20.04.2016

Aufkündigung des Aufklärungsversprechens durch die Bundesanwaltschaft

Nachdem zunächst ein Zeuge zu einem Überfall auf eine Postfiliale in Chemnitz vernommen wurde, nahm die Bundesanwaltschaft zu den Beweisanträgen der Nebenklage zum V-Mann „Primus“ Ralf Marschner sowie zu Verbindung zwischen der Neonaziszene und der allgemeinkriminellen Szene in Thüringen Stellung.

Bundesanwalt Diemer verkündete, der Beweisantrag zu Marschner sei insgesamt abzulehnen, weil, selbst wenn alle Beweisbehauptungen als wahr unterstellt würden, diese für die Tat- und Schuldfrage keine Bedeutung hätten. Die Nebenklage stellte hierauf klar, dass diese Stellungnahme eine Aufkündigung des Aufklärungsversprechens an die Opfer der NSU-Verbrechen darstellt.

Der V-Mann Marschner war eine der Größen in der sächsischen Naziszene. Er betrieb Szeneläden, in denen Bekleidung und Musik verkauft wurden, sowie eine Baufirma. Ein Mitglied der sächsischen Naziszene hat angegeben, 1998 nach deren Abtauchen Böhnhardt und Mundlos mit einem dicken Mann mit Hund gesehen zu haben. Die von dem Zeugen präzisierte Beschreibung passt auf Marschner. Zwei Angestellte von Marschner haben angegeben, Beate Zschäpe aus einem Laden des Marschner zu kennen. Unklar bleibt allerdings, ob diese dort gearbeitet hat oder nur als Gast anwesend war. Ein Geschäftspartner Marschners gab an, er habe Zschäpe auf einem Fahndungsplakat als eine Frau wiedererkannt, die sich in der Zeit von ca. 2005-2007 mehrfach in dem Laden von Marschner in der Moritzstraße aufgehalten und möglicherweise auch dort gearbeitet habe, jedenfalls habe sie an Marschners PC gesessen und sich mit diesem gut verstanden. Ein ehemaliger Bauleiter Marschners gab gegenüber Journalisten der „Welt“ an, Uwe Mundlos habe unter seinem Aliasnamen Max-Florian Burkhardt in Marschners Baufirma gearbeitet.

Die „Welt“ hat weiter recherchiert, dass Marschners Baufirma häufig Leihwagen bei jenem Zwickauer Autovermieter, bei dem das NSU-Trio unter Vorlage falscher Pässe Tatfahrzeuge für Bankraube und Morde angemietet hatte. Am 13. Juni 2001, dem Tag der Ermordung von Abdurrahim Özüdoğru in Nürnberg, sowie am 29. August 2001, dem Tag der Ermordung von Habil Kılıç in München hatte Marschner Bau-Service dort Kraftfahrzeuge angemietet.

Wenn die Bundesanwaltschaft behauptet, diese Informationen seien nur „Gerüchte“ ignoriert sie die eigenen Ermittlungen, denn die meisten dieser Aussagen liegen lange vor. Wenn behauptet wird, diese Fragen hätten für die Tat- und Schuldfrage im Strafverfahren keine Bedeutung, dann hätte der Senat 70% der Zeugenbefragungen unterlassen können.

Es wird erneut deutlich, dass die Bundesanwaltschaft die weitere Aufklärung blockiert und damit offensichtlich den Verfassungsschutz schützt.

Am Ende des Verhandlungstages wurde von der Nebenklage noch ein Antrag gestellt, zahlreiche Fotos aus dem Urlaub von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Sommer 2004, also kurz nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße, in Augenschein zu nehmen. Zschäpe hatte in ihrer verlesenen Einlassung behauptet, ihr sei von diesem Anschlag berichtet worden, sie habe entsetzt reagiert und ihr Verhältnis zu Böhnhardt sei frostig geworden. Die Bilder zeigen ein unbeschwertes, fröhliches Paar, und widerlegen diese Angaben leicht.