09.07.2013

Zu früheren Aussagen von Holger Gerlach

Am Vormittag wurde der Staatsanwalt beim Generalbundesanwalt Dr. Moldenhauer vernommen. Beweisthema waren vor allem Aussagen des Angeklagten Holger Gerlach beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Gerlach hatte „den Drei“ mehrfach Personalpapiere zur Verfügung gestellt. Diese waren unter anderem zur Anmietung von Wohnmobilen für die Mordanschläge und Überfälle des NSU verwendet worden. Unter anderem hatte Gerlach noch im Jahr 2011 einen neuen Reisepass ausstellen lassen mit einem Bild, auf dem er Uwe Böhnhardt sehr ähnlich sah. Für das Foto hatte er extra sein Aussehen verändert.

Gegenüber dem Zeugen gab Gerlach an, zu diesem Zeitpunkt sei er davon ausgegangen, dass kein Haftbefehl gegen „die Drei“ mehr bestanden habe. Er habe in der Zeitung gelesen gehabt, die ursprünglich vorgeworfenen Taten seien verjährt. Sie hätten ihm außerdem erzählt, sie würden einen Computerladen betreiben. Zu den Treffen seien sie mit teuren, neuen Autos gekommen.

Wenn Gerlach allerdings davon ausging, dass “die Drei” gar nicht gesucht wurden und auch über Geld verfügten, muss er sicher damit gerechnet haben, dass diese seine Papiere zur Begehung von ideologisch ausgerichteten Straftaten verwenden würden – dies umso mehr, als er, wie er dem Zeugen erzählte, bereits vor mehr als zehn Jahren “den Dreien” gesagt hatte, man könne „nicht mit fünf Leuten die Welt retten.“

Was die Übergabe einer Pistole, die er von Wohlleben erhalten hatte, an „die Drei“ betrifft, versuchte sich Gerlach gegenüber dem Zeugen abwechselnd mit den Schutzbehauptungen herauszureden, er habe entweder gar nicht in den Beutel geschaut, den er erhalten habe, oder er habe keine Möglichkeit gesehen, die Waffe „wegzuschaffen“, ohne jemanden zu gefährden.

Relativ überraschend stellte die Verteidigung Eminger den Antrag, diesen und seine Verteidiger von den Verhandlungstagen zu beurlauben, an denen Tatkomplexe verhandelt werden, an denen Eminger eine direkte Beteiligung nicht vorgeworfen wird. Da alle der verhandelten Taten durch eine terroristische Vereinigung begangen wurden, deren Unterstützung Eminger vorgeworfen wird, ist dies ein wenig aussichtsreicher Antrag.

Am Ende des Verhandlungstages berichteten zwei Polizeizeugen von der Auffindesituation des ermordeten Enver Şimşek, der in seinem Blumenverkaufsladen erschossen wurde.

04.07.2013

Katastrophale Ermittlungsarbeit produziert katastrophale Verhandlungstage

Die erste Hälfte des Verhandlungstages spiegelte die schlechte Qualität der polizeilichen Ermittlungen in den Gerichtssaal.

Carsten Schultze hat angegeben, eine Waffe mit Schalldämpfer, von der er vermutet, dass es die Ceska war, an Böhnhardt und Mundlos übergeben zu haben. Er gab an, bei einer Befragung seien ihm schlechte schwarzweiß-Kopien von verschiedenen Waffen vorgelegt worden. Bei einer weiteren Vernehmung seien ihm verschiedene Waffen vorgelegt worden. Eine eindeutige Identifizierung einer Waffe als diejenige, die er gekauft und an „die Drei” weitergegeben hat, konnte er nicht vornehmen.

Ein Polizeizeuge, der bei einer Vernehmung des Angeklagten Gerlach beteiligt war, bei der diesem Waffen vorgelegt wurden, brachte eine Kiste Waffen mit in den Gerichtssaal. Diese Waffen, so stellte sich erst im Verlauf der Vernehmung heraus, waren zwar typgleich mit denjenigen Waffen, die Gerlach seinerzeit vorgelegt wurden – aber es waren eben nicht dieselben Waffen, möglicherweise hatten die damals gezeigten Waffen sogar andersfarbige Läufe bzw. Griffe. Die Befragung war daher insgesamt nutzlos.

