21.11.2017

Erneute Störmanöver der Verteidigung – aber auch eindrucksvolle und berührende Plädoyers

Heute führte zunächst Mehmet Daimagüler sein Plädoyer für die Angehörigen von Abdurrahim Özudoğru und Ismail Yaşar fort. Es folgten Elif Kubaşık, die Witwe von Mehmet Kubaşık, und ihr Anwalt Carsten Ilius, die den Beginn eines „Blocks“ aufeinander abgestimmter Plädoyers markierten (zu dem auch unsere eigenen Plädoyers gehören werden).

Erneut versuchte die Verteidigung, die Plädoyers der Nebenklage zu stören – im Wesentlichen mit derselben falschen Argumentation, die das Gericht schon letzte Woche deutlich abgelehnt hatte. Sie war damit nicht erfolgreich. Der Verteidigung geht es erkennbar darum, die Plädoyers der Nebenklage zu stören und die Aufmerksamkeit von deren wichtigen und emotional berührenden Inhalten abzulenken. Um diesem Versuch zu begegnen, werden wir an dieser Stelle zu diesen Störmanövern nichts weiter schreiben und uns stattdessen auf die Inhalte der Plädoyers beziehen.

Aufsehen erregte auch, dass Rechtsanwalt Hoffmann auf eine Provokation der Wohlleben-Verteidigerin Schneiders reagierte und sie als „ehemals aktive Neonazistin“ bezeichnete, woraufhin Schneiders einen Antrag auf Protokollierung wegen einer vermeintlichen Beleidigung stellte. Auch hierzu nur ganz kurz: hoffentlich wird Schneiders dieser vermeintlichen Straftat weiter nachgehen, denn in einem entsprechenden Verfahren wäre angesichts ihrer nachweisbaren Aktivitäten u.a. in NPD/JN der Wahrheitsbeweis schnell geführt. Der Antrag der Wohlleben-Verteidigung schließlich, das Gericht möge auf die Ablösung von Oberstaatsanwalt Weingarten als Vertreter der Bundesanwaltschaft hinwirken, weil dieser Hoffmann zur Seite gesprungen sei und in seinem Plädoyer „Antifa-Jargon“ verwendet habe, ist so peinlich und selbstentlarvend, dass wir auch hierauf keine weiteren Zeilen verschwenden wollen.

Aus dem Plädoyer von Mehmet Daimagüler wollen wir vor allem zwei Aussagen seiner Mandantschaft wiedergeben, die sich direkt an die Angeklagten Zschäpe und Schultze richten. Zu Zschäpe und ihrer Einlassung äußerten sich die Mandant_innen von Mehmet Daimagüler so:

„Frau Zschäpe, wir nehmen Ihre Entschuldigung nicht an. Wir verzeihen Ihnen nicht. Wir verzeihen Ihnen nicht den Mord an unserem Bruder. Wir verzeihen Ihnen nicht den Mord an meinem Vater. Wir verzeihen Ihnen nicht die Lügen, die Sie uns aufgetischt haben. 

Wenn Sie aber irgendwann bereit sind, sich Ihrer Vergangenheit zu stellen, wenn Sie wirklich bereit sind, ohne jede Schminke in den Spiegel zu blicken, wenn Sie bereit sind, uns zu helfen, abzuschließen, dann schreiben Sie uns. Dann, aber auch nur dann, können wir Ihnen vergeben, dann werden wir Ihnen vielleicht vergeben.“

Und zu Carsten Schultze stellte der Nebenklägervertreter fest, dass diesem – bei aller ehrlichen Bemühung um Aufklärung – zwei Dinge nicht zu glauben sind: einerseits seine Blockadehaltung zu seiner eigenen ideologischen Einstellung und seinem Wirken während seiner Zeit in der Nazi-Szene, andererseits die Behauptung, bei der Lieferung der Mordwaffe Ceska sei nie ein Schalldämpfer bestellt gewesen. Dennoch ließ die Tochter von Ismail Yaşar an Schultze ausrichten:

„Herr Schultze, Sie haben dabei geholfen, dass mein Vater, Ismail Yaşar, nicht mehr am Leben ist. Es fällt mir schwer, nicht zornig zu sein. Ich will aber nicht mehr zornig sein.  Ich will nicht mehr mit Wut zu Bett gehen und mit Wut aufwachen. Mein Anwalt hat mir berichtet, dass Sie als einziger der Angeklagten Ihre Schuld eingeräumt haben. Er hat mir auch berichtet, dass Sie als einziger unter den Angeklagten hingeschaut haben, wenn die Bilder der Toten an die Wand gespielt wurden, und dass Ihre Augen dabei vor Entsetzen ganz weit waren. Ich vergebe Ihnen. Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Ich will aber auch, dass Sie Ihre Schuld abtragen. Sprechen Sie mit jungen Menschen, Gehen Sie zu Ihnen und erzählen Sie Ihre Geschichte. Warnen Sie sie vor dem Hass der Nazis und vor dem Unheil, das diese Menschen anrichten. Dann werden Sie vielleicht eines Tages so weit sein, dass Sie auch sich selbst verzeihen können.“

Mehmet Daimagüler beantragte für Schultze eine Bewährungsstrafe.

