06.06.2013

Angeklagter Gerlach entschuldigt sich bei den Opfern, will aber von nichts gewusst haben. 

Die weitere Vernehmung des Angeklagten Carsten Schultze wurde auf dessen Wunsch auf die nächste Woche verschoben, da dann der Gutachter Prof. Leygraf wieder im Gerichtssaal ist. So kam es stattdessen zur Einlassung des Angeklagten Holger Gerlach. Ihm wird vorgeworfen, die untergetauchten Mitglieder des NSU unterstützt zu haben, indem er ihnen u.a. seinen Führerschein und Reisepass überließ. Außerdem soll er 2001 auf Bitte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben eine Pistole an “die Drei” überbracht haben. Da nicht aufklärbar ist, ob diese Pistole für die Mordtaten verwendet wurde, ist diese Straftat Gerlachs allerdings bereits verjährt.

Gerlach gestand all diese Handlungen und entschuldigte sich bei den Opfern des NSU für das Leid, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ihnen zugefügt haben. Er betonte jedoch, es habe sich ausschließlich um einen Freundschaftsdienst für die drei Untergetauchten gehandelt, er habe nicht damit gerechnet, dass die Gewalttaten begehen würden. Er betonte mehrfach, er sei genauso ahnungslos gewesen, wie es auch sämtliche Polizei- und Verfassungsschutzbehörden Deutschlands waren. Gerlach verlas eine vorbereitete Erklärung, Fragen dazu will er derzeit nicht beantworten.

Vorher hatte er sich zu seinem Lebenslauf geäußert und auch Fragen des Vorsitzenden beantwortet. Im Gegensatz zum Mitangeklagten Schultze stand er dazu, dass er damals Neonazi war und ausländerfeindlich dachte. Er betonte auch, er und seine Freunde seien keine Skins gewesen, die “prügelnd durch die Gegend ziehen”, sondern haben politisch etwas ändern wollen. 2004 sei er dann ausgestiegen, sei aber noch bis heute mit einigen alten “Kameraden” befreundet.

Nicht nur die Entschuldigung, sondern auch seine angebliche Ahnungslosigkeit bezüglich der Morde seiner damaligen Kameraden ist wenig glaubhaft. Gerlach hat heute noch einmal bestätigt, bereits 2001 “den Drei” eine Waffe überbracht zu haben. In einer früheren Vernehmung hat er angegeben, er habe damals gesagt, man könne sich nicht “anmaßen, mit fünf Leuten die Welt retten zu wollen.” Diese Angabe will er jetzt nur sinngemäß gemacht haben. Dennoch liegt es nahe, dass er sich, Wohlleben und „die Drei“ als einheitliche Gruppe gesehen hat, mit drei illegalen und zwei legalen Mitgliedern, die entsprechende Hilfe zu den Taten geben konnten. Dies steht natürlich zu der Behauptung, er habe keine Ahnung von den zu erwartenden Taten des NSU gehabt, in klarem Widerspruch. Hiergegen spricht auch, dass Gerlach lange Zeit mitten in der militanten, offen Gewalt gegen Andersdenkende und „Nichtdeutsche“ propagierenden Naziszenen Jenas und Hannovers aktiv war.

Zu einer ganz wesentlichen Frage, die seine Einlassung aufwirft, verhielt sich Gerlach nicht: Er hat heute noch einmal bestätigt, bereits 2001 “den Drei” eine Waffe überbracht zu haben und dabei sinngemäß gesagt zu haben, man könne sich nicht “anmaßen, mit fünf Leuten die Welt retten zu wollen.” Dies steht natürlich der Behauptung, er habe keine Ahnung von den zu erwartenden Taten des NSU gehabt, natürlich in einem klaren Widerspruch. Daneben werden auch die Angaben zu seinem Ausstieg kritisch zu überprüfen sein – er selbst hat etwa eingestanden, 2005 noch auf mehreren Nazi-Demonstration gewesen zu sein, hat dies aber als “Freundschaftsdienst” hingestellt.

