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13.03.2014

Bedrückende Erklärung des Vaters von Halit Yozgat – Hetzerische Geburtstagszeitung nur „pubertärer Quatsch“?

Die Hauptverhandlung begann mit der angekündigten Erklärung des Vaters des in Kassel ermordeten Halit Yozgat. Diese wurde einmal unterbrochen, weil Zschäpe-Verteidiger Rechtsanwalt Heer der Ansicht war, Yozgat habe seine Mandantin zu Unrecht als Mörderin bezeichnet und die Stellungnahme verhalte sich nicht ausreichend zur Beweisaufnahme. Nach dieser zynischen Unterbrechung konnte die Stellungnahme aber ungestört weiter verlesen werden.

Die Familie Yozgat sieht sich nach wie vor von der deutschen Gesellschaft und ihren Vertretern im Stich gelassen. Auch die Zusage der Bundeskanzlerin aus dem vergangenen Jahr, alles zu tun, um die Verbrechen des NSU aufzudecken, hat keinen Fortschritt gebracht. Nach wie vor hat das Gericht nicht alle Akten, insbesondere aus dem Verfahren gegen den Verfassungsschutzmitarbeiter Temme, beigezogen. Auch das Leid, das die Familie Yozgat durch die polizeilichen Ermittlungen erlitten hat, die sich überwiegend auf das Umfeld der Familie bezogen, ist nicht wirklich anerkannt worden.

Der Herzenswunsch des Vaters, die Holländische Straße in Kassel, in der sein Sohn Halit nicht nur ermordet, sondern auch geboren wurde, in Halit-Straße umzubenennen, bleibt bislang unerfüllt. Zwar wurde ein Platz in Kassel nach seinem Sohn benannt, dies entsprach aber nicht dem Wunsch der Familie. So wandte sich der Vater am Ende seiner Stellungnahme in seiner Verzweiflung an das Oberlandesgericht München, es möge die Umbenennung möglich machen, mit den Worten:

„Wenn Sie entscheiden, dass die Holländische Straße in Halit-Straße umbenannt wird, dann werde ich die Väter von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zur Straßenumbenennung einladen und mit ihnen weiße Tauben als Symbol des Friedens steigen lassen.“

Wenn irgendjemand wirklich ein Interesse an Versöhnung im Zusammenhang mit den Morden des NSU hat, sollte diese Bitte, auch wenn sie hier an die falsche Instanz gerichtet wurde, nicht überhört werden.

Nach dieser bedrückenden Stellungnahme folgte die Vernehmung der Zeugin Jana J., die in den Jahren 1996 bis 2000 durch eine enge Freundschaft zum NSU-Unterstützer André Kapke eng mit der Naziszene Jenas und damit auch mit den NSU-Mitgliedern verbunden war. Sie hatte 1998 gemeinsam mit dem Angeklagten Wohlleben eine „Geburtstagszeitung“ im Stil einer gebastelten Bild-Zeitung für Kapke hergestellt. Kapke war in Südafrika gewesen, wo er auch nach einer Möglichkeit zum Untertauchen für das Trio gesucht haben soll. Nach seiner Rückkehr erhielt er die „Geburtstagszeitung“ als Geschenk.

Die Zeitung ist voll von antisemitischen, rassistischen Parolen, Mordaufrufen und anderen Widerlichkeiten. Die Zeugin erkannte ihre Schrift, gestand auch ein, diese Zeitung verfasst zu haben, erinnerte sich aber an keine Details. Die Zeitung sei aus heutiger Sicht zu verabscheuen, sie schäme sich dafür. Aus der damaligen Sicht einer 18-jährigen aus der rechten Szene sei die Zeitung allerdings „pubertärer Quatsch“ und eine Reaktion auf die Kriminalisierung der Naziszene, die sie damals als ungerecht angesehen habe.

Damals seien in Jena praktisch alle Menschen rechts und ausländerfeindlich gewesen, die jüngeren hätten das eben nur extremer betrieben. Die Naziszene in Jena sei ja sehr groß gewesen. Wenn man sich der rechten Szene irgendwie verbunden gefühlt habe, habe man dort gut leben können, „das war ja so allgemein die Stimmung im Osten“. Ihr Freund André Kapke sei ganz klar „nationalistisch, fremdenfeindlich, rassistisch“ gewesen. Insgesamt habe sie keine schlechten Erinnerungen an irgendjemand.

Weiter erinnerte sich die Zeugin an einen „Mädelabend“ mit Beate Zschäpe im Jahr 1997 in der Wohnung Zschäpes. Zschäpe habe eine Pistole gehabt, die sie liebevoll Walli genannt habe. Was für eine Art von Waffe dies gewesen sei, konnte die Zeugin allerdings nicht angeben. Allerdings habe Zschäpe einen Schulter-Gurt gehabt, um die Waffe unter dem Pulli herumtragen zu können.

Nach dem Abtauchen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos hätten diese stärker im Vordergrund gestanden als davor. Alle hätten über „die Drei“ gesprochen, allerdings nicht offen. Mit der Polizei habe sich in dieser Zeit ein Katz- und Mausspiel entwickelt. Der Bruder von André Kapke habe ein Konzert gegeben, auf dem für die Abgetauchten Geld gesammelt werden sollte.

Am Beispiel der Zeugin Jana J. lässt sich gut erkennen, dass eine starke, dynamische Nazibewegung, die von großen Teilen der „normalen“ Gesellschaft teilweise Zustimmung, jedenfalls aber keine entschiedene Ablehnung erfährt, breite Teile  der Jugend einbinden kann. Jana J. hat sich damals offensichtlich vor allem aus Opportunismus der sie umgebenden Naziszene angeschlossen, deren Ideologie und Gestus angenommen und sich so in ihr gesellschaftliches Umfeld eingeordnet. Heute, wo sie als Pädagogin in Berlin lebt, lehnt sie ihrer neuen Lebenswelt entsprechend auch ihre damalige Meinung deutlich ab.

Die Vernehmung der Zeugin soll am 16. April fortgesetzt werden.