Diese schlampige Ermittlungsarbeit wird aber keinen Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses haben. Denn klar wurde jedenfalls, dass Schultze sich ganz sicher an eine Pistole mit Gewinde für einen Schalldämpfer erinnerte. Die einzige solche Pistole, die dem NSU zur Verfügung stand, war aber gerade die Ceska, mit der die Morde begangen wurden. Dies dürfte für eine Identifizierung der von Schultze und Wohlleben besorgten Waffe als der Mordwaffe ausreichen.

Ein weiterer Polizeizeuge berichtete von den ersten Vernehmungen mit Gerlach. Dabei wurde deutlich, dass Gerlach immer nur das zugab, von dem er vermuten musste, dass es der Polizei ohnehin bekannt war. Da Gerlach später gegenüber dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof lange Aussagen gemacht hat, die im Prozess verlesen werden können, wird noch weiter deutlich werden, wie er Schritt für Schritt immer mehr preisgab, nachdem ihm bewusst war, dass erst mit seinen Ausweispapieren die Begehung zahlreicher Morde möglich wurde.

02./03.07.2013

Zschäpes Gespräche mit Polizeibeamten

Beate Zschäpe hat bislang in allen förmlichen Vernehmungen die Aussage verweigert. Bei anderen Gelegenheiten hat sie sich aber zum Teil stundenlang mit Polizeibeamten unterhalten. Die Ermittlungsbehörden haben dies erkannt und Situationen geschaffen, in denen Beamte Gelegenheit hatten, beiläufig Gespräche mit ihr zu führen. Mehrere Vermerke, die nach solchen Gesprächen gefertigt wurden, wurden am 2. und 3. Juli in der Hauptverhandlung behandelt. Die Schilderungen der Gespräche durch die Polizeibeamten belasten Zschäpe stark. Ihre Verteidigung versuchte zu begründen, dass die Schilderungen der Inhalte dieser Gespräche für das Urteil nicht verwertet werden dürfen, war aber nicht in der Lage, die Verwendung von verbotenen Vernehmungsmethoden durch die Polizei darzulegen.

Zunächst wurde der Polizeibeamte gehört, der die ersten Gespräche mit Zschäpe führte, nachdem sie von Jena nach Zwickau gebracht wurde. Ihm habe Zschäpe gesagt, sie habe sich nicht gestellt, um nichts zu sagen. Zu einer formalen Aussage sei es nicht gekommen, weil ihr Rechtsanwalt nicht vor Ort gewesen sei. Seine Frage, ob noch weitere Straftaten in Planung oder am Laufen seien, habe Zschäpe verneint. Später habe sie betont, sie sei zu nichts gezwungen worden.

Mehrere Gespräche führte Zschäpe mit einem jüngeren BKA-Beamten, der sie bereits auf dem Flug von Zwickau nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof begleitete. In einer Wartezeit habe sie sinngemäß erzählt, ihr und Mundlos und Böhnhardt sei klar gewesen, dass sie irgendwann auffliegen, jetzt könne sie besser schlafen. Im Übrigen habe sie mit Böhnhardt und Mundlos schon vor langer Zeit eine Verabredung getroffen, dass sie falls nötig deren Eltern von deren Tod informieren werde. Dies habe sie getan, bevor sie sich gestellt habe. Angesprochen auf Wertgegenstände im Keller des abgebrannten Hauses in Zwickau, habe sie erstaunt erwidert, über Gegenstände, die mit Geldern aus Straftaten erworben wurden, könne sie doch nicht verfügen.