Ein Nebenkläger erbat das Wort, um sich zu der Erklärung Gerlachs zu äußern. Der Vorsitzende verweigerte ihm dies.

05.06.2013

Die Erinnerungslücken des Carsten Schultze

“Sie haben gestern Ihren Ausstieg aus der Szene thematisiert. Ich frage mich gerade, Ausstieg woraus” – dieser Vorhalt des Vorsitzenden Richters Götzl an den Angeklagten Carsten Schultze steht beispielhaft für dessen Aussage am heutigen 6. Prozesstag im NSU-Verfahren.

Schultze hatte gestern gestanden, zusammen mit dem Mitangeklagten die Ceska-Pistole mit Schalldämpfer besorgt zu haben, mit der der NSU neun Migranten ermordet hatte. Heute berichtete Schultze, der bis 2001 in der Neonazi-Szene Jenas aktiv war, auch von weiteren Taten, die er damals begangen hat – u.a. habe er mit einigen “Kameraden” eine Döner-Bude umgeworfen, an einer anderen mehrmals die Scheiben eingeworfen, ein anderes zwei Menschen aus nichtigem Anlass zusammengeschlagen und -getreten und schwer verletzt.

Zu seinen damaligen inneren Einstellungen konnte – oder vielmehr: wollte – er keine konkreten Angaben machen. So nannte er als Motiv für die Sachbeschädigungen an den Dönerbuden etwa “Nervenkitzel und Action” gepaart mit Alkoholisierung. Erst auf mehrfache Nachfrage gestand er ein, dass er das nicht gemacht hätte, wenn es um eine Würstchenbude gegangen wäre, und dass vielleicht “ein gewisses Feindbild” eine Rolle gespielt habe – Worte wie Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit kamen ihm, der behauptet, sich mit seiner rechten Vergangenheit auseinandergesetzt zu haben, dabei nicht über die Lippen. Auch ansonsten hatte Schultze, was seine Nazi-Zeit betrifft, eine deutliche Tendenz zur Verharmlosung. Seine Tendenz, so zu tun, als habe er damals keine eigenen Gedanken, keine politischen Ansichten gehabt, löste nicht nur bei der Nebenklage spürbaren Unmut aus, auch der Vorsitzende Richter wurde sichtbar ungeduldig.

All dies steigerte sich noch, als es um die zentrale Frage, die Ceska-Pistole ging. Hier wurde Schultze gefragt, was er sich denn dabei gedacht habe, eine solche Waffe – eine scharfe Waffe mit Schalldämpfer und Munition – zu besorgen, was er gedacht habe, was damit geschehen sollte. Auch hier behauptet er auch auf mehrfache Nachfrage, er könne sich nicht erinnern, was er damals gedacht habe.

Gegen Nachmittag wurde die Vernehmung auf Wunsch des Angeklagten unterbrochen. Ob morgen die Vernehmung Schultzes fortgesetzt wird oder zunächst der Mitangeklagte Holger Gerlach an der Reihe ist, ist noch unklar – die Verteidigung Schultzes hatte Bedenken angemerkt, weil der Gutachter Prof. Leygraf, der Schultze begutachten soll, nicht anwesend war.

Am Rande ging es erneut um die Frage von Prozessbeobachtern. Der Vorsitzende hatte am Vortag auf Antrag von NebenklagevertreterInnen zumindest ins Publikum gefragt, ob Prozessbeobachter von Polizei oder “Verfassungsschutz” anwesend seien. Den Antrag, dies auch heute zu tun und allgemein bei den Behörden anzufragen, welchen Auftrag diese Beobachter haben, wies das Gericht zurück: Es gebe keinen Anlass, eine Beeinflussung von Zeugen durch Prozessbeobachter zu befürchten. Diese Begründung ist wenig überzeugend, nachdem, wie berichtet, mehrere NebenklägervertreterInnen darauf hingewiesen hatten, dass es aus anderen Verfahren ganz konkrete Beispiele für solche Beeinflussung gibt.

