26.07.2017

Plädoyer der Bundesanwaltschaft, 2. Tag – Die Behörde setzt den Versuch der Umdeutung des NSU fort. Und: Dokumentation des Plädoyers wird fortgesetzt.

OStA’in Greger setzte heute ihr Plädoyer fort. Kern ihrer Ausführungen war der kleinteilige Nachweis, dass Beate Zschäpe innerhalb der Dreiergruppe mit Böhnhardt und Mundlos eine so zentrale Rolle spielte, dass sie tatsächlich auch Tatherrschaft hinsichtlich aller Taten des NSU hatte, weil diese ohne ihre Mitwirkung nicht durchführbar gewesen wären. Ihre Mitwirkung bei der Anmietung der Wohnungen, der Aufrechterhaltung des bürgerlichen Scheins gegenüber den Nachbarn, die Beschaffung von SIM-Karten und Telefonen, die Anmietung von Fahrzeugen und ihre Aufgaben in der Zusammenarbeit mit Unterstützern wurden detailliert aufgezählt.

Ebenfalls detailliert wurde der Inhalt des in Zschäpes Zimmer in der Frühlingsstraße gefundenen Computers dargestellt, zu dem alle drei Zugang hatten und auf dem nicht nur Zschäpes Reiseplanung zum Mitangeklagten Gerlach zu finden war, von dem sie noch im August 2011 einen falschen Reisepass abholte, sondern auch Vorbereitungen für eine Ausspähfahrt. Außerdem verwies Greger auf DVDs, die Ausspähunterlagen und Anschlagsvorbereitungen enthielten.

Als besonders glaubwürdiger Zeuge für die Position Zschäpes wurde immer wieder der Mitangeklagte Holger Gerlach herangeführt, der „die Drei“ immer als einheitlich handelnde Gruppe beschrieben hatte.

Problematisch in der Argumentation der GBA ist, dass Aussagen von Unterstützern, Nazis aus dem Umfeld des NSU, Ermittlern und dritten Personen einfach nebeneinandergestellt und je nach Bedarf für glaubwürdig erklärt werden, ohne deutlich zu machen, um was für Personen es sich bei den Zeugen handelt. Die den Wertungen der OStA Greger zu Grunde liegenden Erwägungen bleiben dabei unklar.

Eine Schlussfolgerung, die die GBA-These von der isolierten Dreiergruppe stützen soll, wurde einfach ohne jeden Bezug auf die Beweisaufnahme in den Raum gestellt: der Umzug der Gruppe nach Zwickau im Juli 2000 zeige, dass die Gruppe sich bewusst von der rechten Szene in Chemnitz auch räumlich distanzieren wollte. Das ist, wie die Beweisaufnahme zeigte, nicht richtig. Richtig ist, dass ein Verbot der Unterstützergruppe in Sachsen, Blood and Honour, sich abzeichnete, und dies vermutlich durch einen der darin mitarbeitenden V-Mann auch schon bekannt war. Blood and Honour Sachsen löste sich damals rechtzeitig selbst auf und es folgten dann auch keine Durchsuchungen und Ermittlungen nach dem Verbot am Ende des Jahres. Es gab also einen guten Grund für Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, aus Chemnitz wegzuziehen.

Andererseits besuchten sie sowohl Unterstützer aus Chemnitz, wie beispielsweise der kurzeitige Wohnungsgeber und Freund von Uwe Mundlos, Thomas Rothe, und der Wohnungsgeber Max-Florian B., aber auch die Mitangeklagten Wohlleben und Gerlach in Zwickau. Auch suchte die Gruppe in Zwickau durchaus Kontakt zur dortigen Naziszene, zu der auch der Angeklagte Andre Eminger gehörte. Die Beweisanträge der Nebenklage zur Zusammenarbeit mit dem dortigen Naziaktivisten und V-Mann Marschner wurden ja bekanntlich abgelehnt. Die Behauptung, der Umzug beweise eine weitere Isolierung der Gruppe von anderen Netzwerken, findet jedenfalls keine Stütze in der Beweisaufnahme.

Den bisherigen Höhepunkt von Versuchen, im Plädoyer die Sichtweise auf den NSU-Komplex weitgehend umzudeuten, erreichte Greger allerdings mit der Behauptung, die Straftaten der Gruppe hätten die gesamte bundesdeutsche Bevölkerung gleichermaßen in Angst und Schrecken versetzt:

„Die Gruppe hat mit ihren Straftaten jahrelang die Bevölkerung terrorisiert. Dass dabei jeder in ihren Fokus geraten konnte, zeigt das sichergestellte Ausspähmaterial. Institutionen, politische Funktionsträger und potentielle Anschlags- und Überfallsziele hat die Gruppe bundesweit ausgespäht und dann katalogisiert. Die so zusammengetragene Datensammlung umfasst politische, religiöse und soziale Einrichtungen. Ein besonderes Augenmerk hat die Gruppe auf türkische und islamische Institutionen und auch Asyleinrichtungen gerichtet.“

Die GBA ignoriert damit – das liegt auf der Hand – die rassistische Ausrichtung des NSU. Daneben ignoriert sie aber auch den institutionellen Rassismus in den Ermittlungsbehörden, der dazu führte, dass die Ermittlungen jahrelang überwiegend gegen die Opfer der Taten des NSU selbst gerichtet wurden – in der Kölner Keupstraße als „Bombe nach der Bombe“ bekannt. Die Anschläge des NSU versetzten – wie geplant – die migrantische Bevölkerung in Angst und Schrecken, während der Großteil der deutschen Bevölkerung und insbesondere die „politischen Funktionsträger“ im Spiegel und den restlichen Medien rassistisch geprägte Artikel über „Dönermorde“ lasen.

Die Dokumentation des Plädoyers der Bundesanwaltschaft werden wir fortsetzen. Wir halten dieses Plädoyer als Ganzes für bedeutsam. Auch weil wir ihre Darstellung der Beweisaufnahme teilweise scharf kritisieren, wollen wir sie vollständig und nicht nur in Zitaten dokumentieren. Die Gefahr, dass wir uns damit unter Umständen den Dank der Verteidigung einhandeln, die unserer Tätigkeit vielleicht zum ersten Mal etwas Positives abgewinnen kann, nehmen wir dabei in Kauf.

Wir werden das Wortprotokoll allerdings nicht jeden Tag sofort dokumentieren, sondern zum Abschluss von inhaltlichen Blöcken und – aufgrund des großen Aufwandes – ggf. mit ein paar Tagen zeitlichem Abstand.