Am 25. Juni 2012 wurde Zschäpe gestattet, in der JVA Gera ihre Mutter und Großmutter zu treffen. Dazu fand ein Transport aus der JVA Köln nach Gera statt. Auf der jeweils vierstündigen Fahrt wurde sie unter anderem von einem hochrangigen BKA-Beamten begleitet, der immer wieder Themen aus der Ermittlungsakte ansprach. Wieder zeigte sich Zschäpe gesprächig, Anknüpfungspunkt war nach Aussage des Beamten auch ihre Unzufriedenheit mit ihrem Verteidiger Heer. Diesem warf sie eine enge Zusammenarbeit mit der Presse vor, mit der sie nicht einverstanden sei.

Zschäpe habe berichtet, dass ihr Verteidiger ihr von einer Aussage abrate. Sie habe aber auch mitgeteilt, wenn sie aussage, werde dies eine lange, umfassende Aussage sein, da sie jemand sei, der zu seinen Taten steht. Der BKA-Zeuge meinte sich daran zu erinnern, sie habe auf den Hinweis auf mögliche strafmildernde Wirkung einer Aussage erwidert, sie glaube nicht, dass eine Aussage sich auf die Strafe mildernd auswirken würde.

Auf der anderen Seite habe sie erzählt, sie ärgere sich zwar über das hässliche Fahndungsbild, das nun überall veröffentlicht werde, sei aber auch froh darüber, denn nach einer Haftentlassung würde sie dann niemand erkennen. Sie würde nach einer Entlassung gerne einen Allerweltsnamen annehmen und ganz normal leben.

Offensichtlich hatte Zschäpe jedenfalls vor einem Jahr noch eine sehr optimistische Einschätzung zu Haftstrafe, die sie erwartet. Nachdem durch die Vernehmung der Polizeizeugen dargelegt wurde, dass sie über die Taten von Mundlos und Böhnhardt informiert war, dass die drei ständig mit ihrem Tod rechneten und entsprechende Absprachen getroffen hatten, und dass sie selbst eine umfangreiche persönliche Verantwortung sieht, ist allerdings eine lebenslange Haftstrafe in deutliche Nähe gerückt.

26.06.2013

Beweisaufnahme ohne jede Struktur

Am heutigen 16. Verhandlungstag wurden Zeugen zur Wohnung des NSU in der Zwickauer Frühlingsstraße vernommen. Dort hatten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ab 2008 unter falschen Namen gewohnt; nach dem Tod der beiden Männer wurde die Wohnung – mutmaßlich von Zschäpe – angezündet. Vernommen wurden heute der Hausverwalter und zwei Handwerker, die in dem Haus gearbeitet hatten und zum Zeitpunkt des Brandes nur zufällig nicht im Haus waren.

Deutlich wurde, dass der Zeitplan des Vorsitzenden für Zeugenvernehmungen nicht aufgehen wird. So waren heute vier Zeugen in Abständen von jeweils 30 Minuten geladen, tatsächlich war nach über sechs Stunden Verhandlungsdauer noch nicht einmal die Vernehmung des dritten Zeugen beendet. Diese Verzögerung wird auch nicht etwa durch die NebenklägervertreterInnen verursacht – die haben zwar auch einige Fragen gestellt, die meiste Zeit verging aber mit Befragungen durch den Vorsitzenden.

Hinzu kommt, dass bisher keine Struktur in der Beweisaufnahme erkennbar ist. Diese Woche etwa ging es zunächst um den Mordfall Özüdoğru (Nürnberg), dann um den Brand in der Frühlingsstraße (Zwickau), beide Komplexe wurden aber nur bruchstückhaft behandelt. Der Brandermittler der Zwickauer Polizei wird in einigen Wochen weiter aussagen, wann die anderen Zeugen zur Frühlingsstraße erneut geladen werden, ist unklar. Auch wann es mit dem Mordfall Özüdoğru weitergeht, ist nicht klar. Nächste Woche wird jedenfalls keiner dieser beiden Komplexe behandelt, sondern es werden die Polizeibeamten vernommen, die die Angeklagten im Ermittlungsverfahren befragt hatten. Die NSU-Propagandavideos zeigte Götzl ohne vorherige Ankündigung, quasi als „Pausenfüller“.

