16.02.2016

Zum kriminellen Umfeld der Jenaer Naziszene – „Die Bewaffnung hatte nur ein Ziel: Die vorrückenden Ausländerbanden aufhalten“

Heute war nur ein Zeuge geladen, der 1992 bis 2000 Mitglied einer organisierten Kriminellengruppe in Jena war – nach eigener Aussage „eine der führenden Banden in Thüringen“, aktiv in Drogenhandel, Waffenhandel, Prostitution. Es steht im Raum, dass diese Gruppe Kontakte zum einen zu Böhnhardt, Mundlos, Wohlleben und Schultze hatten, andererseits zu Enrico Theile und Hans Ulrich Müller, die laut Anklage Teil der Lieferkette der vom NSU verwendeten Ceska-Pistole waren. Der Vorsitzende hat daher mehrere Mitglieder dieser Gruppierung vorgeladen, um einerseits mehr über den Lieferweg von Waffen aus der Schweiz zu erfahren und andererseits auszuschließen, dass diese Gruppe über weitere Lieferwege für ähnliche Waffen verfügte.

Auch dieser Zeuge wollte sich an Umstände, die die Angeklagten belasten könnten, nicht erinnern, berichtete aber dafür breit von irrelevanten Dingen, v.a. von seinen damaligen Straftaten, und machte stark den Eindruck, sich ganze Teile schlicht auszudenken. Beim ersten vom Vorsitzenden aufgebauten Druck verweigerte der Zeuge die Aussage. Seine Vernehmung wurde für heute unterbrochen, es soll nun über die Beiordnung eines Zeugenbeistandes entschieden werden. Zwei für morgen geladene führende Mitglieder der Gruppe wurden auch erst einmal wieder abgeladen.

Im Folgenden einige Aussage des Zeugen – sinngemäß und teilweise wörtlich wiedergegeben –,die Lebenssituation in Jena in den 90er Jahren wohl treffend beschreiben und einen interessanten Einblick in das Selbstbild der damaligen und heutigen Mischszene aus Neonazis und organisierten Kriminellen geben:

Ich gehe davon aus, dass es vielen nicht schmecken wird, was ich zu der damaligen Bewaffnung der Bande sagen werde.

1996-2000 haben wir von Jena aus agiert. Da kamen die ganzen anderen Banden, Tschetschenen, Türken usw. und wo die alle herkamen. Aufgrund solcher Sachen haben wir eine Bewaffnung angestrebt. […] Ich habe schon bei der Staatsanwaltschaft gesagt, die Bewaffnung hatte nur ein Ziel: Die vorrückenden Ausländerbanden aufhalten. Wir hatten mehrere Waffendepots angelegt.

Damals sollte auch die rechte Szene in Jena bewaffnet werden. Die hätten uns unterstützen können, das aufzuhalten. Als wir dann in den Knast gingen, sah man das ja auch gleich, da gab es gleich 8 Tote, weil die den Stoff mit Rattengift usw. gestreckt haben, die Ausländer. Jetzt wird der Markt von Rumänen, Türken usw. beherrscht. Wie die mit ihren Mädchen umgehen…

Ich kann ihnen Fragen nach den Kontakten von Ron und Gil nicht beantworten. Warum sollte ich das tun, damit ich dann nach Hause fahre und eine Kugel in den Kopf bekomme. Dann mache ich von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

Die Befragung wird also demnächst fortgesetzt – ein umfassendes Schweigerecht wird der Zeuge nicht haben. Die Befragung weiterer Gruppenmitglieder wird ähnlich schwierig verlaufen, evtl. müssen noch Vernehmungsbeamte befragt werden – all dies kann sich über Wochen hinziehen. Aus den Ermittlungen ist bekannt, dass die Gruppe Kontakt zu Hans Ulrich Müller und zu Enrico Theile hatte, dass die beiden an Waffenlieferungen aus der Schweiz mitgewirkt haben sollen.

Irgendwelche Zweifel an der Lieferkette der NSU-Ceska aus der Schweiz über den Jenaer Szene-Laden Madley‘s und über Schultze und Wohlleben zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, wie sie von mehreren Zeugen und dem Angeklagten Schultze bestätigt wurde, haben sich hieraus nie ergeben, eher im Gegenteil. Auch die heutige Aussage des Zeugen hat keine solchen Zweifel aufgeworfen. Von daher ist nicht wirklich nachvollziehbar, warum der Vorsitzende Richter viel Zeit für diese aufwändigen Zeugenbefragungen aufwendet.