22.8.2013

Presseerklärung der Nebenklage zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages

Der Fehler liegt im System: Nebenklagevertreter im NSU Prozess kritisieren den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bundestages als inkonsequent.

„Sie dürfen nicht den Fehler machen, die Dinge aus heutiger Sicht zu beurteilen. Damals hatten wir keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund“, erklärt der pensionierte Kriminaloberrat Wilfling am 11.07.2013 bei seiner Aussage im Prozess gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem Oberlandesgericht München. „Jetzt tun Sie mal nicht so, als würde es keine türkische Drogenmafia geben“.

Wilfling ist als Münchener Mordermittler langjährig erfahren. Er hat Bücher über seine Arbeit veröffentlicht und würde sich nie als Rassist sehen. Und doch verdeutlicht seine Aussage das Problem: Das katastrophale Versagen der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der Verbrechen des NSU ist keine Summe der Fehler von Einzelnen. Der Fehler liegt im System. Vorurteile werden nicht hinterfragt. „Ausländer“ müssen von „Ausländern“ ermordet worden sein. Hintergründe sind selbstverständlich im Bereich Organisierter Kriminalität zu suchen.

Mangelndes Engagement kann man den Ermittlungsbehörden dabei freilich nicht vorwerfen. Hunderte Zeuginnen und Zeugen wurden selbst in der Türkei verhört, Drogenhunde eingesetzt, fingierte Dönerbuden eröffnet, verdeckte Ermittler als Journalisten eingesetzt, Steuerbanderolen auf Zigarettenschachteln überprüft; selbst ein Wahrsager wurde befragt. Über elf Jahre fahndeten hunderte Ermittler in die falsche Richtung. Alle Zeugen, alle Analysen, alle Beweismittel, die auf rassistisch motivierte Anschläge hindeuteten, wurden konsequent ignoriert.

Heute wird dazu der Bericht des Untersuchungsausschuss des Bundestages veröffentlicht. Genau das entscheidende Problem wird darin in der gemeinsamen Wertung nicht benannt:

Institutioneller Rassismus

Unabhängig von der persönlichen Einstellung und den Absichten der Beamten, folgen die Ermittlungsbehörden einer inneren Logik, Normen und Werten, deren rassistische Konsequenzen sich unter anderem in den Ermittlungen zur Mord- und Anschlagsserie des NSU wiederfinden.

Hochgelobt für das parteiübergreifende Engagement der Obleute, schafft es nun zu Zeiten des Wahlkampfs gerade der Untersuchungsausschuss nicht, das Problem so zu bezeichnen, wie es sich uns präsentiert. Wir sind RechtsanwältInnen und NebenklagevertreterInnen im so genannten NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Wir haben die Akten gelesen. Wir haben Zeuginnen und Zeugen gehört. Wir haben aber vor allen Dingen von unseren Mandantinnen und Mandanten erfahren, wie sie nach den Taten jahrelang selbst im Fokus der Ermittlungen stehen mussten.

Das heißt:

1. Hinterbliebene und Verletzte fordern die Anerkennung auch in der Politik, dass das systematische Versagen der Ermittlungsbehörden auf institutionellem Rassismus beruht. Das Problem muss klar benannt werden. Alles andere wäre Augenwischerei. Morde hätten verhindert werden können.

2. Wir fordern eine Neueinsetzung des Untersuchungsausschusses in der nächsten Legislaturperiode. Eine lückenlose Aufklärung der Taten des NSU und der möglichen Verwicklungen der Ermittlungsbehörden und des Verfassungsschutzes ist lange nicht abgeschlossen.

3. Bei jedem Gewaltverbrechen muss in Zukunft frühzeitig und nachvollziehbar in den Akten vermerkt und begründet werden, wenn die Ermittlungsbehörden der Auffassung sind, dass eine rassistisch oder neonazistisch motivierte Tat ausgeschlossen werden kann.

4. Wir fordern eine Ausbildung und stetige Qualifikation aller Polizeibeamten, die institutionellem wie individuellem Rassismus entgegenwirkt. Zudem müssen gut ausgebildete und szenekundige Abteilungen bei den Landespolizeien neu aufgebaut und neu besetzt werden, die sich spezifisch mit rechter Gewalt beschäftigen und allgemeine Abteilungen für „Staatsschutzdelikte“ ersetzen. Diese Ermittlungsgruppen müssen zukünftig immer dann zwingend an den Ermittlungen beteiligt werden, wenn ein rechter Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann.

5. Bei den Staatsanwaltschaften müssen Abteilungen gebildet werden, die für rechte Gewalttaten gesondert zuständig und ausgebildet sind. Abteilungen, die allgemein für „politisch motivierte“ Taten oder gar zusätzlich für Delikte von und gegen Polizeibeamte zuständig sind, genügen dafür keinesfalls.

6. Es muss verstärkt darauf hingewirkt werden, dass BeamtInnen mit Migrationshintergrund auch in Führungspositionen geworben werden. Weil dies bislang offensichtlich nicht gelungen ist, sollte zur Umsetzung zunächst eine verbindliche Quote festgesetzt werden. Rassistischen Tendenzen innerhalb der Ermittlungsbehörden muss konsequent – auch disziplinarisch – entgegengewirkt werden.

