02.03.2016

Befangenheitsantrag abgelehnt, Überfall auf Postfiliale und noch mehr Gründe, den Verfassungsschutz abzuschaffen

Das Befangenheitsgesuch der Verteidigung Wohlleben wurde wie erwartet als unbegründet verworfen, da es schlicht auf einem (wohl bewussten) Missverständnis des angegriffenen Beschlusses basierte. Das Gericht verhandelte also weiter. Allerdings begann die Verhandlung erst ab 13 Uhr – einen Grund hierfür teilte das Gericht nicht mit.

Es sagten dann zunächst zwei ZeugInnen zum Überfall des NSU auf eine Postfiliale in Zwickau im Juli 2001 aus. Auch dieser Überfall lief ähnlich ab wie die anderen – Vorhalt von Waffen, Einsatz von Pfefferspray gegen eintretende Kunden, Beute knapp 75.000 DM, erhebliche psychische Folgen für die Angestellten der Filiale, die sich auch heute in der Vernehmung wieder zeigten.

Dann vernahm das Gericht, für alle Beteiligten überraschend, noch den Zeugen mit dem Tarnnamen Reiner Görlitz, der eigentlich für den Vormittag geladen gewesen war. Görlitz, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Brandenburg und früher V-Mann-Führer von Carsten Szczepanski, war heute zum dritten Mal im Gericht (zu seinen bisherigen Auftritten s. die Berichte vom 01.07.2015 und 29.07.2015, zu denen Szczepanskis die Berichte vom 03.12.2014 und 13.01.2015). Bei seiner letzten Vernehmung am 29.7.2015 waren Dokumente und Aufzeichnungen, die er zur Vorbereitung seiner Aussage mit sich führte, sichergestellt worden.

Die Vernehmung des V-Mann-Führers wäre ein (fortgesetzter) Skandal, hätte sich die Öffentlichkeit nicht längst an die Vertuschungsstrategie des Inlandsgeheimdienstes gewöhnt.
So ist zunächst offensichtlich, dass die Hauptverhandlung an diesem Tage nicht wegen des Befangenheitsantrages später anfing, sondern weil der Senat vergessen hatte, über einen Antrag auf Beiziehung von Akten zu Görlitz‘ V-Mann Szczepanski zu entscheiden. Zunächst verkündete der Vorsitzende also einen Beschluss, mit dem unter anderem die Beiziehung der Akten, mit denen sich Görlitz und der zweite V-Mann-Führer von Szczepanski auf ihre Aussagen im Prozess sowie im Untersuchungsausschuss vorbereitet hatten, abgelehnt wurde. In der Begründung wird ausgeführt:

„Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge Görlitz bei seinen Vernehmungen vor dem Senat insoweit die Unwahrheit gesagt habe, dass er absichtlich nicht alles gesagt habe, was er gewusst habe, sind nicht vorhanden.“

Der brandenburgische V-Mann-Führer widerlegte diese Begründung in seiner nunmehr dritten Vernehmung – erneut – gründlich.

Wieder hatte er Unterlagen dabei und versuchte ständig, darin nachzulesen, bevor er antwortete. Dabei musste er zweimal aufgefordert werden, einen Kaugummi aus dem Mund zu nehmen. Selbst klare Fragen wollte er nicht verstanden haben, überwiegend schützte er vor, keine Erinnerung zu haben, mehrfach musste er zugeben, falsche Antworten gegeben, „sich geirrt“ zu haben, und wenn es gar nicht mehr anders ging, verweigerte er die Antwort unter Hinweis auf seine beschränkte Aussagegenehmigung.

Der Eindruck, dass der brandenburgische Verfassungsschutz um jeden Preis verhindern will, dass bekannt wird, welche Art von Aktivitäten V-Mann Szczepanski mit seinen V-Mann-Führern betrieben hat, wurde durch diesen Auftritt des Zeugen erneut bestärkt. Szczepanski war ja in engem Kontakt zu deutschen und internationalen Mitgliedern von Blood and Honour und Combat 18 und bewarb in seiner Zeitschrift ganz offen den bewaffneten Kampf. Wenn jemand zur damaligen Zeit bewaffnete Zellen hätte aufbauen können, dann Szczepanski.
Der Zeuge Görlitz verstrickte sich am Ende so stark in Gedächtnisverlust und Aussageverweigerung, dass er nicht entlassen wurde. Die Verteidigung Wohlleben kündigte einen Antrag an mit dem Ziel, die Aussagegenehmigung des Zeugen erweitern zu lassen; es bleibt abzuwarten, inwieweit dieser Ankündigung auch Taten folgen.

Das Verhalten des Senats zeigt allerdings einmal wieder, dass er keinerlei Interesse mehr an weiterer Aufklärung hat. Obwohl beim momentanen Schneckentempo der Verhandlungsführung durch die Beiziehung der Akten keine Verzögerung entstünde, soll nunmehr offensichtlich verhindert werden, dass weitere Informationen über die Verstrickung des Verfassungsschutzes oder über die Zusammenarbeit des NSU mit weiteren Gruppen und Netzwerken öffentlich werden.