22.10.2015

Weitere ZeugInnen zu Ausspähnotizen

Der erste Zeuge heute, ein BKA-Beamter, hatte das in der Frühlingsstraße gefundene Kartenmaterial zu Kiel ausgewertet. Seine Vernehmung verlief in der Sache unspektakulär. In der Beschreibung der aufgelisteten Einrichtungen verwendete der Zeuge jedoch mehrfach den Begriff „islamistisch“, und auf Nachfrage des Vorsitzenden, was er damit meinte, grub er das Loch immer tiefer: „ich meine orientalisch, osmanisch…“, es gehe ihm um Institutionen, die Menschen vertreten, die „eine andere Herkunft haben als das deutsche Volk selbst.“ Auf die zu erwartenden Unmutsäußerungen im Saal und aus dem Publikum zeigte sich Wohlleben-Verteidiger einmal wieder als echter Rechts-Anwalt und empörte sich, der Vorsitzende möge bitte für Ruhe sorgen.

Eine weitere BKA-Beamtin berichtete zum Kartenmaterial und den Adresslisten für diverse Städte. Das Material zu Zwickau – wie auch schon das zu Chemnitz – enthielt zwar viele Markierungen, aber keine denkbaren Ziele, die in das Feindbild des NSU passen würden. Ob diese Markierungen Fluchtwege für Banküberfälle betreffen oder ob es sich um andere, irgendwie die Struktur des NSU betreffende Orte handelte, ließ sich letztlich nicht klären.
In Greifswald und Plauen waren v.a. Banken und Sparkassen ausgespäht worden, in Ludwigsburg und Dortmund u.a. türkische bzw. islamische Vereine, Mitglieder des Landtags, Läden mit türkeistämmigen Betreibern, mit Hinweisen auf persönliche Ausspähung. U.a. findet sich zu Dortmund auch der Vermerk „Wohngebiet wie Mühlheim Köln“ – ein Hinweis auf den Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße im Juni 2004. Eine Karte und Liste von Dortmund war am 3.4.2006, einen Tag vor dem Mord an Mehmet Kubaşık in Dortmund, ausgedruckt worden.

Es folgte ein Beweisantrag aus der Nebenklage, die von dem Vertrieb NS88 der Blood and Honour Scandinavia herausgegebenen Videomagazine „Kriegsberichter“ in Augenschein zu nehmen. Vorletzte Woche hatte ein Gründungsmitglied der Kameradschaft Jena ausgesagt, dass er diese Videos mit „Kameraden“ angeschaut und in diesem Zusammenhang über eine „militante Organisation“ diskutiert hatte (vgl. die Berichte vom 16.09.2015 und 07.10.2015). Diese Videos können einen entscheidenden Einblick in die bereits Mitte der 90er-Jahre weitverbreitete extrem gewalttätige rassistische Ideologie bieten, wie sie eben auch bei der Kameradschaft Jena, aus der die NSU-Mitglieder kamen, vorhanden war.