Überraschende Enthüllungen zu den Straftaten in Jena
Das erste Mal seit langer Zeit kam es heute vor dem Oberlandesgericht München zu einer wirklich überraschenden Zeugenaussage. Geladen war ein früherer enger Freund von Beate Zschäpe und Uwe Mundlos, der selbst in der Nazi-Szene unterwegs war, aber eher der „Skin-Fraktion“ angehörte und sich Ende der 1990er vollständig aus der Szene gelöst hat.
Der Zeuge hatte u.a. 1997 in dem bereits mehrfach angesprochenen u.a. gegen Uwe Böhnhardt geführten Jenaer Strafverfahren ausgesagt – Mitte 1996 war eine Puppe mit Davidstern auf der Brust an einer Autobahnbrücke aufgehängt und daneben eine Bombenattrappe platziert worden. Uwe Böhnhardt wurde letztlich freigesprochen, weil mehrere „Kameraden“, darunter der heutige Zeuge, ihm ein Alibi gegeben hatten.
Heute bestätigte der Zeuge, was ohnehin naheliegend war, nämlich dass dieses Alibi falsch war. Aber er ging noch darüber hinaus und berichtete, dass er selbst an der Tat beteiligt war. Mundlos und Böhnhardt hatten ihn angesprochen, sie bräuchten einen Alibizeugen für eine Aktion. Der Zeuge war schon damals in der Szene als „Moralapostel“ bekannt, er sollte sowohl gegenüber den Behörden als auch innerhalb der Szene dafür bürgen, dass die beiden die Tat nicht begangen hatten. Seiner Schilderung heute ließ sich entnehmen, dass der Verdacht in Jena sofort auf die beiden Uwes gefallen wäre, was natürlich viel über deren politisch-ideologische Entwicklung schon im Jahr 1996 aussagt. Bei der eigentlichen Tat waren aber nicht nur die beiden und der Zeuge dabei, sondern auch Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben.
Nach dem Untertauchen der Drei, so schilderte der Zeuge weiter, sei er dann von Ralf Wohlleben ziemlich aggressiv auf eine Geldspende angesprochen worden, wobei der ihn auch an die gemeinsame Tat erinnert habe. Er sei zu einer Besprechung im Hause der Familie Böhnhardt gebeten worden. Er habe erst zugesagt, Geld zur Verfügung zu stellen, habe das dann aber nicht getan, weil er die Sprengstoff-Taten des Trios falsch fand und auch Befürchtungen hatte, die würden ihr Leben im Untergrund mit Überfällen finanzieren. Außerdem habe er eben damit gerechnet, dass die bereits im Ausland seien, denn: „Ich konnte und kann mir bis heute nicht vorstellen, dass man in Deutschland länger als ein oder zwei Monate unentdeckt leben kann, vor allem wenn man gesucht wird.“ Die Überraschung des Zeugen ist nachvollziehbar, vor allem angesichts der V-Mann-Dichte um die Angeklagten und ihr Flucht-Umfeld in Chemnitz.
Die Aussage des Zeugen wirkte sehr glaubhaft, gerade auch, weil ihm anzumerken war, dass er gegen innere Widerstände kämpfte: Zum einen, weil er seine eigene Beteiligung an der Tat und seine Falschaussage vor Gericht eingestehen musste, zum anderen, weil es ihm trotz aller Ablehnung ihrer Taten und Gesinnung schwer fiel, seine Kindheitsfreundin Zschäpe zu belasten. Dennoch berichtete er von sich aus und trug so ein Stück zur Aufklärung des NSU und seiner Taten bei – und das obwohl er, der inzwischen im öffentlichen Dienst arbeitet, gesellschaftliche und auch rechtliche Konsequenzen befürchtet. Das ist sehr anerkennenswert. Gleichzeitig hat er auch nur seine Pflicht als Zeuge erfüllt, nämlich wahrheitsgemäß und umfassend auszusagen – dass sein Verhalten heute als besonders beeindruckend erlebt wird, ergibt sich aus dem krassen Gegensatz zu den ständigen Blockade-Aussagen der Nazizeugen und zeigt, wie beschämend der Umgang des Gerichts und der Generalbundesanwaltschaft mit diesen ist.
Seine Aussage ist natürlich ein Schlag für die Verteidigungen Zschäpe und Wohlleben, deren Verteidigungsstrategien u.a. darauf basieren, dass Zschäpe und Wohlleben an konkreten Taten nie beteiligt gewesen seien. Diese Annahme bröckelt jetzt – erneut – bei beiden Angeklagten. Gleichzeitig schienen beide Verteidigungsteams schlecht vorbereitet, jedenfalls teilten sie mit, vor der Befragung des Zeugen bräuchten sie eine längere Unterbrechung. Der Vorsitzende Richter unterbrach daraufhin die Vernehmung für heute, der Zeuge wird noch einmal kommen und seine Aussage beenden.