7. Das V-Mann-System der Verfassungsschutzbehörden hat versagt und gehört aufgelöst. Es fördert rechtsradikale Entwicklungen mehr, als dass es sie verhindert. Der Verfassungsschutz hat gerade im Hinblick auf den NSU bewiesen, dass enorme Ressourcen in V-Leute gesteckt wurden, die nur bekannte, zu wenig oder gar bewusste Falschinformation geliefert haben. Das Geld der V-Leute ist teilweise in den Aufbau von Neonazi-Strukturen geflossen. Ein Verbotsverfahren hinsichtlich der NPD scheiterte auch an der weitgehenden Integration von V-Leuten in der Partei bis in die Führungsspitze. Es bleibt grundsätzlich zu diskutieren, inwieweit die notwendige Aufklärung über neonazistische Aktivitäten ausschließlich die Polizeibehörden besorgen können.

8. Opfer rechter Gewalt seit 1990 sind lückenlos entsprechend der Liste der Amadeu Antonio Stiftung, der „Zeit“ und des „Tagesspiegels“ als solche anzuerkennen.

9. Die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt müssen erhalten, flächendeckend ausgebaut und gefördert werden.

10. Es sind auf Landes- und Bundesebene Kontrollgremien einzuführen, die als unabhängige Ansprechpartner für Betroffene von institutionellem oder persönlichem Rassismus durch die Ermittlungsbehörden oder für „Whistleblower“ in solchen Fällen zur Verfügung stehen. Diese sollten mit effektiven Kontrollbefugnissen ausgestattet und durch das
Parlament eingesetzt werden.

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte

Antonia von der Behrens,
Dr. Mehmet Daimagüler,
Dr. Björn Elberling
Berthold Fresenius,
Alexander Hoffmann,
Carsten Ilius,
Detlef Kolloge,
Stephan Kuhn,
Angelika Lex,
Stephan Lucas,
Ogün Parlayan,
Jens Rabe,
Eberhard Reinecke,
Aziz Sariyar,
Sebastian Scharmer,
Reinhard Schön,
Peer Stolle.

06.08.2013

„Für mich persönlich war 2005 selbstverständlich ein ausländerfeindlicher Hintergrund zu sehen. Es gab da grundsätzlich in der großen Ermittlungskommission, der BOA Bosporus, keine Zweifel.“

Diese klare Aussage des Leiters der Nürnberger Mordkommission Hänßler in der Hauptverhandlung am 6. August steht in krassem Widerspruch zu den Ermittlungen der sogenannten BOA Bosporus bis zum Jahr 2011. Ob diese Darstellung so zutrifft, oder ob sie nur die eigenen Fehler kaschieren soll, müssen weitere Zeugenvernehmungen der zuständigen Ermittler ergeben.

Nach der Beweisaufnahme des letzten Verhandlungstages vor der Sommerpause musste sich die eines ausländerfeindlichen Hintergrundes nach der Ermordung des Nürnberger Döner-Imbiss-Betreibers Ismail Yasar aber auch aufdrängen. Hänßler berichtet, es habe zwei Hauptspuren gegeben: Die eine war die sogenannte Fahrradspur – mehrere Zeugen hatten zwei Fahrradfahrer direkt vor dem Imbiss des Ermordeten gesehen und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang Schüsse gehört. Die andere war die sogenannte Kölnspur, denn die Beschreibungen der Fahrradfahrer in Nürnberg wiesen erhebliche Ähnlichkeiten mit den beiden Verdächtigen in Köln auf. Ein Kölner Ermittler hatte sich an die Nürnberger Ermittler gewandt. Insbesondere die sich mit diesen Spuren ergebende Verbindung zwischen dem Nagelbombenanschlag in einer überwiegend von TürkInnen und KurdInnen bewohnten Straße in Köln und der Mordserie gegen Migranten ließ wenig Zweifel an einem fremdenfeindlichen Motiv.

Die Nürnberger Ermittler hätten daher, so Hänßler, auch gegen die militante Naziszene ermittelt, vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz aber nicht alle angeforderten Datensätze erhalten, sondern nur eine Auswahl von über 600 Daten von Nazis aus dem Nürnberger Umland. Warum die Ermittler nicht das von ihnen angeforderte Material erhielten, ob zu diesem Zeitpunkt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und andere Landesämter einbezogen wurden, darauf konnte der Zeuge allerdings keine Antwort geben und verwies auf einen Kollegen, der diese Ermittlungen durchgeführt habe.

Die Tatsache, dass von 2005 bis 2001 weiterhin gegen die Opferfamilien ermittelt wurde und angemessene, länderübergreifende Ermittlungen gegen die militante Naziszene vollständig unterblieben, wenn doch in der gesamten Ermittlungsgruppe angeblich kein Zweifel an der fremdenfeindlichen Motivation der Täter bestand, wirft viele Fragen auf. Es wird abzuwarten sein, ob diese Fragen im laufenden Verfahren zugelassen werden.

