Nebenklage Taşköprü: zwei starke Plädoyers und eine aberwitzige Verteidigungsrede
Heute Vormittag plädierten für die Familie des 2001 in Hamburg vom NSU ermordeten Süleyman Taşköprü zunächst Rechtsanwalt Andreas Thiel und Rechtsanwältin Gül Pinar.
Andreas Thiel zeigte in seinem bewegenden Plädoyer noch einmal das unermessliche Leid auf, das der Tod des Bruders, Sohnes und Vaters – die Tochter Süleyman Taşköprüs war zum Tatzeitpunkt 2 Jahre alt – für die Familie bedeutet. Er zitierte die Worte des Vaters, der den sterbenden Sohn im Laden gefunden hatte und sich Vorwürfe machte, weil er selbst kurz zuvor den Laden verlassen hatte, um Oliven zu kaufen: „Ich habe ihn auf meinen Schoß genommen, am Gesicht berührt, er wollte etwas sagen, aber er konnte es nicht. Ich wollte erste Hilfe leisten, aber ich konnte es nicht“ Und weiter: „Wenn ich gewusst hätte, dass das die Mörder waren, wäre ich hingegangen, egal was mir passiert wäre.“
Er bezog sich auf das Foto des Sterbenden, das die Mörder Mundlos und Böhnhardt nach der Hinrichtung aufgenommen hatten und das sich auch im Bekennervideo des NSU fand, das die Angeklagte Zschäpe nach der Beweisaufnahme mit erstellt und das sie nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 04.11.2011 verbreitet hat.
Andreas Thiel zeichnete noch einmal in wenigen, bewegenden Sätzen ein Bild vom Leben Süleyman Taşköprüs, endend mit der innigen Beziehung zu seiner Tochter, die auf allen Familienfotos immer in der Nähe ihres Vaters zu sehen ist, und schloss dann: „Und diesen Menschen haben Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos feige ermordet für ihre Idee eines ausländerfeindlichen Deutschlands.“
Auch Andreas Thiel kritisierte Mängel in den Ermittlungen der Polizei, die u.a. Spuren nach „zwei deutschen Männern“ nicht nachgegangen waren. Diese Mängel, so Thiel weiter, sollten aber besser außerhalb des Verfahrens bearbeitet werden.
Die damit implizit erhobene Forderung nach einem Untersuchungsausschuss in der hamburgischen Bürgerschaft begründete Gül Pinar in ihrem Plädoyer weiter. Sie führte u.a. aus, dass auch sie von einem früheren Gründungszeitpunkt der Vereinigung NSU ausgehe, und bezog sich, wie Peer Stolle in seinem Plädoyer, auf die Sprengstoffdelikte seit Mitte der 1990er, an denen auch Ralf Wohlleben beteiligt war.
Und sie bezog sich auf zahlreiche Verbindungen der Mitglieder des THS und damit der späteren NSU-Mitglieder zu Hamburger Nazi-Größen, etwa zum „Deutschen Rechtsbüro“ um Rechtsanwältin Gisa Pahl und den mittlerweile verstorbenen Rechtsanwalt und Nazi-Multifunktionär Jürgen Rieger, zum Hamburger Neonazi Christian Worch, einem der Führer der GdNF. All diese Fragen könne der Strafprozess nicht klären, sie müssten in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden. Die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss ist in Hamburg von der Bürgerschaftsfraktion der Linken erhoben worden, bisher ist dessen Einsetzung am Widerstand der Senatsfraktionen gescheitert. Hintergründe für diese Forderung stellt NSU watch dar.
Gül Pinar schloss mit einem Appell an den Senat: Das Urteil des Senats werde wichtig sein auch für die spätere Auseinandersetzung um und die Aufklärung des NSU-Komplexes. Das solle der Senat bei seiner Urteilsfindung berücksichtigen. Da könne etwa das Wort „jedenfalls“ schon erhebliche Bedeutung haben: stelle der Senat etwa fest, dass der NSU „jedenfalls aus Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt“ bestand, lasse er damit die Möglichkeit späterer weiterer Aufklärung hierzu offen.