Götzl, der als Vorsitzender Richter die Planung der Beweisaufnahme nach eigenem Ermessen bestimmen kann, macht damit überdeutlich, dass er wenig Interesse an einer zusammenhängenden Beweisaufnahme hat. Er arbeitet die in der Anklageschrift angegebenen Beweismittel irgendwie ab und meint anscheinend, dass dies für eine Verurteilung nach Anklage ausreichen wird. Die Verteidigung wird hiergegen keine Einwände haben – insbesondere die Verteidigung Zschäpe hofft ja darauf, dass die von der Anklage zusammengetragenen Indizien am Schluss einfach nicht reichen. Sie hat daher kein Interesse an strukturierter Aufarbeitung und langwierigen Nachfragen, die unter Umstände weitere belastende Umstände zu Tage fördern.

Eine tatsächliche Aufklärung, die möglicherweise auch Neues zu Tage fördert, ist so nicht möglich. Für die interessierte Öffentlichkeit, insbesondere aber für NebenklägerInnen, die den Prozess beobachten wollen, wird eine kontinuierliche Beobachtung oder die Planung, an bestimmten Zeugenvernehmungen teilzunehmen, extrem erschwert. Wird die Beweisaufnahme weiter so weitergeführt, wird der Prozess innerhalb kurzer Zeit zu einer nicht mehr nachvollziehbaren Veranstaltung und damit der öffentlichen Berichterstattung weitgehend entzogen werden.

25.06.2013

Zum Brand der NSU-Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße

Am heutigen 15. Verhandlungstag berichteten zwei Polizeibeamte zur Entstehung des Brandes in der Wohnung des NSU in der Zwickauer Frühlingsstraße. Die Wohnung war nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Brand gesteckt worden, die Anklage wirft Beate Zschäpe insoweit schwere Brandstiftung sowie versuchten Mord an drei Menschen, die an diesem Tag nur zufällig nicht im Haus waren bzw. sich rechtzeitig retten konnten, vor.

Besonders die Aussage eines Brandursachenermittlers von der Kriminalpolizei Zwickau dauerte, unterstützt von vielen Fotos vom Tatort, mehrere Stunden an. Sie ist auch noch nicht beendet, sondern wird in drei Wochen fortgesetzt werden. Deutlich wurde aber schon heute, dass der Brand mit Benzin gelegt worden ist.

Interessant waren auch weitere Details unabhängig von dem Brand: Die Wohnung und auch der Keller waren umfassend technisch gesichert, u.a. mit mehreren Schlössern, Kameras und Funkmeldern. Interessanterweise ist auf einem Foto, das wenige Wochen vor dem Brand aufgenommen wurde, eine dieser Kameras nicht zu sehen – ob das etwas zu bedeuten hat, wird noch aufzuklären sein.

Im Schutt der Wohnung wurden neben insgesamt 11 Schusswaffen u.a. auch Handschellen gefunden, die der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter gehört hatten. Auch hierzu werden noch weitere Aussagen folgen.

24.06.2013

Erste Einblicke in die Ermittlungen im Mordfall Özüdoğru

Nachdem letzte Woche die Einlassung des Angeklagten Schultze beendet wurde, begannen diese Woche die Zeugenbefragungen zum Mordfall Özüdoğru. Abdurrahim Özüdoğru wurde am 13.06.2001 in seiner Änderungsschneiderei in der Nürnberger Südstadt mit zwei Kopfschüssen getötet. Die Befragung der ermittelnden Polizeibeamten gab auch einen ersten Einblick in die Geisteshaltung, die es ermöglichte, dass die Mordserie des neonazistischen NSU lange als “Döner-Morde” bezeichnet und gegen die Opfer und ihr Umfeld ermittelt wurde: Während die Nachbarinnen und Nachbarn den Ermordeten alle als sehr freundlichen Nachbarn beschrieben, war es für den Beamten von der Spurensicherung, der die Leiche und den Tatort fotografiert hatte, sehr wichtig, mehrfach zu betonen, dass in der Schneiderei und der Wohnung des Ermordeten eine “gewachsene Unordnung” geherrscht habe; in seinem Bildbericht in der Ermittlungsakte finden sich weitere herabwürdigende Aussagen über türkische Menschen.