Ein weiterer Polizeibeamter berichtete, dass sowohl auf im Brandschutt der Frühlingsstraße gefundenen Stadtplänen als auch auf den dort gefundenen Computern mögliche Anschlagsziele, darunter auch der Dönerimbiss des ermordeten Yasar, markiert und mit Ausspähnotizen versehen waren. Die Zuordnung des Mordes als Mord der NSU dürfte auf Grund dieser Beweise und der Bezugnahme auf den Mord im Bekennervideo unproblematisch sein.

Die nächsten Verhandlungstage nach der Sommerpause sind für den 5. und 6. September geplant.

01.08.2013

Polizei Nürnberg sah “keine konkreten Hinweise” auf rassistische Gesinnung der Morde

Neben einem ersten Zeugen im Mordfall Turgut, dessen Aussage aber wenig erbrachte, war heute der Ermittlungsleiter der Nürnberger Polizei in den Mordfällen Şimşek und Özüdoğru geladen. Die von ihm geführten Ermittlungen hatten eine mögliche rassistische Motivation völlig außer Acht gelassen. Gerade im Fall Şimşek war vor allem gegen die Familie und ihr Umfeld ermittelt worden. Daher war abzusehen, dass er sich der Kritik der Nebenklage würde stellen müssen. Zwei Angehörige von Enver Simsek verfolgten die Aussage im Gerichtssaal.

Der Zeuge schien noch immer v.a. auf die vermeintlichen Verdachtsmomente gegen Enver Simsek und dessen Umfeld konzentriert zu sein – jedenfalls musste der Vorsitzende ihn ausdrücklich bitten, doch auch etwas zum Getöteten als Person zu sagen. Der Gedanke nach einer möglichen rassistischen Motivation der Taten wurde jahrelang nicht verfolgt – weil keine konkrete Spur vorgelegen habe, so der Kriminalbeamte.

Die Fragen der Nebenklage Şimşek konzentrierten sich v.a. darauf, festzustellen, dass alle Ermittlungsansätze gegen Enver Şimşek selbst sich als falsch erwiesen hatten. Der Zeuge wird zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu späteren Ermittlungen befragt werden; es ist zu erwarten, dass dann weitere Fragen folgen werden.

Die Verteidigung konnte zur Befragung wenig beitragen. So fragte die Verteidigung Wohlleben etwa, welcher Prozentsatz von Mordtaten durch Angehörige begangen werde – etwa 60 bis 70 Prozent, so der Zeuge. Wie absurd diese Frage war, zeigte Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Narin auf mit der Frage, welcher Prozentsatz von Serienmorden Beziehungstaten seien. Da sei ihm kein Fall bekannt, so der Zeuge. Und der Verdacht, dass es sich um Serienmorde handelte, kam binnen weniger Tage nach dem Mord an Özüdoğru, das heißt relativ am Anfang der langjährigen Ermittlungen, auf.

31.07.2013

Zum Mord an Habil Kılıç und zu dem Medienhype um den Bürowechsel der Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm

Heute sagten mehrere ZeugInnen und Sachverständige zum Mord an Habil Kılıç aus.

Zunächst berichteten ein Rechtsmediziner über die Obduktion der Leiche Kılıçs und ein Waffentechniker über die Tatrekonstruktion. Danach entsprach auch der Mord an Kılıç – der vierte in der Reihe der NSU-Morde – dem Bild einer professionellen Hinrichtung: ein Schuss in den Kopf des Opfers, ein weiterer Schuss aus sehr kurzer Entfernung in den Hinterkopf, um sicherzustellen, dass er stirbt. Im Gegensatz zu den ersten drei Morden wurden keine Geschosshülsen am Tatort gefunden; anscheinend hatten die Täter eine Tüte über die Waffe gestülpt.

Es folgten drei ZeugInnen – eine Frau, die in der Nähe des Tatortes zwei verdächtige Radfahrer gesehen hatte, sowie eine Nachbarin und ein Postbote, die Kilic sterbend in seinem Laden auffanden und die Polizei riefen. Auch hier gab es wieder kleine Einblicke in Ermittlungsmethoden: Aus der Angabe der ersten Zeugin am Tatort, die Fahrradfahrer seien ihr “osteuropäisch” vorgekommen, wurde in den Notizen des ersten Polizeibeamten “ausländisch, möglicherweise Türken” – eine Angabe, die die Zeugin nie gemacht hat, so ihre Aussage heute im Gerichtssaal. Was die Hintergründe dafür sind, dass der Polizeibeamte sich hier “möglicherweise Türken” notiert hat, wird durch die Vernehmung des Beamten zu klären sein – diese wurde durch die Verteidigung angeregt.

Einen großen Skandal am Rande des Prozesses sehen einige Medien, nachdem bekannt geworden ist, dass die Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm ihre Berliner Kanzlei verlässt und in die Kanzlei ihres Mitverteidigers Heer nach Köln wechselt. Sturm hatte in einem Interview gegenüber dem Berliner Tagesspiegel gesagt, die Zschäpe-Verteidigung würde als „Killermandat“ angesehen. Dies sei der Grund, warum ihre jetzige Kanzleikollegen sich von ihr trennen wollten, und auch dafür, dass sie in Berlin keine neue Kanzlei gefunden hätte. Der nun notwendige Umzug mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern wird beispielsweise von der „Welt“ mit der Überschrift „Beate Zschäpes Anwältin verliert Job und Heimat“ betitelt.