04.06.2013

Einlassung des Angeklagten Carsten Schultze

Auch der 5. Verhandlungstag im NSU-Verfahren war zunächst von diversen prozessualen Anträgen und vielen Beratungspausen geprägt. Nachdem das Gericht einige zuvor gestellte Anträge auf Einstellung bzw. Aussetzung des Verfahrens abgelehnt hatte, beantragte die Verteidigung Zschäpe erneut die Einstellung des Verfahrens. Sie bezog sich auf drei Aspekte: eine “Vorverurteilung” ihrer Mandantin durch Äußerungen von Generalbundesanwaltschaft und PolitikerInnen; die nicht aufgeklärte Rolle von V-Leuten im Verfahren; und die Vernichtung von Akten zum Umfeld des NSU in den “Verfassungsschutz”behörden. NebenklägervertreterInnen beantragten, wie auch die Generalbundesanwaltschaft, diesen Antrag zu verwerfen. Sie merkten aber auch an, dass das Gericht natürlich wird Beweis erheben müssen über die Rolle von V-Leuten in und um den NSU. Eine Entscheidung des Gerichts über den Antrag wird in den nächsten Tagen erwartet.

Es folgte ein Antrag, zu dem Nebenklage und Verteidigung sich weitgehend einig waren: ein Nebenklägervertreter beantragte, keine Prozessbeobachter von Polizei und “Verfassungsschutz” im Publikum zuzulassen. Das BKA hat angekündigt, BeobachterInnen zu senden, diese sollten u.a. “neue Erkenntnisse” herausfinden; auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat Interesse angemeldet. Es liegt auf der Hand, dass die Gefahr besteht, dass diese BeobachterInnen ggf. KollegInnen, die später als ZeugInnen im Verfahren aussagen sollen, “briefen”, um das Ergebnis des Prozesses im Sinne ihrer Behörde zu beeinflussen. Die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben schlossen sich dem Antrag an. Das Gericht lehnte ihn ab mit der Begründung, es gebe keinen konkreten Hinweis auf eine drohende Beeinflussung – und das, obwohl dieser Hinweis klar der Ankündigung des BKA zu entnehmen ist und Beispiele für ähnliche Beeinflussungen auch aus den Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zum NSU bekannt sind.

Nachdem dann auch der Antrag der Verteidigung Zschäpe, die Einlassung des Angeklagten Schultze wörtlich zu protokollieren, abgelehnt worden war, konnte dieser am Nachmittag endlich beginnen. Er berichtet zunächst ausführlich zu seinem Lebenslauf, u.a. zum Einstieg in die Neonaziszene Jenas mit 16-17 Jahren und zu seinem “Ausstieg” im Alter von 20. Er zählte auch seine Parteiämter bei NPD und JN auf – u.a. war er Stellvertretender Bundesgeschäftsführer der JN. Er behauptete aber, all diese Ämter habe er nicht gewollt, sondern sei hierfür von anderen bestimmt worden.

Dann äußerte sich Schultze zu den Tatvorwürfen. Ihm wird vorgeworfen, zusammen mit dem Mitangeklagten Wohlleben die Ceska-Pistole mit Schalldämpfer besorgt und an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt übergeben zu haben, mit der dieser neun türkisch- und griechischstämmige Menschen ermordete. Er hatte diese Tat schon im Ermittlungsverfahren gestanden, und dabei blieb er auch in der Verhandlung. Er blieb aber auch dabei, dass er den Schalldämpfer – der die Waffe klar erkennbar zur Mordwaffe machte – damals nicht bestellt habe; sein Lieferant habe einfach keine andere Waffe gehabt. Auch will er sich keine Gedanken dazu gemacht haben, was Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe mit der Waffe vorhatten. Im Gegensatz zum Rest seiner Aussage schien dieser Teil sehr dünn und wenig überzeugend – es ist zu erwarten, dass hierzu kritische Nachfragen der Nebenklage kommen werden.