Eine Nachbarin, die 2012 in einer Vernehmung bei der Polizei angegeben hatte, Beate Zschäpe am Tatort gesehen zu haben, sagte in der Hauptverhandlung aus, sie traue sich nicht auszusagen, weil sie Angst habe, dass sie “einer wegmacht”. Ob Ihre alte Aussage verlässlich ist oder ob die Zeugin im Nachhinein Dinge durcheinander bringt, kann nur ein Blick in das Vernehmungsprotokoll von 2012 zeigen; dessen Beiziehung wurde von einer Nebenklägervertreterin beantragt.

Insgesamt gibt es keine direkten ZeugInnen des Mordes an Abdurrahim Özüdoğru. Die Tat wird aber anderweitig dem NSU zuzuordnen sein, u.a. über die verwendete Waffe und über die Videos, in denen der NSU seine Taten propagandistisch feiert.

Diese Bekenner-Videos – das sog. “Paulchen-Panther”-Video und zwei Vorgängerversionen – wurden während einer Pause zwischen den Zeugenvernehmungen gezeigt. Die Reaktionen auf Seiten der Angeklagten reichten von demonstrativem Desinteresse bei der Angeklagten Zschäpe und ihrer Verteidigung bis hin zu Betroffenheit beim Angeklagten Schultze.

Am Morgen des Verhandlungstages hatten NebenklägervertreterInnen zunächst noch einen Beweisantrag gestellt: In der vergangenen Woche hatte sich herausgestellt, dass Beate Zschäpe aus dem Gefängnis heraus Briefkontakt mit dem gewalttätigen Neonazi Robin Schmiemann hat. Dieser und ein Kontakt Schmiemanns sollen nun vernommen werden. Ziel des Antrags ist es, Kontakte zwischen den Neonazi-Szenen in Dortmund und Kassel – Orten zwei NSU-Morde – nachzuweisen. Insbesondere geht es um ein Treffen Dortmunder und Kasseler Neonazis, darunter auch V-Leute des Verfassungsschutzes, mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt während eines Rechtsrock-Konzertes in Kassel am 18.3.2006, wenige Wochen vor den Morden in Dortmund und Kassel.

19./.20.06.2013

Carsten Schultze – weitere Fragen, kaum Antworten und eine unzureichende Entschuldigung

Die Fortsetzung der Vernehmung des Angeklagten Carsten Schultze dauerte den gesamten Mittwoch an. Am Donnerstag, dem 20.6. werden die Verfahrensbeteiligten zu der gesamten Vernehmung Stellung nehmen. In der kommenden Woche soll die Beweisaufnahme zu den ersten Morden in Nürnberg beginnen. Die eigentlich für diese Woche geplante Vernehmung der Polizeibeamten, die die Angeklagten im Ermittlungsverfahren vernommen haben, wurde auf Grund der bisherigen Verzögerungen nach hinten geschoben.

Die weitere Vernehmung des Carsten Schultze war, wie bereits gestern, zäh und von vielen kaum nachvollziehbaren Erinnerungslücken geprägt. Immerhin beschrieb er auf Nachfragen, wie er illegal organisierte Konzerte von Nazibands besuchte, von denen eines von 1000 Personen besucht war. Auf Feten habe man entsprechende Songs mitgesungen. Nachdem Schultze bislang immer betont hatte, er sei kein Rassist gewesen, gab er nun an, Texte die beispielsweise die Ermordung von türkischen Menschen verherrlichten, mitgegrölt zu haben. Das habe in den Jahren 1997 bis 2001 „einfach dazugehört“.

