17.01.2017

Auftakt des Gutachtens von Prof. Saß zu Zschäpe – egozentrisch, ganz auf sich selbst bezogen, wenig emphatisch, externalisierend

Nach den Verzögerungen der letzten Verhandlungstage soll diese Woche endlich das Gutachten des Sachverständigen Prof. Saß erstattet werden. Die Altverteidiger Zschäpes – heute nur vertreten durch die Rechtsanwälte Sturm und Heer – erreichten einen letzten Aufschub durch eine Gegenvorstellung gegen einen Gerichtsbeschluss, nach der Mittagspause begann der Sachverständige dann aber doch mit seiner Gutachtenerstattung. 

Heute stellte er zunächst nur die für ihn relevanten Erkenntnisse aus dem Prozessverlauf dar. Er werde sein mündliches Gutachten gegenüber dem schriftlichen Vorgutachtern erheblich erweitern, weil seitdem ja noch beispielsweise der inzwischen eingeführte Brief Zschäpes an einen in Nordrhein-Westphalen inhaftierten Neonazi (vgl. Berichte vom 20.12.2016 und 14.09.2016) und die Aussagen von Polizeibeamten zu einer möglichen Ausspähung einer Berliner Synagoge und zu der Teilnahme Zschäpes an einer Schulungsveranstaltung im Niedersächsischen Nazizentrum Hetendorf in die Hauptverhandlung eingeführt wurden

Anschließend erläuterte Prof. Saß, der als eine der Leitfiguren der forensischen Psychiatrie in Deutschland gilt, seine Herangehensweise und die besondere Problematik einer Gutachtenerstellung ohne die Mitwirkung der zu untersuchenden Person. Dabei betonte er, dass im Falle Zschäpes sogar sehr viel Material vorliege, das in der umfangreichen Hauptverhandlung zu gewinnen war. Deshalb sei es tendenziös und irreführend, wenn die Zschäpe von einem „Ferndiagnosegutachten“ spreche.

Zu der von Zschäpe vorgebrachten angeblichen Alkoholproblematik stellte Saß fest, es sei auffällig, dass diese zum ersten Mal in deren Erklärung im Gericht aufgetaucht sei – kein Zeuge, kein Nachbar, keine Urlaubsbekanntschaft habe hiervon berichtet, berichtet worden sei lediglich ein normales Mittrinken bei entsprechenden Gelegenheiten. Zschäpe habe auch keinerlei Entzugserscheinungen nach ihrer Festnahme in der Untersuchungshaft geschildert.

Im Anschluss schilderte Saß die Informationen, die in der Hauptverhandlung zum Werdegang Zschäpes und ihrer frühen Entwicklung, zum schulischen Werdegang, zu Partnerschaften und ideologischen Entwicklung, zu ihrer Entwicklung in der Zeit des Untertauchens und zu ihren eigenen Angaben zu den hier angeklagten Taten gewonnen werden konnten.

Auffallend sei, dass die Schilderungen Zschäpes zu ihrer Vorentwicklung sehr sachlich, emotionsarm und unpersönlich wirkten. Über ihre Ziele, Wünsche, Träume, Gemütsbewegungen sei nichts zu erfahren gewesen. Die wenigen Anhaltspunkte ergäben ein eher karges, anspruchsloses Bild. Insgesamt seien die festgestellten Umstände auch unter Einbeziehung der familiären Besonderheiten nicht als Hinweis auf gravierende Belastungen oder Defizite oder Gestörtheit zu bewerten.

Bei ihrer eigenen Darstellung der Beteiligung an kleineren Diebstählen im Jugendalter habe sich zum ersten Mal eine Tendenz Zschäpes gezeigt, die Verantwortung für das eigene Verhalten anderen Personen zuzuschreiben und das eigene Verhalten zu bagatellisieren. Diese Tendenz habe sich erneut bei ihrer eigenen Darstellung ihrer politischen Entwicklung gezeigt.