Es folgte das Plädoyer von Elif Kubaşık selbst, das wir hier (nahezu) vollständig wiedergeben wollen:

Mein Name ist Elif Kubaşık. Ich bin Kurdin, Alevitin, Dortmunderin, deutsche Staatsangehörige. 1991 sind mein Mann Mehmet, unsere Tochter Gamze und ich als Flüchtlinge hierher nach Deutschland gekommen und haben politisches Asyl erhalten.

Mein Mann Mehmet wurde am 4. April 2006 von der Terrororganisation NSU ermordet.

Mehmet und ich haben uns sehr geliebt und daraufhin geheiratet. Er war sehr liebevoll, er war sehr besorgt um seine Familie, er war vernarrt in seine Kinder, er hatte eine sehr enge Beziehung zu seiner Tochter Gamze. Jeder Mensch, ob klein oder groß, ob jung oder alt mochte ihn.

All die guten Dinge fallen mir ein über Mehmet, wenn ich an ihn denke, was für ein Mensch er war, wie schön er war, als Mensch, was für ein Vater er war.

Mein Herz ist mit Mehmet begraben.

Ich glaube die Stärke, die ich heute zeigen kann, die kommt einfach von der Beziehung mit ihm. Ich glaube das Vertrauen, vor allem auch die Sicherheit die er mir gegeben hat, hat mich stark gemacht.

Zu diesem Prozess zu kommen war niemals leicht für mich, heute ist es auch nicht leicht für mich, diese Leute zusehen, das auszuhalten, ist nicht leicht. Ich war immer wieder krank nachdem ich hier war. Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalten. Ekelhaft, einfach ekelhaft aber war ihre Aussage. Es ist alles Lüge, was sie sagte. Sogar die Form, wie sie sich entschuldigt hat, war verletzend. Das war so, als würde sie uns beleidigen. Mein Arm wurde taub durch die Anspannung, weil ich versucht habe, mich währenddessen zusammenzureißen. Man hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über uns.

Aber auch der Tag an dem die Polizisten aus Dortmund ausgesagt haben, war ein schlimmer Tag für mich: zu hören welchen Beweisen sie überhaupt nicht nachgegangen sind, was sie sich nicht einmal angeschaut haben.

Ich will, dass die Angeklagten hier verurteilt werden, ich will dass sie ihre Strafe bekommen.

Aber für mich wäre weitere Aufklärung auch sehr wichtig gewesen.

Hier im Prozess sind meine Fragen nicht beantwortet worden: Warum Mehmet, warum ein Mord in Dortmund, gab es Helfer in Dortmund, sehe ich sie heute vielleicht immer noch, es gibt so viele Nazis in Dortmund und für mich so wichtig, was wusste der Staat. Vieles davon bleibt unbeantwortet nach diesem Prozess. Frau Merkel hat ihr Versprechen von 2012 nicht gehalten.

Aber eines möchte ich zum Abschluss noch sagen:

Die, die das gemacht haben, die diese Taten begangen haben, sollen nicht denken, weil sie neun Leben ausgelöscht haben, dass wir dieses Land verlassen werden. Ich lebe in diesem Land, und ich gehöre zu diesem Land. Ich habe zwei Kinder in diesem Land zur Welt gebracht, und mein Enkel Mehmet ist hier zur Welt gekommen. – Wir sind ein Teil dieses Landes, und wir werden hier weiterleben.”

RA Carsten Ilius schloss an mit einer breit angelegten und beeindruckenden Darstellung der Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubasik und zum Einfluss des institutionellen Rassismus auf diese, die absurden Ermittlungen gegen die Familien der Ermordeten, das bewusste Wegschieben extrem naheliegender Ermittlungsansätze in Richtung deutsche Rassisten. In seinem Plädoyer wurde auch noch einmal plastisch, welches unglaubliche Leid die Ermittlungen für die Angehörigen bedeuteten.

RA Carsten Ilius wird sein Plädoyer morgen fortsetzen und sich dann auch der Ermittlungstätigkeit der Bundesanwaltschaft nach 2011 zuwenden. Wir werden morgen weiter zu seinem Plädoyer berichten. Zu den Plädoyers des gemeinsamen Blocks werden wir auch von den jeweiligen Plädierenden stammende Kurzzusammenfassungen veröffentlichen.