Am Nachmittag versuchte sich Schultze bei den Opfern der NSU-Attentate und ihren Angehörigen zu entschuldigen. Diese Entschuldigung scheint ehrlich gemeint, beschränkt sich aber nach wie vor ausschließlich auf den Kauf und die Übergabe der Ceska-Pistole. Schultze scheint nach wie vor seine Verantwortung ausschließlich hierauf zu beschränken. Aus diesem Grunde hat er sich auch mit aller Kraft darauf konzentriert, die Vorgänge, die unmittelbar mit der Bestellung, Abholung und Übergabe der Waffe zusammenhängen, zu erinnern. Seine sonstige Unterstützung der Abgetauchten, die alltägliche Zusammenarbeit mit Wohlleben oder auch seine politische Tätigkeit – immerhin bildete er eine 20-30-köpfige Jugendgruppe der Jungen Nationaldemokraten aus –, verdrängt er weiterhin.

Schultze hat bis heute den tatsächlichen Umfang seiner Verantwortung, die Bedeutung seiner sonstigen Unterstützungsarbeit für die Existenz des NSU und die begangenen Verbrechen nicht erfasst. Dies entwertet seine Entschuldigung stark.

Stark belastet von der Aussage Schultzes wurde nicht nur Wohlleben, der nach den neuen Aussagen frühzeitig erfahren hat, dass die Gruppe einen Menschen „angeschossen“ hatte und trotzdem seine Unterstützungsarbeit weiterführte. Wenn selbst Carsten Schultze, der als reiner Helfer fungierte und von Alter und Geschichte eine große Distanz zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhard aufwies, von der „Taschenlampenbombe“ erzählt wurde, ist mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch die Angeklagten Gerlach und Eminger hierüber Bescheid wussten.

18.06.2013

Bereits 2000 zwei Verfassungsschutz-Kontakte im direkten Umfeld der Jenaer Unterstützer

Die weitere Vernehmung des Angeklagten Carsten Schultze verlief schleppend. Schultze gibt an, sich an fast nichts mehr zu erinnern. Seine immer wieder vorgetragene Behauptung, er habe keine Vorurteile gegenüber Türken gehabt, wird vollends absurd, wenn er über die Zerstörung einer Dönerbude berichtet und meint, er wisse nicht, welche Herkunft der Eigentümer gehabt habe. Seine gesamten politischen Aktivitäten im Thüringer Heimatschutz, der NPD und den Jungen Nationaldemokraten spielt er herunter.

Spannend ist alleine, dass er berichtet, bereits im Jahr 2000 habe er einerseits dem Chef des Thüringer Heimatschutzes, Tino Brandt, von seinem Kontakt zu den drei Untergetauchten erzählt. Dieser sei also jedenfalls ab diesem Zeitpunkt unterrichtet gewesen. Tino Brandt war die gesamte Zeit über V-Mann des Verfassungsschutzes.

Ausserdem habe ihn ein weiterer angeblicher Aussteiger, der zu diesem Zeitpunkt Kontakt zum Verfassungsschutz hatte, im Jahr 2000 gezielt nach “den Drei” gefragt. Er habe aber damals gesagt, er wisse nichts.

Als kurze Zeit deutlich wurde, dass Brandt Verfassungsschutzzuträger war, habe er sich keine weiteren Gedanken gemacht, obwohl dieser von seiner Unterstützungstätigkeit gewusst habe.

Deutlich wird also, dass schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Abgetauchten und ihre Unterstützer im Blickfeld des Verfassungsschutzes standen.

12./13.6.2013

Weitere Befragung des Angeklagten Carsten Schultze

Nachdem die Befragung des Angeklagten Carsten Schultze am Dienstag neue Erkenntnisse zu mindestens einem weiteren Anschlag des NSU, aber auch zum Angeklagten Wohlleben und zum Umgang von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit Informationen über die Anschläge ergeben hatte, verlief die Befragung am 12. und 13. Juni weitestgehend ergebnislos. Für eine gewisse Aufregung sorgte allerdings Schultzes Weigerung, Fragen der Verteidigung Wohlleben zu beantworten. Dies begründete Schultze sehr emotional: die Verteidigung Wohlleben habe gegenüber dem Gericht „Waffengleichheit“ gefordert, diese fordere er nun auch von diesem. Er habe sich „nackig“ gemacht. Wohlleben solle auch vollständig aussagen, erst dann würde er Fragen von dessen Verteidigung beantworten.

