Plädoyer der Bundesanwaltschaft: weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Und: vollständige Dokumentation des Plädoyers von heute.
Der heutige Hauptverhandlungstag begann wie erwartet und brachte dann doch relativ überraschend den Beginn des Plädoyers der Bundesanwaltschaft. Der Senat verkündete zunächst seinen Beschluss, dass es weiterhin keine Aufnahme oder sonstige vom Gericht veranlasste Aufzeichnung oder Protokollierung des Plädoyers des GBA geben wird. Die Verteidigung beantragte eine längere Unterbrechung, stellte dann aber keinen Antrag. Offensichtlich scheute die Verteidigung doch vor einem sinnlosen weiteren Befangenheitsantrag zurück und wollte lieber den Vorteil mitnehmen, sich über die Sommerpause auf eine Entgegnung auf die Argumente des GBA vorzubereiten.
Im Anschluss begann zunächst Bundesanwalt Dr. Diemer mit dem Plädoyer und steckte in wenigen Minuten den juristischen und politischen Raum ab, den seine beiden Oberstaatsanwälte beim Bundesgerichtshof, Greger und Weingarten, von ihm für ihre ausführlichen Plädoyers offensichtlich zugewiesen bekommen haben. Die Leitlinien des heute begonnenen Plädoyers können damit mit den folgenden Zitaten Diemers zusammengefasst werden:
• Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verstrickung von Angehörigen staatlicher Stellen sind nicht aufgetreten. Wären sie aufgetreten, wären sie in gesetzlich vorgesehener Weise aufgeklärt worden.
• Die Ermittlung eines weiteren Unterstützerumfelds ist bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte Aufgabe weiterer Ermittlungen. Sie konnte nicht Aufgabe dieses Prozesses sein, denn der Gegenstand war durch die zur Anklage gebrachten Taten vorgegeben.
• Anderes zu behaupten, verunsichert die Opfer und die Bevölkerung.
• [Die] umfassende Beweisaufnahme hat die Anklage der GBA hinsichtlich aller fünf Angeklagter objektiv und subjektiv in allen wesentlichen Punkten bestätigt.
Damit ist bereits jetzt klar, dass der GBA alle von seiner Anklagehypothese abweichenden Ergebnisse der Beweisaufnahme ignoriert, und stoisch an der bereits Anfang 2012 festgelegten Linie festhält, nach der der NSU lediglich aus Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bestand, isoliert agierte und die Unterstützer nur aus freundschaftlicher Verbundenheit handelten.
Immerhin kündigte Diemer an, die Anklage sei bestätigt worden, er wird daher eine anklagegemäße Verurteilung beantragen.
Zur Tatmotivation erklärte Diemer:
“Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat […] wurden von Beate Zschäpe und ihren Komplizen hingerichtet, weil sie ausländischer Herkunft waren und in den Augen ihrer Mörder in Deutschland nichts zu suchen hatten. Weil andere Menschen davon abgeschreckt werden sollten, nach Deutschland zu kommen, weil Bürger ausländischer Herkunft dazu gebracht werden sollten, Deutschland zu verlassen. Diese Menschen wurden nicht aufgrund irgendeiner eigenen kriminologischen oder soziologischen Vorbelastung zum Opfer. Nur dies […] bestimmte die Auswahl der Opfer und nichts anderes.”
Selbst in dieser Erklärung, die für die Tatopfer und ihre Angehörigen so wichtig ist, muss Diemer also unterbringen, dass er es ausschließt, dass örtliche Gegebenheiten und die Ortskenntnis von weiteren Mittätern oder UnterstützerInnen bei der Auswahl der Opfer eine Rolle gespielt haben könnten – wie dies in vielen Fällen einfach sehr naheliegt.
Im Folgenden begann Oberstaatsanwältin beim BGH Greger mit ihren Ausführungen zur strafrechtlichen Verantwortung von Beate Zschäpe. Ihr Kollege Weingarten wird im weiteren Verlauf des Plädoyers die anderen vier Angeklagten abarbeiten.
Greger hielt sich klar an Diemers Vorgaben. Sie zeichnete zunächst ein Bild der Person Beate Zschäpe, das zwar deren nationalsozialistische und rassistische Weltanschauung und ihre Befürwortung der Durchsetzung der eigenen Position mit Gewalt beschreibt, das aber gleichzeitig diese Beschreibung außerhalb der politischen Zusammenhänge, in denen diese sich bewegte, stellt. So werden Aussagen von Zeugen benannt, ohne darzustellen, in welcher Gruppenkonstellation Zschäpe mit diesen zusammengearbeitet hat, so werden Beweisergebnisse nebeneinander gestellt, ohne deutlich zu machen, dass sie zusammengehören. Auf diese Weise zeichnet Greger das Bild einer Person, die sich (allein) zusammen mit Böhnhardt und Mundlos radikalisiert – als ob die politischen Gruppen und Netzwerke, in denen dies geschah, mit dieser Radikalisierung nichts zu tun hätten. Greger bescheinigt daher dann auch dem V-Mann Tino Brandt und dem von diesem geführten Thüringer Heimatschutz, diese hätten kaum Einfluss auf Zschäpe gehabt. Damit wird vollständig ignoriert, dass die Jenaer Kameradschaft ja als Teil des THS gegründet und von Brandt ideologisiert wurde. Wenn Greger dann beschreibt, dass der NSU nach dem Abtauchen in Chemnitz gegründet wurde und der Raubüberfall dort im Dezember 1998 die erste Tat des NSU gewesen sei, dann unterschlägt sie, dass dies geschah, während Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos nicht nur finanziell von der sächsischen Sektion von Blood and Honour unterstützt wurden, sondern auch eng politisch mit diesen zusammenarbeiteten und diskutierten. Ebenso wenig erwähnt sie, dass ZeugInnen vor Ort drei Täter gesehen haben, was die Beteiligung eines dieser Unterstützter an der Tat naheliegend erscheinen lässt. Schon an dieser Stelle stößt also die These der GBA ganz handfest mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme zusammen.
Das Plädoyer Gregers wird an den nächsten beiden Tagen fortgesetzt werden.
Wir werden auf unserem Blog den Inhalt des Plädoyers des GBA vom heutigen Tag dokumentieren. Dieses wurde von mehreren KollegInnen der Nebenklage, bei denen wir uns hiermit vielmals bedanken, nach bestem Wissen und Gewissen mitgeschrieben. Sobald das Protokoll fertig gestellt ist, werden wir es im Blog einstellen und hier verlinken.