Zschäpe umschreibe sich selbst euphemistisch mit „nationalistisch“. Die von anderen Zeugen eingebrachten Berichte, Vermerke, Urteile, Abbildungen hätten allerdings ergeben, dass es sich bei dem Freundeskreis von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt um deutlich rechtsradikal ausgerichtete Kreise gehandelt habe, in denen es nicht nur um Musik und Konzerte ging, sondern um konkrete Auseinandersetzungen und Politik. Die Aktionen mit dem Puppentorso, die Ablage von Bombenattrappen, die Teilnahme an Hessmärschen, das gemeinsame extrem provozierende Auftreten in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, das Mitführen von Schlag- und Stichwaffen ergäben ein von Zschäpes Selbstdarstellung deutlich abweichendes Bild. Auch der Zeuge Kapke habe Zschäpe als rechtsradikal und antisemitisch beschrieben. Zschäpe verharmlose all dies, wenn sie beispielsweise die Auseinandersetzungen als „Katz- und Mausspiel mit Polizei und Verfassungsschutz“ bezeichne.

Ihre Beteiligung am Aufbau „potenter Organisationen“ begründe Zschäpe mit dem Einfluss von Tino Brandt. Das Zusammenleben habe sich mit seinem Dazustoßen grundlegend geändert, er habe Geld gegeben, Initiativen angestoßen und Propagandamaterial beschafft. Zschäpes Aussage, „ohne Tino Brandt wären die ganzen Unternehmungen so nicht möglich gewesen“, zeigte erneut, dass Zschäpe ihre eigene Verantwortlichkeit leugne und auf Dritte Personen verschiebe.

Auch bei Zschäpes Darstellung ihrer Beteiligung an Aktionen der Kameradschaft Jena sei ihre Neigungen zur Verharmlosung und zur Verlegung der Verantwortlichkeit nach außen angeklungen.

Dagegen habe ihr Cousin ihre Beziehung zu Mundlos und Böhnhardt damit beschrieben, dass wahrscheinlich ihre Art die Männer zusammengehalten habe, sie habe „die Jungs im Griff gehabt“. Wenn dies zuträfe, spräche es für ein deutliches Maß an persönlicher Stärke und Selbstbewusstsein. Zu einem Kriminalbeamten habe sie noch am Abend ihrer Festnahme gesagt, „ich wurde zu nichts gezwungen.“

Was Zschäpes Erklärungen zu den Taten angehe, sei der Wahrheitsgehalt für ihn als Pdychiater nicht einzuschätzen. Sie habe wiederum die zentrale Rolle der Verstorbenen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt für alle Taten betont sowie ihre eigene finanzielle und emotionale Abhängigkeit von den beiden sowie ihre Beeinflussung durch die Suiziddrohungen der beiden. An Vorbereitung, Planung und Durchführung der Verbrechen wolle sie nicht beteiligt gewesen sein – mit Ausnahme der Brandlegung in der Frühlingsstraße, diese sei aber im Auftrag der beiden Verstorbenen erfolgt.

Es sei aber einerseits festzuhalten, dass sie auch gegenüber einem Kriminalbeamten angegeben hatte, sie sei ein Meister im Verdrängen. Zudem stellten Zschäpes Erklärungen keine authentische Auseinandersetzung mit den Geschehnissen dar.

Insgesamt sei zu Zschäpes Erklärungen festzustellen dass diese psychopathologisch gesehen egozentrisch, ganz auf sich selbst bezogen, wenig emphatisch, externalisierend seien.

An dieser Stelle musste die Verhandlung abgebrochen werden, weil die Zschäpe-Verteidiger mitteilten, sie könnten nicht so mitschreiben, dass sie Gegengutachter ausreichend informieren könnten. Der Angeklagte Wohlleben klagte darüber hinaus über starke Kopfschmerzen.

Die Gutachtenerstattung wird am morgigen Hauptverhandlungstag fortgesetzt.