Wie „nackig“ sich der Angeklagte Schultze tatsächlich gemacht hat, ist auch nach drei Tagen Befragung noch unklar. Sicherlich ist es ihm sehr schwer gefallen, zu schildern, dass er bereits vor Übergabe der Ceska an Böhnhardt und Mundlos wusste, dass diese einen Sprengstoffanschlag verübt hatten. Auch das Eingeständnis, dass die Drei zu diesem Zeitpunkt bereits über Schusswaffen verfügten, seine Ceska mit Schalldämpfer also keineswegs für Banküberfälle notwendig war, ist ihm sehr schwer gefallen – immerhin macht dies deutlich, dass die Verwendung der Waffe als reine Mordwaffe offensichtlich war.

An anderen Punkten verschließt sich Schultze allerdings vehement. Er sei kein Rassist gewesen, auch wenn sie „Afrika den Affen“ skandiert hätten. Er habe keine ablehnende Haltung gegenüber türkischen Menschen gehabt. Er sei zwar dabei gewesen, als „Zecken“ verprügelt wurden, er habe auch mitgemacht und Wohlleben habe bei einem dieser Überfälle auch einem Opfer mehrfach ins Gesicht getreten – aber seine eigene Motivation für diese Gewalt lässt er im Dunkeln. Ideologie, Inhalte und Diskussionen, alles habe er verdrängt oder vergessen. Wenn Schultze ausführt, irgendeine Theorie zum bewaffneten Kampf habe es wohl gegeben, er könne sich aber nicht daran erinnern, nachdem er nur wenige Minuten zuvor beschrieben hat, wie er eine Mordwaffe mit Schalldämpfer gekauft und übergeben hat, wird deutlich, dass er immer noch vieles zurück hält.

Am Dienstag dem 18. Juni wird die Befragung Schultzes durch die Nebenklage fortgesetzt.

11.06.2013

Angeklagter Schultze gibt Hinweis auf weiteren Bombenanschlag des NSU

Konkrete Hinweise auf einen bislang noch unbekannten Bombenanschlag des NSU auf ein Geschäft in Nürnberg gab der Angeklagte Carsten Schultze in seiner heutigen Vernehmung. Hatte er in seiner Vernehmung am 5.6.2013 noch Erinnerungslücken vorgeschoben, so offenbarte er heute Details, die er bislang nicht preisgegeben hatte. Brisant ist vor allem seine Aussage, bei seinem Treffen mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in der ersten Hälfte des Jahres 2000 hätten ihm die beiden Männer erzählt, sie hätten in einem Ladengeschäft in Nürnberg eine „Taschenlampe“ deponiert. Sie hätten dabei Andeutungen gemacht, die er nicht verstanden habe. Als Beate Zschäpe hinzugekommen sei, hätten sie das Gespräch abgebrochen. Im direkten Anschluss habe er den dreien die von ihm gekaufte Ceska mit Schalldämpfer und 50 Schuss Munition übergeben. Dieses Gespräch habe bei ihm die Angst ausgelöst, die beiden hätten ihm von einem Sprengstoffanschlag erzählt.

Wie der Stern unter Hinweis auf die Nürnberger Nachrichten berichtet, hat im Juni 1999 tatsächlich ein Sprengstoffanschlag stattgefunden. Die Putzhilfe einer türkischen Gaststätte habe einen taschenlampenähnlichen Gegenstand gefunden, der in seinen Händen explodierte und ihm Verbrennungen zufügte. Die Generalbundesanwaltschaft teilte in einer Pressekonferenz mit, zu einem solchen Anschlag zur Zeit nichts mitteilen zu können. Es habe viele „Prüffälle“ gegeben, also Anschläge, bei denen geprüft wurde, ob sie möglicherweise durch den NSU ausgeübt wurden, konkret lägen aber keine Erkenntnisse vor. Sollte ein entsprechender Anschlag in Nürnberg nicht “geprüft” worden sein, würde dies erneut das Vorgehen der Ermittlungsbehörden in Frage stellen.