Morgen werden die Prozessbeteiligten Schultze Fragen stellen. Als erste ist die Generalbundesanwaltschaft an der Reihe. Ob der Vorsitzende danach erst den Verteidigungen der anderen Angeklagten das Wort erteilen wird – immerhin belastet Schultze vor allem Wohlleben massiv –, oder ob die Nebenklage zuerst Fragen stellen wird, bleibt abzuwarten.

16.05.2013

Keine Abtrennung des Keupstraßen-Anschlags

Das Gericht teilt nach Beratung mit, dass derzeit nicht beabsichtigt ist, das Verfahren Bombenanschlag Keupstraße abzutrennen.

Eine umfangreichere Darstellung des Verhandlungstages folgt.

15.05.2013

NSU Verfahren: Drohende Abtrennung des Bombenanschlages in der Keupstraße

Wir dokumentieren eine Pressemitteilung der NebenklagevertreterInnen Carsten Ilius (türkischsprachig und Ansprechpartner: 0163-2870923), Antonia von der Behrens, Sebastian Scharmer, Peer Stolle, Christina Clemm, Edith Lunnebach, Alexander Hoffmann, Berthold Fresenius, Stephan Kuhn, Angelika Lex.

In der Hauptverhandlung vom 14. Mai 2013 kündigte der Vorsitzende Richter Götzl an, er erwäge, das Verfahren wegen des Bombenanschlages in der Keupstraße in Köln abzutrennen. Dies würde bedeuten, dass der Bombenanschlag in der Keupstraße vielleicht in 2 oder 3 Jahren verhandelt wird oder – was viel wahrscheinlich ist -, dass es gar nicht mehr zu einer Verhandlung kommt: Sollte Beate Zschäpe in dem Hauptverfahren ohne den Anschlag in der Keupstraße schon zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt werden, wäre es möglich, das Verfahren in Bezug auf den Anschlag in der Keupstraße nach der Strafprozessordnung (§ 154 StPO) einzustellen, da dann eine Verurteilung wegen des Bombenanschlages nicht mehr wesentlich ins Gewicht fallen würde.

Auslöser für die Erwägung des Gerichts war, dass die Verteidigung gerügt hatte, dass der Sitzungssaal zu klein sei, vor allem, wenn sich noch viele weitere durch den Bombenanschlag in der Keupstraße Betroffenen als Nebenkläger dem Verfahren anschließen würden.

Es gibt keinen sachlichen Grund für eine Abtrennung, außer dem, sich der Opfer und Nebenkläger aus der Keupstraße in dieser Hauptverhandlung entledigen zu wollen. Auch bei einer Abtrennung wird über den Bombenanschlag in der Keupstraße Beweis erhoben werden müssen. Rechtsanwalt Carsten Ilius, der Elif Kubaşık, die Witwe des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık vertritt, erklärt hierzu: „Der Bombenanschlag ist auch für die übrigen angeklagten Taten, insbesondere die 10 Morde, wesentlich und ein bedeutender Ausdruck des Gesamtcharakters der Taten des NSU als rassistischer Verbrechen.“

Außerdem ist derzeit der Verhandlungssaal groß genug. Es sind auf den Nebenklagebänken viele Plätze freigeblieben. Die Erwägung des Vorsitzenden, der Verhandlungssaal sei für weitere mögliche Nebenkläger aus der Keupstrasse zu klein, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlige Spekulation. Schließlich: Sollte der Verhandlungsaal tatsächlich einmal zu klein werden, dann hätte die Justiz in München die Aufgabe einen entsprechend größeren Verhandlungssaal zu finden und nicht Nebenkläger aus dem Verfahren zu entfernen.