Dass die solchermaßen „heimatvertriebene“ Rechtsanwältin mit der Zschäpe-Verteidigung einen Job hat, um den sich viele RechtsanwältInnen in Deutschland bewerben würden und der überdurchschnittlich gut bezahlt wird, wird bei einer solchen Darstellung ignoriert. Ein Teil der Medien will vielmehr eine diskriminierende Haltung vieler AnwaltskollegInnen gegenüber Sturm ausmachen – die Kollegin würde gemobbt, weil sie eine Nazifrau verteidige. Dies sei ein Angriff auf unseren Rechtsstaat. Begründet wird dies weiter mit der Tatsache, dass Sturm, nachdem sie erst im Jahr 2012 von München nach Berlin umgezogen war und sofort für den Posten der stellvertretenden Vorsitzenden der Strafverteidigervereinigung kandidiert hatte, nicht gewählt worden war. Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger hat sich heute in einer Presseerklärung hierzu geäußert.

Für die Kollegin Sturm ist es sicherlich misslich, dass ihre neuen Berliner Kanzleikollegen sie enttäuschen. Dass sich in dieser Situation nicht über Nacht eine neue Kanzlei findet, die als Notnagel einspringt, ist allerdings eigentlich keine Meldung wert. Kritik an der Verteidigung von vermeintlichen oder tatsächlichen Straftätern gehört zum Alltag von StrafverteidigerInnen. Die Umstände des Bürowechsels Sturm weisen keinerlei Besonderheiten auf, die darauf schließen lassen, dass zukünftig in diesem oder anderen Verfahren eine optimale Verteidigung nicht mehr gesichert wäre. Irgendeine Gefährdung des Rechtsstaates, irgendein Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens, wie einige Medien ihn herbeizuschreiben scheinen, sind nicht zu erkennen.

30.07.2013

Die alte Dame aus der Frühlingsstraße

Das Gericht vernahm drei Zeuginnen zum Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße. Die Zeuginnen sind Angehörige der alten Dame, die Wand an Wand zur Wohnung der “Drei” wohnte. Eine von ihnen brachte die alte Dame nach Ausbruch des Feuers in Sicherheit.

Durch ihre Aussagen wurde klar, dass die Nachbarin der “Drei” in recht schlechtem gesundheitlichen Zustand, v.a. allem sehr schlecht zu Fuß und schwerhörig war, und dass dies Beate Zschäpe bewusst war. Die Anklage wirft ihr versuchten Mord an der Nachbarin vor. Aus den heutigen Aussagen wurde deutlich, dass das Feuer eine ganz erhebliche Lebensgefahr für diese bedeutete. Deutlich wurde auch, dass die alte Dame das Feuer und den Verlust der Wohnung kaum verkraftet hat.

Eine der Zeuginnen berichtete zudem – wie mehrere ZeugInnen letzte Woche –, Zschäpe kurz nach Ausbruch des Brandes mit Katzenkörben in der Hand gesehen zu haben. Uneins war sie sich mit den anderen ZeugInnen nur in der Frage, welche Kleidung Zschäpe trug.

Die Verteidigung Zschäpe versuchte, Zweifel an den Aussagen der Zeuginnen zu begründen, erwirkte aber eher das genaue Gegenteil: Eine Nichte der alten Dame hatte bei der Polizei gesagt, Zschäpe habe den Tod ihrer Tante in Kauf genommen. Befragt, wie sie denn darauf komme, fasste sie schlagfertig zusammen, warum Zschäpe dieser Anklagevorwurf nachzuweisen sein wird: die sei doch direkt vor der Explosion von dem Haus weggelaufen, die beiden Männer seien da schon tot gewesen, wer solle es denn sonst gewesen sein? Die Befragung zeigte außerdem, dass die drei Nichten der alten Dame mit dieser jeden Freitagnachmittag in ihrer Wohnung Kaffee tranken und an diesem Tag etwas später dran waren. Ob das Gericht nun einen rechtlichen Hinweis erteilen wird, dass statt dreifachem auch sechsfacher versuchter Mord in Frage kommt, bleibt abzuwarten.

25.07.2013

Zum Mordfall Özüdogru, zur Frühlingsstraße – und zur Frage, ob Gerlach weiter aussagen wird.

Das Verfahren drehte sich heute zunächst um den Mordfall Özüdogru. Ein Waffensachverständiger vom bayerischen LKA und der Rechtsmediziner berichteten: Abdurrahim Özüdoğru wurde zweimal in den Kopf geschossen, wobei der zweite Schuss aus nächster Nähe auf den am Boden liegenden Mann abgegeben wurde. Er lebte nur noch wenige Minuten. Im Gegensatz zu dem ersten Mord an Enver Simsek handelte es sich also vom Tatbild her um eine professionelle Hinrichtung

Nachdem in den letzten Tagen mehrere Zeugen befragt wurden, die den Angeklagten Gerlach vernommen hatten, fragte der Vorsitzende Gerlach, ob er noch weitere Angaben machen wird. Sein Verteidiger antwortete für ihn: Anscheinend denkt die Verteidigung ernsthaft darüber nach, Gerlach weitere Angaben machen zu lassen. Vor der Sommerpause werde dies aber nicht geschehen. Es bleibt also abzuwarten, ob Gerlach sich überwinden kann, seine Rolle im Zusammenhang mit dem NSU nicht weiter herunterzuspielen.

