Weitere Plädoyers der Nebenklage. Insbesondere: Gamze Kubaşik wendet sich an Zschäpe
Der Antrag, das Gericht möge auf die Ablösung von Anklagevertreter Weingarten hinwirken, wurde erwartungsgemäß abgelehnt. So konnten die Plädoyers der Familie Kubaşik und ihrer Vertreter_innen fortgesetzt werden.
Zunächst führte Rechtsanwalt Carsten Ilius aus, warum die Nichtermittlungen in Richtung Dortmundes Nazi-Szene so unverständlich und unverantwortlich waren – weil es dort nämlich eine breite, gut vernetzte und extrem militante Szene aus dem Umfeld von „Blood and Honour“ und „Combat 18“ gab und es aus verschiedenen Gründen naheliegt, dass Personen aus dieser Szene in die Vorbereitung des Mordes eingebunden waren. Beweisanträge der Nebenklage hierzu waren allesamt abgelehnt worden.
Carsten Ilius wandte sich sodann den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft nach 2011 und deren Verhalten im Gericht zu. Er ordnete abschließend das Verhalten von Polizei und Bundesanwaltschaft vor und nach 2011 in die soziologische Forschung zu staatlichen Reaktionen auf rassistische Morde ein: Während die Ermittlungen vor 2011 von einer „wörtlichen Verleugnung“ der Täterschaft oder auch nur des Verdachts der Täterschaft von Nazis durch staatliche Institutionen geprägt waren, wurde diese offensichtliche Tatsache zwar nach dem 4. November 2011 eingestanden, aber zu einer „interpretativen Verleugnung“ übergegangen, aber die staatliche Verantwortung durch eine Veränderung des Kontextes geleugnet: Ermittlungspannen, mangelhafte Absprachen usw. Damit ist erneut der Kampf um die Deutungshoheit über das Thema NSU-Komplex angesprochen.
Dieser Kampf wird auch bei der Frage nach der Größe und Struktur des NSU geführt. Mit beiden Feldern – dem Handeln staatlicher Behörden, hier des Verfassungsschutzes, und dem Netzwerkcharakter des NSU – befasste sich Rechtsanwalt Sebastian Scharmer in seinem Plädoyer. Er machte anhand eines Schaubildes noch einmal die unglaubliche Anzahl von V-Leuten des Verfassungsschutzes im Umfeld von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe anschaulich. Das Publikum lauschte gebannt und verfolgte das an die Wand projizierte Schaubild, das sich nach und nach mit über 30 Namen bzw. Aliasnamen füllte.
Zum Abschluss wandte sich Scharmer direkt an Beate Zschäpe mit einer Aufforderung und einer beeindruckenden Zusage seiner Mandantin: sollte Zschäpe nach dem Münchener Urteil endlich die Wahrheit sagen und die anderen Mitglieder und Unterstützer des NSU nennen, werde sich Gamze Kubaşik persönlich für Zschäpe einsetzen, wenn die Mindestverbüßungsdauer, also die Zeit, die Zschäpe mindestens im Gefängnis verbringen muss, festgesetzt wird.
Beide Plädoyers stellten noch einmal in beeindruckender und plastischer Form den Einfluss des institutionellen Rassismus auf die Ermittlungen, die Idiotie der GBA-These von der isolierten Dreierzelle, und den Netzwerkcharakter des NSU dar. (Zusammenfassungen beider Plädoyers finden sich hier: Plädoyer von Carsten Ilius, Plädoyer von Sebastian Scharmer.)
Sie wurden aber in ihrer Wirkung noch in den Schatten gestellt, als zum Abschluss des Verhandlungstages Gamze Kubaşik selbst das Wort ergriff, insbesondere, als sie zu jeder und jedem der fünf Angeklagten direkt einige kurze Sätze sagte.