Opfer und Nebenkläger könnten deshalb eine Abtrennung nur als weiteren Schlag ins Gesicht verstehen. Es wäre ein klares Zeichen gegenüber allen Opfern des Nazi-Terrors, dass ihre Interessen vom OLG München mit Füßen getreten werden.

Bei diesem Anschlag mit einer Nagelbombe am 09. Juni 2004 in der überwiegend von türkeistämmigen Menschen bewohnten Keupstraße in Köln wurden 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt und 70 Menschen waren in dem Radius, der von der Bombe erfasste werden konnte. Der Anschlag in der Keupstraße ist die größte propagandistische Tat des NSU gewesen, mit der besonders in der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland Angst und Schrecken verbreitet werden sollte und wurde. Den vielen betroffenen Anwohnern der Straße war klar, dass es sich um einen rassistischen Terroranschlag handeln musste – was jahrelang von den Strafverfolgungsbehörden und der Politik geleugnet wurde. Im Gegenteil, die Ermittlungen wurden gegen die Bewohner der Keupstraße gerichtet. Die Opfer mussten so lange warten, dass die möglichen Täter ermittelt und ihnen der Prozess gemacht wird, dass ein weiteres Zuwarten um mehrere Jahre oder gar eine Einstellung des Verfahrens für sie nicht trag bar ist.

Am Nachmittag des heutigen Hauptverhandlungstages gab das Gericht die Gelegenheit, zu der Frage der beabsichtigten Abtrennung Stellung zu nehmen. Alle Verfahrensbeteiligten, die Nebenklagevertreter, die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung sprachen sich gegen eine Abtrennung aus.

München, 15.05.2013

Nebenklagevertreter: Carsten Ilius (türkischsprachig), Antonia von der Behrens, Sebastian Scharmer, Peer Stolle, Christina Clemm, Edith Lunnebach, Alexander Hoffmann, Berthold Fresenius, Stephan Kuhn, Angelika Lex.

14.05.2013

Endlich: Verlesung der Anklageschrift
Drohung des Vorsitzenden: Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße könnte abgetrennt werden

Nach der erneuten Unterbrechung der Hauptverhandlung letzte Woche wurden heute zunächst weitere Anträge der Verteidigung auf Aussetzung und Unterbrechung gestellt. Gerügt wurde unter anderem die Raumgröße, der beschränkte Zugang der Öffentlichkeit, die beengten Bedingungen im Gerichtssaal und mangelnde Akteneinsicht in die Unterlagen über die zweite Presseakkreditierung. Die meisten dieser Anträge wurden abgelehnt, über den letzten soll später entschieden werden.

Dann wurde endlich, von 15.37 Uhr bis 16.41, die Anklage verlesen. Über eine Stunde also benötigte Bundesanwalt Diemer, den 35-seitigen Anklagesatz zu verlesen. Das sogenannte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, das den größten Teil der insgesamt 488 Seiten starken Anklageschrift ausmacht, muss nicht verlesen werden.

Danach folgten zwei Einwände gegen die Besetzung des Gerichts, über die morgen entschieden werden soll.

Und wieder folgte der eigentliche Knaller kurz vor Schluss. Beinahe nebenher nahm der Vorsitzende ein Argument der Verteidigung auf, das diese einem Antrag eines Nebenklägervertreters entnommen hatte: Es melden sich immer noch Bewohner der Kölner Keupstraße als Nebenkläger, was die Platzprobleme verstärken könnte. Als Reaktion hierauf könnte dieser Teil der Anklage abgetrennt werden. Dies würde bedeuten, dass ein separates Verfahren alleine wegen des Bombenanschlages in der Keupstraße im Jahr 2004 geführt werden müsste. Völlig klar ist, dass ein solches Verfahren, wenn überhaupt, erst nach dem Abschluss des Münchener Verfahrens geführt werden könnte. Viel wahrscheinlicher wäre eine “Beerdigung” dieses Verfahrens durch Einstellung.

