Archiv für den Monat: Juli 2014

09.07.2014

Mühsame Befragung zu Böhnhardt

Zunächst sollte heute Morgen Matthias Dienelt befragt werden, der über insgesamt 7 Jahre Wohnungen für den NSU angemietet hatte, zunächst in der Polenzstraße, später in der Frühlingsstraße. Gegen Dienelt läuft immer noch ein Strafverfahren wegen Unterstützung des NSU, insofern verweigerte er erwartungsgemäß die Aussage.

Daher wurde in direktem Anschluss ein Polizeibeamter aus Chemnitz befragt, der Dienelt kurz nach dem Brand in der Frühlingsstraße vernommen hatte. Dieser hatte damals angegeben, über seinen Freund André Eminger einen Max Florian B. kennengelernt zu haben und für diesen nacheinander die beiden Wohnungen angemietet zu haben. B. habe ihm gesagt, er könne wegen Schulden keinen Mietvertrag unterschreiben. In beiden Wohnungen habe er ein Zimmer gehabt, aber nur selten dort geschlafen. Zuletzt habe er etliche Monate nicht mehr in der Frühlingsstraße geschlafen.

Zutreffend hatte Dienelt Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt als Lise, Mac und Gerry beschrieben. Seine sonstige Geschichte ist wenig glaubhaft, so dass seine Aussageverweigerung konsequent ist. Es spricht vielmehr alles dafür, dass Dienelt sehr genau wusste, für wen und warum er die Wohnung anmietete. Dienelt war zusammen mit André Eminger in ihrer Heimatstadt Johanngeorgenstadt auch politisch in der Naziszene aktiv.

Danach wurde der Bruder von Uwe Böhnhardt vernommen. Dieser beschrieb sein nicht besonders enges Verhältnis zu seinem Bruder, dessen Identifikation mit der Naziszene und schließlich sein Abtauchen. En wirklich enges Verhältnis hatte offensichtlich nur während der Kindheit bestanden, später nahm er den Nazi-Bruder in SA-Uniform eher als Belastung für das eigene Leben wahr.

Die Nebenklage stellte anschließend einen umfangreichen Beweisantrag zur Verbindung von André Eminger zu den sogenannten Hammerskins, einer Organisation, die wie „Blood and Honour“ mittels Musik und Konzerten Naziideologie und Terrorkonzepte propagiert. Eminger hatte gemeinsam mit seinem Bruder Maik eine Gruppe „Weisse Bruderschaft Erzgebirge“ aufgebaut, die ideologisch und personell eng mit den Hammerskins verbunden war und die die von amerikanischen Naziterroristen in ihren „14 Words“ aufgestellte Forderung „We must secure the existence of our people and a future for White children.“(Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft für die weißen Kinder sichern.) als quasi-religiöse Losung verbreitet.

08.07.2014

Rechts-Anwalt Jauch: Mandatsverhältnisse zu allen Beteiligten?

Im ersten Teil des Verhandlungstages berichteten drei Zeugen, die das Wohnmobil, die der NSU für den Mordanschlag auf die beiden Polizisten in Heilbronn benutzt hatten, nach diesen gemietet hatten. Die Zeugen erhielten das Fahrzeug am Tag nach der Tat verspätet, weil es am Abend des Tattages erst gegen 22 Uhr zurückgegeben worden war und sich deswegen die Grundreinigung und Herausgabe verzögerte.

Eine weitere Zeugin berichtete, dass sie am Samstag oder Sonntag nach dem Überfall auf die Bank in Eisenach und dem Tod von Mundlos und Böhnhardt Beate Zschäpe in Eisenach gesehen habe. Diese sei ihr aufgefallen, weil sie „wie unter Schock“ durch die Stadt gelaufen sei.
Ansonsten setzte die Bundesanwaltschaft ihre Bestrebungen fort, alle Beweisanträge zu torpedieren, die zu weiterer Aufklärung beitragen könnten. Diesmal ging es um Beweisanträge der Nebenklagevertretung der Opfer des Bombenanschlages in der Kölner Probsteigasse, die einen Kölner Neonazi betreffen, der sehr große Ähnlichkeit mit dem Phantombild aufweist, das nach den Angaben des Ladenbesitzers gefertigt wurde. Wie so oft zuvor beantragte die GBA auch hier, den Antrag abzuweisen.

