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11.06.2013

Angeklagter Schultze gibt Hinweis auf weiteren Bombenanschlag des NSU

Konkrete Hinweise auf einen bislang noch unbekannten Bombenanschlag des NSU auf ein Geschäft in Nürnberg gab der Angeklagte Carsten Schultze in seiner heutigen Vernehmung. Hatte er in seiner Vernehmung am 5.6.2013 noch Erinnerungslücken vorgeschoben, so offenbarte er heute Details, die er bislang nicht preisgegeben hatte. Brisant ist vor allem seine Aussage, bei seinem Treffen mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in der ersten Hälfte des Jahres 2000 hätten ihm die beiden Männer erzählt, sie hätten in einem Ladengeschäft in Nürnberg eine „Taschenlampe“ deponiert. Sie hätten dabei Andeutungen gemacht, die er nicht verstanden habe. Als Beate Zschäpe hinzugekommen sei, hätten sie das Gespräch abgebrochen. Im direkten Anschluss habe er den dreien die von ihm gekaufte Ceska mit Schalldämpfer und 50 Schuss Munition übergeben. Dieses Gespräch habe bei ihm die Angst ausgelöst, die beiden hätten ihm von einem Sprengstoffanschlag erzählt.

Wie der Stern unter Hinweis auf die Nürnberger Nachrichten berichtet, hat im Juni 1999 tatsächlich ein Sprengstoffanschlag stattgefunden. Die Putzhilfe einer türkischen Gaststätte habe einen taschenlampenähnlichen Gegenstand gefunden, der in seinen Händen explodierte und ihm Verbrennungen zufügte. Die Generalbundesanwaltschaft teilte in einer Pressekonferenz mit, zu einem solchen Anschlag zur Zeit nichts mitteilen zu können. Es habe viele „Prüffälle“ gegeben, also Anschläge, bei denen geprüft wurde, ob sie möglicherweise durch den NSU ausgeübt wurden, konkret lägen aber keine Erkenntnisse vor. Sollte ein entsprechender Anschlag in Nürnberg nicht “geprüft” worden sein, würde dies erneut das Vorgehen der Ermittlungsbehörden in Frage stellen.

Sollten sich die Angaben von Schultze als korrekt erweisen, hätte er seine Glaubwürdigkeit deutlich erhöht. Dies könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass der Druck der möglichen Bestrafung ihn dazu bringt, vollständig auszusagen und seine Erinnerungslücken zu schließen.

Die Aussage von Carsten Schultze, Böhnhardt und Mundlos hätten beim Erscheinen von Zschäpe ihre Erzählung über die Aktion in Nürnberg abgebrochen, entlastet Beate Zschäpe nicht. Dass die beiden einem Helfer wie Schultze in einer besuchten Gaststätte von einem Anschlag erzählen, würde gegen jeden Sicherheitsgrundsatz einer abgetauchten Gruppe sprechen. Insoweit hätten sie allen Grund gehabt, ihre Prahlerei vor Zschäpe zu verbergen. Selbst wenn Zschäpe von einem solchen Anschlag im Jahr 1999 nichts gewusst hätte, hat sie in den gesamten folgenden Jahren eine bedeutende Rolle für die Gruppe gespielt, ohne die die weiteren Aktionen nicht vorstellbar wären. Der gegen Zschäpe gerichtete Vorwurf der Mittäterschaft gründet sich auf ihre Handlungen ab dem Jahr 2000.

In seiner weiteren Befragung belastete er den Angeklagten Wohlleben stark. Wohlleben habe ihm den Auftrag zum Kauf einer halbautomatischen Waffe, möglichst deutschen Fabrikates, sowie einer ausreichenden Menge Munition gegeben. Bei dem Treffen hätten ihm Böhnhardt und Mundlos erzählt, sie wären ständig bewaffnet und verfügten auch über eine Maschinenpistole bzw. Uzi. Das Geld, das er von ihnen erhalten habe, sei noch mit Banderolen umwickelt gewesen, stammte also augenscheinlich von einem Banküberfall. Außerdem habe Wohlleben ihm nach einem Telefongespräch mit dem Trio berichtet, diese hätten ihm erzählt, dass sie eine Person angeschossen hätten. Zu Wohlleben führte er nochmals aus, dieser habe nach einem gewalttätigen Übergriff auf zwei Personen damit geprahlt, er sei auf dem Gesicht eines der Opfer rumgesprungen.

Auch diese Angaben müssen teilweise noch überprüft werden. Die enorme zusätzliche Belastung für Wohlleben ist aber offensichtlich. Er wird durch diese Schilderung deutlich stärker als in der Anklage wie ein Mittäter beschrieben. Aber auch für Schultze ist seine Aussage belastend; immerhin wusste er danach bereits vor Übergabe der Ceska, dass die drei Abgetauchten einen Sprengstoffanschlag verübt hatten. Dies mag eine Strafmilderung für Schultze wegen der Kronzeugenregelung wahrscheinlicher machen, als dies nach seinen ausweichenden Angaben in der letzten Woche war. Gleichzeitig hat Schultze dem Gericht heute aber auch den Nachweis seiner eigenen Strafbarkeit wegen Beihilfe zu den Morden mit der Ceska geliefert.

Zu Beginn der Verhandlung hatte es zunächst eine Auseinandersetzung zwischen der Nebenklage und der Generalbundesanwaltschaft gegeben, weil diese plötzlich mitteilte, die sogenannte „129er“-Liste mit Personen aus dem Umfeld des NSU umfasse nunmehr 500 Personen. Diese Auseinandersetzung führte dazu, dass Bundesanwalt Diemer zusagen musste, die gesamte Liste in der nächsten Woche vorzulegen.