Eine Abtrennung wäre also nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Tatopfer in Köln, sondern auch ein klares Zeichen gegenüber allen Opfern des Nazi-Terrors, dass ihre Interessen vom OLG München mit Füßen getreten werden.

Die Hauptverhandlung wird morgen, am 15. Mai, fortgesetzt. Die Frage einer möglichen Abtrennung des Keupstraßenanschlages wird in der Hauptverhandlung thematisiert werden und wird hier im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen.

06.05.2013

Prozessauftakt und erneute Unterbrechung für eine Woche

Der lang erwartete Auftakt des Strafprozesses beim Oberlandesgericht München verlief wie erwartet schleppend. Erst zum Ende des Verhandlungstages gab es eine Überraschung: der Vorsitzende Richter Götzl unterbrach die Verhandlung bis zum kommenden Dienstag, dem 14.5.2013. Damit fallen die Verhandlungstermine am 7.5. und 8.5.2013 aus.

Aus Sicht der Nebenklage kam diese Entscheidung des Vorsitzenden Richters nicht nur überraschend, sie war auch strafprozessual nicht notwendig. Für die mehr als dreißig zum Prozessauftakt erschienenen NebenklägerInnen ist der erneute Wegfall von Verhandlungsterminen nur schwer erträglich.

Dabei hatte sich an dem ersten Verhandlungstag nichts abgespielt, was das Gericht und den Vorsitzenden überrascht oder besonders gefordert hätte. Die Anträge der Verteidigung ergaben sich klar aus einem länger geführten und allen Beteiligten bekannten Schriftwechsel mit dem Gericht. Die Verteidigung der Angeklagten Zschäpe hatte bereits am letzten Samstag dem Gericht einen Befangenheitsantrag übersandt. Sie rügte die sogenannte Sicherheitsverfügung des Vorsitzenden, in der er unter anderem die Durchsuchung der VerteidigerInnen und NebenklägervertreterInnen, nicht aber der Bundesanwaltschaft sowie der Mitglieder des Gerichts angeordnet hatte. Solche Durchsuchungen, so die Verteidigung, suggerieren, dass von den VerteidigerInnen besondere Gefahren ausgehen. Sowohl die VerteidigerInnen als auch einige NebenklägervertreterInnen hatten sich im Vorfeld gegenüber dem Gericht hierüber beschwert. Dass die Verteidigung – wie in ähnlichen Prozessen üblich – hierauf einen Befangenheitsantrag stützen würde, war klar. Das Gericht stellte die Entscheidung über den Befangenheitsantrag zunächst zurück, um mit dem Prozess fortzufahren.

Es folgte ein weiterer Befangenheitsantrag, diesmal durch die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben. Rechtsanwalt Klemke verlas über 40 Minuten einen weitschweifigen Antrag, in dem er versuchte darzulegen, warum sein Mandant den Vorsitzenden Richter Götzl und die Richter Lang und Kuchenbauer für befangen halte: Die Umbaumaßnahmen im Münchner Gerichtssaal seien bereits beschlossen worden, bevor über die Zulassung der Anklage entschieden war, und die drei abgelehnten Richter hatten mehrfach die Beschlagnahme von Briefen Wohllebens bestätigt, auf denen Buchstaben zu stilisierten Hakenkreuzen angeordnet waren. Schließlich fühlt sich Wohlleben willkürlich benachteiligt, weil ihm in Gegensatz zur Angeklagten Zschäpe nur zwei Pflichtverteidiger beigeordnet wurden. Er hatte bislang vergeblich beantragt, den ehemaligen Funktionär der Wiking-Jugend, Rechtsanwalt Nahrath, als weiteren Pflichtverteidiger beigeordnet zu bekommen. Im Übrigen schloss er sich dem Antrag der Verteidigung Zschäpe an.

