08.06.2018 – Exkurs

Exkurs: zu Verschwörungstheorien rund um das Thema NSU

Das Urteil des OLG München naht. Wir gehen davon aus, dass dieses Urteil viele ganz zentrale Fragen offen lassen bzw. als nicht relevant für die Verurteilung darstellen wird. Es ist zu befürchten, dass sich die dadurch ergebende Frustration vieler Interessierter erneut in der Verbreitung von alle Fragen einfach erklärenden Verschwörungstheorien auflösen wird. Aus diesem Grund wollen wir im Folgenden unsere Meinung zu solchen Theorien darstellen.

Wie viele, die zum Thema NSU-Komplex arbeiten, werden auch wir immer wieder aus dem Bekanntenkreis auf die zahlreichen Verschwörungstheorien angesprochen, die im Zusammenhang mit dem NSU und dem Verhalten der staatlichen Behörden auftreten. Nun lädt natürlich das Thema NSU zu solchen Theorien ein wie kaum ein zweites: das Schreddern von Akten beim Verfassungsschutz, die Anwesenheit des VS-Mitarbeiters Temme am Tatort in Kassel zeigen natürlich, dass hier etwas faul ist.

Wir haben als Teil der Nebenklage im Münchener NSU-Verfahren versucht, solche Fragen seriös näher aufzuklären. Unsere Antworten auf die Frage, was staatliche Stellen wussten und wieso sie so handelten, wie sie handelten, haben wir und unsere Kolleg_innen etwa in unseren Plädoyers dargestellt.

Leider finden sich aber gerade zum Thema NSU auch klassische verschwörungstheoretische Ansätze, die die falschen Fragen stellen und die richtigen Fragen hinter einem Haufen Blödsinn vergraben. Mit diesen Theorien haben sich verschiedene antifaschistisch aktive Menschen befasst und diese ausführlich kritisiert und widerlegt – auf einige dieser Darstellungen wollen wir hier verweisen:

Die These vom Mord an Böhnhardt und Mundlos:

Die Behauptung, dass Böhnhardt und Mundlos sich nicht selbst erschossen hätten, sondern von staatlichen Stellen ermordet worden seien, stellt etwa der Krimi-Autor Wolfgang Schorlau in seinem Krimi „Die schützende Hand“ auf – einem Buch, das er einerseits mit einer Vielzahl vermeintlicher Quellen als enthüllungsjournalistisches Sachbuch darzustellen versucht, während er andererseits kritische Nachfragen auch damit abblockt, es handele sich eben um eine fiktionale Geschichte.

Eine Widerlegung der „Fakten“, auf die Schorlau seine Thesen stützt, findet sich im Beitrag „NSU: Faktencheck Schorlau — ‚Die schützende Hand‘… weder Hand noch Fuß!“ von Tomas Lecorte.

Eine auch politische Kritik von Schorlaus Blick, der ausgerechnet die NSU-Mörder Mundlos und Böhnhardt als vermeintliche Opfer staatlichen Handelns in den Blick nimmt, enthält die Rezension „Kollateralschäden der Weltpolitik“ von NSU watch.

Für ganz Eilige empfiehlt sich die kurze, aber knackige Rezension von Fritz Burschel.

Zum Film, der aus diesem Machwerk entstanden ist, empfehlen wir Katharina Königs Rezension mit dem Titel „Entsorgte Hirnmasse“.

Zum angeblichen „Zeugensterben“

Zu der immer wieder zu hörenden These vom „Zeugensterben“ rund um den NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag von Baden-Württemberg verweisen wir auf den Beitrag „Das Märchen von den toten Zeugen“ von Tomas Lecorte.

Rechte Desinformationspolitik: der „Fatalist“

Die oben genannten Theorien sind für rechte Lesarten offen, stammen aber nicht per se aus der politischen Rechten. Etwas anderes gilt für die Szene um den blogger Christian Reißer alias „Fatalist“ und den sog. „Arbeitskreis NSU“ – hier wird ganz gezielt rechte Desinformationspolitik betrieben. Näheres etwa im Artikel „Der ‚Fatalist‘: Desinformation als Strategie“ von Jara Behrens und Kaya Schwarz.

Weitere Theorien, wie die Behauptung, der NSU sei von der Regierung Merkel geplant und geführt worden, um die “nationale Opposition” zu schwächen, die “Flüchtlingskrise” 2015/2016 vorzubereiten und letztlich den Tod des deutschen Volkes voranzutreiben und die weltweite “Umvolkung” zum Nachteil der “arischen weißen Rasse” zu betreiben, lassen wir unkommentiert und senken die Köpfe angesichts des darin enthaltenen Wahns.