12.06.2018

Plädoyer von RA Stahl zur Frage der Mittäterschaft

Heute plädierte Zschäpe-Verteidiger Stahl zur Frage der Mittäterschaft Zschäpes an den Morden, Sprengstoffanschlägen und Raubüberfällen des NSU. Wie bereits letzte Woche von seinem Kollegen Heer angekündigt, beantragte er hinsichtlich all dieser Taten einen Freispruch.

Stahl kündigte zwar eingangs an, die Verteidigung sei sich hinsichtlich des festgestellten Sachverhalts mit der Bundesanwaltschaft weitgehend einig, es gehe nur um dessen rechtliche Würdigung. Tatsächlich aber schwankte sein Plädoyer hin und her zwischen einer rechtlichen Würdigung des auch von der Bundesanwaltschaft zu Grunde gelegten Sachverhalts – der, so die These Stahls, keine Mittäterschaft begründe – und einem Versuch, genau diesen Sachverhalt anzugreifen und die Selbstdarstellung Zschäpes als jemand, die mehr oder weniger ungewollt mit Böhnhardt und Mundlos in den Untergrund gegangen war und mit den eigentlichen Taten gar nichts zu tun hatte, zu verteidigen.

Zu der rechtlichen Frage, ob die Zschäpe von der Bundesanwaltschaft vorgeworfenen – und auch nachgewiesenen – Tathandlungen ausreichen, um Mittäterschaft zu begründen, fuhr Stahl juristisch schwere Geschütze auf: so begann er mit einem Zitat von Prof. Claus Roxin, dem wohl profiliertesten Experten für die juristische Frage von Täterschaft und Beihilfe, streute dann immer wieder Rechtsprechung des BGH ein, insbesondere des 3. Strafsenats, der auch über die zu erwartende Revision gegen das Münchener Urteil entscheiden wird, und endete mit einem Zitat des Vorsitzenden eben jenes Senats, das zeigen sollte, dass der eine Verurteilung Zschäpes wegen Mittäterschaft nicht halten würde. Indes zeigte sich schon beim Zitat von Roxin, dass Stahl arg einseitig argumentierte: Roxin hatte in einem Interview zu Beginn des Prozesses gesagt, das Zusammenleben mit zwei Mördern mache einen Menschen noch lange nicht selbst zum Mörder. Er hatte diese Aussage aber erkennbar nicht auf Basis einer vollen Kenntnis des Akteninhalts gemacht, zudem selbst eingeschränkt (etwa mit Blick auf möglichen Kontakt während der Ausführung der Taten). Und auch die vielen Urteile des 3. Strafsenates, die Stahl zur Veranschaulichung seiner Thesen nutzte, bezogen sich auf Sachverhalte wie den der Frau, die ihren Freund zum Raubüberfall auf die Tankstelle hinfuhr und während der Tat auf ihn wartete, oder des Mitglieds einer Betrügerbande, die Hilfstätigkeiten wie Beschaffen von Kreditkarten und Weiterüberweisen von erzielten Überweisungen verrichtete – Fälle, die mit dem NSU erkennbar wenig vergleichbar sind.

Nun ist Stahl im ersten Ansatz recht zu geben, dass ganz grundsätzlich eine Verurteilung wegen Mittäterschaft eine echte Beteiligung an der Tat, juristisch: die Tatherrschaft oder jedenfalls den Willen zu dieser, voraussetzt. Indes waren seine Versuche, dies hinsichtlich jeder der Zschäpe vorgeworfenen Beteiligungshandlungen einzeln zu widerlegen und dann so zu tun, als sei das Thema erledigt, erkennbar formaljuristisch und geprägt von einer (bewussten oder unbewussten) Verkennung der politischen Hintergründe. Denn Zschäpe war ja nicht irgendeine Mitbewohnerin zweier Männer, die halt zufällig auch Mörder waren. Sie war seit den 1990ern mit den beiden Männern zusammen in Neonazi-Gruppierungen aktiv, in denen Dokumente wie die „Turner-Tagebücher“ gelesen wurden, radikalisierte sich mit den Männern zusammen, beging zahlreiche Delikte mit ihnen gemeinsam, führte Strategiediskussionen über den bewaffneten Kampf usw. Und die Arbeitsteilung zwischen Zschäpe und den Männern, wie sie in der Anklage beschrieben ist und sich auch in der Beweisaufnahme ergeben hat, entspricht genau den Vorgaben in den Blaupausen wie den Turner-Tagebüchern. Kurzum: der NSU ist halt schlicht anders zu behandeln als das Pärchen, das Tankstellen ausraubt, oder die Betrügerbande. Dieser Schluss ist auch nicht etwa ein Ergebnis von Denken in den Kategorien des „Feindstrafrechts“, wie Stahl dies der Bundesanwaltschaft vorwarf. Sondern er drückt einfach aus, dass die Frage von Tatherrschaft in einer untergetauchten, einer politischen Ideologie und Strategie folgenden Kleinstgruppe anderen Maßstäben folgt als bei Alltagskriminalität – eine These, die sich übrigens ähnlich durchaus auch in den Büchern des Strafrechtsexperten Roxin findet.

Mitunter wirkten die Versuche Stahls, die einzelnen Aspekte zu widerlegen, mit denen die Bundesanwaltschaft die Täterschaft Zschäpes begründet, auch albern und wie ein Argumentieren gegen Strohpuppen. So etwa, als er sich dem von Zschäpe gebotenen Einsatz „200 Videoclips schneiden“ in einer Wette mit Böhnhardt und Mundlos zuwandte – die Bundesanwaltschaft geht zurecht davon aus, dass es hier nur um Clips für das Bekennervideo des NSU gegangen sein kann. Stahl meinte nun, im Einzelnen die Wahrscheinlichkeiten aufdröseln zu müssen, dass Zschäpe diese Wette dann auch verloren habe, dass sie dann ihren Wetteinsatz auch eingehalten habe – ganz so, als sei die Wette nur dann relevant, wenn Zschäpe tatsächlich genau wegen dieser Wette genau diese 200 Clips geschnitten hätte. Tatsächlich geht es ja erkennbar um etwas ganz anderes: die Wette zeigt, dass für Zschäpe der Einsatz „200 mal Videoclips schneiden“ genauso normal und alltäglich war wie der ebenfalls gemachte Einsatz „10 mal die Stube putzen“. Diese Vertrautheit mit dem Thema, verbunden mit weiteren Beweismitteln, zeigt, dass Zschäpe in die Auswertung der Taten des NSU und deren propagandistische Verwertung in Form des Bekennervideos aktiv eingebunden war. Auf die konkreten 200 Clips kommt es dabei allenfalls am Rande an.

Ähnlich klein-klein und formalistisch ging Stahl auch mit vielen anderen Zschäpe zur Last gelegten Beteiligungshandlungen um. Im Ergebnis werden also auch seine Ausführungen seiner Mandantin nicht weiterhelfen, weder beim OLG noch in der Revision beim BGH.