Es folgte ein wirres Plädoyer von Rechtsanwältin Wierig, die sich den Anstrich einer nachdenklichen Liberalen zu geben versuchte, aber in Wirklichkeit reaktionäres Gedankengut verbreitete. Wir wollen ihren Ausführungen nicht zu viel Raum geben, deswegen in der gebotenen Kürze: Wierig erklärte zunächst Zschäpe zum „Mastermind“ des NSU, die die Befehle an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erteilt habe – und erklärte nebenbei Mundlos und Böhnhardt zu kranken Psychopathen, deren Taten nur von Zschäpe mit einem politischen Anstrich versehen wurden. Sie kaufte Wohlleben seine Selbstdarstellung als nationaler Pazifist ab, erklärte, an seiner Schuld gebe es erhebliche Zweifel, auf die Aussage Carsten Schultzes zur Identifizierung der Waffe könne man gar nichts stützen – ganz so, als hätte Wohlleben nicht in seiner eigenen Einlassung zugegeben, mit der Waffe und dem Schalldämpfer hantiert zu haben. Und sie gab die Schuld an der Verunsicherung der migrantischen Bevölkerung vor allem den engagierten Rechtsanwält_innen und Journalist_innen, die über die Mordserie des NSU, dessen Ideologie und die rassistischen Ermittlungsmethoden der Polizei berichtet hatten. Dass die Polizei etwa der migrantischen Bevölkerung nichts über den Verdacht einer rassistischen Mordserie mitgeteilt hätte, sei doch ganz nachvollziehbar, denn die Folgen einer solchen Mitteilung wäre doch klar gewesen: „Ich bin mir sicher, dass Teile Hamburg gebrannt hätten, ich halte Ausschreitungen, Straßenschlachten und sogar Tote für wahrscheinlich“. Das ist also die Weltsicht der liberalen Anwältin Wierig: Die Nazis sind krank und/oder Opfer der Justiz und der einzigen Bösen Beate, schuld an den Folgen sind die linken Anwält_innen und kritischen Journalist_innen, und die migrantische Bevölkerung ist ein Pulverfass, das unter Kontrolle gehalten werden muss, damit es nicht explodiert. Die ungläubigen Gesichtsausdrücke bei anderen Nebenklägervertreter_innen, auch den anderen Vertreter_innen der Familie Taşköprü, aber auch bei den Journalist_innen vor dem Saal sprachen Bände davon, wie dieser reaktionäre Gedankenbrei dort ankam.
Nach der Mittagspause konnte nur noch ein kurzes Plädoyer folgen, da Emingers Verteidiger Rechtsanwalt Hedrich nicht anwesend und Rechtsanwalt Kaiser stark erkältet war. Das Plädoyer von Tobias Westkamp, der den heute ebenfalls anwesenden Keupstraße-Geschädigten Sandro D. vertritt, hob sich angenehm von den wirren Ausführungen Wierigs ab: er schilderte vor allem die Folgen der Tat für seinen Mandanten, der durch die Explosion und mehrere Nägel, die sich tief in seinen Körper gebohrt hatten, schwer verletzt wurde und der an den körperlichen wie seelischen Schäden dauerhaft leiden wird.
Er schilderte, wie schwer es für Sandro D. war, dass ihm im Krankenhaus zunächst jede Auskunft darüber verweigert wurde, ob sein guter Freund Melih K., der bei der Explosion neben ihm gestanden hatte, überhaupt noch am Leben war, wie schwer es war, von der Polizei als Verdächtiger behandelt zu werden: „Man kann sich kaum vorstellen, was das aus einem Geschädigten macht, nicht primär als Opfer, sondern als Verantwortlicher am eigenen Leid wahrgenommen zu werden.“
Tobias Westkamp beendete sein Plädoyer mit einigen Worten an seinen Mandanten, die eine gewisse Hoffnung für die Zukunft enthalten:
„Herr D., Köln ist ihre Heimatstadt, Sie sind dort geboren und aufgewachsen, Sie haben Köln auch nach dem Anschlag nie verlassen. Sie wissen daher, dass das Ziel des NSU, die Zerstörung einer freien und offenen Gesellschaft, nicht nur, aber auch in Köln, nicht nur, aber auch in Mülheim, nicht nur, aber auch auf der Keupstraße, fundamental gescheitert ist. Ich hoffe, Sie schaffen es, diesen Misserfolg als einen gewissen Trost aufzufassen.“
Morgen wird es mit weiteren Plädoyers weitergehen, u.a. zur Keupstraße (darunter der zweite Teil des Plädoyers von Alexander Hoffmann) und zum Mord an Michèle Kiesewetter und dem Mordversuch an ihrem Kollegen.