Am Nachmittag wandte sich das Gericht wieder dem Brand in der Frühlingsstraße zu. Ein Ehepaar aus der Nachbarschaft bestätigte die Angaben der Zeugin von gestern: auch sie hatten Zschäpe ebenfalls direkt nach der Explosion in der Nähe des Hauses gesehen, auch ihnen war Zschäpe im Großen und Ganzen relativ ruhig vorgekommen. Die Beweislage dazu, dass es Zschäpe war, die den Brand gelegt hat, verdichtet sich damit immer weiter.

24.07.2013

Mehr zur Frühlingsstraße – und ein “ganz normales” Hitlerbild

Heute hörte das Gericht wieder mehrere ZeugInnen zur Wohnung der “Drei” in der Zwickauer Frühlingsstraße. Der erste war ein Nachbar der “Drei”, in dessen Partykeller auch Beate Zschäpe gefeiert hatte. Dem Zeugen gegenüber hatte sie sich mit Susanne Dienelt vorgestellt und gesagt, sie wohne mit ihrem Freund und dessen Bruder zusammen in der Wohnung. Die häufig vor demHaus stehenden Fahrzeuge, v.a. Wohnmobile, habe Zschäpe damit erklärt, die beiden Männer würden beruflich Fahrzeuge überführen. Politische Gespräche will der Zeuge mit Zschäpe nicht geführt haben, sondern nur über Belanglosigkeiten gesprochen haben. Dass die beiden Männer sich nie am nachbarschaftlichem Leben beteiligten, habe ihn nicht gestört, er habe sich gefreut, eine attraktive Frau in der Runde zu haben.

Einige Nachfragen gab es jedoch zu der eigenen politischen Einstellung des Zeugen, der sich selbst als unpolitisch bezeichnete, aber u.a. ein Hitlerbild im Partykeller stehen hatte. Das sei eine Erinnerung an einen verstorbenen Nachbarn, bei dem das vorher auf dem Fernseher gestanden habe, deswegen habe sich auch niemand beschwert. All diese Angaben waren natürlich ein deutlicher Hinweis auf eine rechte Einstellung des Zeugen – die auch erklärt, warum er sich an nicht viel erinnern will.

Interessant waren auch die Angaben des Zeugen zu Besuchen von der angeblichen Schwester der Beate Zschäpe und deren Freund, die regelmäßig mit ihren Kindern zu Besuch kamen. Auf Fotos erkannte er die Frau André Emingers und den Angeklagten selbst bzw. dessen Zwillingsbruder Maik als die Besucher wieder.

Ein PC-Experte der Zwickauer Polizei berichtete dann über die Auswertung des PCs von Beate Zschäpe aus der Brandwohnung. Danach war sie noch bis etwa eine halbe Stunde vor dem Brand im Internet, den letzten Suchbegriffen zu Folge suchte sie erst nach Nachrichten über die beiden Uwes, dann nach einem Unterbringungsort für ihre Katzen – offensichtlich Vorbereitungen für das Inbrandstecken der Wohnung etwa eine halbe Stunde nach dem Herunterfahren des PCs. Der Verlauf der Internetsuchen Zschäpes findet sich über Monate in der Akte, hierauf wird sicher noch zurückzukommen sein.

Ein Sachverständiger vom sächsischen LKA gab ein Gutachten zur Gefährlichkeit des Brandes und der Explosion ab. Beides sei unkontrollierbar gewesen und habe Lebensgefahr für Menschen im Haus bedeutet. Mit dem ebenfalls anwesenden Brandsachverständigen vom LKA Bayern gab es einen kleinen Expertenstreit über die genaue Methode, mit der das in der Wohnung verteilte Benzin angezündet wurde.

Schließlich wurde noch eine Zeugin vernommen, die zufällig kurz nach Ausbruch des Brandes am Haus in der Frühlingsstraße vorbeikam. Sie berichtete, wie Beate Zschäpe mit zwei Katzenkörben aus Richtung des Brandhauses kam. Auf den Brand aufmerksam gemacht, habe sie die Katzen ihrer Nachbarin gegeben und sei unter einem Vorwand in die andere Richtung davongerannt und nicht wieder gekommen. Zschäpe sei ihr bei der Begegnung überraschend ruhig vorgekommen.

23.07.2013

Erneut zu den Aussagen Gerlachs – und zu “vorrangigen Aufträgen” in Nürnberg.

Heute wandte sich das Gericht zunächst dem Mordfall Simsek zu. Ein Rechtsmediziner beschrieb die Verletzungen des Getöteten. Enver Simsek wurde von acht Kugeln getroffen, einer der fünf Kopftreffer war letztlich tödlich. Ein Waffentechniker vom Bayerischen LKA berichtete von einer Rekonstruktion des Tatablaufs – danach ging man entweder von zwei Schützen oder von einem Schützen, der während der Tat die Waffe wechselte, aus.

