28.11.2017

Beginn der Plädoyers zur Keupstraße: „‘Aktion Dönerspieß‘ und ‚Dönermorde‘ gehen nicht nur sprachlich Hand in Hand!“

Heute waren der Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße und die nachfolgenden, von Betroffenen als „Bombe nach der Bombe“ bezeichneten polizeilichen Ermittlungen Thema der Plädoyers und Erklärungen der Nebenklage.

Rechtsanwalt Stephan Kuhn begann mit einer umfangreichen Darstellung sowohl der mörderischen Wirkung der Bombe als auch der von Anfang an gegen die Geschädigten in der Keupstraße gerichteten Ermittlungen. Er stellte vor allem auch dar, dass diese Ausrichtung der Ermittlungen nicht nur gegen die ausdrücklichen Hinweise der Geschädigten, es müsse sich um Nazis oder Ausländerhasser handeln, sondern auch gegen alle bekannten Beweismittel und sogar die Erkenntnisse aus einer operativen Fallanalyse verstießen. 

Unter der Überschrift „Die Tat war also ein Erfolg“ stellte Stephan Kuhn eindrucksvoll dar, dass der in den Ermittlungsbehörden vorhandene strukturelle Rassismus und die hiervon beeinflussten Ermittlungshandlungen den Erfolg des rassistischen Nagelbombenanschlages erst vollendetem.

Abschließend stellte er fest:

„Der NSU-Komplex zeigt uns beide Formen [des Rassismus] und wie sie zueinander in Beziehung stehen: Zum einen die individuelle Form des Rassismus, die die hiesigen Angeklagten verkörperten und verkörpern, der sich in offen rassistischen Aktionen und Handlungen gegen einzelne Personen oder Gruppen offenbart. Zum anderen sind es die Handlungen oder Unterlassungen der Gesellschaft gegenüber ebenjenen Minderheiten, die den offenen Rassismus flankieren und so seine Macht und Bedeutung steigern. „Aktion Dönerspieß“ und „Dönermorde“ gehen nicht nur sprachlich Hand in Hand! 

[…] Die Kommunikationspolitik der Behördenleitungen und der (bewusste oder unbewusste) Alltagsrassismus ihrer Untergebenen haben objektiv mitgeholfen, dass der Anschlag in der Keupstraße für den NSU zum Erfolg wurde. Beide haben dazu beigetragen, dass sich die Betroffenen nicht nur in ihrem Wohnzimmer, sondern in diesem Staat nie wieder so wohl und sicher fühlen werden, wie vor dem Anschlag. 

Hieran etwas zu ändern, eine Form von Rechtsfrieden wiederherzustellen, erfordert, dass man beides benennt: Es ist unredlich, den plumpen, mörderischen Rassismus der Emingers, Wohllebens, Gerlachs und Zschäpes zu geißeln, institutionellen Rassismus jedoch zu verschweigen. Ein solches Schweigen perpetuiert den Alltagsrassismus und dient damit den Gesinnungsgenossen des NSU, anstatt sie zu bekämpfen. Ich glaube kaum, dass man so einen demokratischen, oder gar einen antirassistisch verfassten, Rechtsstaat schützen kann.“

All dies findet sich ausführlicher in der Zusammenfassung des Plädoyers von RA Stephan Kuhn.

Rechtsanwalt Berthold Fresenius setzte sich eingangs seines Plädoyers mit dem offenen Rassismus der Angeklagten auseinander. Dabei wies er auch sehr deutlich darauf hin, dass selbst der Angeklagten Schultze, der seine Taten umfangreich gestanden hat, bis heute nicht in der Lage ist, sich selbst und der Öffentlichkeit einzugestehen, dass er seine Tatbeiträge auf Grundlage einer rassistischen Ideologie begangen hat. Berthold Fresenius widmete sich im Anschluss vor allem dem Einfluss des damaligen Bundesinnenministers Schily, der den Blick der Öffentlichkeit sehr früh in die Richtung angeblicher organisierter Kriminalität gelenkt hatte. Er wies auch nach, dass diese Haltung zur insgesamt rechtsoffenen Politik Schilys als Innenminister passte, der beispielsweise ein Protagonist einer äußerst flüchtlingsfeindlichen Politik war.