Darüber hinaus kündigte Rechtsanwalt Klemke einen sogenannten Besetzungseinwand an, mit der er angreifen will, dass die Auswahl der an der Verhandlung teilnehmenden Richter fehlerhaft erfolgt sei.

Doch bereits zur Stellung dieses Antrages kam es nicht mehr, denn um kurz vor 17 Uhr unterbrach der Vorsitzende Richter Götzl, nachdem zuvor der gesamte Senat seine bisherigen Entscheidungen bestätigt hatte, die Hauptverhandlung bis zum nächsten Dienstag. Er führte aus, die aufgrund der Befangenheitsanträge nun von allen abgelehnten Richtern zu fertigenden „dienstlichen Erklärungen“ und die Entscheidung über die Ablehnungsanträge würden diese einwöchige Unterbrechung notwendig machen.

Diese Entscheidung erstaunte tatsächlich alle Beteiligten, sowohl die Verteidigung als auch die Nebenklage. Dies nicht nur, weil es ein übliches und in zahlreichen Strafverfahren erprobtes Vorgehen ist, Befangenheitsanträge der Verteidigung zurückzustellen und den Prozess fortzuführen, zumindest um über Besetzungseinwände zu entscheiden und die Anklage zu verlesen. Zudem war nicht nur der Prozessbeginn lange bekannt, sondern auch die Stellung von Befangenheitsanträgen zu erwarten. Die für die Ablehnungsanträge zuständigen Richter hätten sich, soweit sie nicht ohnehin als Teil von Götzls Senat vor Ort waren, bereithalten können, sie waren größtenteils auch im Gerichtsgebäude anwesend. Es wäre daher ein leichtes gewesen, eine Entscheidung bis Dienstag Mittag oder jedenfalls Mittwoch früh herbeizuführen. Damit hätte die Verhandlung in dieser Woche weitergeführt werden können, die bereits angereisten Nebenkläger wären nicht ein weiteres Mal ohne Not weggeschickt worden.

Eine Folge der erneuten Unterbrechung wird sein, dass beim nächsten und den folgenden Verhandlungsterminen deutlich weniger Presse, insbesondere internationale Presse, anwesend sein wird. Auch die Anwesenheit von NebenklägerInnen, also Opfern und Angehörigen von Opfern, wird mit Sicherheit abnehmen. Viele NebenklägerInnen hatten sich bereits zum ursprünglichen Prozessauftakt Zeit genommen, hatten erhebliche Ängste zu überwinden. Nun mussten die Angereisten erneut erleben, dass, jedenfalls aus ihrer Sicht, völlig willkürlich die gesamte Planung über den Haufen geworfen wurde. Die Bereitschaft, sich einer solchen emotionalen Tortur erneut auszusetzen, wird bei den NebenklägerInnen mit Sicherheit abnehmen. Damit wird aber auch für das Gericht der moralische Druck, der durch die Anwesenheit der Opfer der angeklagten Verbrechen ausgeübt wird, verringert.

Insoweit stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Motiven für die Entscheidung des Vorsitzenden. Es drängt sich die Vermutung auf, dass Götzl durch die andauernden Unterbrechungen – schon die Verschiebung des Prozessbeginns wegen der fehlerhaften Presseakkreditierung war kritisiert worden – das Interesse der Presse und Nebenklage zum Erliegen bringen will, damit der Prozess im weiteren ohne den öffentlichen und moralischen Druck „in Ruhe“ weiterlaufen kann. Ohnehin muss der bislang vorliegende Zeitplan des Vorsitzenden für die Beweisaufnahme die Nebenklage misstrauisch machen. Die Taktung der ZeugInnen und GutachterInnen lässt den Schluss zu, dass eine umfassende Befragung durch alle Prozessbeteiligten vom Vorsitzenden zunächst gar nicht vorgesehen ist, sondern alleine er oder das Gericht Fragen stellen wollen. Anders sind die angesetzten Zeiträume von regelmäßig 45 Minuten und weniger pro Zeugin bzw. Zeuge gar nicht zu erreichen. Es stellt sich also die Frage, ob die erneute Verschiebung der Verhandlung Teil einer Strategie ist, die Öffentlichkeit und die Nebenkläger selbst aus dem Prozess zu verdrängen, um später eine “glatte”, den Vorstellungen des Gerichts entsprechende Hauptverhandlung durchführen zu können. Aus unserer Sicht lässt sich für das Vorgehen des Vorsitzenden am ersten Verhandlungstag keine andere Erklärung finden.