Die Frage einer Nebenklagevertreterin, warum es von dem Gutachtenauftrag an ihn bis zu seinem ersten Gutachten 2 Jahre gedauert habe, beantwortete der Zeuge eher ausweichend – man sei ein kleines Team und damals seien wohl “vorrangige” Aufträge eingegangen. Welcher Fall das war, dem der Vorrang gegenüber einer Mordserie an türkischstämmigen Menschen zukam, dazu sagte der Zeuge nichts.

Danach ging es weiter um BKA-Beamte, die den Angeklagten Gerlach im Ermittlungsverfahren vernommen hatten. Zunächst gaben die Prozessbeteiligten Erklärung zur Vernehmung des Haupt-Vernehmungsbeamten in der letzten Woche ab.

Die Verteidigung Zschäpe beklagte, der Beamte habe Gerlach notwendige Nachfragen nicht gestellt, auch will sie Widersprüche in seinen Aussagen ausgemacht haben. Einige NebenklagevertreterInnen dagegen erläuterten, dass Gerlach nach der Angabe des Zeugen zwar sein tatsächliches Wissen nur zögerlich preisgegeben hat, dass es jedoch auch keine Hinweise darauf gibt, dass das, was er preis- und angegeben hat, unrichtig wäre. Auf der anderen Seite ergibt sich demnach auch, dass Gerlach seine eigene Rolle und sein eigenes Wissen um die Taten des NSU weiter schön- bzw. kleinredet. Die Erklärung der NebenklagevertreterInnen ist hier abrufbar.

Die Verteidigung Wohlleben bezog sich auf das Recht der konfrontativen Befragung von ZeugInnen nach der Europäischen Menschenrechtskonvention: da Gerlach keine Fragen beantworte und auch im Ermittlungsverfahren nicht ausreichend konfrontativ befragt worden sei, seien seine Angaben gegen Wohlleben nicht verwertbar, so die Verteidigung Wohlleben.

Nach diesen Stellungnahmen wurde ein weiterer BKA-Beamter als Zeuge vernommen. Dieser hatte am 13.11.2011, als zeitlich erster der BKA-Beamten, Gerlach befragt. Diese Vernehmung war noch in die Zeit gefallen, als Gerlach sein tatsächliches Wissen nur sehr zögerlich preisgab. Ein interessantes Detail: der Beamte war der erste, der Gerlach den Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eröffnete. Er hatte Gerlach zudem am Anfang der Vernehmung mitgeteilt, gegen ihn werde auch im Zusammenhang mit den damals so genannten “Döner-Morden” ermittelt. Auf Nachfrage, wie Gerlach auf diese Mitteilung reagiert habe, konnte der Zeuge sich an keine Anzeichen für ein Erstaunen erinnern.

Schließlich wurde noch ein Polizeibeamter vernommen, der eine Zeugin des Mordes an Abdurrahim Özüdogru vernommen hatte. Die Zeugin hatte in der Hauptverhandlung ausgesagt, sie habe den Toten in seiner Schneiderei liegen sehen, habe einen Mann aus dem Laden laufen sehen und auch Beate Zschäpe am Tatort gesehen. Sie hatte auch ausgesagt, sie wolle nicht weiter aussagen aus Angst, dass sie einer “wegmacht” (vgl. den Bericht vom 24.6.2013). Schon damals hatten viele Prozessbeteiligte den Eindruck, dass die Zeugin im Nachhinein ihre Erinnerungen mit später gelesenen Presseberichten vermischte. Dieser Eindruck wurde durch die Vernehmung des Polizeibeamten deutlich bestätigt, auf die Aussage der Zeugin wird nicht viel zu stützen sein.

16.-18.07.2013

Zu den Aussagen des Angeklagten Gerlach

Entgegen der ursprünglichen Planung wurden in der Woche des 16.-18.7. nur zwei Zeugen vernommen. Ein BKA-Beamter, der den Angeklagten Gerlach im Ermittlungsverfahren mehrfach vernommen hatte, sagte an allen drei Tagen aus. Aus seiner Zeugenaussage ergab sich erneut, dass Gerlach sein Wissen nur nach und nach und im Verlaufe mehrerer Vernehmungen preisgab.

An mehreren Stellen hat Gerlach dem Zeugen geschildert, dass Beate Zschäpe gegenüber Böhnhardt und Mundlos eine gleichberechtigte Rolle innehatte, vor allem die Finanzen der Gruppe im Griff hatte. Klar wurde auch an mehreren Stellen, dass Mundlos und Böhnhardt mehrfach Details zu Straftaten “ausgeplaudert” hatten – so habe etwa Mundlos Gerlach stolz eine pumpgun gezeigt, die er gekauft hatte. Solche Details sind für eine Verurteilung Zschäpes wegen Mittäterschaft natürlich wichtig. Außerdem belegen sie das Wissen der Unterstützer des NSU über dessen Straftaten.

