16.11.2017

„Sie werden diese Stimme nicht zum Schweigen bringen“ – haltlose Beanstandungen, der Verteidigung Zschäpe bleiben ohne Erfolg.

Die Altverteidiger_innen Zschäpes, Rechtsanwält_innen Sturm, Stahl und Heer, setzten heute ihre gestern begonnene Sabotagetaktik fort, allerdings erneut erfolglos. Die penetranten Störungen führten zunächst zu einer Verzögerung des Plädoyers des Nebenklägervertreters Dr. Mehmet Daimagüler, der Angehörige der Ermordeten Ismail Yaşar und Abdurrahim Özüdoğru vertritt, um mehre Stunden. Nach einem Beschluss des Gerichts konnte dieser dann allerdings am frühen Nachmittag seinen Schlussvortrag weitgehend störungsfrei fortführen.

Sturm, Stahl und Heer monierten, bei dem Plädoyer handle es sich um eine „politische Rede, die in Teilen berechtigt sein mag, aber nicht in diesem Gerichtssaal.“ Sie verstiegen sich zu der Behauptung, die Themen Rassismus, institutioneller Rassismus, Kritik an den Ermittlungsbehörden seien „ungehörig“ und dürften in den Schlussvorträgen nicht erwähnt werden. Nicht nur mehrere Nebenklägervertreter_innen, sondern auch die Bundesanwaltschaft und sogar die Verteidigung des Angeklagten Schultze nahmen eindeutig und klar gegen die Störaktionen der Zschäpe-Verteidiger_innen Stellung. Zschäpe selbst und Rechtsanwalt Grasel verharrten den gesamten Tag schweigend.

Das Gericht lehnte die Beanstandung mit deutlichen Worten ab: „Im vorliegenden Fall ist der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Dr. Daimagüler dabei, zu erläutern, aus welchen Gründen nach seiner Ansicht die Aufklärung der angeklagten Taten, die Gegenstand des Verfahrens sind, erst ab dem Jahr 2011 erfolgte. Dieser Themenkomplex kann auch mittelbar die Strafzumessung betreffen und bezieht sich auf die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, die nach Ansicht des Redners zu eng gefasst gewesen sei.“ Es verwies auch darauf, dass ein Plädoyer seine Wirkung nur entfaltet, wenn es im Zusammenhang vorgetragen werden kann, und dass deshalb Unterbrechungen zu unterbleiben haben, wenn nicht tatsächlich Grund zur Beanstandung besteht.

Bezeichnend ist dabei, auf welche Stellen im Plädoyer des Nebenklägervertreters Heer und Stahl so heftig und unangemessen reagierten: Daimagüler war gerade dabei, darzustellen, dass das Thematisieren von Rassismus häufig Abwehrreaktionen hervorruft, dass nicht der Rassismus, sondern seine Thematisierung als das Problem wahrgenommen wird – insbesondere, wenn das Thema von Personen angesprochen werde, die nicht als “Deutsche” wahrgenommen würden – dass Heer und Stahl genau an dieser Stelle unterbrachen mit dem Argument, das gehöre nicht in den Gerichtssaal und sei im Übrigen auch eine Provokation, ist natürlich der beste Beweis dafür, dass Daimagüler mit seinen Ausführungen genau den Punkt getroffen hatte.

Den Hinweis des Nebenklägervertreters, er gebe hier die Sicht seiner Mandant_innen wieder, beantwortete Heer mit dem Hinweis, dann nehme er seine Aufgabe nicht war, die sei, dafür zu sorgen, dass dies nicht ungefiltert in den Prozess einfließe. Mit anderen Worten: Aufgabe eines Rechtsanwalts ist für Heer nicht, die Interessen seiner Mandant_innen zu vertreten, sondern deren Meinung soweit zu „filtern“, dass sie in seine Vorstellung dessen passt, was sich in einem Gerichtssaal „gehört“ und was nicht. Diesen Vorstellungen erteilte Daimagüler natürlich eine klare Absage: „Was ich hier vortrage, ist die ungefilterte Sicht der Überlebenden des NSU, meiner Mandanten. Sie werden diese Stimme nicht zum Schweigen bringen.“

Tatsächlich führte der abschließende Gerichtsbeschluss dann auch dazu, dass die Verteidiger_innen den Rest des Plädoyers weitgehend störungslos zuhörten. Daimagüler führte im Folgenden insbesondere zum Problem des institutionellen Rassismus in den Polizeibehörden und zu der von der Bundesanwaltschaft viel zu eng ausgelegten Anklageschrift aus. Eine sehr gute Übersicht über die von ihm thematisierten Inhalte findet sich in der Zusammenfassung von NSU-watch.

Ob das penetrante Auftreten der Verteidiger_innen damit endlich ein Ende gefunden hat oder ob es über die weiteren Plädoyers wieder aufgenommen werden wird, bleibt abzuwarten. Einen strafprozessualen Sinn als Verteidigungsmaßnahme können diese Unterbrechungen dabei nicht haben, denn eine erfolgreiche Revision mit der Begründung, das Gericht habe Prozessbeteiligte zu „weitschweifig“ plädieren lassen, ist nicht vorstellbar. Und die Zschäpe-Verteidiger_innen können auch nicht ernsthaft der Meinung gewesen sein, ihre Beanstandungen könnten Erfolg haben – zu eindeutig hatten nicht nur die Nebenklage, sondern eben auch die – von Daimagüler immerhin heftig attackierte – Bundesanwaltschaft und das Gericht ausgeführt, warum nach den geltenden Maßstäben Eingriffe in ein Plädoyer nur in ganz engen Grenzen zulässig sind, die hier nicht einmal in Sichtweite waren. So erschöpfte sich die letzte Gegenvorstellung der Verteidigung, deren Vorbereitung und Bescheidung noch einmal mehrere Stunden Prozesszeit kostete, auch im Wesentlichen in einer lustlosen Wiederholung derselben schon mehrfach widerlegten falschen Argumente

So verrät das Verhalten der Verteidiger_innen viel über diese selbst und ihre Unfähigkeit, in diesem Prozess im Sinne einer tatsächlichen Verteidigung ihrer Mandantin zu agieren. Denn das Prozessverhalten von Sturm, Stahl und Heer war augenscheinlich nicht prozesstaktisch bestimmt, sondern entspricht ihrer Überzeugung – die drei scheinen tatsächlich eine fundamentale Kritik an staatlichen Institutionen, insbesondere an Polizei, Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft und Gericht, für im Gerichtssaal schlichtweg unzulässig und undenkbar zu halten. Dies entspricht zwar eher einem Verständnis des Verhältnisses von Staat zum Individuum, wie es in Heinrich Manns „Der Untertan“ zu finden ist, würde aber auch das autoritätshörige Verhalten der drei gegenüber dem Vorsitzenden erklären, das immer wieder für Unverständnis gesorgt hat.

Wenn die drei es allerdings für undenkbar halten, dass staatliche Institutionen eine Mitverantwortung für die hier angeklagten Straftaten haben, dass staatliche Institutionen die Aufklärung vorwerfbar unmöglich gemacht haben, und wenn sie aus diesem Verständnis heraus auch keine Verteidigungsstrategie für ihre Mandantin mit einer solchen Argumentation erwägen oder vornehmen, dann schließen sie natürlich auch von vornherein bestimmte Verteidigungsstrategien aus, die für Zschäpe durchaus erfolgversprechend hätten sein können. Dies dürfte auch ein wesentlicher Kern des Zerwürfnisses mit ihrer Mandantin sein.