Im Anschluss gab der Mandant von Berthold Fresenius, Herr M.A., eine kurze Erklärung ab. Er schilderte unter anderem die Folgen der rassistischen Ermittlungsmethoden auch für ihn ganz persönlich:

„Der Druck auf uns in der Keupstraße durch die Polizei – die, wie wir heute wissen, auch zahlreiche V-Leute zu uns schickte, um uns konspirativ auszuforschen – hielt jahrelang an. Ich bin von der Polizei nie als Geschädigter befragt worden – warum, ist mir bis heute nicht klar. Ich habe mich aber auch selber nie an die Polizei gewandt – ich hatte einfach Angst vor der Polizei – ich hatte Angst, von dieser als Täter behandelt zu werden. Die Atmosphäre unter uns Menschen aus der Keupstraße war so, dass ich trotz meiner Verletzung – dem geplatzten Trommelfell – nicht wagte, zu einem Arzt zu gehen, da ich dachte, dieser würde mich dann der Polizei melden. Erst nach dem 04.11. war mir klar, dass die Polizei uns – mich – jetzt nicht mehr für einen Terroristen hält und ich ging zu einem HNO. Dafür war es – natürlich – zu spät. Ich schildere dies, um deutlich zu machen, wie wir Opfer die Zeit nach dem Terroranschlag auf uns erlebt haben.“

Zu den Details verweisen wir sehr gerne auf die Zusammenfassung des Plädoyers von Berthold Fresenius und der Erklärung seines Mandanten M.A.

Danach erfolgte eine Erklärung des Herrn Arif S., Mandant von Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der ebenfalls Bewohner der Keupstraße war und ist und sich ebenfalls mit der „Bombe nach der Bombe“ auseinandersetzte. In seiner kämpferischen Rede schilderte er u.a. den durch die rassistischen Ermittlungsmethoden bewirkten Vertrauensverlust bei den Bewohnern der Keupstraße:

„Die Keupstraße ist eine Straße in Köln, sie ist ein Ort, der zu Köln gehört, eine Straße dieses Staates. Und aus diesem Grund hat der Staat sich um uns zu kümmern. Wir zweifeln an der Justiz, an Gerechtigkeit und an Gleichheit, an der Demokratie eines Staates, der sich nicht um uns kümmert.

Es ist unfassbar, dass die Zivilpolizisten beim Verhör die Ereignisse absichtlich in eine andere Richtung lenkten und uns verdächtigten. Die barschen Gesichtsausdrücke der Polizisten, ihr unmenschliches Verhalten passten überhaupt nicht zu Polizisten dieses Landes. 

Den Polizisten, die ständig die gleichen Fragen stellten, sagte ich, dass ich wusste, wer die Täter waren. Und der Polizist fragte mich, wer sie waren. Ich sagte, dass die Täter Neonazis waren. Der Gesichtsausdruck des Polizisten veränderte sich und er sagte mir, dass ich schweigen sollte, indem er seinen Zeigefinger zu seinem Mund führte und „Psst“ sagte. Und ich sprach nie wieder.“

In Hinblick auf die Angeklagten machte Arif S. deutlich, dass er nicht davon ausgeht, dass alle Mitglieder des NSU und seines Netzwerkes ermittelt und angeklagt sind. Er beschrieb seine Angst, dass Mittäter immer noch in Deutschland leben und weitere Aktionen durchführen könnten. Die „wahren Täter“, also die weiteren Täter und Unterstützer, seien noch nicht ermittelt:

„Für mich sind alle, die in ihren Organisationsstrukturen sind, schuldig und sollten bestraft werden.“

Rechtsanwalt Hoffmann selbst konnte sein Plädoyer im Anschluss nicht beginnen, da Eminger-Verteidiger Kaiser erneut für Verzögerungen sorgte: er beschwerte sich über eine Äußerung im Plädoyer von Rechtsanwalt Berthold Fresenius, Eminger sei von seinem Verteidiger als „Idiot“ bezeichnet worden. Das stamme aus der nicht öffentlichen Haftbefehlsverkündung und sei „aus dem Zusammenhang gerissen“. Tatsächlich stimmte die Angabe, denn Kaiser hatte in jener Sitzung seinen Mandanten als „nützlichen Idioten“ bezeichnet und ergänzend auf Zeugenaussagen verwiesen, wonach er „nicht unbedingt das hellste Licht am Baum der rechten Szene“ gewesen sei. Die Befassung mit diesen Beschwerden Kaisers nahm dennoch den Rest des Verhandlungstages ein.