Der Antrag der Nebenklage, auf eine Herabstufung von Geheimakten des Thüringer Parlamentarischen Untersuchungsausschusses hinzuwirken mit dem Ziel, dass diese in öffentlicher Hautverhandlung vorgehalten werden können, widersprach die Generalbundesanwaltschaft ebenfalls. Die andauernden Versuche, selbst Aktenmaterial, das bereits vorliegt, aus der Hauptverhandlung herauszuhalten, belegen eine starke Verunsicherung der Bundesanwaltschaft. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sie sich weigert, ihre schriftlich vorliegenden Stellungnahmen herauszugeben, so dass bei Entgegnungen immer nur die Mitschriften der Verfahrensbeteiligten benutzt werden können – damit wird eine Auseinandersetzung mit den Argumenten des GBA erschwert. Offensichtlich will man sich nicht an den eigenen Argumenten festhalten lassen.

Den gesamten Nachmittag über wurde der Thüringer Nazianwalt Thomas Jauch vernommen. Dieser gab an, in der Vergangenheit bereits alle Angeklagten vertreten zu haben, wobei er sich auf seins Verschwiegenheitsverpflichtung gegenüber seinen früheren Mandanten berief. Als die Angeklagten Gerlach und Schultze ihn daraufhin von dieser Verschwiegenheitsverpflichtung ihnen gegenüber befreiten, konnte er sich – natürlich – an nichts mehr erinnern. Erinnerungslücken wies er auch auf bezüglich des Mieters seines Grundstückes, auf dem in den Jahren 1998 bis 2002 Nazikonzerte durchgeführt wurden, angeblich auch um Spenden für die Untergetauchten zu sammeln.

Auf Fragen zu einem Interview mit dem Focus, in dem er angegeben haben soll, Zschäpe habe ihn beauftragt und einen Vorschuss bezahlt, verweigerte Jauch die Antwort. Zumindest an einer Stelle gab er offensichtlich wahrheitswidrig an, den Begriff Thüringer Heimatschutz erst im Jahr 2006 oder 2007 zum ersten Mal gehört zu haben. Nach Mitteilung des Thüringer Verfassungsschutzes hatten ihn die THS-Funktionäre Kapke und Brehme bereits 2000 wegen eines möglichen THS-Verbotes aufgesucht.

03.07.2014

Keine Zweifel an Schuld des Ralf Wohlleben erkennbar

Der Befangenheitsantrag der Verteidigung Wohlleben wurde mit einem Beschluss abgelehnt, der die Klarheit des Haftfortdauerbeschlusses des Senats um den Vorsitzenden Götzl noch unterstreicht: Drei weitere Richter des OLG München stellten fest, es könne keine Befangenheit darstellen, wenn der Senat nach vorläufiger Prüfung des Ermittlungsergebnisses keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten habe und dies in einem Haftfortdauerbeschluss auch so darstelle. Und der Senat hatte eben keine Zweifel daran, dass Ralf Wohlleben bei seinen Bemühungen um die Lieferung der Ceska in dem Bewusstsein handelte, dass mit dieser Waffe Morde begangen werden sollten. Und wenn dies für Wohlleben galt, dann kann auch am Mordvorsatz von Beate Zschäpe kein Zweifel bestehen.

Als Zeugin war dann zunächst die Ehefrau des Angeklagten Wohlleben geladen. Sie verweigerte die Aussage.

Danach wurde ein weiterer Vernehmungsbeamter des Chemnitzer Blood and Honour-Aktivisten und V-Mannes Starke befragt. Eine zusammenfassende Bewertung dieser Aussage wird nach der Vernehmung des letzten Vernehmungsbeamten am 30. Juli erfolgen.