Gamze Kubaşik schildert zunächst ihre Hoffnungen zu Beginn des Prozesses und stellt fest, dass ihre Hoffnungen auf Aufklärung sich nicht erfüllt haben:
„Ich weiß immer noch nicht, wer außer den Angeklagten alles noch beteiligt gewesen ist. Ich weiß auch nicht, warum ausgerechnet mein Vater ausgewählt wurde. Ich weiß auch bis heute nicht, wer in Dortmund geholfen hat oder aber wer unseren Kiosk vor dem Mord ausspioniert hat. Auch verstehe ich bis heute nicht, warum diese Menschen nicht gestoppt worden sind.“
Fest stehe, dass fünf Angeklagten schuldig sind. Sie äußert sich kurz zu jeder/jedem Einzelnen:
„Holger Gerlach: Ich glaube, dass er wusste, was Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 13 Jahre lang gemacht haben. Er ist kein Trottel, der nur alten Freunden helfen wollte. Ich glaube, er wusste genau, was die vorhatten und er wollte das auch so.“
Es sei gut, dass Gerlach sich im Prozess überhaupt geäußert habe. Aber auch er sei dafür verantwortlich, dass sie und ihre Geschwister ihren Vater verloren haben.
„Andre Eminger: Ich habe keinen Zweifel, dass er ganz eng mit dabei war. Er war so eng mit diesen drei Leuten, dass er gewusst hat, was die machen, dass die Morde begehen.“ Er haba auch an seiner Nazi-Einstellung nichts geändert. „Er ist für mich der Schlimmste von allen Helfern des NSU. Ich glaube außerdem, dass er nicht nur Unterstützer war, sondern eigentlich mit denen auf einer Stufe.“
„Carsten Schultze: Er ist der einzige, dem ich hier persönlich abnehme, dass ihm das, was hier passiert ist, leidtut. […] Er hat geholfen, die Wahrheit zu finden. Auch wenn ich glaube, dass er seine Nazi-Einstellung von früher hier nicht schonungslos und offen erzählt hat, bin ich bereit, seine ehrliche Reue anzuerkennen.“
„Ralf Wohlleben: Er ist dafür verantwortlich, dass der NSU eine Waffe mit Schalldämpfer bekommen hat. Mit dieser Waffe wurde mein Vater ermordet. Er war Helfer der ersten Stunde für diejenigen, die diese ganzen Menschen umgebracht haben. […] Wohlleben ist schlau und gefährlich. Er war der, der alles mitorganisiert hat. Wie er sich in diesem Prozess hier verhalten hat, zeigt mir, dass er an seiner Einstellung nichts geändert hat.“
„Beate Zschäpe: Sie ist für mich genauso schuldig, wie diejenigen, die mit eigener Hand auf meinen Vater geschossen haben. Sie hat alles mitgeplant. Was ich bis heute nicht verstehe ist, warum sie dann nicht auch zu ihren Taten steht. Das finde ich feige!“
Von der Einlassung, die Zschäpes Anwälte für sie verlesen hatten, glaube sie kein Wort. Ebenso wenig kaufe sie Zschäpe ihre behauptete Reue ab, weil Zschäpe eben den Angehörigen nicht helfe, ihre Fragen nicht beantworte.
„Frau Zschäpe, wenn Ihnen wirklich irgendwann leidtut, was passiert ist, dann antworten Sie! Das geht auch dann noch, wenn dieser Prozess hier vorbei ist.“
Zum Schluss aber erinnert Gamze Kubaşik an das Aufklärungsversprechen, das die Bundeskanzlerin den Angehörigen der Ermordeten 2012 gegeben hatte, und wendet sich an die Bundesanwaltschaft:
„Sie haben vielleicht viel dafür getan, dass diese fünf hier verurteilt werden. Aber was ist mit den ganzen anderen? Ich glaube nicht daran, dass Sie noch irgendwann jemanden anderes anklagen. Für Sie ist die Sache doch hier abgeschlossen. […] Sie haben das Versprechen gebrochen!“