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05.02.2014

Lügen und Verharmlosen III

Zum zweiten Mal wurde heute André Kapke, einer der engsten „Kameraden“ von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Gerlach, Schultze und Wohlleben vernommen. Er trat erneut dreist auf, schob andauernd Erinnerungslücken vor. Erneut schaffte es der Vorsitzende Richter Götzl nicht, genügend Druck aufzubauen, um die Blockaden Kapkes zu durchdringen.

Immerhin ergab sich, dass die Jenaer Untergruppe des Thüringer Heimatschutzes, der alle NSU-Mörder angehörten, über ein gutes Kommunikationssystem mit öffentlichen Telefonzellen und einer „Dechifriertabelle“ verfügte, also ziemlich verdeckt arbeitete. Kapke hatte das Trio bei der Flucht und zumindest zu Beginn ihrer Illegalität unterstützt, er gab auch erneut an, auf Vermittlung des V-Mannes Tino Brandt falsche Pässe für die Drei besorgt zu haben.

Als Kapke zum ersten Mal etwas in die Enge gedrängt war, wurde die Befragung durch einen Befangenheitsantrag der Verteidigung Zschäpe unterbrochen: Richter Lang, so Rechtsanwalt Heer, habe einen Ordner mit der Aufschrift „HV NSU“ und bringe damit zum Ausdruck, dass er die Existenz der terroristischen Vereinigung NSU bereits für erwiesen halte und daher voreingenommen sei. Obwohl dieser Befangenheitsantrag offensichtlich keine Erfolgsaussichten hat, verzögerte er die Verhandlung bis nach der Mittagspause und verschaffte Kapke eine Verschnaufpause.

Sehr ausführlich befragte Götzl zu einer u.a. von Wohlleben gebastelten „Geburtstagszeitung“ für Kapke aus 1998, mit offenen Mordaufrufen etwa gegen Ignatz Bubis und der Verächtlichmachung der Opfer des Holocaust. Kapke bezeichnete dies als „satirische, überspitzte“ Darstellung – es wurde klar, dass er genau solche Positionen bis heute vertritt.

Etwas stärkeren Druck baute die Generalbundesanwaltschaft bei ihrer Befragung auf und erzielte immerhin einige wichtige Antworten:

    • Böhnhardt, Mundlos, Gerlach und Kapke waren die zentralen Personen in der Naziszene in Jena. Sie waren über überregionale „Mittwochstreffen“ gut vernetzt.
    • Das Pogromly-Spiel, eine antisemtische Monopoly-Variante, wurde von allen gern gespielt
    • Kapke und Wohlleben besprachen die Einbindung Schultzes in die Betreuung der Untergetauchten.

Den erstaunlich nachgiebigen Umgang des Vorsitzenden mit mauernden Nazizeugen dokumentierte die folgende Begebenheit: Staatsanwalt Weingarten reagierte auf eine der vielen angeblichen Erinnerungslücken Kapkes mit dem halb an Götzl gerichteten Satz: „Wenn ich ein Vernehmungsrecht hätte und nicht nur ein Fragerecht, dann würde ich ihnen stark empfehlen, sich jetzt einen Ruck zu geben.“ Götzl aber sprang ihm nicht zur Seite, sondern schwieg.

Dass Götzl die lügenden Nazizeugen in diesem Prozess mit Samthandschuhen anfasst, obwohl ihm aus früheren Verfahren gerade im Umgang mit Zeugen ein furchteinflößender Ruf vorauseilt, irritiert sehr – vor allem, weil das Gefühl entsteht, dass die Naziszene mit dem Gericht spielt. Tatsächlich verbaut dies sicher eine weitergehende Aufklärung der Taten. Götzl will aber gar keine weitergehende Aufklärung, sondern eine anklagegemäße Verurteilung – für diese reichen ihm die vorliegenden Beweise und er will sich den Weg zum Urteil nicht mit Streitigkeiten über Ordnungsgelder und Beugehaft verkomplizieren.

Die Vernehmung durch die Nebenklage wird irgendwann in den nächsten Wochen fortgesetzt.