Der Beamte betonte, dass die Aussagen Gerlachs die Ermittlungen erheblich weitergebracht hätten – eine Angabe, die Gerlach zu Gute kommen wird, wenn es um eine Strafmilderung nach der Kronzeugenregelung geht. Aus der Zeugenaussage ergeben sich aber auch erhebliche Zweifel daran, ob Gerlachs eigene Rolle sich wirklich nur auf die Handlungen beschränkt, die er zugegeben hat. So hatte der Beamte zum Beispiel erhebliche Zweifel daran, dass Gerlach wirklich, wie behauptet, nur zweimal in der Wohnung des NSU in Zwickau war. Und auch die Aussage dieses Zeugen bestätigte erneut, dass Gerlach mehr über die Taten des NSU gewusst haben muss, als er selbst angibt.

Der Zeuge wurde auch von der Verteidigung, v.a. den Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben, ausführlich befragt. Deren Fragen bezogen sich v.a. auf Aspekte, bei denen sie der Meinung waren, der Beamte hätte zu den Angaben Gerlachs konkrete Nachfragen stellen müssen. Ein gewisses Desinteresse des Beamten, eine tiefgreifende Aufklärung zu betreiben, ließ sich auch in der Tat erkennen – Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben Gerlachs, die Zschäpe und Wohlleben belasten, unwahr sind, ergaben sich aus der Befragung aber keine.

Am 17. und 18.7. sagte zudem der Brandursachenermittler der Kriminalpolizei Zwickau weiter zu den Auswirkungen des Brandes in der Wohnung in der Frühlingsstraße aus und machte diese anhand vieler Fotografien des zerstörten Hauses deutlich. Die Vernehmung dieses Beamten ist noch nicht beendet, bei seinem nächsten Auftritt wird es v.a. auch um die im Brandschutt gefundenen Gegenstände (u.a. diverse Waffen und die Handschellen der ermordeten Polizistin Kiesewetter) gehen.

Ein weiterer Polizeibeamter aus Nürnberg, der ursprünglich für den 16.7. geladen wurde, soll nun voraussichtlich am 1.8. aussagen.

Am Rande gab es Auseinandersetzungen um den Zuschnitt des Prozesses: Die Nebenklage der Familie Yozgat stellte den Antrag, dass die Zeuginnen und Zeugen in Zukunft wieder in der Reihenfolge der Taten, zu denen sie aussagen sollen, geladen werden – in letzter Zeit waren mitunter mehrere Mordtaten innerhalb einer Woche thematisiert worden, dazu Zeuginnen und Zeugen zu den Aussagen der Angeklagten und zum Brand in der Frühlingsstraße. Der Vorsitzende reagierte relativ ungehalten und verwies darauf, er müsse eben auch den Urlaub von ZeugInnen und NebenklägerInnen berücksichtigen.

Die Nebenklage Yozgat gab außerdem eine Stellungnahme zu der Ankündigung der Generalbundesanwaltschaft ab, man werde alle Fragen, die sich nicht direkt auf die angeklagten Taten beziehen, beanstanden. Rechtsanwältin Dierbach machte deutlich, dass sie auch weiter solche Fragen stellen werde, da etwa die Aufklärung rassistischer Ermittlungsmethoden zur Aufklärung des Komplexes NSU dazugehöre. Die Bundesanwaltschaft setzte übrigens ihre Ankündigung im Rahmen der Zeugenbefragung durch die Verteidigung Wohlleben schon um und beanstandete eine ganze Reihe von Fragen, die durchaus mit der Sache zu tun hatten – der Vorsitzende hielt alle diese Fragen für zulässig und ließ sie zu.

10./11.07.2013

Zu den Mordfällen Şimşek, Özüdoğru und Kiliç

Zum Auftakt der Verhandlung am 10. Juli wurden Termine für die Fortsetzung der Hauptverhandlung bis Ende 2014 mitgeteilt. Das Gericht geht also offensichtlich von einer deutlich längeren Verhandlungsdauer aus als ursprünglich, als es nur Termine bis Anfang 2014 festgelegt hatte.

Die beiden Verhandlungstage waren geprägt von der Beweisaufnahme zu den Morden an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und Habil Kiliç, insbesondere auch zur Auffindesituation der Ermordeten.

Polizeizeugen schilderten, dass Şimşek von zahlreichen Schüssen aus zwei Waffen getroffen wurde. Zwei Zeugen waren an dem Lieferwagen des ermordeten Enver Simsek vorbeigefahren, hatten „metallene Geräusche“ gehört und zwei junge Männer in Fahrradbekleidung weglaufen sehen. Sie waren allerdings nicht mehr in der Lage, das Geschehen präzise zu schildern.

Auch im Mordfall Habil Kiliç gab es frühzeitig Hinweise auf zwei junge, männliche Fahrradfahrer im Kurierfahrerlook, die zunächst zum Tatort hin und kurz darauf von dort wegfuhren. Die Ermordung wurde als „professionell“ geschildert, da zunächst ein Kopfschuss auf den hinter dem Tresen stehenden Habil Kilic erfolgte und sodann ein weiterer Kopfschuss auf den am Boden Liegenden abgegeben wurde, um sicherzustellen, dass er getötet wird.

