11.07.2018

Das Urteil des Staatsschutzsenats des OLG München schützt den Staat und lässt die Opfer einmal mehr im Stich

Das OLG München hat mit seinem Urteil vom heutigen Tag all denjenigen, die sich um eine wirkliche Aufklärung Straftaten des NSU und ihrer Hintergründe bemühen, einen Schlag ins Gesicht versetzt. Die Beschränkung der Aufklärungsbemühungen auf eine harte Verurteilung Beate Zschäpes, bei gleichzeitiger Verharmlosung der Tatbeiträge und der Ideologie der Unterstützer und Leugnung jeglicher Verantwortlichkeit staatlicher Stellen, geht viel weiter, als dies nach der bisherigen Beweisaufnahme zu befürchten war.

Das Gericht hat Beate Zschäpe wegen gemeinschaftlicher Begehung der hier angeklagten Taten des NSU zu lebenslanger Haft verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Zschäpe wird also mindestens etwa 20 Jahre im Gefängnis bleiben. Gerade diejenigen Täter allerdings, die keinerlei Reue gezeigt haben, bis zuletzt schwiegen, die ihre ideologische Verbundenheit zum NSU offen gezeigt haben und damit von der militanten Naziszene zu Helden stilisiert werden, Ralf Wohlleben und André Eminger, hat das Gericht mit besonderer Milde bedacht.

Bei der Strafe für Wohlleben, der wegen Beihilfe zu neunfachem Mord zu zehn Jahren verurteilt wurde, ist das Gericht deutlich unter dem Antrag der Bundesanwaltschaft geblieben. Das auch im Prozess demonstrative Festhalten Wohllebens an seiner Ideologie, seine besondere Unterstützung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beim Aufbau des NSU und die besondere Gefährlichkeit des NSU haben den Senat aber nicht dazu gebracht, das Strafmaß nach oben auszuschöpfen. Das bedeutet, dass Wohlleben möglicherweise bereits heute das Gericht als freier Mann verlassen kann, weil nach fast 7 Jahren Untersuchungshaft bei einer Strafe von 10 Jahren die Fortsetzung der U-Haft unverhältnismäßig wäre. Wohlleben wird also als Held zu seinen Unterstützern in Thüringen zurückkehren, unter anderem zu ehemaligen Blood & Honour-Aktivisten aus Sachsen und Thüringen, die zur Zeit eine boomende Struktur von Neonazi-Konzerten und Free Fight Events in Thüringen organisieren und sich durch ihre Solidaritätsbekundungen mit den Angeklagten im NSU-Prozess bewusst in eine Kontinuitätslinie mit dem Netzwerk des NSU stellen und andererseits mit Propaganda und finanziellen Ressourcen den Boden für die nächste Welle rechten Terrors bereiten.

Der zweite Angeklagte, der vom Gericht mit besonderer Milde bedacht wurde, ist André Eminger. Selbst wann man annehmen würde, dass ihm die Beihilfe zu dem Sprengstoffanschlag in der Kölner Probsteigasse nicht nachzuweisen war, ist seine Strafe von 2 1/2 Jahren nicht nachvollziehbar. Das Gericht hat nun angenommen, Eminger habe bis zu dem Wasserschaden in der Wohnung Böhnhardts, Mundlos‘ und Zschäpes keine Kenntnis von deren terroristischen Aktivitäten gehabt. Erst danach sei ihm mitgeteilt worden, dass “die Drei” noch andere Straftaten mit politischer Zielsetzung machen. Danach habe er noch einmal eine Bahncard geliefert – dies die Unterstützungshandlung, für die er nun verurteilt wird. Diese Begründung ist gleichwohl kaum nachvollziehbar, sie widerspricht im Übrigen auch den Ausführungen des Senats im Haftbefehl gegen Eminger. Insbesondere ignoriert eine solche Beurteilung aber die ideologische Ausrichtung Emingers, die in der Beweisaufnahme deutlich wurde. Eminger war verantwortlich für ein Fanzine, in dem für rassistische Morde geworben wurde, in dem rechtsterroristische Konzepte verbreitet wurden. Die Nebenklage hatte aus diesem Grunde auch beantragt, den Zwickauer V-Mann Ralph Marschner zu vernehmen, weil dieser Angaben zu den weiteren Aktivitäten Emingers hätte machen können. Dieser Antrag wurde von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft vereitelt, das Gericht hatte kein Interesse an weiterer Aufklärung. Nun wird argumentiert, es gäbe keine weiteren Informationen dazu, dass Eminger von den Aktionen Zschäpes, Böhnhardt und Mundlos gehabt habe. Der Verfassungsschutz hat also erfolgreich die Aufklärung verhindert, dies führt im Ergebnis zu einer milderen Verurteilung Emingers.

Die milde Verurteilung von Wohlleben und Eminger kann nur eines zum Ziel haben: Das Gericht will die Grundannahme der Bundesanwaltschaft, der NSU habe nur aus einer isolierten Gruppe von drei Personen bestanden, deren wenige Unterstützer hätten nur wenig gewusst, mit aller Macht verteidigen und einen Schlussstrich ziehen, der jede weitere Aufklärung beendet. Gleichzeitig stellt das OLG München die zuletzt hohen Strafen gegen Mitglieder und Unterstützer rechtsterroristischer Vereinigungen – wie z.B. die Gruppe Freital – als fast schon überzogen dar, indem es weit unter den dort ausgeurteilten Strafen wegen Unterstützung zurückbleibt und die Hürden für eine Mitgliedschaft ungewöhnlich hoch setzt. Die Botschaft des Gerichts an die Kameraden der Angeklagten Eminger und Wohlleben kann somit nur diejenige sein, dass selbst eine über Jahre andauernde rassistisch motivierte Mordserie und deren Unterstützung nicht zu einer realistischen Einschätzung neonazistischer Gefahren bei deutschen Gerichten führen.

Nachdem die Angehörigen der Mordopfer und die Überlebende der Bombenanschläge unsere im Rahmen der Ermittlungsverfahren institutionellen Rassismus erfahren mussten, mussten sie heute am OLG München miterleben, wie das Gericht darum bemüht war, den Aktendeckel über die Thematisierung mörderischer Nazistrukturen, staatlicher Aufklärungsverhinderung und Mitwirkung an den Taten zu schließen, und so der Hoffnung auf eine adäquate staatliche Antwort auf Anschläge auf Minderheiten und damit auf eine multikulturelle Gesellschaft zerstörte.

Bereits vor Ende der Urteilsbegründung muss daher festgestellt werden, dass am Ende eines mehr als 5-jährigen Prozesses die Opfer des NSU weniger Antworten als neue Fragen erhalten, mitverantwortliche Behörden gestärkter aus dem NSU-Komplex hervorgehen, etablierte Politiker_innen erleichtert den Schlussstrich verkünden und Wohlleben und Eminger in eine ungebrochen militant agierende Naziszene zurückkehren werden, die die Taten des NSU erst ermöglicht und nunmehr unbeschadet überstanden hat.

Das Gericht hat die zentrale Lektion aus dem NSU-Terror ignoriert, nämlich die Forderung, NS-Ideologie und deren mörderische Praxis ernst zu nehmen. Diejenigen, die von Nazi-Morden und anderen rassistischen Gewalttaten (potentiell) betroffen sind, und diejenigen, die gegen diese Gefahren kämpfen, haben erneut feststellen müssen, dass sie sich in diesem Kampf auf den Staat nicht ansatzweise verlassen können.