17.04.2013

Prozessbeginn gegen Beate Zschäpe und weitere NSU-Verdächtige auf den 6. Mai 2013 verschoben.

Nach der fehlerhaften Presseakkreditierung hat der zuständige Vorsitzende des Staatsschutzsenats beim Oberlandesgericht München den Auftakt der Hauptverhandlung überraschend um 3 Wochen verschoben. Vorausgegangen war ein wochenlanges Hickhack um die Presseakkreditierung für den Prozess.

Der Vorsitzende hatte ein Verfahren angeordnet, bei dem die interessierten Medien in der Reihenfolge, in der ihre Anträge auf Teilnahme am Prozess beim Gericht eingingen, zugelassen wurden. Dieses sogenannte “Windhundrennen” führte dazu, dass türkische Medien keinen garantierten Platz im Saal erhalten hatten. Extraplätze für türkische, griechische oder iranische Medien, also Medien aus den Herkunftsländern der überwiegenden Zahl der Opfer der NSU-Attentate, hatte er nicht eingeplant.

Hiergegen hatte es nicht nur lautstarke Proteste gegeben, sondern auch einen Eilantrag der türkischsprachigen Zeitung Sabah zum Bundesverfassungsgericht. Dieser war erfolgreich. Das Verfassungsgericht wies den Vorsitzenden am 12. April 2013 an, eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an ausländische Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der Attentate zu vergeben (Beschluss des BVerfG).

Der Vorsitzende hat nun ein vollständig neues Akkreditierungsverfahren angekündigt und daher den Beginn der Verhandlung auf den 6. Mai verschoben. Den schnelleren Weg, einfach 3 bis 5 Plätze aus dem Sitzplatzkontingent für die allgemeine Öffentlichkeit auf die entsprechenden türkischen, griechischen und iranischen Medien zu verteilen, hat er nicht gewählt, wohl weil er befürchtete, dass möglicherweise die gesamte bisherige Akkreditierung fehlerhaft war. Bei der ursprünglichen Vergabe der Sitzplätze waren verschiedene Fehler aufgetreten. Insbesondere waren nicht alle interessierten MedienvertreterInnen gleichzeitig informiert worden, dass das Vergabeverfahren losging.

Die Verschiebung der Hauptverhandlung um drei Wochen ist ein für die Nebenkläger enorm belastender Schritt. Nicht nur, weil das Aufeinandertreffen mit den Angeklagten eine extreme psychische Belastung darstellt, die nun völlig überraschend um drei Wochen verlängert wird, sondern auch, weil die Planung der Reise und des Aufenthaltes in München sehr aufwändig sind. Es ist nicht wirklich nachvollziehbar, warum der Vorsitzende diese sehr einschneidende Verfahrensweise gewählt hat, denn eine fehlerhafte Presseakkreditierung kann rechtlich nicht dazu führen, dass ein Urteil aufgrund von Rechtsfehlern aufgehoben wird. Es ist zu befürchten, dass dies ein erstes Zeichen dafür ist, dass der kommende Prozess mehr von der Bemühung um Einhaltung der prozessualen Formvorschriften als von der Bemühung um maximale Aufklärung geprägt sein wird.