21.10.2015

Zu den Ausspähnotizen des NSU: Einblick in die strategischen Planungen des NSU?

Erster Zeuge heute war ein Polizeibeamter, der Juliane Walther vernommen hatte. Walther selbst hatte am 26.03.2014 und 27.03.2014 in München ausgesagt und hatte sich in Ausflüchte und angebliche Erinnerungslücken geflüchtet, dabei auch Angaben aus ihren polizeilichen Vernehmungen im Nachhinein abgestritten. Der Zeuge bestätigte heute, dass sie diese damals so wie protokolliert gemacht hatte.

Wohlleben-Verteidiger Klemke stellte dem Zeugen eine Reihe von Fragen zu seiner früheren Tätigkeit im Jenaer Staatschutz. Der Zeuge machte einen sehr unglücklichen Eindruck, konnte selbst grundlegende Fragen nur vage und ungenau beantworten. Für Klemke und seinen Mandanten Wohlleben war damit aber nichts relevantes erreicht: Denn die Aussage des Zeugen zeigt zwar deutlich, dass und warum Jenaer Neonazis in den 1990ern ihre Aktivitäten weitgehend ungestört durch die Polizei entfalten konnten – aber mit der Vernehmung der Zeugin Walther im Jahre 2012 hat all das natürlich gar nichts zu tun.

Es folgte eine Beamtin vom BKA, die mehrere im Wohnmobil in Eisenach gefundene Stadtpläne aus dem Thüringer Raum sowie Skizzen ausgewertet hatte. Es handelt sich um Ausspähnotizen für Banküberfälle, u.a. fanden sich Skizzen des Innenraums mehrerer Banken, die eine recht genaue Ausspähung dieser Filialen belegen. Eine Skizze zeigt eine Bank, die auch tatsächlich überfallen wurde.

Der letzte Zeuge, ebenfalls BKA-Beamter, hatte Karten und Adresslisten zu verschiedenen Städten ausgewertet. Während der Stadtplan zu Zwickau keine erkennbaren Anschlagsziele enthielt, enthielten die Stadtpläne zu München und Nürnberg/Erlangen/Fürth diverse solche Einträge. So befand sich in einer Liste zu Nürnberg auch – handschriftlich nachgetragen – der Tatort des Mordes an İsmail Yaşar im Juni 2005. Daneben fanden sich u.a. türkische und muslimische Vereine, Unterkünfte für Asylsuchende, Parteieinrichtungen von PDS bis CSU sowie diverse Waffengeschäfte. Einige Einträge zeugen von intensivem persönlichem Ausspähen („Tür offen ohne Schlüssel, Keller zugänglich“).

Diese Notizen, die alle etwa aus der Zeit Ende 2004/2005 stammen, erlauben einen Einblick in die weiteren Ziele und Pläne des NSU: während man bis dahin türkeistämmige Kleingewerbetreibende ermordet und Sprengstoffanschläge gegen „Ausländer“ gemacht hatte, rücken jetzt mit Asylsuchenden einerseits und VertreterInnen des Staates bzw. des „Systems“ andererseits neue Ziele in den Blick. Auffällig ist auch, wie viele Waffengeschäfte sich in der Liste finden – dabei hatte der NSU für seine eigenen Zwecke mehr als genug Waffen zur Verfügung und hatte diese auch, soweit feststellbar, in Waffengeschäften weder gekauft noch dort gestohlen oder geraubt.

All dies lässt den Schluss zu, dass es hier darum ging, den nächsten Schritt nach der Ceska-Mordserie zu planen. Die Vielzahl der gesuchten Ziele in verschiedensten Städten sowie die Markierung von Waffengeschäften lässt es naheliegend erscheinen, dass der NSU sich selbst in Zukunft in der Rolle einer „Superzelle“ sah, die andere Zelle anleitet – ähnlich wie im Roman „Die Turner-Tagebücher“ von William Pierce beschrieben, wo eine geheime Kommandozentrale, dort „The Order“ genannt, den einzelnen „Zellen“ Anschlagsziele vorgibt und gemeinsame Aktionen koordiniert.