Ein Ermittlungsführer der Polizei legte besonders viel Wert darauf, darzustellen, dass die Polizei in alle Richtungen ermittelt habe. Er stellte aber auch fest, man habe sich einfach nicht vorstellen können, dass es sich bei den beiden Fahrradfahrern um die Täter handelte.

Die Vernehmungen der Polizeizeugen waren durch eine Auseinandersetzung der Nebenklage mit Bundesanwaltschaft und Gericht geprägt. Insbesondere die Bundesanwaltschaft war sehr bemüht, alle Fragen zu den fehlerhaften polizeilichen Ermittlungen zu beanstanden. Einige NebenklägerInnen gaben daher eine Erklärung ab und betonten, dass die Frage geklärt werden muss, ob die Polizei an ihren Verdächtigungen gegen die Ermordeten und ihre Familien festhält oder nicht, und wenn nicht, warum nicht. Fragen in diese Richtung müssten grundsätzlich zugelassen sein.
Bundesanwalt Diemer stellte dagegen fest, es würden weiterhin alle Fragen beanstandet, die sich nicht konkret auf die Tat-und Schuldfrage hinsichtlich der Angeklagten beziehen.

Besonders schwierig gestaltete sich die Vernehmung der Witwe von Habil Kiliç, die sich zum Tatzeitpunkt in der Türkei befunden hatte. Diese war in der besonderen Situation ihrer Vernehmung teilweise wieder nicht bereit, ihre damalige und heutige Lebenssituation zu schildern. Sie verwies auf die Schreiben, die ihr Rechtsanwalt und Nebenklägervertreter an verschiedene Behörden geschickt habe. Die Vernehmung wurde allerdings bereits ungewöhnlich unsensibel eingeleitet – der Vorsitzende Richter Götzl bat die Zeugin um Angabe ihres Wohnortes und war erst auf ihren Widerspruch bereit, sich mit der nichtöffentlichen Vorlage ihres Personalausweises zufrieden zu geben. Es wäre schon zu erwarten gewesen, dass der Vorsitzende Richter sich im Vorfeld mit möglichen Ängsten der Angehörigen der Ermordeten auseinandersetzt und darauf Rücksicht nimmt. Auch ein Dolmetscher wurde erst hinzugezogen, als die Zeugin darauf hinwies, dass sie nicht mehr kann. Die Vernehmung der Witwe Kilic endete aufgrund dieser Schwierigkeiten äußerst unbefriedigend.

Die Schwiegermutter des ermordeten Habil Kiliç schilderte die Auswirkungen des Mordes auf die Familie. Unter anderem wurde ihrer Enkelin von Seiten der Schule ein Schulwechsel nahegelegt mit der Behauptung, es bestünde die Gefahr von Anschlägen auf die Schule. Nur mit viel Mühe konnte erreicht werden, dass ihre Enkelin auf der Schule bleiben durfte. Weiter schilderte sie, sie sei direkt nach der Mitteilung über den Anschlag auf ihren Schwiegersohn von der Polizei intensiv verhört worden, obwohl sie dies nicht wollte.

Mangelnde Sensibilität des Vorsitzenden wurde auch zuvor bei der Durchsicht von Tatortbildern mit einem Polizeizeugen deutlich. Ohne dass es wirklich prozessual notwendig gewesen wäre, wurden Bilder des entkleideten toten Herrn Kiliç an die Wand des Gerichtssaals projiziert. Ein sensibler, würdevoller Umgang mit den Tatopfern sieht anders aus.

Am 10.07.2013 wurde – wie erwartet – der Antrag der Verteidigung Eminger, diesen teilweise von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu befreien, abgelehnt.

Die Verteidigung Gerlach sowie die Nebenklägervertreter Rechtsanwälte Kuhn und Hoffmann geben entgegengesetzte Erklärungen zu der Beweisaufnahme zu den verschiedenen Aussagen der Angeklagten Gerlach ab. Die Verteidigung Gerlach war der Auffassung, Gerlach habe von Anfang an glaubwürdig, offen und rückhaltlos kooperiert und damit nicht nur die Voraussetzungen zur strafmildernden Anwendung der Kronzeugenregelung erfüllt. Auch habe er niemals damit gerechnet, dass mit den von ihm übergebenen Dokumenten Missbrauch betrieben oder gar Straftaten begangen werden könnten. Dagegen stellten die Nebenklägervertreter klar, dass sich aus den Zeugenaussagen ergibt, dass Gerlach bei der Übergabe der Waffe damit gerechnet hatte, das diese für politisch motivierte Straftaten verwendet wird. Weiter ist deutlich geworden, dass Gerlach bei der Übergabe des Reisepasses in 2011 davon ausging, dass dieser für weitere Straftaten benutzt werden sollte.

Nicht in der Hauptverhandlung thematisiert, aber für die Nebenklage natürlich dennoch interessant waren die Meldungen über diverse Hausdurchsuchungen beim Netzwerk gewalttätiger Neonazis “Freies Netz Süd” – u.a. soll auch die Wohnung durchsucht worden sein, in der der Angeklagte André Eminger während der Prozesstage wohnt.