14.09.2016

Zschäpe verweigert Antworten auf die Fragen der Nebenklage, und: hektischer Aktivismus der Verteidigung zu einem Brief Zschäpes

Heute Vormittag wurde zunächst erneut der ehemalige Chef von Blood and Honour Thüringen und V-Mann des Verfassungsschutzes, Marcel Degner, vernommen (vgl. zuletzt den Beitrag vom 20.07.2016). Erneut ging es nur um die Frage, ob er V-Mann war, was er vehement verneint, trotz eindeutiger Identifizierung durch die ehemaligen V-Mann-Führer. Nachdem sein letzter Zeugenbeistand entpflichtet worden war, erschien Degner heute mit neuem Beistand – und blieb bei seiner Strategie, hartnäckig und sinnlos zu leugnen. Damit waren auch mögliche Fragen der Nebenklage zu seiner V-Mann-Tätigkeit und seinen Berichten sinnlos geworden, Degner konnte recht bald wieder nach Hause fahren – und sich auf die Fortführung des Verfahrens wegen Falschaussage vorbereiten, das nur im Hinblick auf seine erneute Ladung in München vorläufig auf Eis gelegt worden war.

Sodann erfolgte die gestern angekündigte Stellungnahme der Verteidigung Zschäpe zu den Fragen der Nebenklage – die werden schlicht nicht beantwortet. Es ist jetzt am Gericht zu überlegen, welche der vielen und detaillierten Fragen der Nebenklage es übernehmen und selbst an die Angeklagte stellen will – und damit auch zu zeigen, inwieweit ihm an einer wirklichen Aufklärung der angeklagten Taten und der Organisation NSU gelegen ist.

Augenscheinlich getroffen reagierte die Verteidigung auf einen Antrag der Nebenklage, einen Brief, den Zschäpe im Jahr 2013 an einen in Nordrhein-Westphalen inhaftierten Neonazi geschickt hatte.Dieser Brief hatte über die Justizvollzugsanstalt und das Landesamt für Verfassungsschutz den Weg zur Generalbundesanwaltschaft und damit in die Münchener Verfahrensakte gefunden. In dem Brief stellt sich Zschäpe als stark, selbstbewusst, abgebrüht dar – ganz anders als in ihrer Einlassung in München, in der sie das Klischee einer von den beiden Männern abhängigen, schwachen, alkoholabhängigen Frau zeichnet.

Dementsprechend auch die Reaktion der Verteidigung. Diese forderte zunächst, bereits während der Verlesung des Antrags, die Öffentlichkeit auszuschließen – die Verhandlung darüber, ob dies geschehen sollte, musste ihrerseits unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen.

Nun hätte in dieser nichtöffentlichen Hauptverhandlung über die Kriterien, die für eine Entscheidung über die Nichtöffentlichkeit entscheidend sind, diskutiert werden sollen – insbesondere bedeutet dies eine Abwägung des Interesses der Angeklagten an ihrer Privatsphäre mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Die Verteidigung hätte vorbringen können, wieso der Brief – der vor allem eine Selbstdarstellung Zschäpes gegenüber einem seinerseits inhaftierten „Kameraden“ enthält – besonders intime Aspekte enthält, die Nebenklage hätte demgegenüber dargestellt, warum an genau dieser ungefilterten und nicht auf die Verteidigungsstrategie und den Akteninhalt abgestimmten Selbstdarstellung ein besonderes öffentliches Interesse besteht (zumal der Brief bereits in der Presse veröffentlicht ist).

Stattdessen zündete die Verteidigung stundenlang Nebelkerzen, behauptete vor allem, der Brief sei illegal in die Akte gelangt und daher dürfe der Beweisantrag, in dem Teile des Briefes zitiert sind, nicht einmal in nichtöffentlicher Verhandlung verlesen werden – obwohl sich der Brief seit Jahren in der Akte befindet. Allerdings ist schon die These der Rechtswidrigkeit sehr wackelig – es zeigte sich in der Diskussion, dass sich die Verteidigung mit der angeführten Rechtsgrundlage für die Weitergabe durch den Verfassungsschutz noch gar nicht auseinandergesetzt hatte. Vor allem aber: selbst wenn die Übersendung des Briefes zur Akte rechtswidrig gewesen sein sollte, so mag daraus möglicherweise ein Verbot der Verwertung als Beweismittel folgen – ganz sicher aber kein mehrere Schritte vorher ansetzendes Verbot der Beantragung einer Beweisaufnahme.

Dieses Vorgehen der Verteidigung lässt sich daher zum einen als Anzeichen dafür werten, dass sie sich ihrer verzweifelten prozessualen Lage angesichts der erdrückenden Beweislage bewusst ist, zum anderen als Zeichen dafür, dass sie die Inhalte des Briefs, die die Selbstdarstellung Zschäpes im Prozess im Kern erschüttern, um jeden Preis aus dem Verfahren heraushalten wollen.

Immerhin wurde im Verlauf der Auseinandersetzung auch deutlich, dass der Vertrauensbruch zwischen Zschäpe und ihren Altverteidigern nicht so groß ist, wie immer wieder behauptet wird. Selbstverständlich sprach sie immer wieder mit diesen, weil ihre Wahlverteidiger weder gewillt noch in der Lage waren, diese Auseinandersetzung zu führen. RA Borchert hatte den Gerichtssaal zu diesem Zeitpunkt längst wieder verlassen, RA Grasel machte nicht einmal einen ernsthaften Versuch, sich an der Auseinandersetzung zu beteiligen. Wenn Zschäpe ein bestimmtes Ziel hat, hier die Verhinderung der Verlesung eines ihr unangenehmen Briefes, nimmt sie selbstverständlich Kontakt auf. Ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis sieht anders aus. Damit wurde ein weiteres Mal der taktische Umgang Zschäpes in ihren Anträgen auf Entpflichtung ihrer Altverteidiger deutlich.

Das Gericht hat über die Frage heute nicht entschieden, sondern den Beteiligten Zeit zur Stellungnahme bis zur nächsten Prozesswoche gegeben.