Sollten sich die Angaben von Schultze als korrekt erweisen, hätte er seine Glaubwürdigkeit deutlich erhöht. Dies könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass der Druck der möglichen Bestrafung ihn dazu bringt, vollständig auszusagen und seine Erinnerungslücken zu schließen.

Die Aussage von Carsten Schultze, Böhnhardt und Mundlos hätten beim Erscheinen von Zschäpe ihre Erzählung über die Aktion in Nürnberg abgebrochen, entlastet Beate Zschäpe nicht. Dass die beiden einem Helfer wie Schultze in einer besuchten Gaststätte von einem Anschlag erzählen, würde gegen jeden Sicherheitsgrundsatz einer abgetauchten Gruppe sprechen. Insoweit hätten sie allen Grund gehabt, ihre Prahlerei vor Zschäpe zu verbergen. Selbst wenn Zschäpe von einem solchen Anschlag im Jahr 1999 nichts gewusst hätte, hat sie in den gesamten folgenden Jahren eine bedeutende Rolle für die Gruppe gespielt, ohne die die weiteren Aktionen nicht vorstellbar wären. Der gegen Zschäpe gerichtete Vorwurf der Mittäterschaft gründet sich auf ihre Handlungen ab dem Jahr 2000.

In seiner weiteren Befragung belastete er den Angeklagten Wohlleben stark. Wohlleben habe ihm den Auftrag zum Kauf einer halbautomatischen Waffe, möglichst deutschen Fabrikates, sowie einer ausreichenden Menge Munition gegeben. Bei dem Treffen hätten ihm Böhnhardt und Mundlos erzählt, sie wären ständig bewaffnet und verfügten auch über eine Maschinenpistole bzw. Uzi. Das Geld, das er von ihnen erhalten habe, sei noch mit Banderolen umwickelt gewesen, stammte also augenscheinlich von einem Banküberfall. Außerdem habe Wohlleben ihm nach einem Telefongespräch mit dem Trio berichtet, diese hätten ihm erzählt, dass sie eine Person angeschossen hätten. Zu Wohlleben führte er nochmals aus, dieser habe nach einem gewalttätigen Übergriff auf zwei Personen damit geprahlt, er sei auf dem Gesicht eines der Opfer rumgesprungen.

Auch diese Angaben müssen teilweise noch überprüft werden. Die enorme zusätzliche Belastung für Wohlleben ist aber offensichtlich. Er wird durch diese Schilderung deutlich stärker als in der Anklage wie ein Mittäter beschrieben. Aber auch für Schultze ist seine Aussage belastend; immerhin wusste er danach bereits vor Übergabe der Ceska, dass die drei Abgetauchten einen Sprengstoffanschlag verübt hatten. Dies mag eine Strafmilderung für Schultze wegen der Kronzeugenregelung wahrscheinlicher machen, als dies nach seinen ausweichenden Angaben in der letzten Woche war. Gleichzeitig hat Schultze dem Gericht heute aber auch den Nachweis seiner eigenen Strafbarkeit wegen Beihilfe zu den Morden mit der Ceska geliefert.

Zu Beginn der Verhandlung hatte es zunächst eine Auseinandersetzung zwischen der Nebenklage und der Generalbundesanwaltschaft gegeben, weil diese plötzlich mitteilte, die sogenannte „129er“-Liste mit Personen aus dem Umfeld des NSU umfasse nunmehr 500 Personen. Diese Auseinandersetzung führte dazu, dass Bundesanwalt Diemer zusagen musste, die gesamte Liste in der nächsten Woche vorzulegen.