgeteilt hatte, dass sie wieder an der Verhandlung teilnehmen könne, wurde diese heute fortgesetzt. Peinlich und ärgerlich war allerdings, dass auf Nachfrage des Vorsitzenden die Verteidigung Zschäpe mitteilte, diese habe der Vernehmung einer Zeugin am vergangenen Dienstag auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht vollständig folgen können. Peinlich, weil die drei Verteidiger Zschäpes nicht selbständig in der Lage scheinen, sich um den Zustand ihrer Mandantin zu kümmern. Ärgerlich, weil diese Vernehmung nunmehr wiederholt werden muss. Ein einfacher Hinweis der ansonsten immer so sehr auf Verfahrensbeschleunigung pochenden Verteidigung hätte diesen doppelten Aufwand vermieden.

Der Vorsitzende war entsprechend genervt, hatte aber offensichtlich einen weiteren Krankheitstag Zschäpes befürchtet und deshalb den Verfassungsschützer Meyer-Plath bereits abgeladen. Dieser wird zu einem späteren Verhandlungstag erneut geladen werden. Einziger Zeuge heute war daher der jüngere Bruder von André Kapke, der einige Zeit ebenfalls in der Neonazi-Szene Jenas aktiv war.

Der Zeuge gab an, sich Anfang der 2000er aus der Szene zurückgezogen zu haben. Er machte im Gericht den Eindruck, dass er sich durchaus bemühte, sein Wissen von damals zu schildern. Insofern bildete er einen Gegenpol zu vielen anderen Zeugen aus der (früheren) Nazi-Szene. Insbesondere machte er längere Ausführungen zur ideologischen Ausrichtung der Nazi-Szene, insbesondere zu dem unbedingten Rassismus und Antisemitismus, den auch er damals vertrat. Allerdings war eine deutliche Tendenz zur Verharmlosung erkennbar, wenn es um die Gewaltbereitschaft der Szene ging.

Sein Rückzug aus der Szene, so der Zeuge heute, sei u.a. über Kontakte zur Burschenschaft Jenensia Jena eingeleitet worden – also genau der Burschenschaft, aus der 1999 elf Burschen wegen extrem rechter Veranstaltungen und Kontakten zum THS ausgeschlossen wurden und die Burschenschaft Normannia gründeten, die zeitweise sogar Veranstaltungen im „Braunen Haus“ durchführte.

Der Zeuge bewegte sich zum einen in den Kreisen um die Kernmitglieder der Kameradschaft Jena, zum anderen war er als Teil des Liedermacher-Duos „Eichenlaub“ auch über Jena hinaus bekannt. „Eichenlaub“ hatte u.a. ein Lied zu den untergetauchten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos geschrieben – ein weiteres Zeichen für die besondere Stellung dieser Drei in der Szene.

Er berichtete u.a. über mehrere Interviews in Szene-Zeitschriften, die von Holger Gerlach und Ralf Wohlleben organisiert wurden. Zu Gerlach gab er auch eine weitere interessante Information an: „Eichenlaub“ war 1999 bei einem „Blood & Honour“-Konzert in Hildesheim aufgetreten. Diesen Auftritt hatte, so berichtete Kapke heute, der damals bereits nach Hannover verzogene Gerlach organisiert. Gerlach hatte also anscheinend einen sehr guten Draht zu den Veranstaltern von „Blood & Honour“.

Ralf Wohlleben schätzte er als strukturell sehr wichtig für die Jenaer Szene ein, er habe eine führende Rolle gehabt. Ideologisch sei er aber schwer einzuschätzen gewesen, weil er im Vergleich zu den anderen ein nach außen unauffälliges, „fast bürgerliches Leben“ gelebt habe. Auch Carsten Schultze hatte sich im Laufe der Zeit eine gewisse Position in der Szene erarbeitet, so dass am Ende sein Wort dort etwas galt.

Eine etwas skurrile Szene entstand, als der Angeklagte Carsten Schultze selbst den Zeugen zum ersten Zusammentreffen der beiden – im Bus zur Demonstration gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ in München – befragte. Schultze schien aufzeigen zu wollen, dass er damals (ganz zu Beginn seiner Aktivitäten in der Szene) noch keine hervorgehobene Rolle gespielt hatte. Der Zeuge erinnerte sich aber gar nicht an die Details, die Schultze von ihm bestätigt haben wollte.

Ebenfalls zur Struktur und Ideologie der Szene in Jena soll ein Zeuge aussagen, dessen Vernehmung die Nebenklage heute beantragte. Er war Gründungsmitglied der „Kameradschaft Jena“, aber bereits nach 2 Monaten wieder ausgetreten. Gegenüber der Polizei hatte er v.a. Angaben zur Ideologie der damaligen „Kameraden“ gemacht. Seine Aussage soll erneut aufzeigen, dass die Kernmitglieder der Kameradschaft schon damals eine kompromisslose gewaltbereite und rassistische Einstellung hatten.