Zum Abschluss wurde ein Dortmunder Beamter des polizeilichen Staatsschutzes vernommen, der eine Tatzeugin befragt hatte. Diese hatte in ihren insgesamt etwas widersprüchlichen Angaben auch eindeutig auf „Rechtsradikale“ als mögliche Täter hingewiesen. Weil die Zeugin allerdings die Tatverdächtigen als „Nazis“ oder „Junkies“ beschrieben hatte, und auch der jetzt vernommene Polizeibeamte diese Aussage nicht hinterfragte, blieb der Hinweis unbeachtet. Der Polizeibeamte, dessen Einsatzgebiet ansonsten der „Bereich Türken/Kurden“ ist, konnte auch heute keinen beitrag zur Aufklärung leisten.

02.07.2014

„Kann ich mich nicht dran erinnern …“ – zweite Vernehmung von Enrico Theile

Fortgesetzt wurde heute die Vernehmung von Polizeibeamten, die den nunmehr die Aussage verweigernden Chemnitzer Blood and Honour-Aktivisten und V-Mann Thomas Starke befragt hatten. Der heute anwesende BKA Beamte schilderte vollständig die Befragung vom 11.4.2011. Erneut wurde deutlich, dass das Trio in erheblichem Umfang Unterstützung durch das „Blood and Honour“-Netzwerk erhielt und in der gesamten Zeit des Kontaktes zu Starke geschlossen auftrat.

Danach wurde die Vernehmung des Zeugen Enrico Theile fortgesetzt, der in den Verkauf der Ceska aus der Schweiz nach Thüringen eingebunden gewesen sein soll. Theile war und ist ein enger Freund des Schweizers Hans Peter Müller, der in der vergangenen Woche in der Schweiz vernommen wurde. Theile, der offensichtlich dem schwerkriminellen Milieu Thüringens entstammt und unter anderem zweimal wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt wurde, war bereits durch den Vorsitzenden befragt worden. Dieser hatte heute, genau wie die Bundesanwaltschaft, zunächst kaum Interesse an der Befragung. Theile beantwortete fast alle Fragen der Nebenklage mit den Worten „Kann mich nicht daran erinnern“, wollte ganz offensichtlich die Fragen einfach nicht beantworten. Der Vorsitzende Richter und die Bundesanwaltschaft tolerierten diese Form der Aussageverweigerung, bis die Befragung durch die Nebenklage beendet war.

Danach nutzten sie allerdings ihre Chance, dafür zu sorgen, dass gegen Theile ein Strafverfahren wegen Falschaussage eingeleitet wird. Mit einem Protokollantrag der Generalbundesanwaltschaft wurden die unglaubwürdigsten Antworten Theiles festgehalten. Aus Sicht der Nebenklage ist sehr wahrscheinlich, dass er hierfür verurteilt werden wird. Alles andere als eine Haftstrafe würde bei seinen Vorbelastungen überraschen.

01.07.2014

OLG München: Beweisaufnahme hat die Vorwürfe gegen Ralf Wohlleben bestätigt

Die Hauptverhandlung begann heute erneut mit langwierigen Unterbrechungen und einem Befangenheitsantrag der Verteidigung Wohlleben gegen den gesamten Senat. Der Antrag war eine eher verzweifelte Reaktion auf einen Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 25. Juni, der der Verteidigung am vergangenen Freitag zugestellt wurde. Die Verteidigung hatte die Aufhebung bzw. Aussetzung des Haftbefehls gegen Wohlleben beantragt. In seinem Beschluss stellt das Gericht nun ziemlich klar dar, dass sich nach vorläufiger Bewertung der bislang erfolgten Beweisaufnahme der Anklagevorwurf gegen Wohlleben – Beihilfe zu neun Fällen des Mordes – in vollem Umfang bestätigt hat. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot oder andere Umstände, die zur Aufhebung oder Aussetzung des Haftbefehls führen müssten, seien ebenfalls nicht ersichtlich.

Das Gericht entschied auch, weiter zu verhandeln und nicht zu unterbrechen, bis über den Befangenheitsantrag entschieden ist. An der Entscheidung über den Befangenheitsantrag dürfen die abgelehnten Richter nicht beteiligt sein. Insoweit könnte sich der Antrag der Verteidigung Wohlleben in einen Bumerang verwandeln: Denn es steht zu erwarten, dass das Ergebnis eine weitere Entscheidung durch weitere Richter des Oberlandesgerichts sein wird, die den Beschluss des Senats jedenfalls moralisch stärkt. Ob Wohlleben auch das ihm mögliche Rechtsmittel einer Beschwerde zum Bundesgerichtshof einlegen wird, ist bislang unklar. Immerhin birgt ein solcher Schritt die Gefahr, dass ein Senat des höchsten Strafgerichts die Bewertung des OLG bestätigt und damit endgültig festschreibt.

Der Beschluss zeigt nicht nur Wohlleben, dass die Aktivitäten seiner Verteidiger bislang keinerlei Wirkung beim Senat bewirkt haben, er macht auch deutlich, dass auch die immer wieder geäußerten Zweifel der Verteidigung Zschäpe an den gegen ihre Mandantin vorgebrachten Beweisen letztlich Schall und Rauch bleiben dürften. Der Senat geht mit leichter Hand über die von der Verteidigung Wohlleben vorgebrachten Zweifel hinweg, so dass leicht vorstellbar wird, dass auch die von ihrer Verteidigung vorgebrachten Zweifel an einer (Mit-)Täterschaft von Beate Zschäpe als wenig überzeugend verworfen werden.

Nach der Mittagspause wurde der eigentlich für den gesamten Tag eingeplante Zeuge Thomas Gerlach vernommen, eine der zentralen Figuren der Thüringer Naziszene und auch bundesweit und international bedeutsam, insbesondere wegen seiner Bedeutung im Netzwerk der Hammerskins.

Gerlach versuchte, sich nach dem hier im Prozess immer wiederkehrenden Motto „Leugnen und Verharmlosen“ herauszureden. Seit zwei Jahren sei er nicht mehr aktiv, habe aber seine Gesinnung nicht aufgegeben. Seit einer mehrjährigen Haftstrafe habe er erkannt, dass Gewalt kein Mittel im politischen Kampf sei, das habe auch die gesamte Kameradschafts- und NPD-Szene, insbesondere der Angeklagte Wohlleben, so vertreten. Mit Wohlleben und Kapke habe er seit Anfang 2000 viel zusammengearbeitet, beim Aufbau von überregionalen Netzwerken wie dem Freien Netz, bei verschiedenen Kampagnen und dem sog. „Fest der Völker“. Über dieses habe er viele internationale Kontakte aufgebaut, in der Schweiz, nach Portugal und in andere Länder. Es war deutlich spürbar, dass auch der Vorsitzende die verharmlosende Darstellung des Aufbaus bundesweiter Nazinetzwerke durchschaute.

Verräterisch war, wenn Thomas Gerlach – der übrigens mit dem Angeklagten Holger Gerlach nicht verwandt ist – von „Kameradschaften und Aktionsgruppen“ sprach, ein Begriff, der vor allem in Zusammenhang mit dem Aufbau eines „führerlosen“ militärischen Widerstandes benutzt wird, wie er von amerikanischen Nazis entwickelt und von „Blood and Honour“ und den Hammerskins verwendet wird.

Bei den Hammerskins wurde auch deutlich, dass der Zeuge Gerlach nicht nur Leugnen und Verharmlosen will: gefragt nach seiner Mitgliedschaft in dieser Organisation, wie sie von der Zeugin Mandy Struck beschrieben wurde, mit der er früher eine Beziehung hatte, teilte Gerlach mit, er werde solche Fragen nicht beantworten. Hierbei blieb er auch nach eindeutiger Belehrung durch den Vorsitzenden, dass hierfür Ordnungsgeld und Ordnungshaft verhängt werden könnten. Sein „an sich selbst gestelltes Wertegefühl“ würde ihm verbieten, zu den Hammerskins Angaben zu machen.

Der Vorsitzende Richter Götzl verzichtete an dieser Stelle darauf, Ordnungsmittel zu verhängen, und unterbrach die Vernehmung kurz nach 16 Uhr, weil noch Fragen zu anderen Themen, zu denen Gerlach bislang ausssagebereit war, offen sind. Der Zeuge „Ace“ Gerlach wird also erneut nach München reisen und dann ggf. beweisen müssen, ob er bereit ist, für sein „an sich selbst gestelltes Wertegefühl“ in Ordnungshaft zu gehen.